Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Lochsteine und Durchkriechbräuche / Motive und Wirkungen


Having problems dear?

Warum Durchkriechriten? Wer mehr darüber erfahren will, der krieche einfach selber durch eine dieser Stellen, die Gelegenheit dafür bieten (die Thrillsuchenden/Erlebnisgeilen/Zukunftsoffenen), oder greife halt zur Literatur (die Ruhesuchenden/Wissenschaftler/Sicherheit.....den). Hier nur ein paar kurze Hinweise:

Am 11. August 1999 hatten wir hier in einem kleinen Teil Europas und Asiens eine richtige Sonnenfinsternis. Der Mond schob sich für kurze Zeit vor die Sonne und veränderte unsere Wahrnehmung. Auf einmal wurde es mitten am Tag dunkel, wurde es kälter, hielten viele von uns für kurze Zeit Einhalt. Der Routineablauf unseres Lebens war unterbrochen durch ein Ereignis, auf das kein Mensch, nicht mal der größte Politik-, Religions-, Wirtschafts- oder Organisationsknallfrosch, Einfluß nehmen konnte. Versucht hat es ja so mancher.

Die Engländer sollten am besten die Sonnenfinsternis am Fernsehgerät beobachten. Dann sei dieses Ereignis am ungefährlichsten für die Bevölkerung, hieß es. Ansonsten gab es viele Brillen, oder den Tip mit dem Nudelsieb. Ich war an diesem Tag mit meiner Familie in Shropshire in England und erlebte die "eclipse" an der Stiperstones - 95 % Verdunkelung. Als wir abends um 11 Uhr BBC1 sahen, da bekamen wir auf einmal Bilder von einer "pagan wedding" ins Haus - ein weiß bekleideter "Druide" murmelte irgendetwas und begleitete die Zeremonie, in der sich ein Brautpaar durch einen Lochstein die Hand reichte, um ihren "Bund der Ehe" zu besiegeln, wohl nicht zufällig an diesem Tag. Ob sie den Brauch der "Teltown Marriages" kennen?

Die TIMES berichtete in ihrer Ausgabe vom 12 August 1999 unter der Überschrift "Pagans see meaning in the gloom" von den Ereignissen beim Lochstein von Men-an-tol in Cornwall an diesem Tag. Herausragendes Zitat aus diesem Artikel anläßlich der Sonnenfinsternis: "Now we are all going to hold hands in a circle and do something that everyone can do." Sue shouted, more Brown Owl than pagan leader. "Yeah copulate" King Arthur grunted mischievously. I took my cue and left.."

Lochsteine kurz vor dem Ende des 2. Milleniums... Orte der Zusammenkunft


Lochsteine, Orte für...

1) Heilung des Körpers, Sicherung der Gesundheit

Zum schon erwähnten Marienstein im Bayrischen Wald kamen die Gläubigen, um ihre körperlichen Leiden abzustreifen, wenn sie sich durch den schmalen Spalt zwischen Granitfels und Kirchenmauer durchzwängten.

In Irland wurde einigen Loch- und Durchkriechsteinen Heilkraft nachgesagt. In Kilmadekar behaupten noch heutzutage die alten Leute, daß es bei chronischem Rheumatismus, "Fallkrankheit" und anderen Wehwehchen helfen soll, ihn dreimal zu umkreisen (in dem man daran glaubte und Gebete dazu sprach). Das Kriechen unter dem Flagstone von Ardmore wurde für ein Heilmittel gegen Kreuzweh gehalten.

Auch in Österreich können wir einige feine Beispiele für die alten Durchschlupfbräuche zu Heilzwecken finden. Klassisch ist die sog. Bucklwehlucka in St. Thomas in Oberösterreich. Hoch über der Landschaft des Waldviertels wölbt sich der weithin sichtbare Blasenstein. Er ist in zwei Teile zerbrochen und durch die entstandene Spalte gilt es sich 4 m weit durchzuzwängen. Wie es heißt, soll man den Durchgang nur von Osten her machen.

Eine weitere besonders besuchenswerte Durchschlupföffnung befindet sich in der Rochushöhle in der Voralpe, Niederösterreich. Am 16. August findet jährlich eine ganz schön anstrengende Wallfahrt zu Ehren des Heiligen statt. Es werden wundersame Heilungen aus den Jahren 1741 und 1760 berichtet, Rochus gilt als Pestpatron und Helfer bei Augenleiden. Den Durchschlupf erreicht man entweder über einen Holzsteg, der neben dem Höhleneingang errichtet wurde, oder über die Höhle, die mit einem Altar und Steintreppen versehen ist. Kommentar aus dem ausgelegten Buch in der Höhle: "Heiliger Rochus! Mir tut alles weh. Hilf mir, dann helf ich Dir auch!"

Von der kleinen Pfennigsteinhöhle bei Mödling vor den Toren von Wien geht die Mär, ihr Besuch helfe bei der Heilung von Krankheiten.

Vom Durchfall sollte jemand befreit werden können, so sagte man wenigstens, wenn er den Pierre Percée von Courgenay, Schweiz, durchkrochen hatte.

Außergewöhnlich ausführlich ist ein Bericht über eine Heilungszeremonie mit Durchschlupfritual aus Setonje am Fuß des Homoljegebirges auf dem Balkan. "In einem Dorf grassierte eine "allgemeine Epidemie" unter den Kindern. Das Heilungsritual bestand darin, daß auf der rechten Seite eines Eichbaumes in einer kleinen Erhöhung zuerst ein Tunnel gegraben wurde, so hoch, daß man auf allen Vieren bequem durchkriechen konnte. Der Länge nach legten sie ein breites Brett und am Tunnelausgang ein zweites der Quere nach. Ein altes Weib und ein alter Mann entfachten das lebendige Feuer - auf beiden Seiten am Tunnel. ... Eine Bauersfrau stand an einem großen Topf mit Milch..sie reichte jedem mit einem Holzlöffel etwas in den Mund..auf der anderen Seite stand ein Topf mit zerlassenem Schweinefette, in dessen Oberfläche sich jeder Hindurchkriechende besah. Sodann machte eine dritte Bäuerin mit einem Holzkohlenstück ein Kreuz auf den Rücken. Als alle hindurchgekrochen waren, legte ein jeder von den glühenden Kohlen einige in einen Topf und eilte nach Hause, um an diesen glühenden Kohlen das Feuer am Herde anzuzünden; sodann warfen sie dort etwas von der Holzkohle in ein Gefäß mit Wasser und tranken davon, um vor der Epidemie gefeit zu sein.."

2) Sexualität und Erotik

Von vielen Durchkriechstellen wurde gesagt, ihre Durchquerung hätte etwas mit Lust und Fruchtbarkeit zu tun. Das gilt vom Nadelöhr im Harz genauso wie von der Pfennigsteinhöhle in Niederösterreich, vom Lochstein in St. Wolfgang bei Altenmarkt wie der Cista mystica in Eleusis.

Besonders in Asien gibt es zahlreiche Höhlen und Durchkriechstellen, die damit in Verbindung gebracht werden. R.A. Stein hat darüber eine sehr ausführliche Arbeit veröffentlicht. Es gibt sowohl Schlufstrecken in Höhlen (Bya-dor, amdo, Tibet), Durchkriechstrecken unter Statuen (Chabahil bei Katmandu, Nepal), unter Stupas(Tham Wat Silaat), durch Säulen (Todaiji, Nara, Japan)... Es wird berichtet, daß einige dieser Durchkriechstellen, die in geschlossene Innenräume führten und den Namen "Grotte de la Mere" tragen, von den Gläubigen nackt bewältigt werden mußten. Im Innenraum, der oft als "Uterus" bezeichnet wurde, mußte man sich 9mal zu Boden werfen, auch Spenden zurücklassen, und dann mit dem Kopf nach vorne wieder herauskriechen.

In diesen Ritualen vermischen sich verschiedene Elemente: Förderung der Fruchtbarkeit sowohl bei Mann als auch Frau, Tod und Wiedergeburt. Maria Gimbutas berichtet von Beobachtungen, daß in der Steinzeit Engstellen, ovale Öffnungen, Klüfte und kleine Nischen in Höhlen vollständig mit roter Farbe markiert worden seien. Stein beschreibt verschiedene Höhlen aus Asien, deren Eingänge als "Yoni" gestaltet worden sind, besonders im Tantrabuddhismus - alles Zeichen dafür, daß die erotische Komponente der schmalen Erdöffnungen bewußt wahrgenommen wurde.

Daß das Durchkriechen öfters auch etwas Sexuell-Erotisches an sich hat, sei an zwei weiteren Beispielen gezeigt. Zur Prüfung der Treue einer Frau oder der Keuschheit eines Mädchens mußten Frauen im Dom zu Ripon/GB durch einen besonderen Lochstein. Sein Durchkriechen galt als eine Art Gottesurteil, um beide Kriterien zu prüfen. Leider finden sich in der Literatur keine Einzelheiten. Das geschah wohl nicht in aller Abgeschlossenheit, sondern öffentlich.

Und der Anblick dieser Frauen von hinten scheint aufregend gewesen zu sein. Der eine genießt und schweigt, der andere regt sich öffentlich darüber auf. Jedenfalls ist von einem Philip Dixon-Hardy folgendes überliefert: "He was horrified at the sight of the girls' legs, generously displayed in the process". Passiert ist das am St. Declan's Day, dem 24. Juli, beim jährlichen Brauch unter dem Flagstone von Ardmore/Irl. durchzukriechen. Dazu paßt nur noch ein weiterer englischer Ausspruch: "When lovely women stoop to folly...".

Beim Dörfchen Sernancelhe in Nordportugal gibt es jeweils an den Sonntagen im Juli und August eine besondere Marienwallfahrt. Dazu zwängen sich die Gläubigen durch einen Felsspalt der als "Löchlein, Spalte oder Schlitz unserer lieben Frau" bezeichnet wird.

Beim Kirchlein von Ayios Stephanos auf Zypern steht ein Stein mit einem rechteckigen Loch drin. Von ihm gibt es die alten zyprische Sage, daß der Ehemann einer untreuen Frau nicht mehr durch eine solche Lücke schlüpfen konnte - "wegen der Hörner, die sie ihm aufgesetzt hatte". Auf dieser Insel soll es übrigens 50 Lochsteine geben - alles kleine Prüfstrecken für die Treue der Frauen?

3) Kinderkriegen, Geborenwerden

Bei dem hohen Risiko früher, das sowohl für Mutter als auch Kind bei einer Geburt bestand, braucht es nicht zu wundern, daß Frauen zu Durchschlupfen gepilgert sind, um für eine glückliche Geburt vorzusorgen. Das ist uns z.B. vom Durchkriechgang bei St. Wolfgang/ Salzkammergut überliefert.

Daß das Durchschlüpfen Assoziationen mit Geburt und Höhle weckt, soll an drei Beispielen gezeigt werden. B. VAN RANSBEECKs Granitskulptur "Roddelbron" zeigt eine alte Frau, die aus einer vaginaförmigen Öffnung herauszudrängen scheint. Sie stammt aus dem Jahre 1985 und war auf der Ausstellung "REFLETS DE PIERRE" 1989 bei Schauhöhle Han-sur-Lesse in Belgien ausgestellt. Das SZ-Magazin No. 21 vom 26.5.1995 präsentierte auf dem Titelbild eine neue Arbeit von Cindy Shermann. Der glitschig-feucht aussehende Kopf eines Erwachsenen scheint aus einer vaginalen Öffnung herauskommen zu wollen, die jedoch hoffnungslos zu klein scheint. Eine sehr ungewöhnliche literarische Darstellung der Geburt stammt aus der Feder von Ross Ellis, einem australischen Höhlenforscher. Sie ist im Anhang abgedruckt und schildert den Geburtsvorgang als erste Schlufhöhlenbefahrung.

In diesen Bereich fällt dann auch das Wiedergeborenwerden. "In einigen indischen Königreichen mußten hohe Beamte, die als Diplomaten im Ausland gearbeitet hatten, bei der Heimkehr zur Reinigung eine ritualisierte Wiedergeburt erleben. Ähnlich war es, wenn Menschen nach Hause zurückkehrten, die man fälschlicherweise für tot gehalten hatte. In beiden Fällen mußten sie durch große Nachbildungen einer Vagina kriechen oder eine Nacht in einer künstlichen Gebärmutter verbringen. Diese wurde zum Beispiel durch eine große Tonne symbolisiert, die mit einer Art Gleitmittel beschmiert war. Oft war das Fass mit Öl eingefettet oder einhielt etwas. Wasser." (Bartens 174)

4) Initiation

 

Durchkriecheingang in ein Zeremonienhaus der Abelam in Papua Neuguinea, verwendet für Initiationsriten, heute im Museum der Kulturen, Basel

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5) Reinigung der Seele, Abstreifen von Sünden, Zurücklassen der Vergangenheit

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6) Verjüngung

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7) Umgang mit dem Tod

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8) Erreichen außergewöhnlicher Bewußtseinsebenen

Susan Sontag sagte einmal in einem Interview: "Nicht alle blitzartigen Erscheinungen sind zwangsläufig fragmentarischer Natur. Eine Epiphanie ist kein Fragment. Ein Orgasmus ist kein Fragment. Natürlich gibt es zeitlich begrenzte Zustände, die außergewöhnlich intensiv sind und einen auf eine andere Bewußtseinsebene zu heben scheinen oder einem Zugang zu etwas verschaffen, das man vorher nicht kannte. Der Zugang mag, um ein Bild aus dem Alten Testament zu benutzen, ein Nadelöhr sein, eine winzige Öffnung - dort hindurchzugehen ist, wenn Sie so wollen, eine Art Aufblitzen, aber was folgt, ist etwas anderes..." Sontag, The Doors 73

aus: Susan Sontag, The Doors und Dostojewski, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2. Auflage 2014

 

Für die bestimmte gelochte Steine wurden auch schon andere Zwecke bestimmt:

- Steinhammer

- Keulenkopf ("Totschläger", Nussknacker..), siehe: Rieder 2021


"In Ägypten gab es einst ein bizarres Ritual für Frauen, die vergeblich versucht hatten, schwanger zu werden. Dazu wurden die enthaupteten Leiber hingerichteter Verbrecher auf eine Steinplatte gelegt und gewachsen. Das Blut und das schmutzige Wasser fing man in einem Trog auf, unter dem die Frauen in einer ausgeklügelten Reihenfolge durchkrochen, bevor sie sich das Gesicht in der Brühe aus Blut und Wasser wuschen."

aus Bartens, Werner, Herrmann, Sebastian, Herrlich eklig!, Knaur, München 2009


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