Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Höhlen am Tegelberg


Der Tegelberg bei Füssen ist ein sehr beliebtes Ausflugsziel. Seine maximale Höhe wird mit 1.881 m angegeben. Er ist ein ganzer Bergrücken mit einer ganzen Reihe von Gipfelerhebungen: der Gelbwandschrofen, der Daumen, der Turm usw. Der höchste ist der Branderschrofen. Eine Seilbahn bringt heute viele der zahlreich strömenden Touristen hinauf zur Bergstation in 1.720 m Höhe, viele gehen aber zu Fuß, insbesondere über den Schutzengelweg und die Rohrkopfhütte. Nicht nur bei Bergwanderern ist der Berg beliebt. Auch die Drachen- und Gleitschirmflieger finden dort sehr gute Bedingungen, im Winter kommen viele Skifahrer, nicht nur in der Form der Pistenfahrer. Auch viele Skitourenfahrer mühen sich die knapp 900 Höhenmeter hinauf.

Kaum bekannt ist, daß es dort auch Höhlen gibt, bzw. gab. Nur wenige wissen noch darum, weil auch alles dafür getan wurde, daß keine die "Ordnung" stören. In einem unveröffentlichten Bericht über ein Gespräch mit einem ehemaligen Beschäftigten der Tegelbergbahn heißt es: "Beim Bau der Tegelbergbahn wurden viele, zum Teil große "Löcher" gefunden, die auf Bitten der Bauern und wegen der Unfallgefahr wieder zugeschüttet wurden (die Eingänge). Außerdem war angeblich den Bauern Vieh reingefallen. Eine dieser Stellen, die man wohl wieder öffnen könnte, könnte er noch zeigen, er wäre bereit, die Stelle zu kennzeichnen. Außerdem, meint ..., müßten in der Gegend noch viele Höhlen vorhanden sein, der derzeit keinen Eingang besitzen und nennenswert größer seien als die Hornburghöhle."

Hier ist ein Stichwort gefallen: "Hornburghöhle." Die ist schon immer bekannt gewesen. Ein kleiner Schacht führt hinunter in eine geräumige Klufthöhle ohne weitere Fortsetzungen. Immerhin 135 m konnten von uns 1982-83 vermessen werden und eine Tiefe von 66 m wurde erreicht. Zwei weitere kleine Höhlen wurden erfaßt: die Trockene Kluft und die Schmale Kluft.

Eine aus speläologischer Sicht höchst interessante Stelle scheint das "Grüble" zu sein, bzw. war es das einmal. Historisch reicht die Geschichte weit zurück. 1563 wird es als "Griable" erstmals urkundlich gewähnt. Ursprünglich bezeichnete es wohl nur die Oberflächenformation, aber der Name hat sich dann auch auf die Hohlräume unter der Oberfläche übertragen. Karl Wilhelm Vogt schrieb im Jahre 1837 über die dortigen Höhlen: "Ich stieg durch eine derselben hinab und fand mich sehr an die Grotte des Catullus auf der Halbinsel Sirmione am Gardasee erinnert, obwohl bei Letzterer die Kunst nachgeholfen hat und Erstere ungleich merkwürdiger sowohl auch größer erscheint."

Die Höhlen waren nicht unbekannt. Ganz im Gegenteil. In dem "Handbuch für Reisende" von Josef Buck heißt es: "Auch der Tegelberg..wird öfters bestiegen...die Spitze erreicht man über die Alpe Ilgenmösle, in deren Nähe eine weit im Felsen fortführende Grotte, das Grüble, bemerkenswerth ist." Karl Gutzkow schrieb im Jahre 1867 "Hohenschwangau", in dem sich einige Passagen um die Hohlräume drehen. Heute kann man den Roman bei SPIEGEL-Online lesen.


Besonders viel ist im Kapitel 15 darüber zu finden:

"..doch wovon ich reden wollte, liegt da oben, wie ich dazumal gesehen, nicht weitab von den Kalkgestein und einem wilden Wasser, so man die Pöllat heißt, eine lustige grüne Alpe, das Ilgenmösle genannt. Geht darüber hinaus, hoch in die Luft, ein spitzer Schroffen, der an seinem Fuß mit einer mächtigen Höhle anhebt. Da hört'ich, daß die Gaismayrin, als von allen Zeiten aus, von Innsbruck, Brixe, Füssen auf sie Jage gemacht wurde, alldort mit dem Knaben Sommer und Winter gehaust hat, in diesem Grüble - Grüble, so nennen sie die Felsenmulde. Baute sich drüber ein Dach von Tannenzweigen, einen Herd, einen Stall. Dann hat sie ringsum Kräuter aufgelesen und ist den Sennern und Gamsschützen eine Heilandin gewesen, wider allerlei Gebresten und insonders hat sie Bergleuten und salzsiedern, die oft um ihretwillen von weither gekommen sind, törichte Anschläge gemacht mit Künsten, die sie über berg- und Hüttenbau von ihrem Vater und anderen ererbt haben wollte.....Im Grüble suchen die Leute nach ihren Schätzen, sie soll Geld gehabt haben - auch Freunde, die ihr schickten. Heute noch, jetzt sind's fünf Jahre her, sagen sie in Hohenschwangau, es läge da hinter den Schlössern ein unermeßlicher Schatz."

In Kapitel 27 geht es um den Besuch einer Schaubude mit "seltsamer Ausschmückung. Fast konnte man glauben, in einer unterirdischen Höhle zu sein. Riesige Gebilde von Knochen, lange, entweder wirkliche oder nachgeahmte Erzstufen, Versteinerungen, Muscheln, Ammonshörner standen ringsum oder hingen von oben bis auf die Köpfe der Stehenden herab. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke an das Hohenschwangauer "Grüble", in dem einst Moritz mit seiner Pflegemutter unter den Resten von Tieren, die dort vor Jahren von Bären mochten verspeist worden sein. gehaust hatte."


Das momentane Ende der Zugänglichkeit dieser Höhlen kam 1978, als die Tegelbergbahngesellschaft begann, den Berg noch weiter zu erschließen. Eine Sesselliftmittelstation wurde im Grüble errichtet und alles pistengerecht gemacht. Wie ich aus einem Email erfahren habe, ist sie längst schon wieder aufgegeben worden. "Der Grüblesattel ist jetzt ein großer Schutthaufen, der oben zu einem Plateau abgeflacht worden ist." (Email-Zitat). Damals haben sich auch schon einige Menschen über diese Naturzerstörung öffentlich gemeldet, der Naturschutzbeauftragte Hermann Helmreich im Füssener Tagblatt Nr. 232 vom 16.10.1978 und in einem Leserbrief der Forstdirektor Hubert Perras im Füssener Tagblatt Nr. 246 vom 1.1.1978. Darin war von einem "rücksichtslosen Raubbau" und von einem "brutalen, irreparablen Eingriff in die Natur" schon die Rede.

Sind die Höhlen nun für immer "verloren"? Nein. Ist einmal die Neugier wieder geweckt, dann tun sich neue Perspektiven auf. Beim sehr genauen Absuchen der Stelle zeigen sich bereits auch an der Erdoberfläche kleine Einsenkungen. Sind das Hinweise auf heute noch mögliche Zugänge in den Berg?

Im Herbst 2013 erreichte mich ein Email mit folgendem Inhalt: "Haben Sie die ehemalige Grüblegrotte am Tegelberg gekannt? Ich kannte nur als Kind die obere Öffnung eines tiefen Schachtes. Jetzt bin ich auf eine alte Beschreibung von Herrn Magnus Peresson gestoßen, der ich entnommen habe, dass das ein ganzes Grottensystem war, das sogar einfach begehbar gewesen sein muß. Haben Sie vielleicht alte Fotos von dieser ehemaligen Grotte oder kennen Sie jemanden, der alte Fotos von ihr hat?"

Das war ein spannender Impuls. Bislang habe ich noch nichts gefunden, aber die Hoffnung stirbt, hoffentlich, zuletzt. Ich habe schon selber die Örtlichkeit aufgesucht - und kam schon sehr ernüchtert zurück. Aber aufgeben? Nein.

Mai 2018 Mit Tobias Brehm treffe ich mich um 10 Uhr an der Talstation der Tegelbergbahn. Im Höhlenkataster des Vereins für Höhlenkunde in München habe ich einen alten Hinweis auf eine 8 bis 10 m tiefe Kluft im Grüble gefunden, zusammen mit Gauss-Krüger-Koordinaten und einer Höhenangabe. Dem Hinweis wollten wir nachgehen! Mit einem modernen GPS-Gerät sollte es keine Schwierigkeit sei, diesen Platz zu finden. Tatsächlich war es ganz einfach. Wir landeten mitten im Grüble, vielleicht 20 m entfernt ist die Schlucklochzone, wo alles Wasser, das sich im Grüble sammelt, in der Tiefe verschwindet. Früher war einfach keine größere Genauigkeit möglich, da ist genau der gesuchte Platz der heute zugeschütteten Kluft. Ich stand neben einem dieser Löcher und spürte genau die von unten kommende Kälte. An einer anderen Stelle war richtiger Luftzug zu merken. Man müßte hier graben, Blöcke beiseite räumen, wühlen wie ein Maulwurf. Ob das einmal jemand macht? Die fragliche Stelle ist gefunden. Beim Abstieg schauten wir auch auf der anderen Seite des Grüble in Richtung Tal. Nur ein winziges Löchlein in der Wand sahen wir, das keinerlei Hoffnung auf eine Fortsetzung bot. Da in dem Ponor im Grüble das ganze Wasser verschwindet, stellt sich schnell die Frage, wo das wieder zum Vorschein kommt. Und wenn es da irgendwo als Quelle wieder an die Oberfläche tritt, gibt es dort vielleicht eine Höhle? Das Gelände ist schwierig und ausgesetzt, aber für Geübte und Furchtlose durchaus erreichbar. Wer weiß? Vielleicht wird die Höhle im Grüble einmal durch die Hintertür wieder erreicht.

 

Über den Forgensee Richtung Tegelberg geblickt
     
Der Seilbahn entlang hinauf- und hinunter geblickt
     
 
     
Das Grüble
     
 
     
 
     
Die Hornburg
     
   
     
Tiefe Kluft in der Hornburg, 1982
     
Klaus Cramer und Georg Kellerer am Meßgerät bzw. am Maßband
     
Klaus Vater bei der Aufnahme der Vermessungsdaten
Grübletour 2018

 

Blick vom Auerberg Richtung Süden/Tegelberg, Dezember 2016

 

 

Literatur:

Buck, Jos. Handbuch für Reisende im Algäu, Lechthal und Bregenzerwald, Verlag von Tobias Dannheimer, Kempten 1856, Reprint 1983
Deubner, Klaus Die Ammergauer Alpen 1240, in: Münchner Höhlengeschichte II, Verein für Höhlenkunde in München, München 2004
Dietmair, Georg Kare, Karst und Poljen, Geologisch-geomorphologische Beobachtungen im Ammergebirge und südlichen Mangfallgebirge, Berichte des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben e.V. 105. Band, 2001, S. 26ff.
Gutzkow, Karl Hohenschwangau, 1867
Lindenmayr, Franz Das "Grüble" am Tegelberg, Der Schlaz 134-2022, S. 38ff.
Peresson, Magnus Das "Grüble" am Tegelberg, in: "Alt Füssen", Organ des historischen Vereins "Alt Füssen", Jahrgang 1979, S. 67

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