Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Höhlenbad von Miskolc-Tapolca
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wo man in der Badehose die Unterwelt betritt


Höhlen sind sehr oft unterirdische Räume, die zu ihrer Begehung eine hochspezialisierte Ausrüstung verlangen, will man wieder heil herauskommen. Es gibt aber Ausnahmen. Von einer ist hier die Rede.

Am Rande des Bükk-Gebirge in Nordosten Ungarns in Miskolc-Tapolca treten warme Thermalwässer wieder zutage, und zwar in einer Höhle. Diese Situation wird seit längerem schon genutzt, und man hat die Höhle in einen Badekomplex mitten in der Stadt einbezogen.

Man betritt eine ganz normale Badeanstalt, löst sein Ticket, zieht sich in den Kabinen um und tritt dann in das unterirdische Reich ein, ohne Helm und Lampe, ohne Stiefel und Schlaz, ohne Handschuhe und Unterzeug. Alles, was man noch braucht, das ist, zumindest in dem vom Christentum geprägten Kultur (warum ist das eigentlich in einem lange Zeit durch den Kommunismus und damit des Atheismus geprägten Zone auch so?) eine Badehose.

Der Besucher betritt horizontale Höhlengänge, die von angenehm warmem Wasser erfüllt sind, es dampft und nebelt in den Räumen, kleine Scheinwerfer erhellen schwach die leicht unheimliche Szenerie. Die Gänge verzweigen sich, an einer Stelle tritt das frische Quellwasser aus den Felsen und ergießt sich in kleinen Wasserfällen in das unterirdische Schwimmbecken.

Am 6. Oktober 1977 hatte ich einmal die Gelegenheit, diese ungewöhnliche Höhle selber zu betreten. Es war anläßlich einer gemeinsamen Reise in die ungarischen Höhlengebiete, die Münchner und Nürnberger Höhlenforscher unternahmen. Außergewöhnlich war auch die Art, dort zu fotographieren. Da man gute Fotos meist nicht mit Frontalblitzen erreichen kann, mußte auch ich mit der Offen-Blitz-Technik arbeiten. Normalerweise verwendet man dazu aber auch ein Stativ, aber das war aus naheliegenden Gründen nicht verwendbar. Die Kamera wäre dabei teilweise schon unter Wasser gewesen. So blieb mir nur ein Weg. Ich stattete meinen "Blickknecht", es war Klaus Eberhardt, mit einem Elektronenblitzgerät aus, das er auf Zuruf schnell von Hand auslösen mußte. Ich suchte mir Ecken in der Höhle, wo das Lampenlicht keine häßlichen Flecken auf dem Film zurücklassen konnte, preßte die Kamera an die nackte Brust, machte den Verschluß auf, Klaus blitzte, ich ließ den Verschluß wieder zugehen, und hoffte die ganze Zeit, daß inzwischen kein Wasser, das ja überall um mich herum da war, die Kamera und den Film beschädigte. Außerdem durfte die Linse nicht belaufen sein, bei dem Dampf auch keine einfaches Unterfangen. Es sind tatsächlich ein Bilder etwas geworden!

Am 29. Dezember 2001 waren wir wieder in Miskolc. Sie hat sich doch alles geändert. Die Westöffnung Ungarns und die Modernisierung des ganzen Landes hat auch hier deutliche Spuren hinterlassen. Heute ist hier ein moderner Badekomplex, der sich nicht viel mehr von den Freizeitzentren westlichen Zuschnitts unterscheidet.

Die Zufahrt mit dem Auto ist schon mal verboten. Der Parkplatz liegt bereits außerhalb des großen Parks, in dem die gesamte Anlage zu Füßen eines bewaldeten Hügels liegt. Natürlich ist da bereits auch einer, der einem ein paar Forint als Parkgebühr abnimmt. Dann folgt man dem Schild "Barlangfürdö" bis zu dem ein bißchen disneylandmäßig gestalteten Eingangsbereich. In den Badegebäuden gibt es alles: Gedrängel in den Badekabinen, ein Selbstbedienungsrestaurant, eine üppige Marmorvenus in der Ruhehallte, bloß noch Stehplätze in den Badebecken, einen überfüllten Jacuzzi, Warteschlangen vor der Sauna. Außergewöhnlich ist natürlich das Höhlenbad. Glastüren halten die Wärme in den meist nur wenig hell beleuchteten Stollen, die zu den zwei Abteilungen der unterirdischen Anlage führen. Das Bad wurde inzwischen mehr als verdoppelt. Neue unterirdische Kammern sind erschlossen worden, sorgfältig wurde alles ausgekachelt, Dynamik kommt durch die aus der Höhlendecke herunterschießenden Thermalwässer herein, die dann kaskadenförmig bis ins unterste Becken fließen. Ruhig ist es hier überhaupt nicht. Das Gekreische der tobenden Kinder, das Gischten des Wassers füllt die dampfigen Räume. Toll ist es hier. Und eben eine der ungewöhnlichsten Arten eine Höhle zu befahren: mal in der Badehose, eingetaucht warme, saubere Badewasser mit einem Blick auf eine richtige Höhlendecke. Man möchte gar nicht mehr wieder herausgehen. So etwas, wenn es bei uns gäbe!

Ein Extremsportler

 


Ohne angeben zu können, woher die Fotokopie stammt, die mir in die Hände gefallen ist, wahrscheinlich stammt sie aus früheren Akten von speläologischen Kongressen, möchte ich ein paar Informationen daraus zitieren, weil sie diese außergewöhnliche Höhle mit einer Fülle von wertvollen Informationen weiter beschreiben:

Temperatur des Wassers: 31°
Ergiebigkeit der Quelle: 2500-3000 Liter
Erste Bekanntheit für den Menschen: vielleicht schon dem Steinzeitmenschen bekannt, Funde aus dem Schlot des Höhlenbades bestehen aus dem Hinterhauptknochen einer Frau, einem Kirschzahn und Steinwerkzeugen
Erste historische Erwähnung: eine aus dem 13. Jahrhundert stammende Aufzeichnung mit einer Erwähnung der Höhlenquellen, die den Ort als einen weithin bekannten Kurort erwähnen
Die Betreuung geschah durch die Brüder eines nahe gelegenen Kloster des Benediktinerordens
Heutige Gestalt des Höhlenbades: 1958-59
Entstehung: durch von unten hochsteigendes Heißwasser in Karstkörper
Wasserqualität: das Wasser enthält Kalzium-Magnesium-Hydrocarbonat, Jod, Brom, Fluor, freie Kohlensäure
Krankheitsbilder, für die Linderung durch den Höhlenaufenthalt vermutet wird: Kreislaufstörungen, Blutgefäßerkrankungen, Nervensystemerkrankungen, Atemwegserkrankungen

Literatur:

Kordos, László Magyarország barlangjai, Budapest 1984 (mit Plan der Höhle)
Kessler, Hubert Höhlentherapeutische Möglichkeiten und Forschungen in Ungarn, Akten des 5. Internationalen UIS-Kongresses, Stuttgart 1969, Band 3 - T 11/1-3

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