Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Erdställe in Viechtach, Bayern
Als uns bei der 2008er-Erdstalltagung Dieter Ahlborn etwas über unsere nachmittägliche Exkursion nach Viechtach erzählte, brachte er den derzeitigen Kenntnisstand in Kurzform herüber. Bislang sind 9 Erdställe auf dem Stadtgebiet bekanntgeworden. In der näheren Umgebung haben wir Aufzeichnungen über weitere 6. Damit ist Viechtach mit 15 Erdställen ein richtiges Zentrum dieses Phänomens, für das wir auch heute noch keine wirklich schlüssige Vorstellung besitzen.
An den Erdställen nagt schon immer stark der
Zahn der Zeit, so daß es heute nur noch ganz wenige gibt, die
man wenigstens in Resten noch selber sehen kann. Um das Alte
Rathaus herum ist der Schwerpunkt. Für die breite
Öffentlichkeit am besten noch zu sehen ist der Erdstall im Hof
des Alten Rathauses. Ist der geöffnet, dann heute jeder in die
mit Glasplatten abgedeckten Eingangsöffnungen des Erdstalls
hinabsehen. Er ist am 12. Juni 2008 durch den Arbeitskreis für
Erdstallforschung erfaßt und vermessen worden. Peter Forster hat
den Plan gezeichnet. Hier gibt es überhaupt keinen Zweifel, daß
es sich um einen Erdstall auch wirklich handelt, denn er weist
gleich in zweifacher Hinsicht das Hauptkennzeichen der meisten
Erdställe auf - Schlupfe. Bemerkenswerterweise gibt es zwei
verschiedene, einen horizontalen und einen vertikalen. Sie
verbinden zwei getrennte Kammern bzw. einen oberhalb und einen
winzigen tiefer liegenden Raum. Auf Eisenklammern kann man nach
unten bzw. nach oben klettern, wobei ein kleiner Kletteranteil
noch besteht. Unten ist steht oft Wasser, so daß die Verwendung
von Gummistiefeln beim Bestehen des Wunsches, trockene Füße zu
behalten, anzuraten ist. Auch das Überziehen entsprechender
Schutzkleidung ist gut, weil man sich sonst nur mit dem
unvermeidlichen Erdmaterial einsaut. Wer einen Fotoapparat mit
sich nimmt, der sollte auch für entsprechenden Schutz sorgen,
denn es läßt sich fast nicht vermeiden, nass und schmutzig
wenigstens ein bißchen zu werden. Nach dem Abstieg in den
künstlichen Eingangsschacht im weiten Betonrohr, kommt man in
eine niedere ausgehauene Felskammer. Links ist gleich eine
Felsnische zu sehen, die nach hinten mit Mauerwerk abschließt.
Was kommt dahinter? War das der ursprüngliche Eingang? Durch die
Öffnungen, durch die wir heute Erdställe erreichen, sind wohl
deren Erbauer meist nicht hereingekommen. Welchen Weg haben die
also benützt? Und warum ist es für uns so schwer, deren Weg
auch wieder zu gehen? Wollten die gar nicht, daß jemals wieder
jemand deren Weg geht? Haben die die Erdställe gegraben und dann
einfach wieder zugemacht. Sollte hinterher niemand wieder dort
hineinkommen? Und dann kommt jemand später, buddelt einen Keller
und stößt einfach wieder zufällig auf diesen Hohlraum, der
vielleicht einmal nur dafür gedacht gewesen war, leer zu
bleiben. Einfach leer, frei von jeglicher Zweckbestimmung?
In dem Raum gibt es eine nicht übersehbare Öffnung, kreisrund.
Durch sie gilt es zu kriechen, damit man den Raum auf der anderen
Seite erreicht. Es hat einen Durchmesser, der auch beleibtere
Zeitgenossen wie mich noch durchläßt. Allerdings gab es für
mich dort ein kleines Problem, denn ich konnte mich fast nirgends
abstützen, ohne in den Seespiegel drüben einzutauchen. Ein
kleines Stück Felsboden ragte geraden noch heraus und mit Hilfe
davon und akrobatischen Verdrehungskünsten schaffte ich es dann
doch, fast komplett trocken zu bleiben. Wäre aber was schief
gegangen, dann hätte ich hier eine Badetour gelebt. Drüben wars
wieder geräumig, ich konnte mich aufrichten, und es ging weiter.
Der nächste Schlupf nach unten war da, nur ein wenig Wasser am
Boden und eine Fortsetzung versprechend. Sie ist aber nicht
groß, eher kleinräumig, etwas für die
"Kindergröße". Wer hat sich denn da die Arbeit
gemacht, so ein Felsgemach zu hauen? Mich zog es da nicht hinein,
ich strebte nach oben, ein bißchen Klettern und schon stand ich
wieder auf dem Steinboden des Hofes. Ein schönes kleines
typisches Erdstallerlebnis. War das einmal eine Art
Kinderspielplatz? Heute werden auf den Spielplätzen für die
Kinder Lkw-Reifen aufgestellt, wo sie durchkriechen können oder
Betonröhren verlegt. Und früher Löcher in die Erde gebuddelt?
Richtig spannend finde ich es ja inzwischen, den anderen
Erdstallbesuchern zuzuschauen und zuzuhören. Was wird da getan
und gesagt? Da gibt es die Totalverweigerer, die gehen nicht
einmal hinein. Dann die Teilverweigerer, warum auch immer. Und
natürlich auch die "Tiger". Die gehen überall hinein,
egal, was da geboten ist. Wasser, Dreck, Enge - egal.
Sauerstoffmangel? Ein Blick aufs Meßgerät und dann kritische
Abschätzung der Situation. Und dann eventuell auch Unterschrift
auf der Haftungsausschlußerklärung für die Feuerwehr, falls
doch was schiefginge.
Sauerstoffmangel - das war ein echtes Thema bei der Befahrung der beiden Erdställe, die sich direkt unter dem Marktplatz befinden. Die Lage der beiden Erdställe darunter könnte nicht öffentlicher sein. Mitten im Straßenpflaster sind drei Gullydeckel. Unter jedem befindet sich zumindest ein Erdstallfragment. Normalerweise ist hier kein Zugang möglich, aber für eine "Erdstalltagung" wurde schon mal eine Ausnahme gemacht. Die entscheidenden, wichtigen Leute waren vor Ort und alle Probleme wurden wirklich gelöst. Aktives trouble shooting passierte hier. Es sind zwei nicht miteinander verbundene Erdställe unter dem mit Kopfsteinpflaster gestylten Platz. Ein Gullydeckel ließ sich gleich abheben. Die ersten Befahrer begaben sich in die Tiefe und kamen schnell wieder zurück. "Grau im Gesicht" hätten einige ausgesehen. Es hieß, keiner solle mehr hineingehen, weil Sauerstoffmangel unten herrsche. Wir würden nicht in unserer seltsamen Zeit leben, wo scheinbar alle Grenzen für überwindbar gelten, denn kurze Zeit drauf war die Feuerwehr schon da. Die Fragt lautete, ob sie nicht einen Staubsauger hätten, den man auch umpolen könne - nicht Luft einsaugen, sondern hineinblasen. Antwort: Wir haben ein Gebläse. So wurde die entsprechende rote Gerätschaft aus dem technischen Wunderkasten herausgeholt, ein langes schwarzes Schlauchgebilde davorgeschaltet und los ging es. Nun wurde kräftig Luft hineingeblasen - wo blieb das alte Luftgebilde, das vorher dort gewesen war? Egal. Ein Meßgerät wurde besorgt, es wurde gemessen und Werte über dem kritischen Punkt ermittelt. Wer hineinwollte, der mußte eine Haftungsausschlußerklärung unterschreiben, und durfte dann hinunter. Es ist nichts passiert, obwohl das Piepsgerät ziemlich hörbar reagierte hatte.
Noch einen Erdstallrest gibt es. Dem widmeten
sich mit Verve ein paar lokale Matadoren, die sich auskannten.
Zwischenzeitlich hieß es, die Deckel seien einfach nicht
aufzukriegen, aber dann kamen neue Ideen hinzu und auf einmal
ging es dann doch. Was dann da in der Tiefe zu sehen war, sah
alles andere als spektakulär aus. Ein paar Griffe im Betonrohr,
lehmverschmiertest, dann ein Abfall und ein spiegelnder Grund.
Wie hinunterkommen - und, vor allem, wieder herauf. Sogar einen
Aluleiter wurde besorgt, aber die kam dann doch nicht zum
Einsatz. Ein Strick mit Schlaufen reichte dann auch, fast immer.
Ein paar Leute stiegen hinunter und kamen bald wieder herauf.
Denn das, was da unten war, war "bescheiden".
"Fragment" ist das entschiedende Wort. An einen Gang
von 3,30m Länge schließt sich ein weiterer an von 2,20m. Dann
ist da noch ein Schlupf, der nicht weiterführt und eine Decke,
die aus Betonringen besteht. Da ist wirklich alles.
Trotz der Kleinheit kam es dann doch noch zu einer kleinen
kritischen Situation, als nämlich eine Teilnehmerin zwar
hinunter aber halt nicht mehr hinauf kam. Da kam es dann zu einem
kurzzeitigen Einsatz der noch nicht gegründeten
Erdstallrettungsgruppe. Alles wurde meisterhaft geschafft und
auch dieser Erdstall menschenmäßig 100ig geleert.
Es gibt eine alte Sage, daß in Viechtach alle Erdställe in Richtung auf die Annakapelle weisen würden. Ernste Zweifel sind daran angebracht. Selbst bei unserem vollkommen eingeschränkten Kenntnisstand läßt sich schon sagen, daß da wohl einfach Wunschdenken am Formulieren gewesen ist.
Literatur:
DER ERDSTALL, Heft 22, Roding 1996 | |
DER ERDSTALL, Heft 17, Roding 1991 |
Links:
https://www.lochstein.de/erdstall.htm
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