Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Saint-Guilhem-le-Desert, Herault, F - Ort und Wanderungen in die Umgebung
Grotte du Sergent und Umgebung
Im BAEDEKER-Autoreiseführer
"Frankreich" aus dem Jahre 1965/66 steht über diesen
Ort nur, daß man von Ganges auf dem Weg nach Beziers zu dem
"am Ausgang einer Schlucht gelegenen kleinen Ort (roman.
Kirche eines 804 gegründeten ehem. Klosters)
vorübergeführt" würde.
Auch in WIKIPEDIA erfährt nicht viel über diesen Ort, der von
einer Vereinigung namens "Les Plus Beaux Villages de
France" zu einer der schönsten Dörfer Frankreichs
gewählt wurde.
Was ihn besonders macht, das ist seine isolierte Lage in einer
wilden, isolierten Berglandschaft, seine noch immer vorhandene
ansehnliche Bausubstanz mit vielen alten Häusern und dem um 800
n.Chr. gegründeten "Gellone"-Kloster, die immer mal
wieder auch bedroht wird von Hochwässern, wenn der Verdus, der
meist nur unscheinbare Bach, der längs des ganzen Ortes fließt,
zum reissenden Wildwasser wird und große Teile des Orts in
seinen Fluten fast ertrinken.
In den Spitzenzeiten im Sommer sollen an die 20.000 Touristen pro Tag sich hierher ergießen und begraben wohl alles unter ihren Massen. Dann sind sämtliche begrenzte Parkmöglichkeiten ausgeschöpft, und es geht dann wohl "nichts mehr". Wo viele Touristen hinkommen, da erwickelt sich auch ein entsprechender Markt, aber noch ist es nicht abschreckend. Erstaunlich viele Galerien gibt es hier, die Aquarelle und Ölgemälde anbieten. Auch das Angebot an ortsbezogenen Lebensmitteln (Ziegenkäse, Tapanade) und Getränken (vor allem Wein und Apfelsaft) ist sehr gehoben.
All diejenigen, die diesen wunderbaren Ort unter normalen Umständen erleben, werden nicht den wahren Charme gewahr, den er bekommt, wenn all die vielen Menschen wieder weg sind, wenn es Abend wird und die Stille wieder einkehrt. Am besten übernachtet man hier, aber es gibt nicht viele Unterkunftsmöglichkeiten. Meist sind es nur ein paar Wanderer, die im örtlichen Gîte des CAF eine einfache Unterkunft finden, oder, im wachsenden Maße, Jakobswegpilger. Eine der beliebtesten Routen beginnt in Arlès und führt über Saint-Guilhem weiter über den Südrand der Causses bis in die Pyrenäen. So braucht es nicht zu verwundern, daß an zahlreichen Plätzen im Ort eine Jakobsmuschel zu finden ist, so an einem Brunnen aus dem ständig Wasser fließt und mit einer Tafel versehen ist, die anzeigt, daß es sich um trinkbares Wasser hier handelt.
Einen richtigen Skandal hat es in dem Ort auch mal gegeben, als nämlich ein Teil des Kreuzgangs des Klosters am Ende des 19. Jahrhunderts mit Geldern von John D. Rockefeller II an die Amerikaner verkauft wurden. Im New Yorker Museum "The Cloisters" wurde er wieder aufgestellt!
Im Gite | ||
Besonders schön ist es, in der Umgebung von Saint-Guilhem zum Wandern zu gehen. Die Standardroute führt vom Ort durch das Tal des Verdus bis zum "Ende der Welt", dem "Bout du Monde". In einer Stunde hat man den Weg hinter sich und mußte praktisch keinen Höhenmeter zurücklegen. Wer es etwas anstrengender mag, der kann sich den vielen markierten und gut in Schuß gehaltenen, meist uralten Wegen anvertrauen, die in die Umgebung führen. Dem, der eine empfindliche Nase hat, dem wird eine Symphonie aus Gerüchen zuteil. Buchs, Thymian und Rosmarin sind nur die bekanntesten olfaktorischen Genüsse, die einen begleiten. Wenn nicht gerade viele Touristen geschwätzig herumirren, dann kann man auch tiefe Stilleerfahrungen machen. Stachlig ist die Gegend. Wer abgeht von den breiten Wegen, dem kann es passieren, daß er zerkratzt und blutig wieder aus der Wildnis herauskommt.
Wer sich die IGN-Karte "ST-GUILHEM-LE-DÉSERT" 1:25000 Karte zulegt, der hat genügend Rüstzeug, um sich ins Gelände wagen zu können. Tagelang kann er unterwegs sein, je nach Routenwahl wird er kaum jemandem begegnen, und immer wieder einen neuen Abschnitt der abwechslungsreichen Gegend kennenlernen können.
Das Gebiet ist zum größten Teil Karstgebiet und entsprechend sieht die Landschaft aus. An der Oberfläche ist zerfressenes Kalkgestein und im Untergrund gibt es einige Höhlen. Auf der 25000er-Karte sind einige eingetragen, die Baume de l'Olivier, die Ermitage Notre Dame de Belle Grace, die Grotte de Brunan, die Grotte du Sergent. Wen dieses Thema mehr interessiert, der sei auf die Spezialliteratur verwiesen.
April 2007. Ich bin wieder mit Alfred unterwegs.
Vor drei Jahren haben wir schon einmal eine Nacht im Gîte in
Saint-Guilhem verbracht. Wir wollen noch einmal versuchen, dort
unterzukommen. An der Tür des wohl mittelalterlichen Hauses
weist ein Zettel darauf hin, daß man den Schlüssel dazu nicht
mehr da bekommt, wo wir ihn früher schon einmal geholt hatten.
Der Wirt einer kleinen Creperie am Marktplatz verwaltet ihn
jetzt. Wir gehen hin und bekommen gute Nachricht. Es ist Platz!
Nur zwei andere Paare sind da, wir werden noch ein Dach über dem
Kopf haben! Wir bezahlen gleich für zwei Nächte, bekommen den
Schlüssel und alles ist abgemacht. Tagsüber machen wir eine
Wanderung zur Baume de l'Olivier und eigentlich möchte ich auch
noch weiter zur Grotte de Baume-Cellier, allein es bleibt beim
Wollen. Später wird mir klar, warum wir sie nicht gefunden haben
- sie ist an einem ganz anderen Ort. Vergeblich war unsere Mühe
trotzdem nicht. Immer nur alles im ersten Anlauf zu nehmen,
überall nur "erfolgreich" zu sein - erstens gibt es
diese Leute überhaupt nicht - und zweitens fehlt denen
vollkommen die wertvolle Erfahrung von "Fehlschlägen".
Erst die härten einen richtig, machen gewitzt, vorsichtig und
auch wieder risikofreudig. Langfristig zahlt sich das Alles
vielfach aus.
Nachdem wir das ursprüngliche Ziel nicht erreicht hatten, machte
ich den Vorschlag, doch die Ermitage Notre Dame de Belle Grace
noch einmal aufzusuchen. Ich hatte einen ganz persönlichen
Grund. Als wir vor 3 Jahren schon einmal dort waren, da habe ich
auch dort schon fotographiert gehabt, wie an so manchen anderen
Orten. Und dann passierte der Supergau. Irgendwo bei der
Garrelhöhle habe ich die Chipkarte der Digitalkamera verloren.
Sie war einfach weg und ich habe das erst wieder in München
gemerkt. Ungefähr 500 Bilder einfach verschwunden. Das mußte
ich erst einmal verdauen. Ein Heilungsversuch ist, überall noch
einmal hinzuwandern. Das machten wir hier auch noch einmal. Erst
war da ein schmaler, ausgetretener Pfad, der sich zwischen dem
Buschbewuchs hindurch wand. Immer mehr verlief der
"Pfad" nur noch in einem immer weniger deutlichen
Bachbettlein, das schließlich gar nicht mehr auffindbar war. Wir
standen mitten im Wildwuchs und überlegten, wie wir da wieder
herauskommen könnten. Alles zurück, das schien vollkommen
sinnlos, aber vorwärts? War irgendwie auch unmöglich. Links
senkrechte Kalkkletterwände, rechts undurchdringliches
Buschwerk. Mitten durch? Wie ein menschlicher Bulldozer werkelten
wir uns solange voran, bis schließlich, irgendwie
himmlischerweise, ein schmales Pfädlein wieder vor uns war.
Würde es uns zum langsam heiß ersehnten Wanderpfad emporleiten?
Ohne Glück gehts nicht im Leben, Leistung alleine reicht nicht.
Wir hatten "fortune" und kamen am Ende tatsächlich an
der Eremitage unter dem Felsdach an. Ganz anders als vor drei
Jahren. Diesmal war niemand da. Ganz allein genossen wir die
Stille, zogen am Glockenseil des Kapellchens und marschierten
dann wieder beglückt zurück in den inzwischen den
Tagestouristen wieder verlassenen Ort. Eine kleine Straßenszene
hat mich noch beglückt: Da schritten zwei Jakobswegpilger. Ein
älterer Mann, an der Sprache als Engländer und an der
umgehängten Muschel als Jakobswegpilger identifizierbar, und
eine junge Frau, auch englisch sprechend. Er fragte sie, ob sie
irgendwas in ihrem Gepäck entdeckt hätte, was überflüssig
gewesen wäre, und ihre Antwort, klassich: "Nothing".
Am Abend im Gîte begegneten wir noch einem jungen Mann, der
völlig erschöpft von der letzten Wanderetappe war. Später
unterhielten wir uns mit ihm im Aufenthaltsraum. Er kam aus New
York, war gelernter Koch und verdiente sich sein Geld in diesem
Beruf seit zwei Jahren auf Stationen in der Antarktis. Jetzt war
gerade nicht Saison und deshalb hatte er Zeit, sich zwei Monate
für eine Jakobswegwanderung zu nehmen. Auf meine Frage, warum er
das tue, gab er zur Antwort: Nicht weil ich ein christliches Ziel
habe, sondern ich möchte mich selber kennenlernen. Dann saß er
nur noch da und schrieb in sein Tagebuch, Harpe Kerkeling ließ
grüßen.
Am nächsten Tag machte ich mit Alfred eine Wanderung, die im ersten Teil entlang des Jakobswegs verlief - allerdings in umgekehrter Richtung. Eine spannende Idee. Wenn alle Richtung Compostella laufen, warum dann nicht auch einmal umgekehrt? Man hat in der Gegend offenbar die Zeichen der Zeit erkannt und sich mit dem Bau des Weges richtig Mühe gegeben. Nachdem es mit dem Bau der Autostraße mit der Idylle und Ruhe weitgehend vorbei ist, da mußte man eben einen etwas unterhalb des Teerbelags verlaufenden Schotterweg neu anlegen. Er umgeht raffiniert die örtliche Kläranlage, passiert eine alte, längst verfallende Mühlenanlage (alles entgegen der üblichen Jakobswegrichtung gesehen) und ist trotzdem einfach schön. Die Natur ist unschlagbar, soviel Mühe sich der "Mensch" auch gibt, sie kleinzukriegen, raffiniert oft verkleidet in den Slogan von der "Verbesserung". Man muß nur eine einzige Mohnblume im Morgentau anschauen und sehen, was für Stümper auch heute noch selbst unsere selbsternannten "Größen" sind.
Es ging hinauf an der Südseite des Combe de Brunan in Richtung auf das "Maison Forestiere des Plos". Die Höhle auf dem Weg unterwegs übersahen wir erst einmal und liefen daran vorbei. Mit Glück habe ich dann doch noch aufgestöbert und befahren. Sie zeigt alle Spuren langen Bekanntseins, verrußt, abgeschlagen ist alles, was nur irgendwie zerstörbar war, und zurückgelassen war auch was: ein seltsamer Standsitz im Eingang. Irgendwann trafen wir auch wieder auf den Hauptwanderweg und prompt war da auch wieder zwei Jakobswegpilger, die wir schon am Morgen im Cafe im Dorf gesehen hatten, dem Gespräch nach, das ich verfolgt hatte, irgendwelche Leute von einer Hochschule, "..théorie de bourgeoisie..". Ein Genuß war das, hier oben im duftenden Unterholz auf einem ausgetretenen, jetzt endlich horizontalen Pfad durchs Gelände laufen zu können. Dann kamen wieder Felsen, es ging abwärts, an einer Stelle mit einem Prachtblick aufs "Ende der Welt", diese Franzosen, die kennen den Ausdruck des "bout du monde". Längst ist seitlich davon ein Weg angelegt, wo man es umgehen kann. Steil geht es auf gutem Weg ganz nach unten, noch ein paar Meter sind gradaus zu laufen, dann hat man den Parkplatz unter den Platanen erreicht, kann die Bergschuhe ausziehen und in die bequemen Sandalen schlüpfen. Ein wunderbares Erlebnis, das ich nur als Geschenk sehen kann, daß es so etwas heute noch gibt, war zu Ende. Zu wem soll ich Danke sagen? Der Natur? Diesem Planeten? Ich tue es, ohne zu wirklich zu wissen, wer oder was so etwas "ins Leben gerufen" hat. An die alten, uns überlieferten und in den Schulen aufgezwungenen Geschichten von einem "Gott" glaube ich nicht mehr. Gibt es neue Antworten?
Höhlen
Literatur:
Labadie, Patrick, Vasseur, Frank | Spéléo sportive dans les Garrigues Nord-Montpelleriéraines, Aix-en-Provence 1992 |
Caumont, Daniel | Monts et Grottes de Saint-Guilhem-le-Desert, La Ravoire 1993 |
Houlez, Jean-Paul | Grottes et avens du Pays de Saint-Guilhem |
Barbut, Frédérique | Saint-Guilhem-le-Désert Grotte de Clamouse, Éditions Ouest-France, collection Patrimonine (2001) |
Links:
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