Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Wildkirchli, CH


Oberhalb von Appenzell in der Ostschweiz, dem Ort, an dem der erste Höhlenverein der Erde 1860 gegründet wurde, liegt in den Ausläufern des Säntis das Wildkirchli.

Schon seit Urzeiten bekannt, angeblich einer der frühesten vom Menschen besuchten Wohnplätze der Schweiz, eine jahrhundertelange Nutzungsgeschichte durch christliche Einsiedler hinter sich, heute ein beliebtes Wanderziel auf dem Weg zur oder von der aussichtsreichen Ebenalp - es gibt nicht viele Orte in den Alpen, die einen so reichen anthropospeläologischen Bezug haben. Viele Künstler haben die Szenerie meisterhaft wiedergegeben, so manche Literaturstelle läßt sich auch finden und die "Wissenschaft" hat sich natürlich ebenfalls ausführlich mit dieser alpinen Höhle auseinandergesetzt.

Kurze Chronologie:

50000-30000 v.Chr. Erster Besuch der Höhlen durch den Menschen
1524 Erste Erwähnung des Wildkirchlis in der Beschreibung des Pilatusgebirges von Joachim Vadian
1621 Erster Besuch der Höhle durch P. Philipp Tanner, Veranlassung des Baus eines Altars in der Höhle
1646 Bau eines steinernen Altars, einer Sakristei und eines Eremitenhäuschens in der Höhle auf Veranlassung von P. Philipp
1658-60 Erster Einsiedler in der Wildkirchlihöhle (Paulus Ulmann)
  seither lebten Einsiedler in der Höhle
1716 Erste genaue Beschreibung der Wildkirchlihöhle von dem Appenzeller Kapuziner P. Clemns in der Naturhistorie des Schweizerlandes von Johann Jakob Scheuchzer
1786 Ältester Umrißkupferstich der Höhle von dem Sankt Galler Künstler Georg Leonhard Hartmann
1853 Todessturz des letzen Waldbruders beim Laubsammeln
1864 Erster hydrogeologischer Färbeversuch mit Hilfe brasilianischen Holzes oberhalb der Höhle, leider vergeblich
1902 Enthüllung des Reliefbilds von Viktor von Schäffel an der Aescherwand
1903-1908 Beginn der Grabungen durch Bächler
1958-1960 Neuerliche Grabungen durch Elisabeth Schmid

An einem sehr verregneten Maitag im Jahre 2002 waren Willi Adelung und ich hier mal unterwegs. Wir taten etwas, was jedem Besucher der Höhle auch anzuraten ist: Wir gingen erst einmal in Appenzeller Heimatmuseum und besuchten dort auch die Abteilung mit den Wildkirchlifunden. Das macht gespannt, wie der Ort aussieht, wo sie herstammen. Und man findet mindestens ein Dutzend ausgezeichneter künstlerischer Darstellungen der Höhle, die auch eine Zeit widerspiegeln, die so auch vor Ort nicht mehr erlebbar ist. So sind da Bilder von Buben zu sehen, die früher mal Touristen mit ihren Lichtern durch die Höhle geleitet haben und sich damit ein paar Fränkli schon verdient haben, man erfährt nebenbei, daß sich auch damals schon ein paar Leute beschwert haben, wenn sie bei ihrem Versuch, durch die Höhle zu kommen, sich "schmutzig" gemacht haben, man sieht auch einen dieser aufgespeißten Holzpflöcke, die früher der Beleuchtung gedient haben. Besonders beeindruckt hat mich die Darstellung des "Höhlenwirtshauses", das es da mal gegeben hat. Leute sitzen in ihren feinen Gewändern an Biertischen, lassen es sich gutgehen, man erfährt, daß die ersten, die Bärenknochen und -zähne verkauft haben, die Einsiedler gewesen sind, viele, viele Details lassen sich da herausfinden.

Wir fuhren dann nach Wasserauen, um zur Talstation der Seilbahn zu kommen. Gleich daneben liegt auch die Endstation der Appenzellerbahn, ein schönes Beispiel für "integrierte Verkehrsplanung", wo nicht allein das Auto den Ton angibt, sondern auch die Schiene berücksichtigt wurde. Der Parkplatz war praktisch leer. Außer den bei der Seilbahn Arbeitenden war niemand da, außer zwei Kindern, die gerade von der Schule kamen und wieder heim wollten, hinauf auf die Ebenalp. Ich weiß nicht, ob man so etwas überhaupt ins Internet schreiben sollte, wenn sich jemand aufregt, nehme ich es gleich wieder raus, aber da haben wir einen echten Akt von Herzlichkeit erlebt. Angesichts des Dauerregens überlegten wir uns, ob wir nicht nur die Bergfahrt, sondern auch das Talwärtskommen mit der Seilbahn machen sollten. Wir haben es dann getan, nicht zuletzt gefördert durch den "Regentarif", der uns vom "Kassenwärter" angeboten wurde, obwohl er eigentlich gar nicht auf der Tariftabelle vorgesehen war. Ruckzuck ging es nach oben - hinein in den Winter. Oben schneite es schon. Alles wurde langsam wieder überzuckert.

Wir zwei waren die einzigen, die von der Bergstation abwärts strebten, zuerst in Richtung auf die Bergspalten im Plateau

und dann auf dem geteerten, gestuften Weg zur Wildkirchlihöhle. Ein geräumiger gewundener Tunnel durchsticht einen Bergsporn und tritt auf der anderen Bergseite wieder zutage. Die Natur tritt uns da in besonders zeitgemäßer Umformung entgegen und spiegelt zeitgemäße Trends:
- ein grasgrüner Plastikpapierkorb > Sauberkeit, auch in den Bergen
- ein transparentes Plexiglasschild mit Kurzcharakteristik der Höhle > Wissensvermittlung
- mehrere Holzstämme, die die Decke abstützen sollen > Schutzbedürfnis vor unberechenbaren Naturgefahren
- gebahnter, orange beleuchteter Weg mit Geländern links und rechts > Minimierung der Gefahren.

Am anderen Ende ist eine richtige hölzerne Sennhütte, die vor einigen Jahren in traditioneller Bauweise wiederrichtet worden war, nachdem das frühere Gasthaus verfallen war. Heute stehen alle Türen offen und man kann einfach hindurchwandern. An den Wänden hängen noch einige Bilder und Tafeln mit Bezug zur Höhle.

Nun geht es nach rechts auf breitem Weg zur Altarhöhle. Ein rotes Glockentürmchen, eine hüfthohe Mauer, ein Holztürchen läßt sich öffnen und so gelangt man die Altarhöhle. Betstühle sind da und eine Rokokorentabel von Franz Xaver Magnus Sutter aus dem Jahre 1785. Im zentralen Altarbild ist der Kampf zwischen Michael und dem Drachen zu sehen, eine Geschichte, die auf eine Höhle auf dem Gargano in Italien eigentlich verweist. Daneben sind einige Heilige abgebildet, die die frühesten Eremiten waren, z.B. Antonius, der auch oft mit einer Höhle als seiner Wohnstätte in Zusammenhang gebracht wird. Hinter dem Altar ist eine breite Mauer aus rohen Natursteinen und eine verschlossene Holztür. Hier ging es in die Kellerhöhle, einen verschlossenen Höhlenteil. Ein starker Wasserfall war hinten vernehmbar.

 


Folgt man dem Weg weiter nach links, dann kommt man an ein weiteres kleines Häuschen, das sich unter die überhängenden Felswände duckt. Darüber in den Felsen sind die fixen Kletterhilfen zu sehen - moderne Wege, um seinem Glück näher zu kommen. Entlang der senkrechten Felswand führt außen ein Holzsteg, der hinüberführt zum Riesenfelsdach unter das sich der Gasthof Aescher schmiegt. Ein bißchen seltsam war es schon. Obwohl es heftig regnete, war hier eine Enklave der Trockenheit. Man konnte den Regenschirm schließen und eine große Fläche begehen, ohne auch nur einen einzigen Wassertropfen abzubekommen.

 

Wir ließen es uns natürlich nicht nehmen, dort einzukehren und mal zu sehen, wie es dort ist. Eine freundliche Schweizerin begrüßte uns, brachte uns Bier und Saft vom Faß, ein paar Ausstellungsstücke erinnerten an das Wildkirchli, und nichtzuletzt war die Rückwand des Gastraums war bemerkenswert - die rohe Felswand schaute da heraus, das Haus ist einfach an die Wand gebaut.

Das Wetter besserte sich nicht. Wir brachen wieder auf und gingen zurück durch die Höhle zur Bergstation. Niemand außer uns war da, verständlicherweise, die Bahn ging erfreulicherweise auch gleich und brachte uns sicher und vor allem trocken wieder zu Tage. Ein schöner Höhlenausflug war zu Ende.



Literatur:

Fischer, P.Dr.R., Heierli, Prof.Dr.H.,Grosser, Dr.H. Ebenalp-Wildkirchli - Jubiläumsschrift zum zwanzigjährigen Bestehen der Luftseilbahn Wasserauen-Ebenalp, 1974
Kusch, Heinrich und Ingrid Kulthöhlen in Europa, Graz Wien Köln 2001
Bächler, Emil Das Wildkirchli, Sankt Gallen 1936
Wartmann, Bernhard Bemerkungen von dem Wildkirchlein oder St.Michaels-Kapell und Ebenalp in dem Canton Appezell, St.Gallen 1786
Egli, J.J. Die Höhlen des Ebenalpstockes im Kt. Appenzell I.-Rh. St. Gallen 1865
Hautle, Johann Nepomuk Das Wildkirchlein und die Ebenalp im Kt. Appenzell. St.Gallen 1817
Scheffel, Josef Viktor von Ekkehard, 1. Auflage 1855
Schmid, Elisabeth Neue Grabungen im Wildkirchli 1958/59, Ur-Schweiz 30, 1966
Wildberg, Andreas, Preiswerk, Christian Karst und Höhlen in der Schweiz, Speleo Projects, Basel 1997
Bernasconi-Schwartz, Christine und Reno, Högl, Lukas, Perret, Danielle, Santschi, Catherine La grotte dans l'art suisse du XVII^au XX siècle, Ausstellungskatalog zur Exposition organisée dans la cadre du 12e congrès international de spéléologie 10 - 17 aout 1997, La Chaux-de-Fonds
Bächler, E. Das alpine Paläolithikum der Schweiz im W., Drachenloch und Wildenmannlisloch, 1940
Schmid, E. "Zum Besuch der W.-Höhlen", in Mitteilungsblatt der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte 8, 1977, 2-12
Le Tensorer, J.-M. "Das Schweiz. (Alpine) Paläolithikum, in Mitt. der Naturforschenden Ges. Luzern 29, 1987, 193-207
SPM 1, 145-150
Adelung, Willi Das Thema "Höhle" in Scheffels Ekkehard, in: HÖREPSY 2013, Tagungsband zum 22. Treffen der anthropospeläologischen Interessengemeinschaft Höhle-Religion-Psyche in Feucht bei Nürnberg 2013, Gröbenzell 2013

Links:

http://www.aescher-ai.ch/homepage.html

Landschaft und Höhlen im Alpsteingebiet



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