Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Lascaux 4

 


"Es war einmal ein schönes Pferd aus Lascaux..." Zbigiew, Lascaux

"Warum ist das Glühwürmchen nicht dargestellt an den Höhlenwänden von Lascaux?" Handke, Felsenfester 103

"These paintings put to shame many contemporary artists with their fals values and meaningless daubs." Eyre, Cave Explorers


Nicht weit vom kleinen Städtchen Montignac befindet sich im linken Uferhang der Vézère der Eingang zu einer der berühmtesten Höhlen der Erde, Lascaux. Sie wurde am 12. September 1940 von 4 jungen Leuten und ihrem Hund Robot zufällig entdeckt. Der Hund war plötzlich wie von der Erde verschluckt, einfach weg. Bei der Suche nach ihm fanden sie ein Erdloch, in das sie erstmals eindrangen. Am Tag danach kamen sie mit Seilen und Strickleiter wieder und stiegen hinunter in den ersten großen Saal mit seinen Tierfriesen. Sie versprachen sich, die Entdeckung geheim zu halten, aber dieses Versprechen hielt nur 3 Tage. Dann kamen sie mit dem Dorfschullehrer zurück und so kam eine Welle ins Rollen, die diese nicht einmal 300 m lange Höhle weltberühmt machte. Nach dem 2. Weltkrieg wurde sie zur Schauhöhle ausgebaut und Zehntausende von Besuchern strömten in die Räume und bestaunten die auch schon mal als "Louvre der Urzeit" bezeichnete Höhle. 1963 zeigten sich dann erste Spuren der Zerstörung. Eine weiße Kalzitschicht bildete sich über den Malereien und so verschwanden die Bilder allmählich. Der große Besucherbesuch wurde gestoppt, heute ist das Areal über der Originalhöhle weiträumig abgesperrt, mit dicken Stahltüren abgeschlossen und ist nur noch wenigen Fachbesuchern pro Jahr zugänglich.

Das einträgliche Geschäft wollte man sich aber wohl auch nicht entgehen lassen und so entstand in einem nahen ehemaligen Steinbruch eine genaue Replik eines bedeutsamen Teils der Höhle (heute gibt es wenige Kilometer entfernt bei Le Thot eine Replik eines weiteren Höhlenteils) - Lascaux II. Unten im Ort gibt es die Eintrittskarten, wohl eine geschickte Regelung, um die Touristenströme nutzbringend auch in den Stadtkern zu lenken.
Das Geschäft scheint gut zu laufen. Fast schon zu gut. Geführt in kleinen Gruppen wird man durch die Anlage geschleust. In drei Abschnitten geht es durch die artifizielle Unterwelt. An Anfang sind zwei museale Schauräume, in denen die Höhle und die steinzeitliche Kunst erläutert werden, dann geht man durch einen schmalen Betontunnel hinein in den sparsam erleuchteten Saal. Links und rechts an den Wänden in Kopfhöhe und darüber reiht sich da Tierdarstellung an Tierdarstellung. Das größte Rind mißt immerhin 5,20 m! Wildpferde, Hirsche, was es da nicht alles zu sehen gibt! Inzwischen hat man erkannt, daß man es hier nicht mit der Tierwelt zu tun hat, die man zum Überleben jagte. Man lebte hauptsächlich von Rentieren in der Zeit der Entstehung dieser Bilder vor 15.000 Jahren. Die alte These von der Jagdmagie, die man hier betreiben wollte, darf man vergessen.
Der große Besucherdruck führt dazu, daß man überhaupt keine Ruhe mehr hat, wenn man durch die künstliche Höhle geht. Die nächste Gruppe drängt schon wieder nach, da hat die vorherige die Räume noch nicht mal entlassen. Negativ ist auch aus der Sicht eines Photographen, daß man das Photographieren verboten hat. Es passiert zwar trotzdem, heimlich halt, aber eine gute Begründung für das Verbot gibt es wohl nicht, genauso wie in all den anderen ähnlich gelagerten Fällen.Mit der Erstellung einer Kopie der Höhle wollte man der Natur ein wenig ein Schnippchen schlagen und die Vergänglichkeit ein wenig in den sog. Griff  bekommen. Es zeigt sich inzwischen, daß das nur für einige Jahre ging, dann war die Kopie schon unansehnlich und baufällig geworden.

Es gibt auch "Lascaux 3", das sollen mobile Nachbauten der Höhle sein, "die seit 2012 vor allem durch Nordamerika touren" (Maier-Albang, SZ 34").

Man muß einen Kilometer der Fahrstraße an der Original-Lascaux-Höhle folgen, dann steht man schon am Eingang zur nächsten Höhlenattraktion: der Höhle von Regourdou. Aufregendes zu sehen gibt es wohl wenig, aber historisch bedeutsam ist der Ort sicherlich. Hier hat man einen der frühesten Orte vor sich, wo sich ein Totenkult nachweisen ließ, wo ein Mensch besonders bestattet wurde - und gleich daneben ein Haufen von Höhlenbärenknochen in kultischer Weise aufbewahrt wurden - und das in einer Zeit zwischen 60.000 und 90.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung. Wie war die Beziehung des Menschen zum Bären damals? War er "Freund", "Feind", "Nahrungsquelle", "Verehrungsobjekt"? Kämpfte man gegen ihn oder lebte man einfach mit ihm?

Der Abstieg in die Originalhöhle

Der obige Text stammt aus dem Jahre 2012

Inzwischen hat sich Grundlegendes verändert, weil nun LASCAUX 4 geöffnet hat. Diese Anlage stellt alles in den Schatten, was es früher darüber gegeben hat - außer dem Original. Hier ist wirklich einmal etwas gelungen, wurde neues Großes geschaffen. Man beauftragte ein junges norwegisches Architekturbüro, Snohetta, das mit einem französischen Kontaktbüro, SRA-Architects (Paris) und dem Büro Casson Mann (London) zusammenarbeitete, die sich als Museumsgestalter und Interior Designer bewährt hatten. Man wollte an der "Spitze des heutzutage Möglichen" arbeiten. Das Gebäude sollte nicht herausstechen aus der Landschaft, sondern sich einfügen in die Landschaft. Ein längliches, flaches Gebilde wurde an den sanft ansteigenden Hang angefügt, die expressiv gezackte Fassade aus grau-weißem Sichtbeton orientiert sich nach Nordwesten und besteht oben aus Stein und unten aus durchsichtigem Glas. Innen ist alles hell, die Wände zeichnen die Schichtungen von Gestein in dem Wechseln von hellen und etwas dunkleren Tönen nach. Auf den 8.000 m² Grundfläche wurden gerade Wände vermieden, die Räume sollten alle untypische Gestalt haben, wie eine Schlucht zieht sich ein hoher Gang durch das ganze Gebäude und teilt es. Man bekommt sofort das Gefühl, daß es hier um etwas geht, was mit dem Alltag von uns Menschen nichts zu tun hat. Unvermeidlich scheinen die Gedenk- und Vorschriftstafeln an der Wand zu sein: Wer hat wann was entdeckt, veranlaßt, erstbesucht. Offenbar ist das so manchem Honoratioren wichtig.

Als ich im September 2018 wieder durch die Dordogne reiste, nahm ich die Gelegenheit wahr und machte einen kleinen Umweg, um diese neue menschliche Hervorbringung auch einmal zu sehen. Am Morgen war ich der Erste, der dort eintraf, erst ganz allmählich kamen mehr dazu, schließlich ergoß sich schon die Woge aus organisierten Reisen über das Gelände. Morgens war es herrlich, Nebel lag im Tal, die Sonne mußte erst durch die weißen Schleier dringen, die aber bald darauf vollständig verschwanden und ein blauer Prachthimmel wölbte sich über dem noch herrlich wenig veränderten Vezèretal. Streng wird jetzt darüber gewacht, daß keine modernen Bauten das Panorama negativ verunstalten. Rund um das Gebäude wurde der Bewuchs so gewählt, daß er den Verhältnissen in der Periode der Entstehung der Höhlenbilder möglichst nahe kommt - eine Graslandschaft mit einigen Tümpeln und höchstens niedrigem Buschwerk.

Hat man ein Eintrittsticket ergattert, dann weiß man, wann man sich am Eingang einzufinden hat. Man wird in kleinen Gruppen geführt und muß sich schon auf 2 1/2 Stunden Führungszeit einrichten. Zuerst bekommt man seine Kopfhörer, mit deren Hilfe man in 11 verschiedenen Sprachen den Ausführungen folgen kann, dann geht es in einem gläsernen Aufzug um ein Stockwerk höher, wo man auf einer Aussichtsplattform landet, dem Belvédère, von wo aus man einen Prachtblick auf die Umgebung hat. Nun geht es wieder abwärts in einen schmalen schluchtförmigen Gang, der zum "Shelter" führt. Man betritt eine Betonkunstcaverne und es wird dem Besucher mittels eines Films die Zeit der Entstehung der Bilder gezeigt - eine Zeitreise. Damals wuchsen hier keine Bäume, sondern es gab hier eine Tundralandschaft. Der Eingang zur Höhle von Lascaux lag nicht verborgen im Wald, sondern der Eingang war schon weitem wegen seiner Größe gut zu sehen. In animierten Szenen sieht man auch die damals vorkommenden Tiere, die Pferde, die Bisons, die Rentiere, die Mammuts. Dann macht man eine Sprung und landet im Jahre 1940. 4 Jugendliche tauchen auf und das Abenteuer der Entdeckung von Lascaux beginnt. Die sehr sachkundige Führerin erzählt nun die Geschichte, wie der Eingang gefunden wurde und was gleich danach alles passierte - auf dem "chemin de la découverte". Man geht weiter und kommt vor den Eingang zur neuen künstlichen Höhle. Im Vorraum ist alles schon dunkel, dann heißt es: "Etês-vous prêt?" und sie öffnet das Tor. Das ist so ein Wow-Moment. Schon steht man mitten im Höhlenraum. Links von einem kommt schwach das Licht von draußen herein, einen kurzen Abhang geht es herunter und schon steht man in einem Tunnel. Es ist kühler aus draußen, die Geräusche gedämpft, und natürlich ist des dunkler. Gleich fangen die Malereien an und scheinen nicht mehr aufzuhören. Einfach großartig. 

Dann verläßt man die Kunsthöhle wieder durch eine Metalltüre und steht draußen in der großen Gebäudeteilung. Nun kann man sich ohne Führung durch die weiteren Teile des Gesamtausstellung bewegen. Eine geniale Idee ist das Lascaux Studio. Dort hat man 8 Teile der Gesamthöhle noch einmal originalgetreu aufgebaut und kann sie geziehlt studieren und photographieren. Besonders gelungen ist die Abbildung der Schachtszene, die man in der Originalkopiehöhle so gar nicht zu sehen bekommt und in der ja die berühmte Szene mit dem Mann mit dem Vogelstab an der Wand ist. Hat man sich von diesem Erlebnis satt gesehen, dann kann man in die nächsten Abteilungen schreiten: das "théâtre de l'art pariétal" (wo man in 3 Szenen - Renaissance, Interpretation, Forschung - die "Entwicklung" der Kenntnis der steinzeitlichen Höhlenkunst gezeigt bekommt), das "cinema", die "galerie de l'imaninaire" (mit 3-D-Bildschirmen und 3-D-Brillen) und am Ende die "exposition temporaire". Hier zeigt man wechselnde Kunstausstellungen, die einen Bezug zum Grundthema, der steinzeitlichen Höhlenkunst haben. 

Mir reichte es hinterher. Es gibt auch noch die wirkliche Welt jenseits aller medialen Aufbereitung. Ich fuhr weiter nach Roche-St-Christophe, aber es wäre noch viel besser gewesen, irgendeine kleine echte Höhle aufzusuchen, sich vielleicht ein wenig dreckig zu machen, dann einfach nur noch dazusitzen und vielleicht die Zeichnungen von Kindern im Höhleneingang anzuschauen. 

Morgens bei Sonnenaufgang
     
     
In der zweiten Reproduktion der Höhle

Lascaux, das ist ein Gedanke, ein Erlebnis, eine Erfahrung, die weiterwirkt. In so manchem Text tauchen auf einmal wieder Element davon auf. Ein paar Beispiele:

- Nachdem die Anthropologin Nastassja Martin eine Begegnung mit einem Bären hatte, wobei er in ihren Kopf biß und sie diesen Moment überlebte, verarbeitete sie ihr Erlebnis auch in folgenden Zeilen: "Es ist einfach das Zusammentreffen von mir und diesem Bären in der zeitgenössischen Welt, die unseren unbedeutenden persönlichen Lebenswegen gleichgültig gegenübersteht; es ist aber auch die archetypische Konfrontation, es ist der taumelnde Mensch mit dem erigierten Glied gegenüber dem verletzten Wiesent im Schacht von Lascaux. Wie in der Schachtszene ist es der ungewisse Ausgang des Kampfes, der das unglaubliche, doch tatsächlich eingetretene Ereignis prägt. Aber anders als bei der Schachtszene ist das Ende hiere kein Rätsel, da keiner von uns stirbt, da wir beide davonkommen, wir kommen aus dem stattgefundene Unmöglichen zurück." S. 126, und: "Ich will ein Anker werden. Ein sehr schwerer Anker, der bis in die Tiefen der Zeit vor der Zeit hinabsinkt, die Zeit des Mythos, der Matrix, des Urbeginns. Die Zeit, in der die Menschen die Schachtszene in Lascaux malten. Eine Zeit, in der sich und der Bär, meine Hände in seinem Fell und seine Zähne auf meiner Haut, eine gegenseitige Initiation darstellen." S. 64.

- Michael Rappenglück aus Gilching, Wissenschaftshistoriker und Archäoastronom, interpretiert die "sechs schwarzen Tupfen", die über dem Rücken des großen Auerochsen von 5,5 m Länge angebracht sind, als die Plejaden, einen Sternhaufen im heutigen Sternbild Stier, und damit als Beweis dafür, daß man vor langer Zeit auch schon einfache astronomische Kenntnisse besaß (Geo, Die großen Rätsel der Zivilisation)


Ein bemerkenswertes Phänomen ist, daß eine bekannte Höhle an anderer Stelle wieder nachgebaut wird. Wie eine Art Echo... Zum Beispiel im Museum Alte Kulturen in Tübingen

 

 


Literatur:

Bataille, Georges Die Höhlenbilder von Lascaux oder die Geburt der Kunst, Verlagsgemeinschaft Klett-Cotta, Stuttgart 1983
Eyre, Jim The Cave Explorers, The Stalactite Press, Calgary 1981
Geo Die großen Rätsel der Zivilisation, 5/2021, Teil VII. Seit wann deuten Menschen die Sterne?
Handke, Peter Am Felsenfenster morgens, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2019
Maier-Albang, Monika Expedition ins Stierreich, Süddeutsche Zeitung Nr. 301, 29.12.2016, REISE, S. 34
Martin, Nastassja  An das Wilde glauben (Croire aux fauves), Matthes & Seitz, Berlin, 2. Auflage, 2021
Newton, Iris Die Bilderwelt von Lascaux, Entstehung, Entdeckung, Bedeutung, Elsengold 2015
Peyrony, E. Les Eyzies und das Tal der Vézère für den Gelehrten und Touristen, Montignac 1962
Ruspoli, Mario Die Höhlenmalerei von Lascaux - Auf den Spuren des frühen Menschen, Bechtermünz-Verlag, Augsburg 1998
Zbiniew, Herbert Ein Barbar in einem Garten 2, edition Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1969

Links:

https://www.lascaux.fr/de/contenu/47-lascaux-zeitreise-zur-urgeschichte-der-menschheit

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Hoehlenmuseum_von_Snohetta_5023311.html

https://www.archdaily.com/868408/lascaux-iv-snohetta-plus-casson-mann

http://www.floornature.com/snohetta-lascaux-iv-international-cave-art-centre-12847/

https://www.e-architect.co.uk/france/lascaux-iv-montignac

http://archeologie.culture.fr/lascaux/fr#/en/00.xml/

https://snohetta.com/projects/322-lascaux-iv-the-international-centre-for-cave-art

Entlang der Vézère zwischen Montignac bis La Madeleine, Dordogne, F

Landschaft und Höhlen an der Dordogne, F


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