Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Kannibalismus und Höhle

  aus Zimmermann


Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern, Fränkische Schweiz

Landschaft und Höhlen am Kyffhäuser


"Nur ein entscheidender Fund schien darauf hinzuweisen, daß in einzelnen Stämmen auch jene Ureuropäer Kannibalen gewesen. Im Jahre 1842 nämlich entdeckte Prof. Spring in Lüttich in der Höhle von Chaveaux bei Namur eine Menge Knochen von Menschen und Tieren, in der Tropfsteinmasse eingebacken. Die Tierknochen stammten vom Hirsch, Ochsen, Damhirsch, Eber, Hund und Hasen. Zusammen mit diesen fanden sich nun eine Menge Menschenknochen, z:B. in einem einzigen Kalkstück fünf menschliche Kinnbacken,, außerdem Schienbeine, Ellbogen, Finger, Rippen usw. Die Knochen waren zum Teil angebrannt, die Röhrenknochen aufgeschlagen zur Gewinnung des Warks, also zweifellose Mahlzeitrest. Auffallenderweise stammten sie alle von jungen Mädchen und Kindern, kein einziges von einem Manne oder einer erwachsenen Frau.Auch hier war also Leckerei im Spiele.Spring fand, daß es eine Rasse war von kleinem Wuchs, von der Größe von Lappen und Eskimos, mit zurückfliehender Stirn, breiten Nasenlöchern und dabei Schiefzähnen." Dieses Zitat stammt aus dem "Rulamann", S. 252. 

Kaum hatte man die ersten Knochen früherer Menschen gefunden, da wurde das Loch des großen Unwissens über diese unsere Vorgänge gleich mit negativen Analogien und Unterstellungen gefüllt.....

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Wer bei Google unter "Kannibalismus und Höhle" oder "Menschenfresser und Höhle" sucht, der wird schell fündig:

- http://www.bilsteinhoehle.de/Kannibalen.htm

- https://www.welt.de/geschichte/gallery118806845/Kannibalismus-in-der-Hoehle-von-Tautavel.html

- https://www.kyffnet.de/Geologie/Karsterscheinungen/Hohlen/Opferhohlen/opferhohlen.html

- https://www.scinexx.de/news/geowissen/einige-neandertaler-waren-kannibalen/

- https://de.wikisource.org/wiki/Die_höhlenbewohnenden_Kannibalen_in_Süd-Afrika

- https://www.geopark-ries.de/staetten-besiedlungsgeschichte/hoehle_hanseles_hohl_auf_dem_m-21240/

- 09.04.2019 - Archäologen erforschten schon vor vielen Jahren, dass Neandertaler gelegentlich zu Kannibalismus neigten. Die in der Höhle gefundenen ...

-  Menschenfresser im Jura / Hersbrucker Zeitung 27.9.1988 "Unsere Vorfahren auf der Frankenalb waren Menschenfresser. Das ist keine reißerische These, sondern das Ergebnis von Ausgrabungen im Kleebergschacht..."

- Ana Kai Tangata - Die Menschfresser-Höhle auf der Osterinsel

- Höhlenbewohnende Menschenfresser in Südafrika https://de.wikisource.org/wiki/Die_höhlenbewohnenden_Kannibalen_in_Süd-Afrika

- Ein Film: Tomb Raider - Höhle der Menschenfresser / YouTube-Film

- https://www.nhm.ac.uk/discover/the-cannibals-of-goughs-cave.html


Auch in den Büchern findet sich vieles, das heute nur noch erstaunen macht. Es war wohl auch die Hochzeit des Rassismus, der wohl in der Hauptsache dazu diente, die Suprematie der weissen Rasse zu begründen. Um sich von den anderen herauszuheben, mußt nach andere niedermachen. Das tat man einmal in räumlicher Hinsicht, indem man sich auf anderen Kontinenten umsah und dort eine viele größere Primitivität ausgemacht haben wollte, und in zeitlicher Hinsicht. Sobald man ein wenig verstand, daß bestimmte Funde von unseren Vorfahren stammen könnten, wurde die als rückständig diagnostiziert. Und schnell wurden aus ein paar Brandspuren an Knochen Reste von Kannibalenmahlzeiten.

Ein Beispiee dafür: W. Boyd Dawkins, Die Höhlen und die Ureinwohner Europas (Cave Hunting im Original, übersetzt von Dr. J.W. Spengel). Da gibt es ein Kapitel "Die Höhlen von Césareda wahrscheinlich von Kannibalen bewohnt" und "Die Höhle von Reggio in Modena". Die Präsentation der Grabungsergebnisse passierte jeweils auf internationalen Kongressen für prähistorische Archäologie, mal in Norwich, mal in Paris, mal in Brüssel. Alles, was man hat, das sich Knochenhaufen. Und man hält die gleichen "Schlüsse" für gerechtfertigt, die andere auch schon gemacht haben. "Es ist wahrscheinlich, dass diese Knochenhaufen von einem Kannibalenvolke herrühren: die Beweismittel, dass Menschenfleisch hier die Hauptnahrung gebildet hat, sind ganu derselben Art wie die, mit denen man beweist, dass die Feuersteinmenschen vom Périgord von Renthierfleisch gelebt haben." 

Fruhwirth, C., Ueber Höhlen: "Die Reste des vorhistorischen Menschen bezeichnen uns denselben aber auch als Menschenfresser, wenngleich er dies nur aus Genussucht war, denn wo wir auch Reste antreffen, welche die untrüglichen Spuren einer derartigen Mahlzeit an sich tragen, geröstete und gespaltene Menschenknochen, gehören sie immer jugendlichen Individuen, Mädchen und Knaben, an. Die Funde in der Höhle von Chavaux nächst Naumur (Dr. Spring), ferner in der Höhle nächst Montesquieu-Arriège (Akademie d. W. zu Paris 1870) und andere liefern die Beweise dafür, dass der Mensch des Steinzeitalters Anthropophag war. Owen will für diese Tatsache auch für den Urbewohner Schottlands Beweise gefunden haben. Beweise, die in Zahnspuren von Kindern bestehen, welche Zahnspuren nur als von Kindern herrührend bezeichnet werden können."

1953 trug Erich Fromm in seinem Vortrag noch folgende Worte vor: ""Gewiß habe ich es heute, im Jahre 1953, nicht nötig, den Konformismus eigens zu betonen; eher wäre es notwendig zu unterstreiche, daß heute das Überleben der Gesellschaft davon abhängt, daß es noch Nonkonformisten gibt. Hätte es unter den Höhlenbewohnern nur Konformisten gegeben, dann würden wir ganz sicher noch heute in Höhlen leben und noch immer Kannibalen sein." So scheint damals noch das Bild eines sehr gebildeten Menschen von den Menschen der Vergangenheit gewesen zu sein.

Ein klassisch gewordener Ort für die "Kannibalismus"-Forschung ist die Grotta Guatari am Monte Circeo in Italien. 1939 hatten dort Arbeiter bei Erweiterungsarbeiten für eine Gastwirtschaft eine Höhle entdeckt und in ihr den Schädel eines etwa 40-jährigen Neandertalers, der dort Jahrzehntausende offen am Boden gelegen hatte. Er soll mit der Unterseite nach oben in einem Kreis von Steinen gelegen haben. Inzwischen hält man das nicht mehr für "einen Mittagstisch des Grauens" (Husemann 1964), sondern eher für die Spuren eines ehemaligen Hyänenhorstes, die eben entsprechende Spuren hinterlassen hätten.

Lange Zeit hindurch galt auch die Krapinahöhle, 40 km von Zagreb entfernt in Kroatien, als ein Ort so man auf Spuren von Kannibalismus gestoßen sei. 1899 bis 1905 hatte dort Dragutin Gorjanovic-Kramberg ausgegraben und man hatte 884 Fragmente von mindestens 20 bis 30 Individuen geborgen. Leichte Brandspuren und Schnittspuren an den Knochen wurden als Hinweise auf das nachfolgende Verspeisen von Menschenfleisch gedeutet. Auch hier gibt es heute überzeugende andere Interpretationen.

Es gab freilich immer auch Gegenstimmen. So schreibt Prof. Zittel 1872 nach der Analyse des Fundgutes der Räuberhöhle im Schelmengraben: "Vom Menschen selbst fand sich nur das Scheitelbein und Hinterhauptbein eines ganz jugendlichen Individuums vor; ein Beweis, dass unsere Höhlenbewohner auf die Beseitigung ihrer Todten bedacht waren und gewiss nicht des Cannibalismus geziehen werden dürfen." 

Einen aktuellen Blick (2010) auf das Thema werfen Conard und Wertheimer, siehe Literaturverzeichnis, wobei sie am Ende schreiben: "Kannibalismus...ist als mögliche Handlungsweise der Menschen durchaus denkbar...es sei falsch, grundsätzlich davon auszugehen, dass Kanibalismus im eiszeitlichen Europa nie existiert hätte." Vorsichtiger kann man fast nicht formulieren, daß man eigentlich nicht viel weiß, was denn die "Wahrheit" in Bezug darauf ist.

"Auslegen ist oft nur das Einlegen von Gewünschtem". 


Literatur:

Achermann, Franz Heinrich (1924): Kannibalen der Eiszeit, Walter-Verlag, Olten

Arens, William (1980): The Man-Eating Myth: Anthropology &  Anthropophagy, Oxford University Press, Galaxy Bood, Band 615

Auffermann, Bärbel, Weniger, Gerd-Christian (2016): Von Wilden Männern und Frauen, Archäologie in Deutschland 3-2016, S. 22-25

Auffermann, Bärbel, Orschiedt, Jörg (20069: Die Neandertaler - Auf dem Weg zum modernen Menschen, Theiss, Stuttgart

Behm-Blancke, G. (1958): Höhlen, Heiligtümer, Kannibalen. Archäologische Forschungen im Kyffhäuser, Leipzig

Conard, Nicolas J., Wertheimer, Jürgen (2010): Die Venus aus dem Eis - Wie vor 40000 Jahren unsere Kultur entstand, Knaus, München

Condemi, Silvana, Savatier, Francois (2020): Der Neandertaler unser Bruder - 300000 Jahre Geschichte des Menschen, C.H.Beck, München

Cormac Mc Carthy (2008): Die Straße, Reinbek bei Hamburg

Dawkins, W. Boyd (1876): Die Höhlen und die Ureinwohner Europas, Leipzig und Heidelberg, C. F. Winter'sche Verlagsbuchhandlung

Delgado, J.F.N. (ohne Jahresangabe): Commissao Geologica di Portugal. Estudos Geologicas. Da Existencia de homen no nosso solo en Tempos mui remotos provada pelo estudos des cavernas. Primeiro opuscolo. Noticea ácerca das Grutas de Césareda

Döll, Wolfgang (1989): Messenfresser im Jura, Gut Schluf 15-1989

Eppel, Franz (1963): Stationen der ältesten Kunst, Wien - München

Fagan, Brian (2012): Cro-Magnon - Das Ende der Eiszeit und die ersten Menschen, Theiss, Stuttgart

Fromm, Erich (1953): Die Pathologie der Normalität des heutigen Menschen, in: Fromm, Erich, Die Pathologie der Normalität - Zur Wissenschaft vom Menschen, ullstein, 4. Auflage 2012

Fruwirth, C. (1883): Ueber Höhlen, Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins

Gschlößl, Roland M. (2018): ...und Kannibalen gab es doch!, in: Bayerische Archäologie 2/2018, 38-45

Hellwald, Friedrich v., herausgegeben von (um 1890): Der vorgeschichtliche Mensch, Ursprung und Entwicklung des Menschengeschlehts, Leipzig

Husemann, Dirk (2005): Die Neandertaler - Genies der Steinzeit, campus, Frankfurt a.M

Kunkel, O. (1955): Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern. Eine neolithische Kultstätte auf dem Fränkischen Jura bei Bamberg. Münchner Beitr. Vor- und Frühgeschichte 5, München

Kusch, Heinrich (1993): Vom Zufluchtsort zur Kultstätte, Wien

Morizot, Baptiste (2020): Philosophie der Wildnis oder Die Kunst, vom Weg anzukommen, Reclam

Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg, Hrsg. (1996): Kulthöhlen - Funde - Deutungen - Fakten, Nürnberg

Ohrschiedt, J. (2008): Der Fall Krapina - neue Ergebnisse zur Frage von Kannibalismus beim Neandertaler, :Quartär 55 63-81

Peter-Röcher, Heidi (2018): Kannibalismus in prähistorischer Zeit, in: Bayerische Archäologie 2/2018, 18-27

Peter-Röcher, Heidi (1998): Mythos Menschenfresser. Ein Blick in die Kochtöpfe der Kannibalen, München 1998

Sade, D.A.F. (2011): Juliette, in: Breton, André, Anthologie des schwarzen Humors, Rogner & Bernhard

Voltaire (1764): Philosophisches Taschenwörterbuch. Nach der Erstausgabe von 1764 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt von Angelika Oppenheimer, Reclams, 2021

Weinland, D.F.: Rulaman, 20. Auflage, Berlin

Wragg Sykes, Rebecca (2022): Der verkannte Menschen, Goldmann, München

Zimmermann, W.F.A. (1864): Der Mensch, die Räthsel und Wunder seiner Natur, Ursprung und Urgeschichte seines Geschlechts, Berlin

Zittel Prof. Dr. K. A. (1872): Die Räuberhöhle am Schelmengraben, in: Sitzungsberichte der kgl. Akademie der Wissenschaften zu München

Links:

http://www.osterinsel.de/09-ana-kai-tangata.htm

https://de.wikisource.org/wiki/Die_höhlenbewohnenden_Kannibalen_in_Süd-Afrika

Höhlenmensch, Höhlenforscher, Höhlen sonst etwas


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