Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Landschaft und Höhlen im Bereich von Pierre-Saint-Martin, Pyrenäen, F


"Am nächsten Morgen, am Sedantage, ging ich ..bis ich an ein kleines Gasthaus kam, und da wohnte der Besitzer der Schlucht von Cacaoueta. Er hatte sie gepachtet, ihm gehörte sie - nichts verständlicher, als daß man eine Eintrittskarte in die Natur zu lösen hatte. Zwei Frank fünfzig. Guten Morgen..... Ich kletterte eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde lang, mitunter. Dann kam die rostige Eisentür, die stand offen, von hier ab begann also die bezahlte Natur." Kurt Tucholsky hat so bissig seinen Erstkontakt mit diesem Naturwunder beschrieben.


Die Kakouettaschlucht ist ein ganz kleines Stück des rund 140 km² großen Karstgebiets von Pierre-Saint-Martin/Larra. Künstliche menschliche Grenzziehungen zwischen Staaten, hier Frankreich und Spanien, sind den geologischen Grundstrukturen völlig egal. Im Rahmen der geologischen Zeiträume, die hier materiell eine Rolle spielen, ist das Zwischenspiel unserer Erscheinungsform, der homo sapiens, eine lächerliche Randerscheinung. Bei diesen Kalkgebirgen geht es eher um viele Millionen von Jahren. Und das sind wir Menschen eher nur ein Apercu als eine wirklich wesentliche Erscheinung.

Es sollte hier stehen, daß PSM nicht nur ein speläologisches Highlight ist. Wer nichts vom faszinierenden Untergrund weis, für den ist das hier nur eine Paßhöhe, über die man von Oloron Ste. Marie nach Enaquesa oder Burgui in Spanien will. Viele kommen hierher, um im Winter sehr gute Skisportmöglichkeiten zu haben.

Aber der Untergrund ist nicht weit. Wer ein wenig aufpaßt, dem fällt gleich neben der Straße über den Pass eine Mauer auf. Gleich daneben steht eine Informationstafel. Es lohnt sich stehenzubleiben. Ein großes schwarzes Loch tut sich dahinter auf, hinunterführend in eine Welt, die normalerweise allen Normalsterblichen ohne speläologische Ambitionen versperrt ist. Das allermeiste Geld dieser Erde würde da nichts bringen. Natürlich könnte mit höchstem technischen Aufwand vielleicht erzwingen können, auch dem letzten Rollstuhlfahrer da hinunter den Zugang zu ermöglichen. Wenn es sich wirtschaftlich rechnet, was man ja bekanntlich immer erst hinterher weiß, oder man nicht durch irgendeine staatliche Subvention gestützt wird, dann passiert so etwas nicht, meistens. Und das Gefühl, alleine am Seil zu hängen, vom Tod einfach nur den festen Griff am Abseiler getrennt zu sein, das kann man nicht mit Geld kaufen. Arme Leute, die glauben, daß durch das Geld sich alles bewerkstelligen läßt, sprich "Leistungsprämie".

Als wir im Juni 2010 PSM besuchten, hatten wir Pech - mit dem Wetter. All die großen Berge rundum waren im Nebel. In St. Engrace sahen wir allenfalls die besuchenswerte Kirche. Unterhalb der Säulen sind allerhand Figuren, die offenbar oft in die Hand genommen werden, weil sie überall deutliche Berührungsspuren spüren lassen. Am Dorfende stand ein 4Wler, an den Scheiben mit allerhand Speläoaufklebern. Ein kleiner "Hint" auf die Höhlenhaltigkeit der Gegend, die dem Normalbesucher wohl überhaupt nicht aufscheint. Keine "Schauhöhle", kein "Höhlenwanderweg", nichts.

In der Kakouettaschlucht, zumindest auf ihrem heute gut erschlossenen Teil, stoßen die Besucher an zwei Stellen auf das Phänomen "Höhle". An der "Cascade" ist der Ursprung des Wassers nicht zu übersehen. Es kommt direkt aus einem schwarzen Höhlenloch in 540 m Seehöhe. Das ist wirklich eine klassische Stelle. Auch für Betrachtungen über "Höhlen hinter einem Wasserfall". Inzwischen ist nämlich die Wand hinter dem Wasserfall schon so weit zurückerodiert worden, daß man trockenen Fußes auf einem Pfad wunderbar dahinter gehen kann, ohne auch nur irgendwie noch nass zu werden.
Wer genau hinschaut, der sieht, daß es durch dem scheinbar nur für die Vögel zugänglichen Portal inzwischen doch schon auch eine "menschliche" Route gibt. Vom obersten Rand eines heruntergefallenen Felsblocks schwingt sich ein Seil nach links in die Wand und dann über einige Umsteigstellen hinauf zu der großen Höhlenöffnung, ein Parcours, den man sich erst zutrauen und technisch beherrschen muß. Hier ist der Eingang zu einem der riesigen Höhlensysteme unter dem Plateau.

Für den Normaltouristen ist bei der "grotte" Schluß. In der bachabwärts gesehen linken Talseite zeigt sich eine hohe, schmale Höhlenöffnung aus der ein Bach rinnt. Alte massige Tropfsteine stehen fast irgendwie im Weg. Bergwärts ist bald Schluß. Da müßte man sich mutigerweise ins Wasser stürzen und ziemlich nass werden. Das tut sich unser Normalmensch ja nicht an und dreht lieber um. Die Fortsetzung ist zwar zu sehen - aber der Umgang mit der Sehnsucht nach Unbekanntem, der läßt sich wohl für die meisten Besucher auch anders lösen, z.B. in dem sie abends den Fernseher anschalten...

Die tiefsten Höhlen des Karstplateaus von PSM, das mit dem Pic d'Anie mit 2.504 m seinen Gipfelpunkt hat und eine mittlere Höhe zwischen 1500 und 2100 m Seehöhe hat, sind das System PSM-Gouffre des Partages mit - 1410 m (2010), die Puertas de Illamina - BU 56 mit 1.408 m und der gouffre du Bracas de THurugne -BT6 mit - 1.166m. Die längsten Höhlen sind das PSM-Gouffre des Partages-System mit 80.200 m (2010) und Arrestélia mit 59.425 m. Die tiefst gelegene Quelle heißt Laminako Ziloua auf 438 m Höhe öffnet sich im lac de Kakouetta. In ihr tritt das Wasser St-Georges-Systems zu Tage. Die Bentiaquelle auf 445 m Seehöhe öffnet sich ebenfalls im lac de Kakouetta und sie ist mit dem St-Vincent-System verbunden, zu dem PSM, Lonne Peyret, Arphidia und BT 6 gehören.

Schon Ende des 19. Jahrhunderts begannen Eugène Fournier und Edouard-Alfred Martel mit den Forschungen, richtig bekannt wurde das Karstgebiet dann durch die Entdeckung des großen Schachtes 1950 durch Georges Lépineux. 320 m tief ging es damals in einem Stück in die Tiefe, ein Weltrekord damals, wobei man eine Seilwinde einsetzte. Bei der Expedition im Jahre 1952 stürzte Marcel Loubens aus 15 m Höhe ab und verstarb in der Höhle, was weltweite Beachtung fand. Mit der Entdeckung des riesigen Höhlenraums "salle de la Verna" mit 260x250x180 m Größe taten sich neue Dimensionen auf. Die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF entwickelte Pläne, den gefundenen unterirdischen Fluß anzuzapfen und baute schon einmal einen Tunnel in den Hohlraum. Den gibt es noch heute, die Nutzung des Wassers zur Stromerzeugung ließ man aber lange Zeit sein. Seit 2008 wird nun tatsächlich Strom produziert und zwar 4 Megawatt.

Seit mehr als 35 Jahren kümmert sich eine Gruppe um die Angelegenheit der Höhlenforschung in diesem Raum: ARSIP. Sie ist der Ansprechpartner für Kontakte, auch über das Internet.

In der Kakouettaschlucht
 
 
"Grotte" in der K-Schlucht
 

Saint Engrace

 
 

Pass

Karst

 

Skistation

 

 


YouTube-Filme:

http://www.youtube.com/watch?v=mwDMui9oP-8&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=ZIKW7oicRS8

http://www.youtube.com/watch?v=UL8rFSL7n0w&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=RiqkddNxazQ&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=EEBxd7ZVp4M

http://www.youtube.com/watch?v=ulzvEypXabM&feature=related

 

Literatur:

ARSIP Le karst de la Pierre Saint-Martin en quelques chiffres, KARSTOLOGIA n° 6-1985, S. 3ff.
Audra, Philippe, responsable d'édition Grottes & karsts de France, Karstologia Mémoires, n° 19 2010
Banti, Mina & Renato, Tonali, Fabio Aperta al pubblico la Sala della Verna alla Pierre Saint Martin, Speleologia 64/2011, S. 41ff
Beerli, P. Lonne Peyret, Le Trou Dez. 1985, S. 14ff.
Chabert, Claude LES GRANDES CAVITÉS FRANCAISES; 1981
Douat, Michel Le Lonné Peyret (-800m) la plus belle classique de la PSM, Spéléo n° 6, 1991, S. 3f.
Frelon, Philippe Le gouffre BT6 ou gouffre de Bracas de Thurugne, Massif de la Pierre-Saint-Martin, France, Spelunca n°32-1988, S. 11ff.
Klingenfuß, Bruno Salle de la Verna, REFLEKTOR 4-1986, S. 24ff.
Labeyrie, Jacques Les découvreurs du Gouffre de la Pierre Saint-Martin, Editions Cairn, 2005
Lock, Harry Exploring the PSM, Caves & Caving, Spring 1993, S. 20ff.
Minvielle, P. Grottes et Canyons, Ed. Denoel, Paris 1977
Pernette, Jean-Francoise BU 56: Pathway to the St. Georges River? Caving International Magazine No. 11 April 1981, S. 4ff.
Pernette, J.F., Übersetzung W. Klappacher Das Plateau von Pierre Saint Martin, Vereinsmitteilungen Salzburg 2-1976
ohne Verfasserangabe Kakouetta, nous voila! Spéléo n° 10, 1992, S. 1
Tazieff, Haroun Le gouffre de la Pierre St Martin, erhältlich auch im Internet als PDF-Datei
Tricoche, Michel Le gouffre Chipi Josetteko Leze Handia, Spelunca n° 75, S. 13ff.
Tucholsky, Kurt Ein Pyrenäenbuch, rororo, Reinbeck bei Hamburg 195
Vanstraelen, Patrick ANIALARRA - 711.. et on n'est nelle part! REGARDS 3-1988, S. 29ff.

Links: