Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Höhle und Träume


Schlaf / Schlafplätze und Höhle


"Was kann man gegen Narzißmus des Verstandes und der Psyche tun? Der Körper tut schon etwas: Wir schlafen und wir träumen. Dies kann man weiter unterstützen durch Tagträumen, Meditieren oder Nichtstun oder, in extremen Fällen, eine Psychotherapie machen. Träumen oder Meditieren sind Formen von Denken, Denken in tieferen Regionen des Fraktals."

Gerd Binnig, AUS DEM NICHTS - Über die Kreativität von Natur und Mensch, Serie Piper, München, 4. Auflage, 1992


"Im Traum wie im Beischlaf umarmen wir Phantome." Octavio Paz

"Ein König ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt". Hölderlin

"Ein Mensch darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele, was Nahrung für den Körper bedeutet." Paul Coelho, Auf dem Jakobsweg

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Die "Sägezahnmesser-Episode" mit Hans-Peter Orth zählt für mich zu den klassischen Anknüpfungspunkten zum Thema. "Höhle und Träume".

"Wir lagen friedlich schlafend in unseren Schlafsäcken im Eingangsbereich des Frauenofens im Tennengebirge. Plötzlich gellten laute Schreie durch die Nacht: "Ein Sägezahnmesser, ein Sägezahnmesser..." Erst einmal verzog ich mich tiefer in den Schlafsack zurück, der verhieß ja fürs erste mehr Schutz, als sich zu regen. Dann kam Bewegung in die Szene ringsherum. Die Quelle der Schreie wurde ausgemacht - HPO. Taschenlampen leuchteten auf, die Schreie verstummten. HPO wachte auf, erholte sich von seinem Alptraum. Er hatte sich im Traum rettungslos in seine Hängematte verstrickt, sah keinen anderen Ausweg mehr, als laut um Hilfe zu rufen. Dabei hing der Arme ganz friedlich in seiner echten Hängematte ganz gut und wesentlich wärmer als wir auf dem Boden. Einen schönen Schrecken hatte er uns allen damit eingejagt."

Ein anderes Mitglied des Vereins für Höhlenkunde in München, sein Name sei hier nicht genannt, träumte eines nachts, daß er in einer verzwickten und in einen senkrechten Schacht abbrechenden Höhle in große Schwierigkeiten geraten war. Die einzige Möglichkeit, sich daraus zu retten, bestand darin, durch einen gewagten Sprung auf die andere "Schachtwand" eine dort sichtbare Öffnung zu erreichen. Er tat das auch, wortwörtlich, und sprang nachts übers eheliche Bett hinüber an das Nachtkastl seiner Frau, die natürlich davon erwachte, genauso wie der Träumer.

Hier ist etwas passiert, was sich normalerweise nicht ereignet. In unseren Traumphasen sind, so hat natürlich auch die Wissenschaft festgestellt, unsere Muskeln abgeschaltet, so daß wir das, was wir träumen, nicht auch physisch ausreagieren, außer in seltenen Ausnahmen - wie beim Schlafwandeln, oder, wie in unserem Fall.

Diese zwei Beispiele haben hoffentlich gezeigt, daß dieses Thema auch für die "Höhlenforscher" interessant ist. Für alle, die normalerweise nur über die "Schauhöhlen" mit "Höhlen" in Berührung kommen, sind die "Höhlenträume" auch relevant, manchmal gar weichenstellend.

So wird berichtet, daß der für die Entwicklung der Psychologie als Wissenschaft sehr wichtige Traum Jungs von einer Felsenhöhle, den er Freud während einer gemeinsamen Amerikareise im Jahre 1909 erzählte, entscheidende Wirkung auf deren Verhältnis gehabt habe. Jung stieg in diesem Traum in einem Haus immer tiefer. Der letzte Teil des Traums lautet so: "Ich untersuchte den Fußboden, der aus Steinplatten bestand. In einer von ihnen entdeckte ich einen Ring. Als ich daran zog, hob sich die Steinplatte, und wiederum fand sich dort eine Steintreppe. Es waren schmale Steinstufen, die in die Tiefe führten. Ich stieg hinunter und kam in eine niedrige Felshöhle. Dicker Staub lag am Boden, und darin lagen Knochen und zerbrochene Gefäße wie Überreste einer primitiven Kultur. Ich entdeckte zwei offenbar sehr alte und halb zerfallene Menschenschädel. - Dann erwachte ich."

Über der Interpretation dieses Traumes zerbrach die Beziehung zwischen Jung und Freud!

Es wäre höchst interessant noch viel mehr dieser "Höhlenträume" einmal zusammenzutragen und zu überlegen, was sie bedeuten könnten. Dazu müßte man sie aufschreiben und jemandem übermitteln.

In der "Tagungsmappe 1995" der Arbeitsgemeinschaft HÖREPSY findet sich schon ein Versuch, einmal das vielfältige Material zu sichten und auszuwerten.

Aber täglich wird neu geträumt. Wer seine Höhlenträume mitteilen will, kann mir ja ein Email schicken, was bislang, leider noch nicht von niemandem geschehen ist.... Träumen wir weiter....

Von einem klassischen Höhlentraum gibt es schon Aufzeichnungen von Tacitus im 16. Buch seiner "Annalen", das die Jahre 65 und 66. n. Chr. umfaßt. Der Kaiser Nero hatte einen Traum, der ihm von dem Punier Caesellius Bassus so interpretiert wurde: "Auf seinem Felde gäbe es eine Höhle von unermeßlicher Tiefe, in welcher eine große Menge Gold enthalten wäre, und zwar nicht ausgeprägt als Geld, sondern in roher altertümlicher Masse. Überaus schwere Platten lägen nämlich da, und daneben ständen auf der anderen Seite Barren".
Sogleich begann die Suche nach den Schätzen, erst durch Soldaten, später habe auch das Landvolk sich angestrengt. Es wurde berichtet, daß Bassus nach dem Fehlschlag Selbstmord begangen hätte, andere erzählten, er sei gefesselt worden und später wieder freigelassen, nachdem man ihm seine Güter abgenommen habe.

Besonders viel über das Träumen in Höhlen kann man den Aufzeichnungen von Véronique Le Guen entnehmen, die zu einem fast 4monatigen Aufenthalt in einer französischen Höhle war. Man wollte gründlich erforschen, wie es einem Menschen ergeht, wenn er lange alleine in der Umgebung einer Naturhöhle bleibt. Ihr Bericht enthält zahlreiche Anmerkungen: Einige Beispiele daraus.

Seite 62: Ich befindet mich in der Valat-Nègre-Höhle. In meinem Zelt. Ich erkenne die unterirdische Landschaft, in der ich zur Zeit lebe. Seltsamerweise kommen zwei Besucher zu mir, Thierry und ein Mädchen, das ich nicht erkennen kann. Francis ist schon bei mir. Mir ist unbehaglich zumute, denn ihre Gegenwart bedeutet einen Bruch. In der Ferne tauchen drei kleine Jungen auf, und einer feuert einen Schuß an die Höhlendecke ab. Es gibt ein sprödes Klatschgeräusch. Wir schauen hoch und erkennen einen Riß, der das Deckengewölbe der Länge nach entzweiteilt. Wir suchen im Zelt Zuflucht, und ich schiebe meine Freunde unter den Stoffbaldachin, damit wir besser sehen, wo die Felsbrocken hinfallen, di emit entsetzlichem Getöse herunterstürzen. Plötzlich stehen wir wohlbehalten im strahlenden Sonnenschein. Der "unterirdische Camp" liegt im hellen Tageslicht. Mir wird klar, daß mein Aufenthalt damit zu Ende ist, und diese drei Früchtchen sind schuld Noch bin ich nicht schockiert. eine Nacht vergeht. Am nächsten Tag gehen wir zur Grotte zurück, und dabei kommen wir an einem riesigen Markt vorbei, wo man uns Gemüse und Obst anpreist. Ich kaufe einen großen Pilz, der einen Durchmesser von 50 Zentimetern haben dürfte, und fange an ihn zu schälen, während ich weiter Richtung Höhle gehe, die jetzt eine in zwei Teile geschnittene Riesentomate ist. Jetzt überkommt mich eine ungeheure Angst, denn mir wird bewußt, daß das Experiment ein Fehlschlag wird... Da wache ich auf."

Seite 78 Wie immer wache ich mitten in der Nacht auf, um Wasser zu lassen, und wie immer sehe ich vor mir, was ich soeben geträumt habe. Diesmal ist es nichts Trauriges. Es ist ein erotischer Traum, der in sonnenbeschienener Natur spielt. Junge Mädchen, unter den ich bin, in Begleitung junger Männer, unter denen Francis ist. Wenn letztere auch nur leicht bekleidet sind, so sind sie doch nicht schlecht bestückt. Alle wollen einander nur Gutes tun, und sie zeigen es sich. Es regt sich etwas, und auch ich ruhe nicht. Und nachdem ich mich wieder ins Bett gelegt habe, setze ich den Traum in die Tat um.."


Im Januar 2010 habe ich ein Seminar der Evangelischen Akademie Tutzing unter dem Motto "Mein Traum" besucht. Das hat einen starken Impuls in mir ausgelöst, das Thema wieder "auszugraben", weil es einfach wichtig ist. Der Originalvortrag hat nie stattgefunden, weil damals das Mittagessen dazwischen gekommen ist. Es war gerade fertig, als ich mit dem Reden anfangen wollte. Das Essen ging vor und so wurde noch nie ein Höhlenvortrag zu "Träumen und Höhle" bislang gehalten. Dabei ist das Thema so ergiebig....

2011 war es endlich so weit. Die Arbeit an dem Thema "Träume und Höhle" geht natürlich weiter. Eine neue Fundstelle:  "Ich lag auf der Erde, schwer. Langsam begann ich, einzusinken, tiefer, bis sich das Erdreich über mir schloß. Ich war nicht in Panik. Ich ließt mich einfach immer weiter sinken..." Wer mehr lesen will, muß das schon in Peter Erlenweins Buch tun.

"Freud..wie er ausführlich in seinem berühmten Buch Die Traumdeutungvon 1899/1900 darstellte, nahm er an, dass der Inhalt der Träume unbewusste unbewältigte Grundkonflikte und verdrängte Bedürfnisse in "verkleideter" Form darstellt. Träume sind aus neurobiologischer Sicht aber Produkte des assoziativen Cortex - das lässt sich mit Hilfe bildgebender Verfahren zeigen - und werden durch aktuelle Anlässe, die berühmten "Tagesreste" Freuds, von sensorischen Reizen während des Schlafs und von Inhalten des Erlebnisgedächtnisses (also des Vorbewußten) in ihrer konkreten, oft bizarren Ausgestaltung bestimmt. Selbstverständlich unterliegen auch sie unbewussten Erregungen von limbischen Zentren außerhalb der Großhirnrinde, etwa der Amydala." Roth, Über den Menschen 251


In dem berühmten Roman von Marcel Proust "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" findet sich ziemlich am Anfang eine Passage, die ziemlich ausführlich eine Traumsituation beschreibt, in der auch ein "Höhlenmensch" vorkommt:

"Aber in meinem eigenen Bett genügte es schon, dass mein Schlaf tief war und meinen Geist gänzlich entspannte; dann entglitt ihm die Lage des Ortes, an dem ich eingeschlafen war, und wenn ich mitten in der Nacht erwachte, wusste ich nur nicht, wo ich mich befand, sondern sogar auch im ersten Augenblick nicht, wer ich war; ich hatte lediglich, in seiner ganzen urzeitlichen Natürlichkiet, jenes Gefühl bloßen Daseins, wie es in der Tiefe eines Tieres beben mag; ich war hilfloser als ein Höhlenmensch, aber dann kam die Erinnerung - noch nicht an den Ort, an dem ich mich befand, aber doch an einige von denen, die ich bewohnt hatte und an denen ich sein könnte - über mich wie Hilfe in höchster Not, um mich aus dem Nichts zu ziehen, aus dem ich allein nicht hätte herausfinden können; ich flog in einem Augenblick über Jahrhunderte der Zivilisation hinweg, und das verschwommen wahrgenommene Bild von Petroleumlampen, dann von Hemden mit Umlegekragen, fügte Schritt für Schritt die ursprünglichen Züge meines Ichs wieder zusammen." S. 12


Aus: Eva Menasse, Dunkelblum, S. 168 "Im Schlaf fiel sie, wie öfter in letzter Zeit, tief in ein verzweigtes Höhlensystem hinein. Der Fall dauerte so lang, dass sie währenddessen genügend Zeit hatte, die Angst zu überwinden und sich zu sagen, dass sie vom Aufprall nichts spüren würde. Auf diese Weise wurde der Sturz nach einigen Augenblicken, die auch Minuten hätten sein können, fast schön, ein rasend schnelles freies Fallen, gegen das man sich nicht wehren konnte und das mit einem blitzartigen, schmerzlosen Tod enden würde. Aber wie die Male zuvor landete sie einfach und befand sich in jener finsteren labyrinthischen Höhle. Sie wusste nicht, wo der Ausgang lag. Sie tastete sich voan, öffnete schwere Türen mit Schwanenhalsklinken, wie es sie auch im Schloss gegeben hatte. Irgendwann drehte sie sich um, weil sie hinter sich etwas hörte, und ihr grinste eine Fratze entgegen, viel größer als ein menschliches Gesicht. Das warder Horka, das Gesicht so groß wie ein Ballon. Da schrie sie auf und erwachte.
Sie lag im Bett und lauschte. Sie meinte ihren eigenen Schrei gehört zu haben.Draußen war es still. Die Höhle in ihrem Traum sah ein wenig aus wie die Stallungen unter dem Schloss,da, wo damals die Zwangsarbeiter untergebracht waren..." 


Literatur:

Erlenwein, Peter Reise in die Mitte des Kreuzes, Ararche Verlag, Inning 1993
Fletcher, Susan Alphabet der Träume, dtv, München 2006
Franke, Herbert  Astronautik, Aquanautik und Speläonautik, Vereinsmitteilungen Salzburg 1-1969
LeGuen, Veronique Allein mit der Angst, Heyne-Verlag 1994
Liessmann, Konrad Paul Alle Lust will Ewigkeit - Mitternächtliche Versuchungen, Zsolnay, Wien 2021
Lindenmayr, Franz Höhlen und Träume, Der Schlaz 78-1996, S. 51-63
Lindenmayr, Franz Träume und Höhlen, Arbeitskreis Höhle, Religion und Psyche, Tagungsmappe 1995 mit allen Ergänzungen, München 1996
Lindenmayr, Franz Träume und Höhlen 2, in: Interessengemeinschaft Höhle-Religion-Psyche,  Tagungsmappe 2011, Gröbenzell 2011
Menasse, Eva Dunkelblum, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021
Proust, Marcel / Übersetzung B.J. Fischer Auf der Suche nach der verlorenen Zeit / 1 Auf dem Weg zu Swann, Reclam, Ditzingen 2017
Roth, Gerhard Über den Menschen, Suhrkamp, Berlin 2021
Schnabel, Ulrich muße - Vom Glück des Nichtstuns, Blessing-Verlag, München 2010
Triller, A. Höhlenträume, Der Schlaz 33-1981, S. 10
Vornatscher, Josef Zwei Kaiser als Höhlenforscher, in: DIE HÖHLE 2-1976, S. 73ff.

Links:

https://www.projekt-gutenberg.org/irving/schlafho/schlafho.html Washington Iring, Die Legende von der Schlafhöhle    /    Projekt Gutenberg

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