Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Beatushöhle / CH

Ex-Wohnort eines sagenhaften Heiligen


Im Mittelalter und bis in die Reformationszeit war die Beatushöhle wohl der wichtigste Höhlenkultort der ganzen Schweiz. Augustinermönche hatten eine Kapelle am legendären Wohnort des heiligen Beatus errichtet. Der soll um 20 n.Chr. in England oder Irland, da wiedersprechen sich die Quellen, geboren worden sein, von dem Apostelschüler Barnabas sei er getauft worden und habe eine Pilgerreise nach Rom unternommen. Als Missionar habe man ihn nach Helvetien geschickt, damit er auch dort die Menschen zum Christentum missioniere (Andere Quellen sprechen davon, daß Beatus von Petrus höchstpersönlich zum Priester geweiht worden und in die Schweiz als Glaubensbote geschickt worden sei, Marti 147). Seinen Lebensabend habe er dann in der später seinen Namen tragenden Höhle verbracht. Recht alt wurde er dort, zumindest steht das so in der 1511 von dem Basler Franziskaner Daniel Agricola verfaßten Heiligenlegende, in der er sich die Vita eines karolingischen Eremiten zum Vorbild nahm. 112 n.Chr. sei das gewesen. Zu seinen sagenhaften Taten gehört nichtzuletzt die Vertreibung des "Drachen", der vorher erst aus seinem Loch vertreiben mußte, ehe er sich selber dort ansiedeln konnte. Noch wichtiger für den Erfolg des Druckwerks waren, bei der allgemeinen Unfähigkeit im Volk zu lesen, die Illustrationen des Buchs von dem damals berühmten Solothurner Grafiker Urs Graf. Das Werk wurde dann unter dem Titel "Das Leben des heiligen Bychtigers und Einsidlers Sant Batten" ein großer Erfolg.

Illustrationen von Urs GrafPilgerzeichen

Das ist nur eine Version der Beatuslegende, es gibt noch mehr, und je mehr man liest, desto verwirrender wird alles. Eine andere Überlieferung spricht von 2 Fremdlingen, Beatus und Justus, die über den "Schwarzen Berg" in das Land zwischen den Seen gekommen seien. Als sie die Hirten von Sundlauenen besuchen, hören sie von einem "greulichen Drachen, der nahebei in einer Höhle hause, das ganze Land unsicher mache und überall Schrecken verbreite". Die "heiligen Männer" konnte so etwas nicht abschrecken. "Voll heiligen Eifers" hätten sie sich an den ungeheuerlichen Ort schiffen lassen und sie seien bis zur Höhle vorgedrungen. Allein sei Beatus den Berg hinan gestiegen. Das Untier sei "flammenden Auges und mit schrecklichem Grimm, Feuer auf den Ankömmling speiend", aus der Höhle hervorgeschossen. Beatus habe sich nicht beirren lassen, er habe das Kreuz gegen den Drachen erhoben und ihn unter den Anrufung der heiligen Dreifaltigkeit beschworen. Da habe sich das Ungeheuer in ohnmächtiger Wut über die Felswände hinabgestürzt über die Felswände in den Thunersee, dessen Fluten darob in heißer Wallung wild aufzukochen begannen - so die Legende.
Solche Geschichten sind wirksam, Menschen glauben daran, werden zu herrschaftsbegründenden Fabeln, egal was tatsächlich war, irgendwann zählen nur noch die Erzählungen. Wer es nicht glaubt, der lese doch noch einmal die "Animal Farm" von George Orwell. Man nehme ein paar Naturerscheinungen, wilde Höhlenbäche, die zu kaum vorhersehbaren Zeiten aus großen Erdöffnungen kommen (Höhlenbach), stürzende Wasser (Wasserfälle) und aufwallendes Wasser (schließlich ist der "Bätterich", eine der größten Karstquellen der Schweiz, ganz nah). Daraus läßt sich dann eine unheimliche Story stricken, die die Leute in ihrer Not gerne glauben.

Beatus war nicht der erste, der sich im Eingangbereich der Höhle aufhielt. Archäologische Ausgrabungen erbrachten Funde, die zeigen, daß bereits in der älteren Eisenzeit (750-450 v.Chr.) Menschen sich dort aufgehalten hatten.

Die früheste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1231 und bezieht sich auf den Wallfahrtsort, der damals unter dem Patronat der Chorherren von Interlaken stand. Während einer Pestepidemie im Jahre 1439 ordnete der Stadtrat von Bern eine Bittprozession in die Höhle an. 1528 wurde der Besuch des Ortes durch die "Gnädigen Herren zu Bern" verboten, die Kapelle abgebrochen und der Eingang vermauert.

Es dauerte gut 200 Jahre ehe man wieder an der Höhle hört. 1776 malte Caspar Wolf sein inzwischen wieder recht bekannt gewordenes Gemälde "Eingang zur westlichen Beatushöhle mit dem Efeubaum", das im Aargauischen Kunstmuseum in Aargau heute ausgestellt ist, und weitere Gemälde im Eingang der Höhle.
Ein anderer Maler, Hans Stähli, aus Brienz wird als der erste heute erwähnt, der 1814 tiefer in die Höhle vorgestoßen sei. 665 Schuh seinen es gewesen, was ihn bis in die heute "Kapelle" genannte Stelle gebracht hätte, wozu er hin und zurück 3 1/2 Stunden brauchte.

G. Lory der Jüngere (1784-1846)

G. Lory der Jüngere, Trockenhöhle

 

Erst 1848 ging es weiter. Der Dampfschiffkapitän Johann Knechtenhofer wagte als erster den weiteren Vorstoß hinter die Stelle, wo der Kunstmaler umgedreht hatte, da wo Wasser und Decke ganz nah zusammenkamen. Er kam bis in die "Kapitänsgrotte". 1903/4 gingen die Vorstöße in die Beatushöhle mit gewaltigem Aufwand weiter. Hermann Hartmann, Direktor des Verkehrsvereins Berner Oberland, nahm das Projekt in Angriff, die Höhle zur Schauhöhle auszubauen. Große finanzielle Mittel standen zur Verfügung, viel Manpower und Zeit. Gesprengt und gemeißelt wurde ins Innere des Berges und man kam ziemlicinh weit. Noch heute sind die Initialen der Erforscher zusammen mit der Jahreszahl 27.10.1904 im Nordgang zu lesen. Fest eingebaute Leitern ermöglichten das Fortkommen in diesen Teil weit jenseits des für Touristen erschlossenen Gebiets in der Höhle.
Nach dem 2. Weltkrieg führte Franz Knuchel mit Kameraden für ein paar Jahre die Forschungen weiter, dann begann zu Beginn der 70er Jahre eine neue erfolgreiche Forschungsperiode, in der vor allem Sprengungen, Tauchvorstöße und der Einsatz von Kletterstangen neue Horizonte eröffneten. Die heutigen speläologischen Grunddaten sind 11.880 m Länge und ein Gesamthöhenunterschied von + 353m.  

Sehr bedeutsam ist die Besuchergeschichte der Höhle und ihre diesbezüglichen Erwähnungen in der Literatur.

Ein paar Beispiele:

- Goethe (bei seiner 2. Reise in die Schweiz "Aus der Höhle die vorn über 3 Mannshöhe hat hinten aber steigend niedriger wird und sehr tief hinein geht komt ein schönes Wasser...)
- Wilhelm von Humboldt ("In solchen gegenden, den schönsten werken der natur nah, fern von allem machwerk der Kunst, würde mna erst Homer, und Ossian verstehen.")

 

Die Eingangsumgebung und das Gebiet oberhalb
der Höhle vom anderen Seeufer aus gesehen

Das "Grab" des Heiligen

Im Schauhöhlenteil

Andreas Wolf bis zum Bauch im Höhlensee

- jenseits des Schauhöhlenteils

Klaus Cramer beim Durchqueren eines

nassen Gangteils

 

Im Februar 1986 besuchte eine Gruppe Höhlenforscher aus München Cramer, Pfuhlstein, Niklasch, Wolf, Lindenmayr) auf Einladung von Urs Klötzli von der Sektion Bern der Schweizerischen Gesellschaft für Höhlenforschung zweimal die Höhle. Der zweite Tag war nur dem erholsamen Besuch des Westgangs gewidmet, wogegen es der erste Tag richtig in sich hatte. Wir wollten die Höhle sehen und für die Schweizer war das eine willkommene Hilfe, einmal Material nach hinten getragen zu bekommen. Wir nahmen es im Führerzimmer der Schauhöhle auf und schleppten dann einige Stunden lang Feuerwehrschläuche, Benzinkanister und Zementsäcke tief hinein in den Berg. Dieser Zementsack wird mir immer in Erinnerung bleiben. Nicht genug damit, daß man sich selbst durch die tiefen Wassergumpen und die engen Gänge schleifte, nein zur "Beschwerung" hatten wir noch 20 kg schwere Pakete auf dem Rücken, die einen so langsam niedermachten. In der Nähe des Ostgangsiphons konnten wir dann die Ladung niederlegen und fühlten uns beim Rückweg fast wie Engel, weil plötzlich alles wieder so leicht war.

Am 25. Mai 2005 schaute ich wieder mal vorbei. Ein prachtvoller Tag war das. Leider war ich viel zu früh da. Die Höhle öffnet erst um 10.30 Uhr, was noch eine Stunde Wartezeit bedeutet hätte. Und dann prangte da noch ein großes Schild: Das Fotographieren ist in den Höhlen nicht gestattet! Ich ließ es mit einem Besuch der Außenanlagen gut sein, wo es ja einiges zu sehen gibt, und ließ es damit bewenden. Der Höhepunkt war für mich ohnehin draußen: der Drache auf dem Spielplatz! Mit der Vermarktung der Idee des Drachen ist man hier schon sehr weit gegangen. In allen Formen und Farben gibt es dieses Fabelwesen hier. Aus Kunststoff ist hier ein großes Monster gebaut, auf dessen Rücken man klettern kann und dann auf einer steilen Rutschbahn wieder hinunter in den Sand abfahren kann. Noch spannender ist der Drache von innen. Man muß durch den zahnbesetzten Rachen hineinsteigen und kommt in sein hohles Inneres. Ein paar kleine Sitzbänkchen sind da hineingearbeitet, der Blick nach draußen durch die Zahnreihen ist besonders rar - und man kann den Drachen hinten durch eine Schlupfpforte auch wieder verlassen - man kriecht gewissermaßen durchs Arschloch wieder hinaus. Eine raffinierte Kreation!


Die Reste der ehemaligen Pilgerherberge
Die Reste eines alten Efeubaums, den
schon Goethe in seinen Reisebeschreibungen
erwähnt hat
 
Der wunderbare Ausblick vom Höhleneingang
über den See
Der Spielplatzdrache
Der Eingang ins Höhlenmuseum

 

Wie gut, daß sich die Welt auch ändert. Tatsächlich. Zum Beispiel hebt man Photographierverbote auch wieder auf. Genau dieses ist inzwischen geschehen. Anläßlich unserer Jakobswegwanderung durch die Schweiz im September 2014 ist von diesem Verbotsspuk nichts mehr zu sehen. Die Leute holen ihre Digitalkameras oder ihre Iphones heraus und machen ihre Schnappschüsse. Nichts passiert. Alles friedlich! Kein Berg stürzt zusammen, keinem Kapitalisten wird die Rendite zusammengestrichen, keiner wird für alle Ewigkeit in die Hölle geschickt.
Freundlich und kompetent führt man den Betrieb. Und auf die Frage, wo wir denn den prallvollen Rucksack abstellen könne, damit man ihn nicht in die Höhle mitnehmen müsse, hatte man auch gleich eine passende Antwort mit einem großen Ablageregal. Wenn man als Jakobspilger unterwegs ist, dann gewinnt man einfach eine andere Perspektive. Und auf einmal ist ein ruinöser Steinhaufen neben dem ausgebauten Steig entlang des Thunersees eine große Besonderheit. Er stellt den letzten Rest einer alten Pilgerherberge dar, der wohl über Jahrhunderte hinweg von den Durchziehenden gerne aufgesucht worden ist, genau an dieser Stelle vorbei, wo religiöser Glaube und speläologisches Objekt so nah wie kaum wo anders zusammenkommen.

September 2014
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
Die Ruine der Pilgerherberge  

 


Zuletzt noch ein paar Literaturzitate aus einem Buch, das auf die Beatushöhle Bezug nimmt: Die Beatushöhle, Eine Erzählung für alt und jung, Enßlin & Laiblins Verlag, Reutlingen 1925. Leider ist kein Verfasser angegeben. Die angegebenen Zahlen beziehen sich auf die Seiten im Buch.

"122 Der Eremit reichte ihm die Hand. "Da Ihr so freundlich seid," sprach er, "werdet Ihr mir sicher nicht versagen, um was ich Euch bitte. Dort drüben am anderen Ufer des Thuner Sees über einem mächtigsten Felsen hat ein frommer Vater seine einsame Klause; man nennt sie die Beatushöhle.

126 Bald erblickten die beiden Wanderer den Vater Beatus, wie er vor seiner Klause saß und die Harfe spielte. Als derselbe den Fremdling gewahrte, kam er herbei und grüßte sie freundlich....

127 Nun winkte Beatus seinem Gaste, ihm in die Kapelle zu folgen, und schritt durch eine Felsenhöhle voran; bei der Felsenwand der Kapelle angekommen, drehte Beatus den Schlüssel, der in der Tür stak, um, und hob sie mit einer bei seinem hohen Alter erstaunlichen Kraft aus dem Riegel. Ehrerbietig, wie in Gottes Heiligtum, trat sie in die Höhle ein. Kein Wort unterbrach die feierliche Stille, nur die Fußtritte der beiden Männer hallten dumpf und hohl durch die Wölbung.

Jetzt hatte der Greis die Lampe der Kapelle angezündet und zog an dem Stricke eines an der Felsenspitze befestigten Glöckleins. Hell und mild scholl der reine Klang von der Bergeshöhe hinab in das stille Tal, dessen Bewohner zu frommer Andacht mahnend...."


 

Quelle: Immanuel Kant, Physische Geographie Band 2, 1803

 

 


 

Literatur:  

A.A:

Die Beatushöhle, Eine Erzählung für alt und jung, Enßlin & Laiblins Verlag, Reutlingen 1925

Aargauer Kunsthaus Aarau

in Nebel aufgelöste Wasser des Stromes - Hommage à Caspar Wolf, 2. Auflage anlässlich der Präsentation der Ausstellung im Städtischen Museum Leverkusen und in der Alten Pinakothek, Aargau 1991

Amacher, Gerhard, Keusen, Walter

Beatushöhle, Reflektor 3-1987, S. 12ff

Bernasconi-Schwartz, Christine und Reno, Högl, Lukas, Perret, Danielle, Santschi, Catherine La grotte dans l'art suisse du XVII^au XX siècle, Ausstellungskatalog zur Exposition organisée dans la cadre du 12e congrès international de spéléologie 10 - 17 aout 1997, La Chaux-de-Fonds

Hartmann, M.R. zusammengefaßt von

St. Beatushöhlen - Legende - Geschichte - Erforschung, Verlag Beatus-Höhlen-Genossenschaft, Sundlauenen BE, ohne Jahresangabe

Häuselmann, Philipp Les grottes de Saint-Beat, HRH Publikation N° 7, 2004
Känel, Ernst von Streiflichter zur Christianisierung des Thunerseegebiets und der angrenzenden Regionen, Spiez 2005

Knuchel, Franz

25 Jahre neuere Beatushöhlen-Forschung, Separatdruck aus dem Jahrbuch 1970 des Uferschutzverbandes Thuner- und Brienzersee

Marti, Kurt Die Hoffnung geht zu Fuß, Tagebücher II, Nagel & Kimche,Zürich/Frauenfeld 1996

Moser, Hans-Jörg

Beatushoehlen - Geologie der Umgebung, Akten des 7. Nationalen Kongresses für Höhlenforschung, Schweizerische Gesellschaft für Höhlenforschung, Schwyz, 23.-26. September 1982, pp. 165-171

Plotke, Seraina Ein Emblembuch «avant la lettre» Daniel Agricola, Vita Beati (1511), Fotografischer Nachdruck des lateinischen Werks mit synoptischer Beigabe einer neuhochdeutschen Übersetzung sowie der Transkription des frühneuhochdeutschen Drucks 2012 Schwabe Verlag -  Detailansicht

Stettler, B.

Stud. zur Gesch. des obern Aareraums im Früh- und HochMA, 1964, LThK 2,86

Wildberger, A., Preiswerk, C.

Karst und Höhlen der Schweiz, Basel 1997

Wolf, Andreas

Eine Reise ins Berner Oberland, DER SCHLAZ Heft 49, Juni 1986, S. 14ff.

Links:
St. Beatus-Höhlen - Homepage
http://heiligenlexikon.de/BiographienB/Beatus.htm
http://www.beatusweg.ch/geschichte_01.htm

Höhlenlinks Schweiz
Arbeitsgemeinschaft Höhle-Relion-Psyche


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