Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Höhlen in der Umgebung von Scharzfeld, Harz, D

Stahlstich von L. Richter in den "Wanderungen durch den Harz" von W. Blumenhagen, 1828


Im südlichen Harz nördlich von Scharzfeld liegt im Dolomitgestein in 260 m Seehöhe liegt eine seit Urzeiten bekannte Höhle, die "Steinkirche".

30 m lang ist sie, die Grundfläche fast rechteckig, in der Mitte dringt durch ein Deckenloch Tageslicht ein, an der südlichen Höhlenwand liegt ein Schacht, der mit einem Gitter zugedeckt ist. Darunter verbirgt sich ein Schacht, der mittels Seil befahren werden kann. Unten münden zwei 8 bis 10 m lange Fortsetzungen. Überall finden sich Spuren menschlicher Bearbeitung an den Wänden. "Weihwasserbecken", Sitzbänke, Kanzel, Altar, alles Zeichen für eine Verwendung der Höhle als christliche Kultstätte bis ins 14. Jahrhundert.
1925-1937 hat man in der Höhle gegraben. Die ältesten archäologischen Funde weisen 10000 Jahre in die Vergangenheit zurück und machen den Ort zu einer der frühesten nachweisbaren Siedlungsplätze in Niedersachsen. Auf dem Vorplatz der Höhle hat man die Gräber eines mittelalterlichen Friedhofs entdeckt.

 

Ein mit Holzbalken abgegrenzter Weg führt von der Höhle hinauf auf den Gipfel des Steinbergs. Von dort hat man einen Prachtblick auf die Umgebung. Weiter geht es auf einem Wanderpfad, vorbei an herausragenden Felszacken, immer weiter bis zur Einhornhöhle. 

Sie liegt in im Dolomitmassiv der "Brandköpfe" am südwestlichen Harzrand bei Scharzfeld. Vor ca. 260 Mio. Jahren lagerte sich gürtelförmig dort im Zechsteinmeer das Gestein ab und wurde bereits in der ausgehenden Tertiärzeit von kohlensäurehaltigen Bodenwässern allmählich wieder auskorrodiert. Ein riesiges Höhlensystem entstand, das dann im Quartär wieder aufgefüllt wurde. Lehm, Ton, Dolomitasche und Flusskiese drangen in die Hohlräume ein und verschlossen sie wieder. Man weiß heute, daß ein Besuch der Höhle heute "einem Besuch im Dachboden eines großen Hauses ohne Treppenhaus nach unten in die Tiefe" (Internettext: Der Geotop im Zechsteindolomit) gleicht. Mittels Peilstangenbohrungen und Georadar hat man inzwischen festgestellt, daß die Füllungen zwischen 15 und 40 m in Tiefe reichen. Das Gesamtvolumen der eiszeitlichen Sedimente schätzt man auf über 200.000 m³. Die Grundanlage der Höhle folgt einem Kluftsystem, das noch in großen Teilen in Richtung Norden unbekannt ist. Es gibt wohl noch eine Reihe weiterer Höhlenportale und -zugänge, die heute durch Hangschuttablagerungen unzugänglich geworden sind.

Wie die Ausgrabungen in der Höhle inzwischen bestätigt haben, kannten die Menschen schon von Anbeginn an den heute "Blaue Grotte" genannten Schachteingang in die Höhle. Archäologisch lassen sich inzwischen schon Spuren des Neandertalers nachweisen, die bis 170.000 b.p. zurückreichen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit, wo man in der Höhle eifrig nach Spuren einer menschlichen Besiedlung der Höhle suchte und der "gleichzeitigen     Anwesenheit von Mensch und Bär" (Nielbock) suchte. Schon Jahrhunderte vorher waren Menschen in Höhle vorgedrungen und hatten Jagd auf die reichlich vorhandenen Knochen gemacht. Urkundlich ermals belegt ist die Höhle seit 1541. Es gibt zahlreiche Befahrungsberichte von Reisenden in den folgenden Jahrhunderten. Einer der berühmtesten davon war Goethe, der auf seiner dritten Harzreise 1784 auch hier vorbeikam. Wenig hat sich davon in seinem Reisebericht niedergeschlagen. Als Gesteinssammler fand sich nichts mehr, die Knochenreste des legendären Einhorns waren noch tief im Lehm verborgen und er fand keine. Er wurde von dem Maler Georg Melchior Kraus begleitet, der einige Zeichnungen von der Höhle fertigte.

Apropos Einhorn: Diese legendäre Tier gab ja der Höhle sogar ihren Namen. Im 17. Jahrhundert war die Blütezeit des Handels mit diesem Material aus der Höhle. Sogar einen lateinischen Namen hatte man dem Tier verpaßt: "Unicornu fossile". 1686 besuchte der damals sehr berühmte Gelehrte Leibnitz (ein berühmter "Gelehrter" zu seiner Zeit, der aber schnell an Ruf verlor. Für seine Monadenlehre ist er in die Philosophiebücher eingegangen und seine Theodizee halt erst einmal viel, bevor das berühmte Erdbeben von Lissabon passierte..) eigens hier vorbei und untersuchte die Knochen. Er beschrieb in seinem Werk "Protogaea", das Manuskript entstand ab 1691, veröffentlicht wurde es 1749, die gefundenen Knochen als "Unicornu verum", als "Wahres Einhorn". Das machte die Knochen sehr berühmt, von überall kamen Anfragen von Apothekern, das Geschäft blühte. So manche Apotheke mit diesem Namen tauchte in den Städten auf. Man glaubte ein Wundermittel gefunden zu haben, glaubte insbesondere an die potenzsteigernde Kraft des Mittels. Man mahlte die Knochen zu einem Pulver, vermischte sie mit Wasser, so daß eine Art Milch entstand, die man dann trank. Fürstliche Preise wurden dafür verlangt und gezahlt. Am Ende stellte sich dann alles als großer Humbug heraus. 

Viele Menschen haben die Höhle schon besucht und auch Spuren hinterlassen - an den Wänden. Eine ganze Galerie von Inschriften und Jahreszahlen ist an den Wänden beim Besuch der auf 270 m für den Besucher erschlossenen Höhle zu bewundern. Durch einen Stollen erreicht man den Weißen Saal und geht im Hauptgang durch die Schiller- und Leibnitzhalle bis zur Blauen Grotte. Hier geht es entweder nach einem Treppenaufstieg wieder hinauf auf die Oberfläche oder einfach wieder das Ganze zurück bis zum Taleingang.

In der Schillerhalle ist eine Inschrift "Schiller" zu sehen. Ob sie von dem Dichterfürsten stammt? Angeblich war er nie selber dort, dann hat sie vielleicht ein Namensgleicher dort an die Wand geschrieben.

Nach 90 Jahren Schauhöhlenbetrieb wurde er eingestellt. Ein gemeinnütziger Forschungsverein gründete sich danach und pachtete die Höhle für eine Neueröffnung. Seit 2003 läuft der Betrieb wieder und man versucht mit einem neuen Konzept, wobei "die Höhle als Geotop mit den Schwerpunkten Höhlengeologie und Erforschungsgeschichte im Rahmen der geotouristischen Angebote des neuen Geoparks Harz" (Internettext: Goethe im Harz) präsentiert wird. Im Keller des Schauhöhlenhauses hat man ein sehenswertes Museum eingerichtet. Gongkonzerte finden in den Sommermonaten dort statt.

Offenbar ist die Höhle ein beliebter Schauplatz für Szenen in Spielfilmen, unter anderem griff man bei der Neuverfilmung von Tom Sawyer auf die Höhle zurück, und 1978 bei Wilhelm Hauffs Märchen "Kaltes Herz".

Nicht alles wird durch Zeitablauf auch besser. Als Erhard Fritsch 1988 die Höhle besuchte, beschrieb er seinen Eindruck so: "Trotz sehr geringer Tropfsteinbildungen sind die großen freundlichen Gänge und Hallen der Höhle einen Besuch wert, auch kann problemlos fotographiert werden." Letzeres wird einem heute verwehrt, was ich leider im Mai 2016 bei einem Besuch erlebte. Auch meine Frage warum, man sich so verhalte bekam ich unter anderem zur Antwort, daß die Untere Naturschutzbehörde verboten habe, während der Schauhöhlenführungen zu photographieren und man halte sich daran. Das Verbot sei aus "Sicherheits- und Fledermausschutzgründen" verhängt worden. Mir kommt das so wie Einhornmilch vor - vollkommen sinnlos.

2021 kam die Einhornhhöhle auf einmal wieder in die Schlagzeilen. Bei Ausgrabungen hat man den Zehenknochen eines Riesenhirschen gefunden, der ein Kerbenmuster trägt. Auf 51.000 Jahre Alter wurde das Stück datiert und stellt damit eines der frühesten Belege dar, daß auch der Neandertaler, der lange gerne als primitiv und einfältig dargestellt worden war, schon solche "kognitiven Fähigkeiten" besaß.

Die Einhornhöhle

 


Literatur:

Apel, Max, Ludz, Peter Philosophisches Wörterbuch, Walter de Gruyter, Berlin New York 1976
Beer, Rüdiger Einhorn. Fabelwelt und Wirklichkeit, München 1977
DPA Kunst am Hirsch, SZ Nr. 156, 10./11.Juli 2021, S. 35
Einhorn, Jürgen W. Das Einhorn als Bedeutungsträger in Literatur und Kunst des Mittelalters, München 1998
Fritsch, Erhard  Norddeutsche Höhlenimpressionen, Mitteilungen des Landesvereins für Höhlenkunde in Oberösterreich 92 1-1989, S. 38
Hagenmaier, Winfried Das Einhorn. Eine Spurensuche durch die Jahrtausende, München 2003
Kittel, Erika Höhlenbesuche im Harz, Vereinsmitteilungen Salzburg 2/1973
Luczyn, David Magisch Reisen Deutschland, Goldmann-Verlag, München 2000
Nielbock, R. Die Einhornhöhle - ein quartärwissenschaftliches Kleinod im Südharz, Mitt. Verb. dt. Höhlen- und Karstforscher, H. 36 (2): S. 24-727, München 1990
Nielbock, R. Die Suche nach dem diluvialen Menschen - oder: Die Erforschungsgeschichte der Einhornhöhle, Die Kunde N. F. 53, 2002
o.V. Geologische Ergebnisse einer Grabung in der Einhornhöhle bei Scharzfeld am Harz, in: Der Südharz - seine Geologie, sein Höhlen und Karsterscheinungen, Jh. Karst- u. Höhlenkunde, Heft 9, München 1969
o.V. Ein Kunstwerk von Neandertalern, Spektrum der Wissenschaft 9.21, S. 10
Pleticha, Heinrich, Müller, Wolfgang Höhlen, Wunder, Heiligtümer, Flechsig-Buchvertrieb, 2000
Reinboth, F, Vladi, F. Johannes Letzners Beschreibung der Steinkirche und der Einhornhöhle bei Scharzfeld, in: Harz-Zeitschrift 32, 1980, p. 77-91
Reinboth, F. Goethes Besuche in Harzer Höhlen während dreier Harzreisen, Mitt. Verb. dt. Höhlen- und Karstforscher 68(3), München S. 60-63
Vladi, F. Führer durch die Einhornhöhle bei Scharzfeld am Südharz, Herzberg 1984

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