Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Die Höhle von Sperlonga / Italien
Zwischen Rom und Neapel liegt an der Küste der kleine Ort Sperlonga. In einem Reiseführer über den Süden Italiens wird der Ort so beschrieben: "Sperlonga ist der schönste Ort an der latinischen Küste: ein auf einem Felsen über dem Meer gelegenes mediterranes Fischerdorf mit hellen, gekalkten Häusern, Treppengassen, Bögen und alten Stadttoren, versteckten Winkeln und Höfen. In der Ebene unterhalb des Ortes befindet sich eine moderne Ansiedlung - Sperlonga wurde in den letzten Jahrzehnten, nach jahrhundertelanger Abgeschiedenheit, zu einem beliebten Badeort. Der Charme der alten Ortschaft ist dennoch - zumindest außerhalb der Hochsaison - unversehrt geblieben. Mit den Ruinen der 1957 entdeckten Tiberius-Villa und den dort ausgegrabenen Skulpturen besitzt Sperlonga archäologische Funde von größter Bedeutung."
Seit dem 1.Jh. v. Chr. befand sich am Monte Ciannito eine Villenanlage, die bis in die späte römische Kaiserzeit bewohnt wurde. Sueton und Tacitus berichten in ihren Schriften, daß Kaiser Tiberius einmal fast das Opfer herunterfallender Steine geworden wäre, als er sich bei einem Bankett in der ausgebauten Grotte befand. Nach Meinung von Bernard Andreae, dem Ausgräber der Anlage, hatte die gesamte Anlage keineswegs nur den Charakter zur "Rekreation des kaiserlichen Gemüts" beizutragen. Ihr Hauptzwecke sei eine "politische, Herrschaft legitimierende Absicht". Wieso? In der Höhle seien die Heldentaten eines blutsmäßigen Vorfahrens gefeiert worden (Telegonos, der Ort aus dem der Kaiser kam, sei der Sohn von Odysseus und Kirke gewesen) als auch die des Ermöglichers von Rom, Äneas. Von Äneas leiteten sich die Julier, zu denen Augustus, der Adoptivvater von Tiberius, und auch Tiberius selbst, sich her.
Aus 10000 Einzelstücken wurden die vier Figurengruppen mit Szenen aus dem Leben des Odysseus wieder zusammengesetzt und bilden heute eines der wichtigsten Figurenensemble, das wir noch heute aus antiker Zeit besitzen. In 5 Hauptgruppen waren die Figuren aufgestellt: Odysseus rettet den Leichnam des Achill, Odysseus raubt mit Diomedes das Palladium, das Allerheiligste der Stadt Troja, Der Held kämpft mit dem Schiff und Gefährten verschlingenden Meeresungeheuer Skylla, die Blendung des Polyphem, die Überredung des Phyloktet durch Odysseus.
Als ich 1965 zusammen mit Georg Kellerer das erste Mal in Sperlonga war, konnte man zwar das archäologische Gelände betreten, aber jegliches Fotografieren war streng verboten und die Einhaltung dieses Verbotes wurde scharf überwacht. Das hatte mich schon damals sehr gestört, weil welchen einsichtigen Grund sollte es wohl für eine solche Monopolisierung der Möglichkeit der bildlichen Aneignung von Natur und Kunst geben?
Glücklicherweise hatte sich das
1992 geändert. Ich war mit Michael und Carmina Läntzsch in
Süditalien unterwegs, und unterwegs schauten wir auch dort
wieder vorbei. Es gab zwar jede Menge Wachpersonal, das hatte
sich aber in die Museumsräume zurückgezogen. Niemand kümmerte
sich mehr draußen darum, was da geschah. Warum hätte man hier
z.B. nicht photographieren sollen?
Ein paar Bilder von unserem damaligen Besuch:
Die Höhle von Sperlonga von der Küstenstraße aus gesehen |
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Ein Eingang | |
Ausblick | |
Ausblick 2 | |
Die Polyphemgruppe | |
Im Museum | |
Bilder von 2006
Literatur:
Eggebrecht, Harald | Der göttergleiche Listenreiche - Das Höhlenkino des römischen Kaisers Tiberius, Süddeutsche Zeitung Nr. 227, 1.10.1999, S. 19 |
Hafner, German | Das "Praetorium Spelunca" bei Terracina und die Höhle bei Sperlonga, in: Rivista di Archeologia Anno XX, 1996, S. 75-78 |
Andreae, Bernard | Praetorium Speluncae: Tiberius und Ovid in Sperlonga, Stuttgart 1994 |
Himmelmann, Nikolaus | Sperlonga. Die homerischen Gruppen und ihre Bildquellen, Opladen: Westdeutscher Verlag 1996 |
Andreae, Bernard | Odysseus - Mythos und Erinnerung, herausgegeben anläßlich einer Ausstellung im Haus der Kunst im München vom 1.10.1999-9.1.2000, München 1999 |
Links:
http://www.kzu.ch/fach/as/aktuell/1999/sperlonga/sp.htm
http://www.dentio.de/sperlonga
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