Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Landschaft und Höhlen im "Eistobel" und weiteren Nagelfluh-"Tobeln" im Allgäu, D
Ein Tobel ist im Gegensatz zu einer Klamm, einer Schlucht, die senkrechte Seitenwände aufweist, eine Schlucht mit v-förmigem Profil. Vor ca. 15.000 Jahren suchte sich das Schmelzwasser der Gletscher im Gebiet des heutigen Ebrazhofen einen Weg Richtung Norden durch die Molasseschichten am Nordrand des Alpenzugs. Der Höhenzug, der zu durchschneiden war, verläuft zwischen der "Riedholzer Kugel" im Osten und dem Laubenberg im Westen. Das Flüßchen heißt heute "Obere Argen" und durchmißt den Eistobel, der seinen Namen von den prachtvollen Eisbildungen hat, die im Winter dort auftreten, auf einer Strecke von 3 km, wobei ein Höhenunterschied von 70 m besteht.
Geologisch gesehen handelt es sich um "eines
der wichtigsten Molasseprofile in Bayern. An den steilen
Talhängen sind von Süden nach Norden drei unterschiedliche
Einheiten aufgeschlossen: die Untere Süßwassermolasse, die
Obere Meeresmolasse und die Obere Süßwassermolasse."
(Webseite des Bayerischen Landesamts für Umwelt).
"Molasse", das sind die Schotter-, Sand- und
Tonablagerungen, die sich aus dem Gesteinsmaterial gebildet
haben, die die Flüsse aus den Bergen herangetragen hatten und
die in einer Senke, die sich nördlich vor dem stark angehobenen
Alpenkörper in einer Vorsenke gesammelt hatten. Das soll im
Tertiär gewesen sein, also vor etwa 35 Millionen Jahren. Je
nachdem ob das noch auf dem Festland oder im Meer passierte,
spricht man von Meeres- oder Süßwassermolasse. Beide Formen
kommen im Eistobel vor.
Die Konglomerate weisen eine unterschiedliche
Verwitterungsresistenz auf. Das führte zur Bildung von
Steilstufen, die der Fluß in Wasserfällen und Stromschnellen
überwindet.
Zahlreiche Talverengungen, Wasserfälle und Stromschnellen
belegen die unterschiedliche Erosionsanfälligkeit der einzelnen
Schichten. Interessant sind auch die vielen Strudellöcher im
Flussbett, die mit Tiefen bis sieben Meter und Durchmessern bis
20 Meter beachtliche Ausmaße erreichen können. An vielen
Stellen kann man Kalktuffablagerungen entdecken.
Sie entstehen vor allem dort, wo seitliche Zuflüsse über
verfestigte Konglomeratbänke, die man auch Nagelfluh nennt, als
Wasserfälle herabstürzen und sich der ursprünglich im Wasser
gelöste Kalk ablagert. Aus höhlenkundlicher Sicht ist
bemerkenswert, daß immer wieder unterhalb liegende Schichten
leichter auswittern und so manchmal mehrere Meter überragende
Felsdächer entstanden sind. An einigen Stellen hat sich der
Fluß in mäandrierender Weise in die Felswände am Rand
eingeschnitten, so daß auch hier Halbhöhlen entstanden sind.
Wenn auch keine große Überraschungen in diesen Hohlräumen zu
erwarten sind, so zeigen sich doch insbesondere im Winter in der
Eingangsregion spektakuläre Eisformen. Ein Felsdach im unteren
Bereich des Tobel wurde mit Tisch und Sitzgelegenheiten versehen
und wohl gerne zu einem Aufenthalt mit Picknickmöglichkeit
benutzt.
Inzwischen ist der Eistobel voll vom organisierten Naturtourismus
entdeckt. In der Nähe der Eistobelbrücke zwischen Maierhöfen
und Grünenbach zweigt ein kurzes Sträßchen zu offiziellen
Eingang in die Schlucht ab. Heute genügt nicht mehr einfach ein
Parkplatz, wo man sein Fahrzeug stehen lassen kann, um von dort
aus einfach loszuwandern. Man hat spezielles Gebäude am Eingang
errichtet mit einem spektakulären Foto der winterlichen
Vereisung, architektonisch immerhin gut eingepaßt mit einfacher
Gestalt und hölzerner Außenverkleidung. Um reinzukommen, da
wird einem heute ein monetärer Obulos abverlangt, der mit den
Erhaltungskosten für die Steige gerechtfertigt wird.
Durchquert man die ganze Schlucht, so sollte man einfach eine Stunde Gehzeit veranschlagen. Recht reizvoll ist auch, von unten gesehen, in Höhe der Wasserfälle nach rechts aus der Schlucht auszusteigen und dann auf der Hochfläche darüber wieder zurückzuwandern.
Im Ostertaltobel bei Gunzesried-Säge
Im Steigbachtobel bei Immenstadt
Literatur:
Graul, H., Jürges, R.-A. | (1959) Geologische Untersuchungen im Eistobel zwischen Riedholz und Ebratshofen (Allgäu). - unv. Dipl.-Arbeit Univ. Heidelberg. |
SCHMID, R. | (1955): Glazialgeologische Untersuchungen im westlichen Allgäu. - Dissertation Univ. Tübingen. |
Lerchenmüller, Franz | Gemischtes Eis - Der Eistobel, eine Schlucht bei Grünenbach im Allgäu, macht in kalten Wintern seinem Namen alle Ehre, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Nr. 297, 23. Dezember 2010, S. 35 |
Seibert, Dieter | Wasserfälle, Tobel, Felsen - Wunderwelt aus Wasser und Stein 48 Ausflüge im Allgäu, Altusried 1992 |
Links:
Molasseprofil Eistobel - Internetangebot Bayerisches Landesamt für Umwelt
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