Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Insuyu Magarasi bei Burdur

Türkei


Es geht doch nichts über den eigenen Augenschein. Es mag noch so gute Publikationen geben, ob gedruckt oder heutzutage auch im Internet, aber sie spiegeln halt auch im besten Falle nur die Situation, wie sie in einem bestimmten Augenblick einmal wahrgenommen wurde. Wenn sich etwas ändert, dann passiert mit den festgehaltenen Buchstaben und Zahlen weiter nichts.

Ein kleines Beispiel dafür: "İnsuyu Mağarasın is a river cave, visited by boat. It has a sequence of nine lakes which". Die Sätze stammen von der ausgezeichneten Webseite showcaves.com von Jochen Duckek, wobei die letzte Aktualisierung 2017 passiert zu sein scheint. Schon der Name der Höhle weist auf "Wasser" hin: "in"-türkisch "Höhle", "su"-türkisch Wasser. Der natürliche Eingang zur Höhle war immer schon den Menschen der Umgebung bekannt. Das Eindringen war allerdings durch einen temporären Siphon oft nicht möglich. 

1952 begann mit Temucin Aygen die speläologische Erforschung der inneren Teile der Höhle in 1.230 m Seehöhe, 13 km südöstlich von Burdur. Sie waren wohl einmal sehr eindrucksvoll, wobei man auf der Webseite gerne Norbert Casteret zitiert, der 1966 die Höhle besucht hat: "Die Höhle ist "first class" und sehr interessant. Sie bietet "a rich decor, nice underground views and all the beauties of a boat ride on the cave lake". Der große und tiefe See am Ende der Höhle, heute verschwunden, sei der "focus point" der Höhle. Der Besucher würde die Höhle mit nützlichen und unvergesslichen Eindrücken verlassen." 

1965 war sie als erste türkische Höhle für den Tourismus erschlossen worden (vielleicht war es eine andere, die Damlatashöhle). 1976 wurde sie zum "Natural Protected Area" erklärt. Diese Maßnahme blieb jedoch vollkommen wirkungslos, als es darum ging, die Hauptqualität der Höhle, nämlich eine Wasserhöhle zu sein, zu sichern. Man hatte nämlich im Madmatal, das unmittelbar an die Höhle angrenzt, sehr viel Wasser entnommen, was zu einem dramatischen Abfall des Wasserspiegels führt. 2014 entwickelte das Ministry of Forest and Water Management einen Aktionsplan, um das Ökosystem der Höhle zu sichern. 2015 wurden bereits erste Erfolge vermeldet. Und heute?

Im Juni 2023 war ich selber einmal dort und fand vollkommen andere Verhältnisse. Von wegen "river cave", von wegen "boat". Die Höhle war "dry as a bone", obwohl es eine ganze Woche lang vorher viel geregnet hatte und die Wiesen rundum tiefgrün und voller wilder Blumen waren. In der Höhle war überhaupt nichts von Wasser zu sehen. Dort, wo den Beschreibungen nach einmal 19 m tief das Wasser in vielen Seen stand, herrschte überall Trockenheit bis zum Grund. Erfunden ist die Geschichte mit dem Wasser sicherlich nicht. Spitzenberger schreibt 1973: "Ein großer Teil der Höhle ist von einem See erfüller, der Besucher bewegt sich meistenteils auf Holzstegen. Das Klima ist feucht und kühl. Leider konnten wir, da wir nicht über ein Boot verfügten, auch nur den ausgebauten Teil der Höhle besichtigen und nach Fledermäusen absuchen." Und Sterr berichtet 1984: "Aktive Wasserhöhle..etliche Seenhallen mit zum Teil schönen Versinterungen, ca. 3 m hoher Stalagmit frei in einem Höhlensee stehend..die Grünfärbung der Höhlenseen.." Das erlebt heute keiner mehr.

Die Touristen kommen trotzdem, auch busweise. Schon beim Abzweiger von der Hauptstraße passiert man einen aufwendigen Triumphbogen, der auf die außergewöhnliche Qualität des Ortes aufmerksam machen soll. Eine schnurgerade Straße führt auf den eher einem Hügel gleichenden Berghang zu, " Sarpgüney Hill" heißend, unterhalb dessen der große Parkplatz angelegt worden ist. Ein Restaurant wirbt um reichlich Gäste. Schmale Wege führen zum Kassenhäuschen. In einer Wiese steht ein ausgeschnittener Steinblock mit einer Tropfsteingrotte drinnen. 40 Türkische Lira kostete der Eintritt, ein Wert, der sich schnell bei der derzeitigen Inflation in der Türkei ändern wird. Ein Drehkreuz mit QR-Code-Technik läßt einen eintreten. Links ist eine große Steintafel mit Höhlenplan und der Nennung all der Personen, die sich bei der Öffnung der Höhle verdient gemacht haben. Außerdem auch noch die Verhaltenshinweise für die Besucher, z.B. "Please do not write". Was man dann überall an dem Wänden findet, das entspricht dieser Vorschrift überhaupt nicht! Es wird den Besuchern ja auch leicht gemacht, weil man selbstgeführt die Höhle durchwandert. Allenfalls gibt es dann kleine Schildchen, auf denen steht, was man gelegentlich heute auch nicht mehr sieht, z.B. "Wunschsee", wo nur eine leere Felsschlucht auszumachen ist. Manchmal wäre es ganz einfach, in einige  horizontale Seitengänge hineinzugehen, aber man wird gewarnt, das nicht zu tun, weil das halt gefährlich sei. Mühsam, und viel gefährlicher, ist es, die oft schlecht beleuchteten Treppen auf und ab zu gehen. Für Rollstuhlfahrer ist diese ziemlich horizontale Schauhöhle sicherlich wenig geeignet. Die Beleuchtung wurde anläßlich der Renovierung der Höhle 2014-2016 erneuert, ist allerdings höchst sparsam und von orangeroter Farbe. Wenn da noch etwas zu retten ist, dann mit einer besseren Ausleuchtung! Aber vielleicht gibt es ja einen tieferen Grund: die Verhinderung der Lampenflora.

"Millions of stalacites" werden einem vorgemacht. Leider wird dieses Versprechen nicht eingehalten. Vielleicht gab es davon einmal mehr, aber heute ist außer ein paar übrig gebliebenen Tropfsteinsäulen nur noch wenig von der einstigen Pracht zu sehen. Manchmal sind an den Wänden noch Kristallnester zu sehen, wie sie entstehen können, wenn der Gang einige Zeit unter Wasser steht, aber auch hier sind deutliche Kratzspuren von Menschen nun zu sehen, die sich ein Souvenir mitnehmen wollen. In der Höhle ist viel mehr als nur die "Dekoration" zu sehen. Wer genau hinschaut, der sieht, besonders im Verbindungsgang zum "Great Lake", daß er sich hier in einem Höhlenteil aufhält, der ihm normaler vollkommen verschlossen wäre. Er wurde gebildet, als er vollkommen unter Wasser stand und von schnell fließendem Wasser durchströmt wurde. Viele bizarre Wandformen sind zu sehen, die normalerweise höchstens die Höhlentaucher zu sehen bekommen. 

Als Tourist bekommt man nur einen kleinen Teil der ganzen Höhle zu sehen. Meist wird die Länge mit 597 m angegeben. Tatsächlich ist die Höhle viel länger. 1993 entdeckten Mitarbeiter der Süleyman Demirel Universität neue Teile hinter dem schon bekannten Seenteil. Weitere Forschungen zeigten, daß man sich in einem großen System bewegte, das bis auf +156 m ansteigt. Ein Gesamtplan wurde bis heute noch nicht veröffentlicht, 8,3 km sind exakt erfaßt, eine Literaturquelle spricht davon, daß die Höhle nun 10,5 km lang sei. 

Auch andere wissenschaftliche Disziplinen widmeten sich der Höhle. Der italienische Spinnenforscher Brignoli untersuchte die Höhlenfauna, der österreichische Zoologe Spitzenberger untersuchte die Fledermausfauna, der türkische Geograph Sungur beschrieb die Geologie und der Franzose Choppy die Karstologie.

 

Da muß früher ein tiefer See gewesen
sein!

Man fuhr darauf mit einem Boot!

Der Karst von oben

 


 

Literatur:

Laumanns, Michael (2022): Turkey, in: Laumanns, Michael (Editor): Atlas of the great caves and the karst of the middle East, Berliner höhlenkundliche Berichte, Band 83, Berlin 

Spitzenberger, F. (1973): Höhlen in Westanatolien, Die Höhle 23,1,23-30, Wien 1973

Sterr, Thomas (1984): Türkei '82, in: ABSEILER 1-1984, S. 20f.

Yamac, A., Gilli, E., Tok, E. & Törk, K. 82021): Cave and Karst Systems of the World. Caves and Karst of Turkey. Vol. 1: History, Archaeology and Caves. E-Book; Cham/Switzerland (Springer) 

Links:

https://www.showcaves.com/english/tr/showcaves/Insuyu.html

https://www.kulturportali.gov.tr/turkiye/burdur/gezilecekyer/nsuyu-magarasi

https://cityseeker.com/burdur/1098157-insuyu-cave

https://www.hurriyet.com.tr/seyahat/7-uluslararasi-bodrum-caz-festivali-basliyor-42278515

https://gezimanya.com/burdur/gezilecek-yerler/insuyu-magarasi

 

Speläologisches in der Südtürkei

 


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