Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Schneekegelhöhle


Ein Dokument: der Eintrag in mein Bergtagebuch mit den Unterschriften aller Teilnehmer an der einmaligen Tour am 1. und 2. Juli 1978 (mein Name fehlt natürlich, wegen der Selbstreferentialät!)


"Alle Menschen haben Erfahrungen im Leben, die Freude auslösen....
Ganz wichtig ist vielen Menschen das Finden...." Verena Kast


So mancher verkauft uns den Lauf der Weltgeschichte als eine ewige Abfolge von Ursache- und Wirkungsbeziehungen und macht sich damit wichtig. Angeblich läuft es hier auf dieser Welt so. Tatsächlich ist das wirkliche Geschehn noch oft von ganz anderen Faktoren bestimmt, Glück und Zufall heißen die nicht zuletzt. Dann spielen auch Ängste, Mißinterpretationen, Halbwissen, Bequemlichkeit, Langeweile und tausend andere Dinge auch wesentliche Rollen dabei, wie es auf dieser Erde zugeht.

Auch in der Höhlenforschung geht wirklich nicht alles seinen geordneten geplanten Gang. Da gibt es mehrwöchige Expeditionen mit vielen Teilnehmern in noch ganz unerforschte Karstgebiete der Erde vordringen und sie bringen nur ganz kleine Ergebnisse mit nach Hause. Und da gibt es immer wieder solche "Goldfunde", die waren überhaupt nicht beabsichtigt und passieren eben doch.

Die Entdeckung der Schneekegelhöhle oberhalb des schon länger bekannten Almberghöhlensystems gehört dazu. Im Juni 1974 war ich schon einmal mit meiner Frau Norma in dem Gebiet oberhalb des Grundlsees unterwegs gewesen und hatte das gewaltige Portal des Almberglochs schon vom Weg zum Appelhaus gesehen. So hatte ich schon einen gewissen geographischen Kenntnisvorsprung, als wir, das war eine Gruppe aus Münchnern und Fränkischen Höhlenforschern, um den 1. Juli 1978 unterwegs waren zum Toten Gebirge. Das Objekt unserer Wahl war die Almbergeis- und Tropfsteinhöhle, die wir einfach mal befahren und möglichst auch fotographieren wollten.

Ausgangspunkt war der Staudnwirt im Tal am Weg zum Grundlsee gewesen. Von dort ging es los und dorthin kamen wir am Abend dieses denkwürdigen 1. Juli wieder zurück. Es ist rückblickend schon erstaunlich, was für ein Bild die überlieferten Texte den Lesern wohl vermitteln - und wie es "wirklich" gewesen ist! Nun, jeder der schreibt, tut das so, wie er es halt wohl für "richtig" und wohl so erlebt wahrnimmt. Ein anderer sieht das wieder ganz anders und legt auch seinen "Schwerpunkt" ganz woanders hin. "Ein Bild" ergibt sich daraus selten, meistens entsteht dann was gar nicht so selten ziemlich Widersprüchliches, für manchen auch "Unverständliches".
Im Grunde ist das normal. Man muß nur mal die "Bibel" anschauen. Schaut man sich die Urtexte an und was dann daraus geworden ist.....Aus der aramäischen "jungen Frau" wurde die "Jungfrau".....

Auch unsere damalige Tour ist ein schönes Beispiel für solche Verwirrungen. Wilfried Lorenz, einer meiner wenigen wirklichen Höhlenfreunde, hat einen umfangreichen Bericht glücklicherweise über diesen inzwischen schon so weit entfernten "Event" geschrieben. Wenn ich den heute lese, dann sehe und weiß manches, als einer der Zeitzeugen von damals, ganz anders. "Eine Stunde nach dem Abmarsch in Grundlsee verloren wir aus Unachtsamkeit auch noch den dick markierten Wanderweg. Erst als wir uns in weglosem Steilgelände befanden, machten wir eine Standortanalyse."

Sorry, aber es war ganz anders. Zumindest für mich. In Trimmels Buch über die "Längsten und tiefsten Höhlen Österreichs" war die Almberghöhle als Nummer 13 mit 2509 m Länge aufgezählt. Fragt mich jetzt nicht, woher ist das hatte, den "steilen Aufstieg", vielleicht war es das Wort "Südabstürze" im Text. Jedenfalls dachte ich mir, daß wir die "Abstürze" einfach umgehen könnten, in dem wir erst einmal auf das Plateau aufsteigen würden und dann von oben, die "schwierigen, lotrechten" Teile damit vielleicht umgehen könnten. Ich mag keine Höhlen, die in Steilabstürzen liegen. Bei der Frickenhöhle im Estergebirge hatte ich mein absolutes Negativerlebis schon in den 60er Jahren gehabt. Um ein Haar bin ich dem Tod damals entronnen. Bei den Touren in den Frauenofen hatte ich immer ein sehr unangenehmes Gefühl. Und als wir mal wieder in die Hirlatzhöhle gingen, da hatte ich auch das Gefühl, daß das "eine Nummer zu hoch für mich" war. Einen "falschen" Schritt tun und.... Es gibt Menschen, Höhlenfreunde, denen ist das passiert. Einer liegt auf dem Friedhof von Aussee, Mario Taucher.

Als wir dann 1978 im Nebel unterwegs am Almberg waren, war das schon sehr wichtig. Wenn man mal die Gegend gut kennt, weiß, wo die Höhle wirklich liegt, dann sieht alles ganz anders aus, wie so oft auf dieser Welt. Aber wenn man halt erst heranwächst.... Dann probiert man sich aus, versucht etwas, spielt.... Das ist ja auch überhaupt nicht schlecht. Man macht die Erfahrung von "Sackgassen", "blind alleys", Rundläufe und was weiß ich sonst noch was. Nur um zu einem Ziel zu kommen, überhaupt zum "Ziel".

Wer "Bescheid" weiß, der kann heute meine Uridee für ziemlich verrückt halten. Denn das, was ich mir unter "Plateau" vorgestellt hatte, das ist oberhalb des Gaiswinkelkars" einfach nicht da. Bei "Plateau", da dachte ich an die freigeräumten Flächen eines Steinernen Meeres um das Rotwandl oder nur von wenigen Latschen bewachsenen Flächen im Tennengebirge. Tatsächlich war da "Urwald". Nicht ein solcher, wie wir traditionellerweiser ihn uns denken, nachdem wir einen Tarzenfilm gesehen haben. Da beherrschen Latschen die Szene und das massivst. Einen wirklichen Boden unter die Füße noch zu kriegen, das kann man vergessen. Wenn man seine Gleichgewicht noch einigermaßen halten kann, dann darf man sich noch glücklich schätzen.
Um solches Ringen mit den Natur möglichst gering zu halten, hielten wir uns an die wenigen Schneisen im Freiland. Wo immer es ging, da folgten wir den mehr oder weniger breiten Gras- und Karrenflächen im Gelände.

Noch so ein Detail. Ursprünglich hatte auch Klaus Vater, Mitglied beim Verein für Höhlenkunde in München, dabei sein wollen. Er hatte früher schon mal die Höhle aufgesucht und hätte genau gewußt, wie man zum Eingang einfach kommt. Aber er hatte wieder abgesagt und so standen wir halt ohne echten "Führer" da. So entwickelte sich dieses Unternehmen halt so wie es lief.

Wir unterquerten die Transportseilbahn zum Appelhaus, die uns eine gute Orientierungshilfe abgab. Wo war bloß diese "Almberghöhle"? Keiner von uns wußte es. Im Nachhinein betrachtet war genau das unser Erfolgsrezept. Denn wir schauten wirklich. Wer weiß schon, was dort noch zu finden ist, wenn Menschen "wirklich schauen"? Viele laufen dem Troß nur hinterher, oft halt auch, weil wie auch in unserem System genau dazu "abgerichtet" wurden.

Das Gegenmittel wurde schon vor über 200 Jahren von Kant formuliert: "Bediene dich deines eigenen Verstandes."

Wir gingen auf eine kleine Felswelle zu. Latschenüberwachsen. Da war auf einmal eine kleine Höhlenöffnung. Wir gingen hindurch und kamen jenseits davon wieder im nächsten Eingang heraus. Da war ein richtiges "Felsenmaul" - breit einfach. Da führte ein Hohlsteintunnel nach unten, tiefer..... Nichts anderes war in diesem Gebiet bekannt.... Das "mußte" die "Almberghöhle" sein. Oder?

Solche Momente sind ein einmaliges Geschenk im Leben jedes Menschens. Und wo sie wirklich passieren.....



 

   
   

Einen Moment werde ich nie vergessen. Alle trafen sich am Abend wieder beim Staudnwirt. Wir tauschten unsere Erlebnisse aus. Bemerkenswerterweise tauchen ja zum Beispiel keine Frauennamen im Verzeichnis der Erstentdecker der Höhle auf. Doris, Monika und Norma waren ja nicht dabei gewesen, als dieser denkwürdige Event stattgefunden hat. Sie trennten sich von uns auf dem Weg ins Unbekannte und wanderten Richtung Appelhaus.
Wir zeichneten unsere persönlichen Höhlenpläne, so wie wir die Höhle, die sich gerade vor uns geöffnet hatte, erlebt hatten. Die Pläne, die in Wilfrieds Artikel veröffentlicht worden sind, die sind einfach einmalige Dokumente. Geronnener Ortssinn. Was ist in diesem Zusammenhang noch "Objektivität"? Die vollkommene Subjektivität äußert sich auf klassische Weise in den Bezeichnungen, die wir unseren Plänen in diesem noch vollkommen embryonalen Zustand gegeben haben, als noch keiner wirklich wußte, was wir da wirklich betreten hatten:

- Zufallshöhle am Almberg
- Irrweghöhle
- Frankenhöhle

Bei der Namenssuche blieben wir an dem wunderbaren, weil einfach "ideal" geformten Schneekegel hängen, der sich in einen kleinen Seitenteil für uns gezeigt hatte. Wir wußten ja noch nicht, daß es da noch einen viel größeren "Schneekegel" in näheren Umkreis gibt....
Der wurde dann von uns "Schneevulkan" getauft - und Größeres wurde wo anders auch noch nicht gefunden. Vielleicht noch nicht.....

Ist der einmalige Moment der "Entjungferung" mal vorbei, dann beginnt alles eines "Geschichte" zu entwickeln. (Gar nicht so selten versuchen Menschen, das "Rad der Geschichte" rückgängig zu machen, und zahlen Tausende von Euros, um den "Urzustand" wiederherstellen zu lassen). Glücklicherweise bewegen wir uns hier im Kalkgestein und nicht Körpergewebe von Frauen bei dieser Frage.

Einige Touren haben später noch stattgefunden, aber auch nicht unübersehbar viele. Die Höhle wurde glücklicherweise nie "vermarktet", haben nie Leute, um ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen, sich massiv dorthin bewegt. In meinen Aufzeichnungen steht da noch eine Tour am 29.-30. Juli 1978 zum Beispiel. Da waren Klaus Vater, Robert Spieler und Christian Deubner und ich mit dabei. Ein wichtiges Thema war, einen guten Plan der Höhle zustande zu bringen, und das ist Christian ausgezeichnet gelungen. Am 21. Juli 1979 war ich noch einmal dort, wir haben am Eingang biwakiert, sind später in die Almberghöhle gegangen, die damals noch vollkommen unverbunden, mental zumindestens in den Hirnden der Höhlenforscher, ja auch existierte.
Lange bin ich dann nicht mehr in die Gegend gefahren, aber am 14. Juni 1986 war es dann doch wieder so weit. Mit Remy Wenger war ich unterwegs, weil er, als auch so ein Naturtalent der Höhlenphotographie, ein paar der weltweit raren Eishöhlen noch zu Lebzeiten fotographieren wollte. Ich habe ihn und seine Schweizer Begleiter geführt und was herausgekommen ist, das inzwischen in seinen publizierten Werken überall sichtbar.

Lange hat es dann gedauert, bis ich wieder einmal in die Gegend gekommen bin. Wilfried Lorenz, Koentdecker der Region, war wieder aktiv geworden, hatte die junge Garde der VHKF dorthin geführt, die Erderwärmung hat auch mitgeholfen. Dort, wo wir umgedreht waren, weil Eisböden jegliches Weiterkommen, außer unter Zuhilfenahme des Schweißbrenners, die wir natürlich abgelehnt haben, unmöglich gemacht hatten, waren auf einmal offene Fortsetzungen. Die Jungen setzten ihre technischen Hilfsmittel ein und haben tatsächlich geschafft, die Schneekegel- und die Almberghöhle zu verbinden. Damit war eine neue Flamme der Begeisterung gezündet, die noch immer brennt. Hoffentlich noch lange.

Für mein Gefühl höchst seltsam und unerklärlich, aber halt unheimlich real, hab ich im selben Gebiet 2004 noch eine Höhle gefunden, die vorher scheinbar noch niemand aufgesucht hatte. Ganz ähnlich zur ersten Story, dem Nichtwissen, wo denn die Almberghöhle, liegt, suchte ich 25 Jahre später, die Schneekegelhöhle, deren genaue Lage ich auch schon wieder vergessen hatte. Wir suchten wo anders - und fanden am Ende eine ganz neue massive Höhle, die leider vollkommen im Schotter erstickt ist. Aber was ist jenseits davon? Wir wurden in der Schneekegelhöhle vom Eis aufgehalten. Auch Schotter ist etwas, was entfernbar ist, ohne gleich den Fels ganz zu zerstören. Was verbirgt sich jenseits dieser Barrieren?

2.Juli 1978 Am Weg zum Toplitzsee die gemischte Truppe aus Münchnern und Franken (v.l.n.r.: C. Deubner, Pit Maurer, Norma Holland, Gerd Preiß, Wilfried Lorenz)

1978 Der erste Tag
1978 Die ersten Forschungen

1978 Die ersten Photos

1982

1982 Der namengebende Schneekegel

1982 Wilfried Lorenz beim Abseilen


Blick auf die Bergkette oberhalb des Grundlsees mit der Region des Almbergs


Literatur:

Auer, Alfred Die bedeutensten Höhlen der Grundlseer Berge (Totes Gebirge), VM Obersteier 1/1983, 1. Teil, S. 6ff.
Auer, Alfred Die bedeutendsten Höhlen der Grundlseer Berge (Totes Gebirge), VM Obersteier, 2. Teil, S. 29ff.
Kast, Verena Mit Verena Kast die Lebensfreude, einladen, HERDER spektrum, Freiburg im Breisgau 2006
Lindenmayr, Franz Neuentdeckung im Almberggebiet (Totes Gebirge), DER SCHLAZ 25-1978
Lindenmayr, Franz Neues von der Schneekegelhöhle (Totes Gebirge), DER SCHLAZ 26-1978
Lindenmayr, Franz Vom Loser zum Almberg (Totes Gebirge), DER SCHLAZ 38-1982, S. 18ff.
Lorenz, Wilfried Schneekegelhöhle, Fränkischer Höhlenspiegel Heft 10, September 1979, S. 12ff.
Lorenz, Wilfried Die Siebzier- und Achtzigerjahre der FHKF, Der Fränkische Höhlenspiegel 52-2004, S. 31
Lorenz, Wilfried Die Schneekegelhöhle im Toten Gebirge - Erforschungsgeschichte der Schneekegelhöhle am Almberg, Der Fränkische Höhlenspiegel 53-2006, S. 15ff.
Lorenz, Wilfried Wie die Forschungsgruppe Höhle und Karst Franken ins Tote Gebirge kam, in: Verein für Höhlenkunde in Obersteier, Speleo-Austria 2012, S. 145ff. 
Preiß, Gerd Neuentdeckung im Toten Gebirge, Der Fränkische Höhlenspiegel 11, S. 35, Nürnberg 1979
Schneider, Thomas-Michael Schneekegelhöhle 2006 ...aus eineer kleinen Entdeckung auf dem Almberg wird ein alpines Großhöhlensystem, Der Fränkische Höhlenspiegel 54-2007, S. 21ff.
Schneider, Thomas-Michael, Bayn, Thomas Die Schneekegelhöhle als Teil des Almberg-Höhlensystems, Die Höhle / 58. Jg. / Heft 1-4/2007, S. 50ff.
Stenzel, Heinz Befahrung der Schneekegelhöhle, Der Fränkische Höhlenspiegel 10, S. 22-24, Nürnberg 1979
Winkler, Robert, hrsg. von Die Höhlen des Toten Gebirges, Leykam, Graz 2012

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