Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Landschaft und Höhlen im Westlichen Taurus


TinazTepe


Manavgat


"Eine Reise ist immer ein Akt der Wiedergeburt. Du wirst vor vollkommen neue Situationen gestellt, der Tag vergeht viel langsamer, und zumeist verstehst du die Sprache nicht, die die Menschen sprechen. Genau wie ein Kind, das aus dem Mutterleib kommt. Unter solchen Umständen muß du dem, was dich umgibt, eine viel größere Bedeutung bei, da dein Überleben davon abhängt. Du bist Menschen gegenüber offener, wie sie dir vielleicht in schwierigen Lagen helfen können. Und du nimmst das kleinste Geschenk der Götter mit so großer Freude auf, als handele es sich um etwas, was man sein ganzes Leben lang nie wieder vergisst." Paul Coelho, Auf dem Jakobsweg


Der Taurus gehört wohl zu den excellentesten Karst- und Höhlengebieten der Welt. Wirklich? Es handelt sich um eine Bergkette, die ungefähr 450 km lang ist und im Mittel um die 100 km breit. Die höchsten Bergspitzen erreichen 3700 m. Das verkarstungsfähige Kalkpaket erreicht um die 1000 m Dicke.

Wenn man sich anschaut, was jahrelange intensive Forschungen bislang gefunden haben, insbesondere im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts, wo erst französische, dann englische, italienische, auch ein paar wenige deutsche Höhlenforscher, und inzwischen längst auch eine starke türkische Gruppe (BÜMAK), dann ist das im Weltmaßstab noch immer nicht viel. Immerhin gibt es heute schon 2 Höhlen, die über 1000 m tief sind, die Evren Gunay Düdeni mit -1429m (2004) und die Cukurpinar Dudeni mit - 1195m im Taseliplateau im Mittleren Taurus. Das war viel viel mehr, was davor insbesondere im Westlichen Taurus, der zuvor als das speläologische Herzstück gegolten hatte, entdeckt werden konnte. Aber "Weltspitze" ist das immer noch nicht.

Die Pinargozü war vorher die Höhle mit dem größten Höhenunterschied, bemerkenswerterweise ging es da immer nur nach oben, nicht nach unten, + 660 m hatte man da erreicht. Der Grund für die intensiven Anstrengungen war klar, ein Riesenluftzug, der einfach von großen Fortsetzungen kündete. Um die 150 km/Std hatte man an einer Engstelle gemessen, das maß da ein Orkan sein, der da tobt. Noch heute ist sie die längste Höhle der Türkei (8/2004) mit 12 km Gesamtganglänge. Große Poljen gibt es dort, z.B. die von Kembos, die 17 km lang ist und zwischen 2 und 3 km Breite hat. Das gesamte Wasser fließt unterirdisch dem Manavgat zu. Was für ein System muß hier dahinter verbergen? 30 km entfernt kommt es wieder zu Tage und über 700 km tiefer. Falls es jemals gelingt, dorthin zu kommen, dann ist wohl wieder einmal Zeit, alle "Maßstäbe" neu einzustellen.
Die Dumanliquelle, heute 120 m hoch durch den Homastausee überstaut, gilt als eine der größten der Welt. Wie soll man das auch wirklich festlegen? Riesige Mengen Karstwassers traten hier in einer Quelle an die Erdoberfläche, woher sie wirklich stammen, das blieb trotz großen Einsatzes immer ein Rätsel.
Eine Schachtdoline mit dem Namen Kayaagil hat eine Tiefe von 160 m bei einem Durchmesser von 500 auf 180 m. Das muß eine höchst eindrucksvolle Stelle sein, aber leider erscheint sie nirgends auf den heute (2004) erhältlichen Medien. Die Eingangsregionen einiger bedeutender Höhlen, Altin Besik, Tinaz Tepe, Sakal Tutan, sind von einer Art, was ein Engländer einfach mit "breathtaking" bezeichnen würde.
Und man muß sich nur mal links und rechts der Fahrstraßen die Landschaft anschauen. Wieder "breathtaking". Der Karst, die Karren. Felsgebiete, die eigentlich für den Menschen unzugänglich sind.

Von Manavgat an der Küste des Türkischen Riviera führt heute eine gut ausgebaute Straße in ein Gebiet, das so schreibt Schmitt noch in einem Artikel aus den 70er Jahren, überhaupt für den Besuch durch Fremde gesperrt war, hinauf in das Taurusgebirge in Richtung Konya. Nachdem nun über den Pass Alacabel Gecidi mit 1825 m Scheitelhöhe ein neuer Weg möglich ist, kommt der Verkehr sehr nah an den Tinazberg heran. Dorthin führte noch vor wenigen Jahren nur eine Stichstraße von Seysehir her, die zur Ausbeutung der großen Bauxitvorkommen in den Bergen geschaffen worden war. Immerhin soll dort die weltgrößte Schürfstelle sein, was man der ansonsten ja sehr unberührten Karstlandschaft schon ansieht. Riesige Abraumhalden sind da, sehr gepflegt geglättet, und eine Riesenabbaugrube.

Wie kann man sich als einzelner Mensch mit drei Tagen Zeit und einem kleinen Mietauto diesem Riesengebiet nähern? Anfang August 2004 tat ich das mal. Mit schlechten Landkarten und pauschalen Beschreibungen. So ist man leicht zu führen. Und als an der Straße ein großes Schild auftauchte, daß die Tinaztepe-Höhle, auf türkisch ist "Höhle" "magarasi", für die Öffentlichkeit erschlossen sei, da kamen meine Tagespläne ins Wanken. Und gleich drauf stand da "Altin-Besik" mit einem Pfeil.

Man kann hieran auch sehen, daß die Höhlenforschungen der 70er und 80er Jahren in den Taurusbergen nicht spurlos vorübergegangen sind. Was geschieht mit erforschten Höhlen? Wenn die Pläne gezeichnet sind, die Wegstrecken beschrieben sind. Die Forscher ziehen weiter, wo anderes hin, wo es noch was Unbekanntes gibt. Gar nicht so selten werden diese Höhlen praktisch wieder vergessen, die alten Höhlenforscher sterben weg, das alte schriftliche Material ist oft kaum bis gar nicht zugänglich.

Eine andere Methode ist es, daraus eine Schauhöhle zu machen, die Leute herzulocken, den Besuch gegen bare Münze möglich zu machen. Dazu müssen verschiedene Punkte stimmen. Es muß was Ansehnliches zu sehen sein, möglichst was, was es nirgends wo anders gibt. Irgendein Rekord muß am besten her. Und die Höhle sollte verkehrsgünstig gelegen sein.

Seit dem Ausbau der Straße am Tinazberg ist zumindest das zweite Kriterium bestens für die große Höhle dort erfüllt. Die Hauptstraße von der Küste in die Region von Seydisehir/Konya führt im 500m-Abstand vorbei. Eine große Tank- und Raststätte liegt in unmittelbarer Nähe, konkurrenzlos, weil auf viele Kilometer vorher und nachher nur ursprünglichste Natur gibt. Eine Ausnahme gibt es: den Bauxitbergbau. Der Eingang fällt sofort auf. Große dunkle Portale sind schon von der Straße aus in der spektakulären Felswand des Tinazberges zu sehen.

Die Geschichte der Erschließung der Höhlen wird im Schauhöhlenprospekt so wiedergegeben: "Die Tinaztepe Höhlen wurden durch die langjährigen Bemühungen des Tourismusexperten Hasan Celmeli, vom Forstministerium an die Vereinigung "Köylere Hizmet Götürme"(Village Foundation Union) im Jahre 2001 zugewiesen. Die K.H.G. Vereinigung hat dies an die Celmeli Turizm GmbH übergeben. Die Celmeli Turizm GmbH hat, in einem kurzen Zeitraum von einem Jahr,die Beleuchtung der Höhlen installiert sowie Wanderwege und Sozialeinrichtungen gebaut." (Ich hab das mal im Wortlaut und Schriftbild so wiedergegeben, wie es im Originaltext steht, weil die "Richigkeit" dieses Texts mit einem Stempel garantiert wird, der auf eine Firma "INTERMEDIA" in Bochum verweist. Wie verschachtelt das doch alles ist und verkehrt oft auch.

Als ich da an einem Samstagmorgen, dem 7. August 2004, dort auftauchte, war nur fast kein Auto noch da. Ein Kellner im leeren Restaurant tauchte gleich an der Tür auf, der junge Mann an der Kasse war wohl verblüfft, einen Arbeiter sah ich noch bei einem Holzhäuschen in der Nähe. Oben bei der Höhle wartete noch ein etwa 20jähriger die Beine in den Bauch, weil einfach kaum Besucher kamen. In der Höhle traf ich auf eine Mutter mit zwei Kindern, auf dem Rückweg stieß ich noch auf 4 Türken, das waren alle, auf die ich innerhalb von gut 2 Stunden bei der Höhle gestoßen bin. Mit so etwas ist kein rentabler Schauhöhlenbetrieb zu erreichen. Ob es wirklich mal aufwärts gehen wird? Immerhin 5 € verlangte man für den Eintritt, ein sehr respektabler Preis. 4 Wochen später zahlte ich zum Beispiel für die Charlottenhöhle auf der Schwäbischen Alb immerhin nur 3 €.

Man bekommt schon eine richtige fossile Höhle zu sehen und es wurde ja wirklich alles getan, damit man möglichst viel mitbekommt, aber reicht das? Im Grunde ist hier ein uralter Wasserschlinger. Heute verschwindet der mehr oder weniger große Bach in einem großen Naturschacht, der von verschiedenen Gruppen auf etwa einen Kilometer Länge erforscht worden ist. Darüber liegen die alten Wasserwege, die heute trockengefallen sind, die fossilen Teile. Es sind drei Höhlengänge, von denen zwei touristisch ausgebaut und beleuchtet worden sind.

Im größeren Zweig davon läuft man mehrere hundert Meter auf einer Gangplattform durch den Tunnel. Links und recht sind immer wieder kleinere und mittlere Tropfsteinformen zu sehen. Die große Besonderheit müssen die manchmal gefüllten Wasserbecken sein, die die Forscher sogar zum Einsatz von Booten nötigten. Wenn die aber trocken sind, wie das im Sommer auch bei mir der Fall war, dann sieht man halt die Verfärbung durch die Wasserstandsmarke, aber mehr nicht. Eine Abzweiger gibt es nach oben in den einzigen kleinen kurzen Tropfsteinteil, wo noch ein paar Sinterfiguren zu sehen sind. Flötenmusik setzt unvermittelt von der Cd ein und begleitet einen auf den langen Wegstrecken. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich durchaus daran gedacht, einfach umzudrehen, denn immer wieder das gleiche Tunnelprofil zu sehen, das fing an, langweilig zu werden und ließ die Sinnfrage auftauchen. Es lohnt sich aber durchzuhalten, wie so oft im Leben. Zum Schluß zu schwingt sich dieser fossile Teil zu einem schönen Finale auf. Worin es besteht, das sollte man sich selber anschauen. Zurück beim Eingang bot mir gleich der mich nicht begleitende Führer, wäre ja auch ziemlich sinnlos gewesen, das er nur die türkische Sprache beherrscht, kühle Getränke an und seinen Schafskäse. Ich durfte ihn probieren und sollte gleich am besten ein Kilo davon mitnehmen. Vorrat davon hatte er genug hier oben. Ich eilte lieber weiter zum zweiten erschlossenen Höhlenteil. Unter dem Eingangsportal waren zwei große Becken zwei Steine gearbeitet, wohl alte Wasserbecken. Durch eine kleine Felspforte kommt man in den sich sofort groß erweiternden Felsgang. Der Hauptweg führt aber zurück in die Höhe und zu einem weiteren Felsportal, das nur durchs Berginnere leicht erreichbar war. Von hier führt ein immer kleiner werdender Gang, der an einer Stelle mich schon zum Vierfüßlergang nötigte, wieder bergwärts. Erschlossen wurde er, weil da drinnen noch ein paar kleine Tropfsteine zu sehen sind, die am Ende den kleinen Nebengang der großen Höhle ganz verschließen.
Es gibt dann noch eine dritte Höhle, die aber nicht im Hauptbesuchsprogramm vorgesehen ist. Man kann zum Portal durch eine wilde Wiese hochgehen. Ein Portal mit feinem Sand am Boden nimmt einen auf, unzählige Namensgraffitis sind an den Wänden, die Decke kommt weiter herunter, so daß man wieder in die Vierfüßlerhaltung müßte, ich drehte wieder um, obwohl es weiterging.

Am Ende hatte ich ein kleines Gespräch noch mit dem Mann am Kassenhaus. Höhlenforscher war er selber keiner, aber hatte hier halt seinen Arbeitsplatz gefunden. Ich war ihm wohl aufgefallen, weil ich am Anfang seine Behauptung, es handle sich bei der Tinazhöhle um die größte Höhle der Türkei handeln würde, nicht widerspruchslos hingenommen hatte. Über 20 km solle sie lang sein. Das wird hier jedem Touristen erzählt. Wie kommen die da drauf? Was da passiert, das benennt die englische Sprache unübertrefflich mit "name-dropping". Man erwähnt ein paar berühmte Namen und hofft darauf, daß sie so eindrucksvoll sind, daß das, was die von sich gegeben haben, schon einfach für wahr gehalten wird. In diesem Falle sind es Reinhold Messner und Jacques Cousteau. Ein verwunderter Blick? Der eine ein berühmter Bergsteiger, der andere ein Meeresforscher. Und die beiden im Zusammenhang mit einer Höhle? Und dabei soll was Gutes dabei rauskommen? Im Deutschen haben wir das Sprichwort: "Schuster bleib bei deinen Leisten." Auch wenn es heute bei uns kaum mehr Schuster gibt und wer kennt schon heute diesen Satz überhaupt noch, er stimmt auch hier. Man muß sich nur die Berichte anschauen, von denen, die wirklich drin waren, dann glaubt man wieder einmal nicht, was einem da so erzählt wird. Man beruft sich auf das Buch "Weltwunder", das von beiden Autoren herausgebracht worden ist und das in einem Kapitel auch die Höhlenforschung behandelt, aber dafür sind sie wohl nicht wirklich kompetent. Und die spektakulären Bilder, die da verwendet werden, die stammen auch nicht aus dieser Höhle und sind nicht von den Autoren. So kommt eins zum anderen. Immerhin rief der Kassier den Kellner und ließ uns beiden einen heißen Apfeltee kommen. Der schmeckt wirklich köstlich. So weit es sprachlich möglich war, kam es zu einem angeregten Gespräch. Ich zeigte ihm ein bißchen die Literatur, die es zu dieser Höhle inzwischen gibt und die er einfach noch gar nicht kannte. Er erzählt mir davon, daß es wohl den Betreibern selber schon klar war, daß da bislang noch nicht die großen Attraktionen, die das große Geld anlocken sollte, geboten werden. Aber man plane schon, nun auch den noch unerschlossenen Ponorteil der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ob sich es lohnt? Man muß nur mal die Tourenberichte der Leute lesen, die schon drin gewesen sind. Die Gesamtganglänge, so konnte auch er lesen, wird noch heute mit 1.370 m angegeben.

Auch hier hatte ich das Gefühl, daß der Charme so eines Ortes hauptsächlich in seiner Unerschlossenheit besteht. Drängt sich der Mensch nach vorne, schafft er erst Wege, dann Geländer, Häuschen, Brückerl, Leuchten und was sonst noch alles (Papierkörbe, Verbotsschilder (In der Türkei offenbar besonders wichtig: das Rauchen!)), dann geht unendlich und oft unwiderbringlich viel verloren. Vielleicht ist das einfach der Lauf der Dinge heutzutage, aber wer wird schon wirklich glücklich dabei? Erst ist da eine Hoffnung, dann eine selten erfüllte oder oft eine enttäuschte Hoffnung, und dann? So mancher schickt sich an, es nachzumachen.

Ein weiteres Beispiel habe ich am selben Tag erlebt. Der Nachmittag war noch jung. Ich suchte ein Gebiet, wo die Chance, eine echte Höhle zu finden, relativ groß war und stieß auf Camlik, das an den Straße nach Derebucak liegt. Immerhin waren 3 Höhlenzeichen auf einmal auf meiner schlechten Karte eingezeichnet. Eine davon würde ich hoffentlich schon finden. Tatsächlich künden zwei Schilder an der Straße bereits auf die Höhlen hin. Das war aber dann auch schon alles. In Camlik, so einem kleinen Bergnest, wo sich Fuchs und Has gute Nacht sagen war nicht viel los, ich fuhr hindurch und schaute und schaute, aber nichts deutete auf irgendeine Höhle. Am Ende war auch gar niemand mehr da, bei ich vielleicht noch hätte fragen können.

Da passierte ein Zufall, der größer nicht hätte sein können. Ein alter Türke und eine alte Türkin gingen alleine auf der Straße, die steuerte ich an, hielt meine Karte aus dem Fenster, deutete auf die Höhlenzeichen und sagte immer "magarasi". Irgendwie schien er zu verstehen, bedeutete, daß er einsteigen wolle und seine Frau auch, und leitete mich dann dahin, wo ich hinwollte. Es ging gleich ab von der Teerstraße und es ging weiter über Schotterpisten, immer bergab. Dann hieß er mich zu halten, seine Frau stieg aus und ging auf ein kleines Häuschen in der Nähe. Ich sollte einer kaum mehr fahrbaren Spur folgen und landete mitten in einer Wiese mit vielen Apfelbäumen. Wir stiegen aus, kletterten über eine kleine Steinmauer und kamen zu einem breiten Bach. Da standen wir vor einem großen Höhlenportal, aus dem das Flüßlein kam. Eine traumhafte Lagesituation. Um da reinzukommen, hätte ich schwimmen müssen, wozu ich aber keine Lust hatte. Der Alte führte mich noch zu einer kleinen seitlichen Quelle, wo köstliches Quellwasser aus dem Boden kam. Links oberhalb des Portals war noch eine kleinere Öffnung zu sehen, und dort bewegte sich was. Da waren zwei Kinder. Der Mann rief hinauf und die beiden kamen herunter. Unglaubliches Glück. Das waren die Nichte und ein weitschichter Cousin. Und das 17jährige Mädchen sprach deutsch! Sofort war eine Verständigung möglich. Ihr Großvater war der Eigentümer des ganzen Geländes. Hier war sein Apfelgarten, und da schaute er einmal in der Woche nach dem rechten. Das Mädchen hatte gerade in der kleinen Höhle mit dem Photohandy ein paar Fotos gemacht, die sie mir gleich zeigte. Ich erfuhr, daß ich vor dem Eingang der Suluinhöhle gerade stand, die eine Durchgangshöhle von ungefähr einem Kilometer Länge war.

Sie fragte mich, ob ich noch eine Höhle sehen wolle, deren Namen ich aber erst viel später wirklich verstanden habe: die Balatinihöhle. Sie stellten sich mir sofort als Führer zur Verfügung. Ohne sie hätte ich das Ding nie gefunden. Wenn man mal weiß, wo es hingeht, dann ist das natürlich ganz was anders, aber unter den Umständen, unter denen ich da war, unmöglich. Letztlich folgten wir dem Bach weiter abwärts. Er führt durch eine kleine Felsschlucht, die wegen ihrer Unberührtheit höchst romantisch war. Hoffentlich kommt nie einer auf die Idee, hier mal einen Weg anzulegen. Den Weg über den Bach legt man auf Trittsteinen zurück, überall hüpfen die Fröschlein verschreckt vor einem ins Wasser, sogar ein paar Fische gibts. Eine kleine gefaßte Felsquelle gibts, wo man ein paar Schluck frischen Wassers genießen kann. Bei dieser Hitze sind solche Orte Kostbarkeiten. Dann ging es bachabwärts auf einem Fußsteig. Der Bach versickerte so langsam und das Bachbett lag wieder trocken. Links und rechts steigen kleinere Felsbastionen in die Höhe. Nach etwa einem halben Kilometer zeigten sich auf einmal große schwarze Löcher in der Felswand - Eingänge in die Balatinihöhle. Man muß erst ein wildes Trockenbachbett in die Höhe steigen und klettern, bis man an den großen Portalen ankommt. Sie stehen alle untereinander in Verbindung. Die längste Strecke könnte man in dem unteren Wassergang zurücklegen, aus dem ein kleines Bächlein kam. Es läßt sich nicht vermeiden naß zu werden auch schon im ersten Teil. Später sollen Strecken kommen, die entweder Schwimmen verlangen oder den Einsatz eines Bootes. Am Ende soll man auf der anderen Bergseite wieder herauskommen, wo die Wasserschwinde ist.


Oberhalb dieses aktiven Teils liegt noch ein großer fossiler. Beim Eingang sind die Reste alter Mauerungen noch zu sehen, die auf eine alte Besiedelung des Platzes schließen lassen. Man hatte ja alles, was man in unruhigen Zeiten vielleicht brauchte, ein Dach über dem Kopf, eine schwierig nur von Angreifern zu erobernde Lage, und Wasser, das einem in großem Maße zur Verfügung stand. Im Tunnel dahinter ist eine große Naturbrücke. Staubtrockener Sand bedeckt den Boden. Beim zwei Gruben im Gang erzählte die junge Türkin, daß dort immer wieder nach Gold gegraben würde. Na, vielleicht hat dort ein reicher Pirat mal seine Goldgallonen vergraben? Eine kleine Steinmauer erstreckt sich durch den ganzen Gang. Dann ist eine große Halle erreicht. Der Hauptgang knickt nach links, aber auch geradeaus ist ein Durchstieg in weitere Höhlenteile möglich. Wir drei waren mit meiner einzigen Lampe in der Höhle unterwegs, da wurde es Zeit umzukehren. In der Liste der längsten Höhlen der Türkei taucht sie mit immerhin 2030m Gesamtganglänge auf. Beim Ausstieg erlebten wir noch einen kleinen Kulturschock. Bis zum Eingang ist nämlich von ganz kurzem erst eine richtige Bulldozerspur gelegt worden. Ein ansonsten noch wunderbar erhalten gebliebenes Gebiet wird nun mit massivem Bulldozereinsatz "erschlossen". Wie überall sonst auf der Welt ja leider auch. Und damit geht der gesamte Zauber ganz schnell verloren. Plant hier jemand die Erschließung der Höhle als Schauhöhle vielleicht? Zu erschließen gibts da eigentlich nicht viel, aber auch in anderen Teilen der Erde sind schon Höhlen geöffnet worden, wo man sich sehr fragen muß, warum denn eigentlich? Angesichts des spürbaren Rückgangs des Besucherzahlen in vielen Schauhöhlen der Erde ist keineswegs sicher, daß sich solche Unternehmungen überhaupt unter ökonomischen Gesichtspunkten rechen würden. Wenn nicht, und das Unternehmen wieder schließt, dann blieben die Schäden an der Natur, etwas poetischer, die "Wunden". Ja, so etwas sind schon die Bulldozertrassen, die wir gesehen haben.

Der Höhlentag war noch nicht zu Ende. Meinen neugewonnenen türkischen Höhlenfreunde boten mir an, noch eine Höhle anzuschauen. Ich hatte noch Zeit, so wollten wir hinfahren. Vor diesen Ausflug hatten allerdings die Götter einen besonderen Block gerollt. Inzwischen hatte ich den Großvater und die Großmutter auch noch im Auto und war zurück Richtung Camlik gerollt. Wir fuhren gerade einen kleinen Feldweg hinein, als ein übler Gummigeruch die Atmosphäre verpestete. Gleich hielt ich und sah die Bescherung: ein Reifen war vollkommen verfetzt. Ein Problem? Schon, wenn man nämlich in seinem Mietauto keinen Kreuzschraubenschlüssel findet, mit dem es erst möglich gewesen wäre, das Reserverad herauszuholen. Er war einfach nicht da. Der Wagenheber hatte auch eine Form, die man erst verstehen mußte. Immerhin kam der Dorfpolizist im 4wheeler vorbei, 4 freundliche Türken kamen heraus, die junge Dolmetscherin bewährte sich ausgezeichnet, es gab weitere Probleme, aber eine halbe Stunde später war alles wieder o.k.. Und ich erfuhr, daß man auch in Camlik schon von München gehört hatte, zumindest in der Fußballvariante: "Bayern Munchen", "Rumenigge". So eine Gastfreundlichkeit, die tat wirklich gut. Ich hatte nur noch 10 m von der Pannenstelle zu fahren, dann war der nächste Parkplatz erreicht und wir verließen den Wagen wieder. Hinab ging es auf einem alten Steinpfad in die Bachschlucht. Mir wurde erzählt, daß dieser Tümpel immer als Badeteich für die Kinder dient und daß dort vor einiger Zeit mal ein Kind ertrunken sei, dort begegneten wir dem Hirtren an der Quelle, der auf all die Ziegen und schwarzen Kühe aufzupassen hatte. Seit "padre padrone", diesem wunderbaren Buch über einen Hirten auf Sardinien, bin ich von aller "Hirtenromantik" geheilt, aber der schien sich noch ganz wohl zu fühlren im "stillen Bachgrund". Wir waren im Bereich der "Körükini Magarasi". Der Bach verschwindet in einem großen Portal und kommt nach mehr als 1 km unterirdischer Strecke wieder an die Oberfläche. Nach kurzem Lauf verschwindet er dann wieder in der Suluin Magarasi. Erforscht ist das ganze Gebiet schon lange. In der zweiten Hälfte der 60er Jahren waren französiche Höhlenforscher schon dort und haben ihre Ergebnisse in Grottes&gouffres veröffentlicht.

Man kann auch seitlich in den Gang hinter dem großen Portal eindringen, in dem man einer kleinen Höhlenstrecke folgt, die schon vor der großen Versickerung am Talrand zu sehen ist. Es geht nicht weit hinein auf trockenem Boden, um weiterzukommen muß man in einen bauchtiefen See eintauchen. Von hinten sieht man schon das Tageslicht vom anderen Eingang hereinschimmern. Es handelt sich hier wohl um einen Hochwasserzulauf, der dann aktiv wird. Überall hängen in diesem Teil Äste und Zweige herum, die eingeschwemmt worden sind, aber dann irgendwo hängenblieben.




Von meinen neugewonnenen türkischen Freunden wurde ich dann noch nach zuhause eingeladen. Das war nun ein ganz besonderes Erlebnis. Ich richtig gefragt, ob ich nicht gleich übernachten wolle. Ich lehnte höflich ab, weil ich meine Familie nicht im ungewissen lassen wollte, wo ich verblieben war. Aber mitkommen, und mal sehen, wie heute die Menschen dort so leben, das wollte ich doch mal sehen. Das Haus soll erst 35 Jahre alt sein, mir kam es viel älter vor. Ein kleiner Vorgarten voller Gemüse, z.B. pralle Gurken, eine Holzstiege, und ich war vor der Tür. Alle Schuhe standen sauber geordnet davor. Ich hatte nichts zu ausziehen, weil ich barfuß war. Drinnen, eine Überraschung. Kein Tisch und kein Stuhl. Nur Teppiche und Kissen. Ich durfte ins Wohnzimmer, wo der Großvater vor dem Fernseher saß. Eine kleine Nähmaschine stand auch noch im Raum. Mehr nicht. Ich bekam ein herrlich kühl schmeckendes Joghurtgetränk, dann noch eins. Wir machten uns auf zu einer kleinen Ortsbesichtigung. Der Hausmauer entlang ging es über eine kleine Mauerstufe hinauf zu einer Teerstraße. Die führte hinauf zum Gipfel des Dorfhügels. Von hier konnte man das herrliche Rundumpanorama über das gesamte Dorf und die Berge der Umgebung sehen. Eine Himmelsruhe herrschte hier. Am Ende der Welt. Der Eindruck wurde schnell verwischt, als ich in das Jugendzentrum des Dorfes hineingeführt wurde, das da stand. Keine verträumte Gegenwelt, keine Muezzinsprüche, sondern auf kleinen Tischchen Computerbildschirme, die mit Internetanschluß versehen, 15 Jugendlichen die Welt ins Dorf führten. Und alles durchflutet vom Licht der untergehenden Sonne durch die Fensterscheiben. Ein anrührendes Bild.

Ein weiter und viele Stunden verbrauchender Weg lag noch vor mir bis hinunter an die Küste bei Side. Das üppige Hotelabendessen fiel diesmal aus, aber so einen schönen ereignisreichen Tag muß man erst einmal erleben! Und vielen Dank an die unglaublich gastfreundlichen Türken/-innen, die dabei gewesen sind. Da hat das Zauberwort "Höhle" gewirkt. Es ist ein Zauberwort.

Literatur:

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Chabert, Claude Les plus grandes cavites turques, Grottes et Gouffres, S. 17ff.
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Chabert, Claude LA SPELEOLOGIE DANS LE TAURUS - UN DEFI POUR L'AN 2000, Grottes & Gouffres 101 9/1986, p 3ff.
Hardcastle, Ray, Schmitt, G.E. The Mystery of Altin Besik Duedensuyu Magarasi - The Cradle of Gold, NSS News April 1987, p 72ff.
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Schmitt, G.E. CAVING IN TURKEY, Caving International Magazine No. 9, October, 1980, p 8ff.
Skuce, A., White, A.S., Worthington, S., Yonge, C. Sheffield and Leeds Universities' Expedition to the Taurus Mountains, Turkey 1976, Trans. British Cave Research Assoc. Vol.4, No. 4, pp.443-452 December 1977
Stratford, Tim Balatini Magarasi, The International Caver (1) 1991, p 16ff
Ülkümen, Oral, Aktar, Mustafa THE HIGH ALTITUDE KARST OF CIMIYAYLA, Atti Convegno Int.le sul carso di alta montagna Imperia, 30 aprile-4 maggio 1982 1 (1983): 446 - 451
? NEDERLANDS-DUITSE-SPELEOLOGISCHE EXPEDITIE, Pierk 2-1987, S. 46ff.
? Abstract My dear young fried ? Another slice of Taurus?, S. 4ff.

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