Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Unschärfe / blur
In einer schönen fränzösischen Höhle
- "Die schärfer gesehene Welt harmoniert nicht mit meinem Innern." Goethe
- "Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen?" Wittgenstein
- "Ein Photo neigt dazu, alles konkreter darzustellen als es ist." James Turrell
- "Imperfect technique has come to be appreciated precisely because it breaks the sedate equation of Nature and Beauty." Sontag, On Photography 102
- "Unschärfe...die uns erst die Möglichkeit der Freiheit gibt, also zwischen Sagen und Meinen zu unterscheiden und am Ende durch Kommunikation eben doch nicht ganz eingeholt werden kann" Nassehi 23
- "Ein unscharfes Bild suggeriert ein Verschwinden und Auftauchen, in jedem Fall aber einen Übergang zwischen Realität und Nichts, ein undefiniertes Dazwischen...Tatsächlich regieren in eineer unscharfen Welt die Eigenschaften, während die bestimmbaren Dinge, denen sie sonst zukommen, ausgelöscht sind." Ullrich, Unschärfe 101
"Unschärfen...interessante Verfremdungseffekte, Eindruck von Dynamik, ...vernebeln alles, was das Bild eindeutig festlegen oder leicht erkennbar machen könnte.."Ullrich, Tiefer hängen 82
"Le beau est toujours bizarre." Charles Baudelaire
"Was bedeutet Schärfe - und wer hat das Recht zu sagen, welche Schärfe die richtige ist", sagte sie (Julia Margaret Cameron) und besetzte einen weiteren Höhepunkt in der Geschichte der künstlerlischen Unschärfe, die mit Talbot und Adamson anfängt und die ihre nächsten Stationen nach Cameron in Peter Henry Emerson und dem Piktorialismus hat." Kemp, Geschichte 25
Als ich beim 1. Internationalen Höhlenphotographentreffen in Olargues vor der Entscheidung stand, welche drei Bilder ich auf der öffentlichen Schlußpräsentation zeigen wollte, da stieß ich auf ein Problem. Das gab es drei extrem unscharfe Bilder, die mich selber faszinierten, aber die halt doch vom unausgesprochenen Kodex, was nun ein "gutes" oder "schlechtes" Bild sei, doch sehr stark anwichen. Am Ende verzichtete ich auf die Provokation und wählte ein anderen, traditionelleres aus. Trotzdem, der Impuls blieb, und als ich jetzt auf einen Artikel in der SZ im Zusammenhang mit dem ersten gelungenen Bild von einem Schwarzen Loch im April 2019 stieß, wurde das der Anlaß zu den folgenden Zeilen.
Tatsächlich scheint es ja einen richtigen Kult um möglichst scharfe Bilder zu geben. Die moderne Technik der Digitalphotographie macht es ja erst recht möglich.
Wer sich auf die "Unschärfe" einläßt, der kann ein überraschendes neues Feld betreten, weit abseits aller vertrauten Ästhetik.
Gräserhöhle, Tessin, CH
Beim Internationalen
Höhlenphotographentreffen 2022 an der Ardèche hielt ich einen kurzen
Vortrag über "blur" und verblüfft mein Publikum. Ich fand es schon
ein wenig gewagt, sich da auf ein Feld zu begeben, das vollkommen unbeacktert
ist. Vollkommen? Schon William Turners Bild von Staffa mit der Fingalshöhle
gehört in dieses Gebiet, aber die moderne Entwicklung lief in eine ganz andere
Richtung - Schärfe, Schärfe, Schärfe.
Als ich einige mit dem Iphone gemachte Bilder herzeigte, war die erste Reaktion
eines Betrachters aus den USA, die Bilder bis zum Ging-nicht-Mehr zu
vergrößern, um zu sehen, ob sie noch immer scharf seien.
Trotzdem, ich scheine da etwas angestoßen zu haben, und einige haben auch
sofort darauf reagiert. Nun ist mein Emailkästchen gefüllt mit einigen Bildern
anderer, die "blur" sind. Einige werden hier einmal vorgestellt.
Einige neue Bilder:
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Saint-Marcel
2022 |
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Saint-Marcel | ||
Räuberhöhle bei Etterzhausen | ||
Vogelherdhöhle, Lonetal, Schwäbische Alb, D |
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Lamprechtslofen, Salzburg, A |
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Bramabiau, F | ||
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Karain Magarasi, Türkei
2023 |
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"Seine Aufnahmen sind oft unterbelichtet und durch die langen Verschlusszeiten verwackelt und unscharf. Aber das ist kein Handicap: Die Bilder werden genau dadurch lebendig, es ist das Licht der ..(Gerichtssäle)..das die Regie führte.".. Ferdinand von Schirac, Die Bühne der Weimarer Republik - Der Fotograf Leo Rosenthal 50
"..als Analogie drängt sich eine Kamera auf, bei der man per Hand die Schärfe einstellt. Ohne Fokus ist alles vage, verschwommen, harmonisch und impressionistisch. Dreht man jedoch an der Schraube des narrativen Denkens, dann erscheinen plötzlich scharfe Konturen mit Gegensätzen von Freund und Feind.." Breithaupt, Das narrative Gehirn 72
Literatur:
Breithaupt, Fritz | Das narrative Gehirn - Was unsere Neuronen erzählen, Suhrkamp, Berlin 2022 |
Hürter, Tobias | Das Zeitalter der Unschärfe - Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945, Klett-Cotta, Stuttgart, 3. Auflage 2022 |
Kemp, Wolfgang | Geschichte der Fotografie C.H.Beck wissen, München, 3. Auflage 2019 |
Lindenmayr, Franz | Metaphysische Photographie, Der Schlaz 64-1991, S. 10 |
Nassehi, Armin | Wenn wir wüßten! - Kommunikation als Nichtwissensmaschine, Kursbuch 180-Dezember 2012, S. 9ff. |
Schirach, Ferdinand von | Die Bühne der Weimarer Republik - Der Fotograf Leo Rosenthal, in: Die Würde ist antastbar, btb, München, 6. Auflage 2017 |
Sontag, Susan | On Photography, 1971 |
Turrell, James | Extraordinary Ideas - Realized, HATJE CANTZ, Berlin 2018 |
Ullrich, Wolfgang | Die Geschichte der Unschärfe, Wagenbach, Berlin 2002/2009 |
Ullrich, Wolfgang | Tiefer hängen - Über den Umgang mit der Kunst, Wagenbach, Berlin 2013 5. Auflage |
Zips, Martin | Schwarze Löcher - Über die faszinierende Mystik unscharfer Bilder, Süddeutsche Zeitung Nr. 88, 113./14. April 2019, Seite 12 PANORAMA |
Links:
https://kwerfeldein.de/2014/06/06/gedanken-zur-unschaerfe/
https://fotoschule.fotocommunity.de/die-theorie-der-unschaerfe/
https://www.deutschlandfunk.de/die-geschichte-der-unschaerfe.700.de.html?dram:article_id=80823
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