Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Landschaft und Höhlen in Podolien, Ukraine
A1UA – Gypsum karst in Podolie (Chortkiv region, Ukraine) | 16th ICS Brno 2013
"Als Joseph Roth aus Galizien nach Deutschland kam, wunderte er sich, dass man bei uns die Blätter auf den Straßen immer wegfegt." Schenkel, Vom Rausch der Reise 101
Der Text vor der Veranstaltung:
Eine der Exkursionen des nächsten UIS-Kongresses in Brünn/Tschechien geht in die Ukraine. Im westlichen Teil liegt Podolien mit seinem großen Gipskarstgebiet. Mit 230 km Gesamtganglänge ist die Optimisticeskaja momentan noch die längste erforschte Höhle Europas. Weitere Höhlen und zwei Forts stehen ebenfalls auf dem Programm. Ein spannendes Unternehmen. Ich habe mich dafür angemeldet.
Podolien wird als "historische Landschaft im südwestlichen Landesteil der Ukraine" beschrieben, der "innerhalb der Ukraine von Galizien und Wolynien und auf moldawischer Seite von Bessarabien begrenzt" werde. Das fruchtbare Tafelland würde von Tälern zerschnitten und befände sich im Einzugsgebiet der Flüsse Südlicher Bug und Dnjestr.
Die bedeutendsten Städte sind zugleich die Hauptstädte dieser Gebiete: Vinnyeja, Ternopil und Chmel'nyc'kj.
Die bedeutendsten Höhlen liegen 100 km südlich von Ternopol in der Nähe der Stadt Borshchov zwischen den Dörfern Koroliovka und Yriampol. Die Höhlen liegen in einer Gipsschicht von 10 m bis 40 m Dicke in einer Seehöhe von rund 250 m.
In der Ausschreibung für die Fahrt im Anschluß an den UIS-Weltkongreß in Brünn heißt es, daß die Reise in Chortkiv am 4. August enden würde. Von einer Rückreise ist nicht die Rede. Solche Situationen lieben nur echte Abenteurer. In unserer rechtsstaatsversauten Zeit ( siehe Mollath-Fall!) redet sich da vielleicht gleich jemand darauf heraus, daß er es einem ja von Anfang an klar schriftlich gegeben hat. Ich bin sehr gespannt, wie das enden wird.
...wird fortgesetzt
Der Text hinterher:
Komisch - ich habe mir meine Reise in die Ukraine immer als Abenteuer vorgestellt. Tatsächlich ist es auch so geworden. Ich war in der Ukraine - allerdings, alles was ich gesehen habe, wir die Eisenbahngrenzstation jenseits der slowakischen Grenze.
4 Stunden bin ich dort gesessen. Auf einem Stuhl. Ein junger
Grenzer fragte mich, ob ich ein Glas Wasser möchte, was ich bejahte. In einem
Plastikbecher kam es zu mir. Ich wurde befragt, mein Personalausweis und mein
Führerschein gelangte in ihre Hänge, weil ich sie ihnen gab. Später wurde ich
gefragt, warum ich gleich zwei Dokumente ihnen gereicht hätte, ich konnte nur
sagen, daß ich halt alle Identitätsdokumente ihnen gegeben hätte, die ich habt
dabei hätte. Eines fehlte - leider. Der Paß. Ich hatte ein halbes Dutzend Male
all meine Gepäckstücke durchsucht - er war nicht da. Wußte "Gott" wo er sie
tatsächlich aufhielt, mir war es nicht bewußt. In Brünn hatte ich Geld
gewechselt, da brauchte man doch den Paß, dachte ich. Ich suchte herum, im
Geiste und in der Erinnerung. Aber das half alles nichts.
Von der Ukraine hatte ich viel schon gehört. Leider oft nur sehr Negatives.
Einem Polen, der einreisen hatte wollen, war die Einreise wegen der Reifen
seines Autos verwehrt worden. Als er mit neuen Reifen ankam, war gleich sein
ganzes Auto verschwunden.
Ich habe nur Erfahrungen gemacht, die für uns "EUler" immer
unnachvollziehbarer sind. Ich kenne noch die Zeiten, wo man für einen Tag in
Österreich einen Tagespassierschein brauchte, hatte man nicht die notwendigen
Papiere dabei. Es gab auch die grüne Grenze, wenn ich einmal aus dem Nähkästchen
plaudern darf. Wir haben uns an die Verhältnisse an der DDR-Grenze erinnert
gefühlt! Aber wir haben es geschafft! Hin und her. Und phantastische Höhlen
nachher gesehen. Wer übernimmt denn die Verantwortung, daß durch die Schaffung
von solch rigiden Ordnungen der Elan der Jungen förmlich "erwürgt" wird? Hier
habe ich eine große grüne Mütze auf dem Haupt des Dienststellerleiters gesehen,
sein Hemd war voller Auszeichnungen, alles zuckte sofort, als er etwas im Kopf
hatte, mehrere Schulterstücke unter ihm bewegten sich alle anderen. Einen fand
ich besonders faszinierend. Der saß dauernd vor dem Bildschirm, tippte, für mich
irgend etwas in die Tastatur, und ewig kamen immer nur leere Felder auf den
Bildschirm. Sprachlich lief da gar nicht, außer auf Englisch.
Irgendwann habe ich aufgepickt, daß da von "Kuba" die Rede war. Hatten die
herausgefunden, daß ich vor einem Jahr dort gewesen bin? Woher bekommen die ihre
Informationen? Würde ich mich vielleicht dafür "rechtfertigen" müssen?
Am Ende kam es zu einem wirklich "förmlichen Verfahren". Nach Mitternacht am
inneren Rand des Staatsgebiets der Ukraine. Übernächtigt, natürlich, nachdem ich
schon um 6 Uhr früh vor dem Ausstellungsgelände in Brünn aufgestanden war. Ich
bekam ein handgeschriebenes Papier ausgehändigt von einer sehr attraktiven und
offenbar ihr Fachgebiet sehr gut beherrschenden Grenzbeamtin mit vielen Sternen
auf den Schultern ausgehändigt und die Sache war erledigt.
Als der erste Zug in der Frühe Richtung Slowakei fuhr, im Osten dämmerte schon der neue Morgen herauf, durfte ich das überdimensional wirkende Grenzabfertigungsgebäude wieder verlassen und saß dann ganz alleine im Waggon voller roter Plastiksitze. Sobald es ging, holte ich den Schlaz heraus, entrollte den Schlafsack am Boden und versuchte wenigstens ein wenig zu schlafen. Schließlich hatte ich schon fast 24 Stunden ohne Schlaf hinter mir. Drüben in der Slowakei wurde ich schon wieder geweckt, mußte den Zug verlassen und suchte den Anschlußzug zurück. Eine slowakische Zugbetreuerin half mir auf rührend mütterliche Weise, die richtigen Verbindungen zu finden, was ohne sie recht schwierig gewesen wäre ohne Sprachkenntnisse. Viele Stunden später traf ich wieder in Brünn ein, verfranste mich ein wenig im Straßenbahnsystem, aber dann war das "Abenteuer" endlich zu Ende. Ich stand wieder auf Parkplatz des Messegeländes, wo der UIS-Kongreß stattgefunden hatte, wo mein Auto stand. Die großen Lettern der Kongreßankündigung waren schon wieder verschwunden. Nichts deutete mehr auf die schönen vergangenen Tage mehr hin. Würde das Auto anspringen? Es hatte ein paar Tage vorher schon große Schwierigkeiten gemacht, 2 Tschechen hatten mir schon mit dem Starthilfekabel weiter geholfen, in einer VW-Autowerkstätte war ich auch schon am Freitagnachmittag 15 Minuten vor Dienstschluß vorgefahren und man diagnostizierte, daß ich eine neue Lichtmaschine bräuchte. Auf die Frage, wie viel ich dafür bezahlen müsse, kam die Auskunft "500 Euros". Schöne Aussichten? Tatsächlich sprach der Motor zuverlässig an und eine neue Lichtmaschine brauche ich wohl auch noch nicht. Wenigstens hier klappte wieder etwas, ein wirklich aufbauendes Gefühl nach dem Tiefschlag mit dem fehlenden Paß an der Grenze.
Warum gibt es nicht auch in so einem "Grenzfall" die Möglichkeit, wenigstens eine "temporary admission" zu bekommen? Für Waren gibt es das in fast allen Ländern der Erde, da ist es das Carnet-ATA. Andere Länder haben die "Marktlücke" längst entdeckt. So habe ich von einem Fall vor einigen Jahren gehört, wo man für die Ein- und Ausreise ohne Paß nach Ungarn einfach 150 Mark verlangt hat - natürlich verbunden mit einem entsprechenden Papierkrieg - aber immerhin war sie möglich.
Nach so einem Erlebnis schätze ich wirklich die momentan herrschenden Grenzüberschreitungsmöglichkeiten innerhalb der EU. Wer weiß schon, wie sie in künftiger Zeit aussehen werden! Jedenfalls berührten mich die umfangreichen Grenzanlagen in der Ukraine mit ihrem umgepflügten Grenzstreifen, den erhöhten Aussichtsplattformen, von denen aus das umliegende Gelände beobachtet werden konnte, überhaupt das Fehlen jeglicher "Entwicklung" in einer breiten Zone zur Ukraine schon sehr seltsam. So war es früher auch viel näher bei uns - an der Grenze durch damaligen Tschechoslowakei zum Beispiel. Als Kind, das nur wenige Kilometer von der Grenzlinie zur Tschechoslowakei geboren worden war, hatte wir über viele Jahre hinweg nur die lebensfeindlichen Grenzanlagen im Osten von uns sehen können. Und dann, plötzlich, war ein Weg in das Gebiet weiter drinnen frei! Ich bin einmal hinübergefahren, aber was ich gesehen habe, das war, für mich, keiner großen Neugier wert. "Entlebt" war das alles. So kam mir jetzt die Zone zwischen der Slowakei und der Ukraine vor. Auch hier wird sich etwas tun. Sicherlich.
Das Resümée: Shit happens. Und nach dem Schließen einer Tür tut sich oft, hoffentlich, ein neues Portal auf. Bei mir war das so. Und in die "Ukraine" komme ich einmal!
Wer mag mitfahren?
Auf dem Bahnhof in Brünn | ||
Auf dem Bahnhof in Bratislava | ||
Im Zug - im einzigen wirklich belüfteten Raum - dem Gang | ||
Blicke aus dem Fenster auf die Landschaft der Slowakei | ||
In der Ukraine an der Grenze - kein Mensch zu sehen | ||
Künstliche Höhlen in der Ukraine:
Avenarius, Tomas (2022): In den Höhlen von Odessa, SZ Nr. 136, 15./16. Juni 2022, S. 10
Literatur:
Birchali, Jim | Optimisticeskaja & Ozernaja, The International Caver (4) 1992, S. 4ff. |
Courbon, P. | Deux grandes cavités russes: Snieznja (-770m) Optimistitscheskaja (105 km), SPELUNCA S. 115f. |
Fritsch, E., Eichbauer, E. | Schauhöhlen in der UdSSR, Mitteilungen des Landesvereins für Höhlenkunde in Oberösterreich 1/2-1983, S. 16ff. |
Kompaniyets, Volodymyr | Excursion Guide A1UA Gypsum Karst in Podolie, 2013 |
Schenkel, Elmar | Vom Rausch der Reise, Basel 2012 |
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