Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Der Kyffhäuser und seine Höhlen
Anläßlich des 1999er Treffens der Arbeitsgemeinschaft "Höhle-Religon-Psyche" in Sondershausen besuchten wir zum ersten Male den Kyffhäuser. Gehört hatte jeder schon davon. Nur dort gewesen war natürlich noch keiner. Nachkriegsprobleme. Jetzt ist es wieder möglich, und wir fuhren zuerst zu der im "Kultplatzbuch" von Gisela Graichen als "Kannibalenhöhlen" bezeichneten Örtlichkeit. Sie sind leicht und nicht leicht zu finden. Folgt man dem geologisch-botanischen Wanderweg, dann stößt man nach einem kurzen Aufstieg bei alten Eichen plötzlich auf eine eingegitterte Schachtöffnung und kann in die Tiefe blicken. Dort muß man mit etwa Geschicklichkeit und in möglichst guten Schuhen hinunterklettern, sich fest an einige Wurzeln klammernd. Ein Höhlenportal tut sich auf, ein Blick in eine tiefe Spalte mit Taglichtöffnung ist möglich, nach rechts zieht auch eine Spalte nach hinten und unten, aber auch die ist nur mit passender Schachtausrüstung befahrbar. Wer noch mehr von diesen Höhlen sehen will, der muß am steilen Hang queren, wobei er an einer Reihe von Höhlenöffnungen mit mehr oder weniger "Höhle" dahinter.
Nordrand des Kyffhäusers, Aufstieg zu den "Kannibalenhöhlen" | Vergitterte Schachtöffnung am Weg | Ein Eingang in die "Kannibalenhöhlen" |
Bei unserem Parkplatz fand sich ein Schild "Barbarossahöhle", weshalb es auch einige von uns direkt unternahmen, per Voiture dorthin zu kommen - letztlich wurden sie durch ein "Durchfahrt verboten"-Schild dann doch irgendwann gestoppt. Ziel war dieser Klassiker, besonders für an "Höhle-Religion-Psyche"-Interessierte. Ich stürzte gleich zum Kassenhäuschen und erstand eine Postkarte und einen "Stocknagel", die diese Sagenfigur, diesen "Kaiser Barbarossa" zeigen:
Zeitprobleme verhinderten, daß auch wir z.B. in
der Schauhöhle den "Tisch" zu Gesicht bekamen, der
eine wesentliche Rolle in der Sage um diesen Weltenretter spielt.
Wie oft muß sich der Bart um den Tisch gewickelt haben, ehe er
tatsächlich aufsteht, und "die Welt wieder in Ordnung
bringt?"
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Eingang Barbarossahöhle |
2012
In der Kyffhäusersage, bzw. Barbarossasage lebt eine
Überlieferung weiter. 1250 starb Friedrich II von Hohenstaufen. Eine Menge
Menschen wollten wohl nicht glauben, daß er tot sei. Es gibt da so schön
widersprüchliche Sprüche wie: "Non vivit et vivit", eine Weissagung der
erythräischen Sybille. Mit solchen Sätzen kann man alle durcheinanderbringen und
die harten Tatsachen locker durcheinanderbringen.
"Verborgenen Todes wird der Kaiser die Augen schließen und fortleben; tönen wird
es immer unter den Völkern", solches schrieb Salimbene von Parma, der Chronist
Friedrichs II. Solche Sätze hatten Folgen. Immer wieder traten Leute auf, die
sich als Reinkarnationen des alten Kaisers ausgaben.
Vom Kyffhäuser wurde oft die Sage erzählt, daß darin "der Kaiser schlummert", um
irgendwann wiederzukehren und das zerfallene deutsche Reich glanzvoll zu
erneuern und Frieden und Gerechtigkeit zu bringen - ein ausgesprochen
undemokratisch-autoritäres Modell, wahrlich kein demokratisches. Ursprünglich
galt Friedrich II als der in der Sage genannte Kaiser. 1519, in einem Volksbuch,
wurde Friedrich zum erstenmal mit seinem Großvater verwechselt, Friedrich
Barbarossa, der 1190 während des 3. Kreuzzuges im Flusse Saleph ertrunken war.
Auf einmal war der Alte mit dem Bart an der Stelle, wo vorher der Enkel gesessen
hatte.
Verschiedene Dichter haben sich des Stoffes angenommen, je nach
Jahrhundert ganz unterschiedlich. Bei Friedrich Rückert (1788-1866) heißt es u.a.:
Der alte Barbarossa
Der Kaiser Friedrich,
Im unterird'schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.
Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr zu seiner Zeit.
Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt;
Der Tisch ist marmelsteinern..."
Günter Kunert greift den Stoff 1967 wieder auf und gibt die Szene ganz anders, eben modern, so wieder:
Tief im Schoße des Kyffhäuser
bei der Ampel hellem Schein,
sitzt der Kaiser Barbarossa
an dem Tisch, der ganz aus Stein.
Tief im Schoße des Kyffhäuser
bei der Ampel fahlem Schein,
reglos Kaiser Barbarossa:
mürbes lauerndes Gebein....
und das Ende:
Tief in Höhlen des Kyffhäuser
lebt nur noch als Schimmelpilz
eine alte deutsche Sage:
die betrogne Hoffnung wills."
Hier ist nichts mehr von romantischen Reichsträumen übrig. Weggewischt sind alle Nebelschwaden im Hirn.
Wir fuhren aber noch zum berühmt, auch berüchtigten Barbarossadenkmal. 7 Mark nahm man uns pro Person ab, damit wir diese Stätte überhaupt betreten durften. Überall sieht man sie, auch im Internet. Bauklötze wurden da für mich aufeinander gestapelt. Selbstbeweihräuchernd. Gepreßt schauen da die Figuren aus den Fundamenten. Ein unsympathischer, ein bißchen unausgeschlafen wirkender Barbarossa macht sich da in einer wohl einem "Höhle" symbolisierenden Halbrund breit, drüber ein praller Reiter, Wilhelm der soundsovielte. Ich bin auch auf den Turm gegangen. Viele Stufen hoch, ein Kind suchte seinen Vater, der war weg, oben machte ich ein 360°-Panoramaphoto Richtung München-Paris-Hamburg-Berlin. Vielleicht gibt es das bald mal hier zu sehen mit Hilfe dieser wundersamen modernen Computertechnik.
Wahrscheinlich gibt es im Innern dieses Berges noch mehr wundersame Unterwelt. Aber über die schweigt man wohl besser, angesichts des Massenansturms, der ja überall alles platt macht.
Literatur:
Behm-Blancke, Günter | Höhlen, Heiligtümer, Kannibalen - Archäologische Forschungen im Kyffhäuser, Leipzig 1958 |
Graichen, Gisela | Das Kultplatzbuch, Augsburg 1997 |
Katholing, Winfried | Heilige Stätten der Heiden und Ketzer - Ein Führer zu ausgewählten Kultplätzen in Deutschland und Frankreich, Aschaffenburg 1999, S. 15ff |
Luczyn, David | Magisch Reisen Deutschland, Goldmann-Verlag, München 2000 |
Neis, Edgar | Interpretationen von 66 Balladen Moritaten Chansons, C. Bange Verlag, 3. Auflage Hollfeld 1978 |
Ein paar Internetlinks (die ja auch meistens alle wieder miteinander zusammenhängen):
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