Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Gustave Courbet als Maler von Höhlen und ....(den Ursprüngen von uns allen)
Grotte Sarrazine - als Gemälde im musée Courbet und als eigenes Photo aus dem
Jahre 2013
"To paint a landscape, you have to know it. I know my country, I paint it." G. Courbet
"Ich...wurde ergriffen von dem überlegenen Schweigen der Bilder..Courbets.." P. Handke, Saint-Victoire 26
"Der Realismus will per se immer etwas richtigstellen....Nein, es ist nicht so, sondern so.." Barner, Courbet 78
Gustave Courbet wurde 1819 in Ornans geboren. Zeit seines Lebens, das er später hauptsächlich in Paris verbracht hat, kam er wieder in seine Heimatregion zurück, insbesondere im Herbst, wenn Jagdsaison war. Er zählt heute zu den bedeutendsten Malern des 19. Jahrhunderts, nicht zuletzt weil er mit den vorherrschenden akademischen Stilrichtungen seiner Zeit bracht und seinen eigenen Weg ging, der heute mit "realisme" bezeichnet wird. Für ihn bestand der darin, Ideale zu verneinen. "Die Kunst sollte sich aus sichtbaren Dingen zusammensetzen und nicht aus einer Idee in der Vorstellungen entstehen."
Cezanne erkannte in Courbet "die große Geste und die pompöse Manier der Meister." (zitiert nach Handke 27)
"Sich mit den Dingen auseinandersetzen", das tat Courbet auch, in dem er viele Gemälde schuf, die Eingänge zu Höhlen zeigen. Es sind so viele, daß David N. Brison in einer noch unveröffentlichten Arbeit darüber zu dem Schluß kommt, daß er der bedeutendste Maler von Höhlen aller Jahrhunderte vor dem 20. Jahrhundert ist. Um das Jahr 1838 ist wohl das erste Gemälde von ihm geschaffen worden, auf dem eine Höhle im Hintergrund zu sehen ist: "Le peintre et son modèle", ausgestellt im musée Courbet.
In 48 Gemälden hat er Anklänge an das Höhlenthema entdeckt, die hauptsächlich aus zwei Motivgruppen bestehen. Die Eingänge zu Karstquellhöhlen im Jura hatten es ihm besonders angetan: die Source de la Loue und die Grotte Sarazine gibt es in mehreren Versionen, auch die Source du Lison hat er gemalt.
source de la Loue
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Fotos Lindenmayr | |
2014 an der Louequelle - aufgepeppt durch Staffelei, Malerpalette udn Bildvorlage |
Eine ausführliche Analyse des Bildes gibt es in "Courbet - Ein Traum von der Moderne", erschienen anläßlich der Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt 2011. Es lohnt sich das Original aus dem Hörbuch anzuhören.
"Sich im Akt des Malens in die Natur zu versenken, das bedeutete für Courbet neue Kraft.....eine Symphonie aus Braun- und Grüntönen... aus einer Höhle, die tief ins Berginnere reicht, tritt sie ans Licht ....Courbet konzentriert sich auf das Wuchtige der Felsblöcke direkt über der Höhle, er scheint den Betrachter in die Tiefe der Grotte hineinzulocken..... Genau dies ist das Neue an Courbets Malerei...die Nähe zu den Elementen der gemalten Landschaft, der Impuls ins Innere der Natur vorzudringen. Für Courbet war die Höhle ein Sinnbild der Urnatur, der Fruchtbarkeit und wohl auch der Sexualität...... Er entwickelt ein malerisches Verfahren... ja, das die Moderne vorweg nimmt... Er löst die Materie auf... verselbständigt die Farbe..."
Der zweite Schwerpunkt seines "Höhlen"-Oeuvres sind die Klippen von Etretat. In der Felswand links von der berühmten Porte d'Aval ist der große Eingang in den Trou à l'Homme auszumachen, eine etwa 50 m lange Höhle.
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Detail aus einem Etretatbild
> Trou de l'homme |
Das "musée Courbet" in Ornans zeigt in aufwendiger Weise einen wichtigen Ausschnitt aus dem Werk von Courbet. Es ist heute eingebettet in ein ganzes Tourismuskonzept, zu dem beispielsweise auf die "sentiers Courbet" gehören, wo man spaziergängerischerweise zu einigen Orten wandern kann, die Niederschlag auf Gemälden Courbets gefunden haben.
Hinzuweisen ist da auch auf ein Gemälde, das als Reproduktion im
Museum hängt, das von Kritikern schon als sein " berühmtestes und wichtigstes
Werk" bezeichnet wurde, "l'origine du monde" - das hier erwähnt werden soll,
weil es ein Brückenschlag zum Spezialgebiet "Körper und Höhle" der Anthropospeläologie ist.
Auch anderen Betrachtern der Bilder Courbets ist diese Affinität aufgefallen. So
schreibt James Rubin: "One might further suggest that many of Courbet's
landscapes can be seen as 'feminized' places of yearning and desire, nurturing
and physically fulfilling, that empowered his sense of masculinity - places of
security where he felt particularly loved and free, places without repressive
authority" (S. 244). Und in einem erleuchteten Moment stellt er dann vielleicht
gleich das dar, worum es im Grunde geht und nicht nur das sublimierte
"Ersatzobjekt"?
Ornans an der Loue im Original und als Courbetbild | ||
Im musée | ||
l'orgine du monde | ||
2014 andere Beleuchtung, andere Wirkung |
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Ein wunderbarer Beitrag zum Thema "Zufall und Höhle" ist folgender - und ich frage mich, wie all die Gläubigen an die Determiniertheit der Welt und all der Geschehnisse auf ihr, das mir erklären wollen: Vielleicht damit, daß das einfach "in der Luft hing". Was auch immer das sein sollte.
Ich bin auf das Gemälde "origine du monde" von Gustave Courbet
gestoßen und trieb diesbezüglich meine "Forschungen" vorwärts. Ich kannte
niemanden, der sich nur im Entferntesten damit schon einmal in Berührung
gekommen wäre. Schon einmal gar nicht in "Höhlenforscherkreisen". Mein
Pauluserlebnis habe ich auf dem UIS-Kongreß in Brünn 2013 gehabt. Ganz beiläufig
erwähnte ich mein Interesse an Courbet - und er war wohl sehr überrascht. David
hatte sich damit schon lange sehr intensiv damit beschäftigt und bereitet eine
große Publikation darüber vor. Schließlich hat er herausgefunden, daß es keinen
Maler gibt, der mehr Höhlenmotive in seinem Ouevre hat. Ich hatte keine Ahnung
von diesem Fakt, er schon. Ich kam ja aus einer ganz anderen Ecke.
Und nun die Clou. Auf einer Höhlentour zu den Felsdächern und Minihöhlen des
Pfälzer Waldes im November 2013 erzählte ich ganz nebenbei Erich Knust von
meinem Interesse an Courbet. Und bei ihm ging, bildlich gesprochen, sofort ein
grünes Lämpchen an. Für die Jubliläumspublikation der Karlsruher Höhlenforscher
hat Renald Soyeaux einen Beitrag vorbereitet zum Thema: "Gustave Courbet und die
Höhlenforscher - Französischer Jura auf Gemälden und aus heutiger Sicht".
Jede Veränderung hat eine Ursache - so hieß die erste, sehr naive Anfangshypothese für die Erklärung aller Vorgänge auf unserer Erde. Der Laplacesche Dämon war eine klassische Ausformung dieser Idee. Alles ist wohl viel komplexer, als sich unsere Vorvorderen sich das einmal zusammengereimt haben. Und doch ist es doch höchst reizvoll, noch immer genau hinzuschauen, was alles passiert und was für einen Reim wir uns noch darauf machen.
Lost in space?
Eine für mich höchst unerwartete, aber wohl im Grunde dieses Urthemas schlummernde Protuberanz findet gerade statt.
Im Museum in Ornans zeigt man zwischen dem 7. Juni (ich war am 9. Juni dort - was für ein Zufall! Tage vorher fand in L'Isle-sur-le-Doubs ein Höhlenforscherkongreß statt! und da hingen an der Wand diese beiden Poster) und dem 1. September 2014 die Ausstellung "Cet obscur objet de désirs, autour de L'Origine du monde". Zu der Ausstellung sind zwei Bücher erschienen, wohl noch erhältlich sind.
Beim Besuch sind mir drei Dinge aufgefallen: Die Ausstellung
darf nur von Menschen besucht werden, die mindestens 16 Jahre alt sind.
Jugendschutz! Wenn ich an die Frauen denke, die mit einer Burka ihr Leben lang
nur herumlaufen dürfen, weil das ihr "Mann" von ihnen verlangt - und dann der
freie Blick auf den intimsten Teil einer unbekannten Frau. Weiter könnten die
Lebenspositionen nicht von einander entfernt sein. Der Besucherandrang. Im
übrigen Museum hielt sich die Zahl der Besucher sehr in Grenzen. Aber jenseits
der Pforte, wo es in diese sehr spezielle Ausstellung ging, da waren auf einmal
viele Leute. Viele Leute, die sich ganz ordentlich in eine Reihe anstellten, um
irgendwelche kleinen Bildobjekte im Original ausführlichst studieren zu können.
Es gibt ein gutes Buch dazu, da sind alle Dinge präzis dargestellt und
beschrieben. Berühmte Namen tauchen da auf, Magritte, Ingres, Dürer. Das Bild
von Courbet scheint ein Angelpunkt der Kunstgeschichte zu sein. Wollte man
vorher eine Abbildung des weiblichen Geschlechts sehen, so mußte man in die
Großfolianten der Medizin schauen, wo es präziseste Darstellungen der "Vulva" ja
längst gegeben hat. Aber wer bekam die schon zu Gesicht? Das Bild hatte Folgen, und die kann man in einer spannenden Serie von Beispielen
in Ornans sehen, von Balkenhol bis Helmut Newton. (Für Nachzügler gibt des den
Katalog!)
Wer meint, mit dem beschränkten Areal der Spezialausstellung hätte es schon
alles im Museum zu diesem Thema gesehen, der irrt! "Es irrt der Mensch, solang
er strebt." Ein Spruch von Goethe, der alte Meister. Irgendwo, und doch ganz
zentral, hängt ein Schaukasten, oben drauf Masson, drinnen Courbet. Viele sehen es
wohl gar nicht - und handeln auch nicht passend, also den Deckel hochheben und drunterschauen, das
trauen sich nicht viele. lch schreibe auch nicht "noch", denn ich zweifle sehr
an der "Verbesserbarkeit" von uns Menschen. In "Sternstunden" vielleicht.
cet obscur objet de désirs autour de l’origine du monde
Es soll über 40 Gemälde on Courbet geben von einen noch sehr
ursprünglichen Stück Natur in der Umgebung von Ornans, de Ravin du Puits Noir. "Puit",
das macht neugierig. Ein Schacht? In der französischen Sprache ist das nur eine
mögliche Bedeutung, es kann auch zum Beispiel eine Schlucht sein. Das ist hier
der Fall. Aber gibt es vielleicht dort nicht auch eine richtige Höhle, die
vielleicht zufällig ins Bild "gerutscht" ist als schwarzer Fleck irgendwo auf
dem Bild? Tatsächlich, es gibt eine echte Höhle, aber da ich nicht alle 40
Bilder kenne, weiß ich nicht, ob sie nicht irgendwo einmal festgehalten worden
ist.
Es lohnt sich diesen Spaziergang zu machen. Direkt an der Straße Ornans -
Tarcenay liegt rechts der Straße ein großer Parkplatz mit reicher Beschilderung.
Von dort kann man in gut einer Stunde den Rundweg machen. Erst kreuzt man die
aufgegebene Bahnstrecke, die heute als Radweg dient. Dann steigt man tiefer und
tiefer, immer mehr dem erst kaum hörbaren Bach entgegen. Dann eine kleine
Felsstufe - und man steht vor einem Bild Courbet, natürlich nur eine billige
Kopie, und einer Malerpalette, auf der einige Hintergrundinformationen geliefert
werden. Dann geht es bachaufwärts, immer den Felswänden entlang, an einer Stelle
muß man sogar eine kurze Eisenleiter verwenden, um wieder von einem Felsband
herunterzukommen. Ein bißchen erinnert die urwaldartige Gegend an eine ferne
unentdeckte Welt, moosüberhangen, abgeschieden, bachlautbeschallt. Irgendwann
ich auch dieser Traum zu Ende. Ein Wegweiser zeigt wieder nach oben und man müht
sich über viele Stufen wieder hinauf in den Alltag. Es scheinen sich nicht viele
Menschen dafür zu interessieren, denn die Vegetation überwuchert an so manchen
Stellen schon wieder den schmalen Steig.
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< Im Museum von Ornans - ein Puits Noir-Bild von Courbet > Das Original |
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Literatur:
Adorjan, Johanna | Finger weg - In der gereizten Stimmung von "Me Too" ist es fast ein Wunder, dass Gustave Courbets "Ursprung der Welt" noch zu sehen ist. Ein Nachmittag im Pariser Musée d'Orsay, Süddeutsche Zeitung Nr. 47, 26. Februar 2018, Die Seite Drei |
Bailly, Jean-Christophe | Fremd gewordenes Land - Streifzüge durch Frankreich, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2017 |
Barnes, Julian | Courbet: Es ist nicht so, sondern so, in: Julian Barnes, Kunst sehen, 2. Auflage, Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015 |
Böttiger, Helmut | Das lebendige Zucken der Landschaft, Süddeutsche ZeitungNr. 5, 8. Januar 2018, FEUILLETON, S. 13 |
Brison, David N. | CAVES PAINTED BY GUSTAVE COURBET, unveröffentlichtes Manuskript 2013 |
Fernier, Robert | La vie et l'oeuvre de Gustave Courbet, catalogue raisonné, Lausanne-Paris, La Bibliothèque des arts 1977 |
Handke, Peter | Die Lehre der Sainte-Victoire, suhrkamp, Frankfurt a. M. 1980 |
Hülk, Walburga | Der Rausch der Jahre, Hamburg 2. Auflage 2019 |
Lindenmayr, Franz | Gustave Courbet und "l'origine du monde", in: HÖREPSY 2013 Tagungsband, Gröbenzell 2013 |
Metken, Günter | Gustave Courbet Der Ursprung der Welt Ein Lust-Stück, Prestel-Verlag, München New York 1997 |
Musée Gustave Courbet | CET OBSCUR OBJET DE DÉSIRS - AUTOUR DE L'ORIGINE DU MONDE; Ornans 2014 |
Nochlin, Linda | 'Courbet's "Origine du Monde": The Origin without an Original', October, 36 (Summer 1986), pp. 76-86 |
Rubin, James H. | Courbet, Phaidon Press Limited, London 1997 |
Rubin, James H. | Realism and Social Vision in Courbet & Proudhon, Princeton University Press, Princeton 1980 |
Schirn Kunsthalle Frankfurt | Kunst zum Hören Gustave Courbet, Hatja Cantz Verlag, Ostfildern 2010 |
Soyeaux, Renald | Gustave Courbet und die Höhlenforscher - Französischer Jura auf Gemälden und aus heutiger Sicht, in: 50 Jahre Höhlenforschungsgruppe Karlsruhe, Mitteilungen der Höhlenforschergruppe Karlsruhe, Heft 24, 2014, S. 14ff. |
The Metropolitan Museum of Art | Gustave Courbet, New York 2008 |
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