Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Bruderloch bei Schönholzerswilen, Thurgau, CH


Gibt es Zufälle? Viele Menschen bestreiten das. Wenn irgendwas passiert, dann halten die das für vollkommen determiniert. Und wenn sie nach den Sternen greifen und sich einen Astrologen zur Beratung anheuern. Daß ich tatsächlich am ersten Sonntag im Mai 2006 dort gewesen bin, das war mehr als unwahrscheinlich. Soviele Dinge mußten passieren, eh ich dorthin kommen konnte..... es macht mich schon ein wenig nachdenklich.

Ich hatte eine Kurs zum Thema "Leib und Körper" in Schloß Altenburg in Oberbayern eigentlich gebucht. Der wurde dann mangels Teilnehmern kurzfristig abgesagt. Dann kam mir in den Sinn, zum alljährlichen Treffen der Delegierten der SGH SSS, das dieses Jahr in Appenzell stattfand, als Ersatz zu fahren, ein halbes Jahr vorher hatte ich einen Artikel über diese künstliche Höhle im ERDSTATT-Heft 2006, der im Kern aus dem Jahre 1924 stammte, gelesen, und nun war das angebotene Exkursionsprogramm auf der Tagung so, daß mich nicht wirklich einer der Programmpunkte ansprach. So war auf einmal der Weg frei, um tatsächlich das Bruderloch zu suchen.

Suche, das war das richtige Wort. In dem Artikel waren ein paar Reizworte, Bodenseeufer, Schönholzerswilen, Hagenwilen, Amlikon, aber ich hatte ausgereichnet die Karte, wo das drauf gewesen wäre, zuhause gelassen. So fragte ich Sonntagmorgen einen meiner Schweizer Höhlenforscherkollegen in Appenzell nach einer Karte. Die hielt ich lange in der Hand, bevor ich dort tatsächlich fand, was ich suchte. Da stand tatsächlich Schönholzerswilen. Das haben wir, Willi und ich, dann tatsächlich gesucht und gefunden. Den Itobel, eine nicht zu übersehende Schlucht, die die Straße auf einem Damm überquert, konnten wir einfach nicht übersehen. Und in dem sollte die "Höhle", eher das "Loch" sein. Von einem Hinweisschild keine Spur, nur ein etwas seltsam anmutender großer Parkplatz inmitten von Wiesen und Wäldern.

Die Beschreibung gab ab hier nicht mehr viel her. Es galt, die Füße in Bewegung zu setzen und zu suchen. Mancher mag das lästig finden, aber das Nichtwissen der genauen Weges ermöglicht halt unendlich viele kleine Abenteuer. Tja, wo war es, das gesuchte Loch? Wir konnten den Kopf soviel drehen wie wir wollten, ohne Ortskenntnis sahen wir vieles und eben doch nicht viel. Hinterher ist jeder viel gescheiter. Wir folgten einem ungeteerten Fahrweg, waren überrascht, daß da aus der Talflanke ein kräftiges Bächlein gleich schoß, gelangten in die Talsohle und mußten uns entscheiden - links oder rechts? Bachaufwärts schienen die auffallenderen Wandformationen zu kommen, nach rechts schien es allmählich auszuufern. Wir kamen zum Straßendamm, der in guten Bergschuhen durch einen Tunnel mit Bachdurchspülung zu durchqueren war. Von den Seiten kamen immer wieder Bächer heruntergestürzt, die kleine Tuffbarrieren allmählich aufgebaut hatten. Querfeldein ging es höher, Trittspuren bezeugten, daß wir nicht die ersten waren, heuer. Umgestürzte Bäume blockierten das Fortkommen, einer schlug mir heftigst aufs Ohr beim Zurückprallen, Sprung hin, Sprung her über den Bach, alles half nichts, kein Bruderloch war hier mehr zu erwarten für mich. Minuten später fragte ich einen jungen Bauern, der gerade seine Wiese oberhalb mähte, ob er das Bruderloch kenne, und seine Antwort war entsprechend. Ich hatte es im vollkommen falschen Areal gesucht. "Once you get the hang of it"..... Auf einmal war das ein verwittertes Holzschild "Bruderloch", ein schmales Erdweglein, drei andere Leute, die hier irgendwas scheinbar auch suchten, ein Grillplatz, ein Erklärungsschild, ein drahtseilgesicherter Abstieg, das Loch.

Ich besuche ja seit Jahren schon Erdställe und bin fasziniert von deren Rätsel. Ist dieses Bruderloch ein Erdstall? Dafür ist es viel zu einfach zu begehen, aber es hat Elemente, die es schon in Richtung "Erdstall" rücken, und nicht unwichtige. Auf der Tafel über dem steilen Felsabfall, der zum Itobel abbricht, steht wohl schon alles. Man vermutet, hier würde es sich um ein alte Versteck handeln, in das sich Menschen zurückgezogen hätten, wenn es "brenzlig" geworden ist. Allein die versteckte Lage spricht dafür. Es gibt auch eine Quelle, die frisches Wasser in ausreichender Menge für eine begrenzte Zahl von Menschen liefert. Ein bergwärtiger Stollen mit zwei Seitenästen, die jeweils nach links und rechts ausscheren. Drei der Kammern sind so bequem, daß man darin stehen kann, wohl die Voraussetzung dafür, daß man sich länger darin aufhalten konnte.

War das mal ein "Kultplatz"? Ich mag nicht, wenn heute von bestimmten Menschen, ganz schnell von einem "Kraftplatz" geredet wird. Da laufen auch bei uns wieder Menschen rum, die sich "Geomanten", "Schamanen" und sonst noch was nennen, und damit ihr Schärflein ins Reine bringen. Man hat dort Funde gemacht, besondere, einen Kegelstein zum Beispiel. Ich war zu wenig lange dort, um darüber auch nur irgendwas sagen zu können. Ich habe meinen "Summtest" gemacht - und der ist ausgezeichnet gelungen. Du siehst nichts und spürst massivst. Warum nur?

Warum die vielleicht komisch klingende Einleitung? Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es ausgerechnet an diesem ersten Maisonntag im Jahr ausgerechnet dort eine Art Volksfest! Das Felsloch war der Magnet, der die Menschen angezogen hat - und sie kamen! Warum an diesem Tag? Auch ich bin da da gewesen - wollte ja eigentlich gar nicht.

 
Auf der Suche nach dem Bruderloch

- die Durchquerung des Straßendamms

- für Höhlenforscher eine "Fingerübung"

In den Wänden des Itobels

- Sandsteinschichten mit

Höhleneingangsahnungen

ohne wirkliche Erfüllung,

weil sie schnell enden

Der Frühlingstraum auf dem Weg zum "Loch"

- Löwenzahnwiesen und Obstbäume in Blüte


Die Eingangsumgebung
 

Literatur:

Ahlborn, Dieter Das Bruderloch bei Schönholzerswilen im Kanton Thurgau, Schweiz, Der Erdstall 32, Roding 2006, S. 52ff.
Derungs, Kurt Kulthöhlen der Schweiz, in: Derungs, Kurt (Hg.) Mythologische Landschaft Schweiz - Mythos und Kult im Alpenland, AMALIA, Grenchen 2010

Links:

https://www.lochstein.de/erdstall.htm


[ Index ] [ Englisch version ] [ Höhlen und Höhlengebiete ] [ Kunst ]
[ HöRePsy ] [ Höhlenschutz ] [ VHM ] [ Veranstaltungen ] [ Links ]