Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Biarritz und das Chambre d'Amour, F


Biarritz ist ein berühmtes See- und Heilbad an der französichen Atlantikküste. Früher eher ein Fischerdorf, änderte sich alles, nachdem die Ehefrau von Napoleon III, die Kaiserin Eugénie, für zwei Monate nach Biarritz kam. Der Kaiser ließ daraufhin eine Residenz bauten und das Paar besuchte danach regelmäßig im Sommer das Haus. Der Ort wurde bekannt, die feinen Leute kamen nun in Scharen. Die Engländer brachten den Golfsport gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Biarritz, wo er aufblühte. Nach dem 2. Weltkrieg löste der Film The Sun Also Rises der Surfboom dort aus. Insgesamt heißt es, daß das, was mit vielen früheren Badeorten passiert ist, daß sie nämlich einmal völlig aus der Mode kamen, mit Biarritz nicht passiert sei. Noch heute kommen viele Touristen hierher und verbringen schöne Stunden.

Ein Muß ist der Besuch des "Rocher de la Vierge", ein von der Brandung umspülter Felsen, den der berühmte Eiffel mittels einer Brücke mit dem Festland verband. Auch der Höhleninteressierte kommt hier auf seine Kosten, denn die Wellen greifen andauernd das Gestein an und zerstören es allmählich. So haben sich schon große Brandungshöhlen und kleinere und größere Naturbrücken gebildet. Der Mensch muß immer eingreifen und in einigen sieht man Einbauten. Man hat offenbar versucht, das Vergehen hinauszuzögern, aufhalten wird es niemand.

Die große Naturbrücke war sogar schon einmal ein Briefmarkenmotiv der französichen Post!

   
 
 
   

Speläologisch gesehen ist der wichtigse Ort von Biarritz das Chambre d'Amour.

Man wandert am Strand wie überall entlang, kommt an der "Bar de la Grotte" vorbei, biegt ab und kommt zur Öffnung einer kleinen Höhle, nett und freundlich mit Blumen gestaltet, alles friedlich, fein und sauber. Daß dort einmal eine Katastrophe stattgefunden haben soll, das läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Ein richtiges Liebespaar soll dort ertrunken sein in den großen Wellen des Atlantiks.

Im 17. Jahrhundert haben, so die Geschichte, in Anglet zwei junge Menschen gelebt und sich geliebt, Oura und Hédéra. Das Unglück kam durch den Vater des Mädchens, ein hochmütiger (altier) Hirte, der in dem jungen Mann nur einen gemeinen Kerl (vilain) gesehen hat. Sie mußten sich heimlich treffen, und einer dieser heimlichen Orte war eine kleine Meereshöhle. Dorthin flüchteten sie sich, fanden zuerst dort Schutz, doch dann kam die Flut. Das Wasser blockierte den Weg wieder nach draußen. Auch ein Sprung in die Fluten war vergebens. Eine hohe Welle spülte den jungen Mann wieder zurück. Es wurde aussichtslos, das Meer drängte heran, die Verliebten umarmten sich ein letztes und endgültiges Mal und sie starben gemeinsam.

Ein Drama, das viele bewegt hat. Viele Dichter haben diese Geschichte in Worte gefaßt, von Lüdemann, Lermercier, Baculard d'Arnaud, Jean Thoré, Malte-Brun, Bory de Saint-Vincent. Es gibt sogar Lieder, die sich mit diesem, die Herzen entzündenden Thema, beschäftigt haben. Immer mehr Menschen sind offenbar dorthin gekommen, haben sich von dem Thema anregen lassen in einer Weise, die offenbar damals auch schon den Polizeibehörden aufgefallen ist: "à ménager les yeux de la pudeur, en obligeant les baigneurs à dérober á la vue, d'une manière quelconque, ce que la femelle de l'orang-outang cache avec ca patte".

Berühmteste Besucherin war vielleicht Joséphine, Lebensgefährtin Napoleons. Beide haben diesen Ort besucht, nicht so abgeschieden wie die beiden unglücklichen Verliebten. Es kam zu einem Zwischenfall, Napoleon stieß seine Begleiterin um, sie fiel in eine Pfütze und machte sich naß, was den damaligen "Herrscher der Welt" zu einem überlieferten Lachanfall veranlaßte.

Im 19. Jahrhundert verschwand allmählich der Reiz des Ortes. Man findet ihn noch erwähnt in einigen Reisebeschreibungen, z.B. in der vom Comte Walsh "Relation du voyage de S. A. R. Madame, duchesse de Berry", aber er verblaßt gewaltig. Wer, wie ich, heute z.B. im Internet danach sucht, wird wenig bis nichts dazu finden. Ein traurige Liebesgeschichte gibt heute wohl nichts mehr her. Wir wollen die Lust heute sofort und vollständig und bei möglichst geringen eigenen Kosten. Liebe, die das Leben kostet - nicht zeitgemäß!

 

 
 2010
 

2010 war ich wieder einmal dort und vieles hat sich geändert. Es gibt einen bemerkenswerten Widerspruch zwischen der sprachlichen Präsenz dieser Höhle im Stadtbild von Biarritz und dem tatsächlichen physischen Erscheinungsbild. An Straßenschildern ist wirklich kein Mangel um das "Chambre d'Amour" mit dem Auto zu finden. Ist man dann mal an diesem großen Strandabschnitt gelandet, dann wird man alleine gelassen mit der Beantwortung der Frage, wo denn nun wirklich die Höhle ist. Eine Hilfe gibt es noch, denn sogar für den öffentlichen Bus existiert ein Haltepunkt "Chambre d'Amour". Ein kleiner Andenkenladen trägt auch noch diesen Namen und ein kurzen Stück Fußgängerpromenade.

Aber wo die Höhlenöffnung wirklich ist, das eröffnet sich erst im letzten Moment. Dann ist da tatsächlich ein herrschaftliches Tor in der Felswand, die vom Plateau, auf dem Stadt steht, hinunter zum Strand reicht. Im Vergleich zu früher hat sich einiges geändert. Nun steht da krass ein Schild, daß das Betreten der Höhle verboten sei, fein ausgedrückt durch ein Verkehrszeichen. Ein Mäuerchen wurde in sicherem Abstand dazu errichtet, ein Rasen ist davor gesät.

Sie zu übersteigen, das ist keine Kunst, und über das Gras zu laufen ist auch jedem möglich. Dann steht man in diesem berühmt-berüchtigten Hohlraum. Viel ist nicht darin zu sehen. Feuchter Sandboden, eine weite Halle, wie bei einer Brandungshöhle nicht anders zu erwarten, keine Fortsetzung. Einige Liebesherzen an die Wände graviert. Falls "Steinschlag" als Verbotsgrund für das Betreten herhalten müßte: Warum gibt es dann so wenig Felsbrocken auf dem Boden? Das Risiko scheint so groß zu sein, als wenn man auf der Erdoberfläche auf einen Meteoriten wartet. Wenn wirklich einmal ein Felsen heruntergekommen ist, dann reicht das für die nächsten 10.000 Jahre.

Literatur:

Minvielle, P. Grottes et Canyons, Ed. Denoel, Paris 1977
Chabert, Claude LES GRANDES CAVITÉS FRANCAISES; 1981

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