Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Algar do Carvao
Terceira, Azoren
Die Algar do Carvao auf der Insel Terceira, die zum Azoren-Archipel gehört, ist eine der ungewöhnlichsten Höhlen, die ich je besucht habe. In dürren Zahlen ausgedrückt: Länge 120/90 m, Höhe 1,60-40 m, 2,10 bis 20,0 m, Eingangshöhe 629 m, UTM 4810/42865 (entnommen dem Höhlenverzeichnis der Azoren, das zum 6ten "International Symposium on Vulcanospeleology" 2006 veröffentlicht worden war.
Es ist der Satz schon veröffentlicht worden, daß die "Wissenschaft", was immer man sich darunter vorstellen mag, ihre Höhepunkte erreicht, wenn alles nur noch in Zahlen wiedergegeben werden kann und wird. So einer ist hier scheinbar für manche erreicht gewesen. Solche Zahlen sagen halt herzlich wenig aus, versuchen alles in allgemeine Schematas zu pressen, wobei in Kauf genommen wird, daß jede Individualität vollkommen verloren geht.
Und jede Höhle, auch die kleinste, ist vor allem ein Einzelstück. Und auch die "Größten", wozu ich die Algar do Carvao rechne. Heute ist man da nicht mehr alleine, sondern teilt ein Besuchserlebnis mit vielen, sehr vielen. Es bislang keinen Anschluß an das öffentliche Verkehrsnetz, so daß man selbst für den Transport ins Innere von Terceira sorgen muß. Entweder man mietet ein Auto oder fährt mit einer organisierten Reise dorthin, oft kombiniert mit dem Besuch der Gruta do Natal, oder geht halt zu Fuß, mehrere Stunden, weil es 12 km bis nach Angra do Heroismo zum Beispiel sind.
Entstanden ist die große Schachthöhle, so wenigstens die heutige Hypothese, anläßlich eines Ausbruchs in der Terra Brava (707 m asl), die zur Entstehung des Pico Alto führte. vor 2148+/+ 115 Jahren. Die englische Fachbezeichnung ist "vulcano chimney cave", auf deutsch wohl "Vulkanschlothöhle". Wo früher die flüssige Lava aus dem Schlot herausschoß und der Nachschub von innen nachließ, verfestigten sich die Räume darunter und wurden frei. So ist uns heute ein kleiner Blick in den Bereich möglich, der früher als die "Hölle" charakterisiert worden ist, den Raum, wo alle "guten" Menschen überhaupt nichts verloren habend, weil dort nur äußerste Qual, Leiden, Schrecken herrschen.
Im April 2023 war ich selber einmal dort und war erstaunt, daß
es so ruhig zuging. Das klärte sich schnell, denn die Höhle ist nur für kurze
Zeit am Nachmittag geöffnet. Ansonsten ist sie aus Höhlenschutzgründen
geschlossen. Ich kam nachmittags wieder und schon hatte sich der Parkplatz
ziemlich gefüllt. Alles beginnt ziemlich unspektakulär. Man geht auf einem
geteerten Weg zwischen den dicht bewachsenen Vulkanhängen bis zu einem
Mäuerchen. Blickt man darüber, dann sieht man nur eine grüne Wiese. Links ist
ein aus Natursteinen gebautes Eingangsgebäude, das bald von einem viel
größeren Bau ersetzt werden soll. Drinnen findet sich ein Souvenirladen,
einige Schaustücke, die Kasse. Danach geht es in einen Gang, der von
fackelförmigen Leuchtern erhellt wird. Abwärts geht es von da über viele
Stufen. Dann wird es heller vor einem und mit einem Schlag steht man dann auf
einer Kanzel mitten im Vulkanschlot. Weit geht der Blick hinauf bis zum oberen
Rand über dem sich der Himmel zeigt. Wer zur richtigen Zeit da ist, der erlebt
auch das Sonnenschauspiel, das sich unter geeigneten Bedingungen sich hier
ereignet. Nach unten geht es auf einer schmalen Treppe mit vielen Stufen.
Üppiges Grün wächst an den Wänden, Vögel fliegen herum - es ist wie der
Zugang zu einem fremden Paradiesbezirk. Die vielen anderen Besucher bringen
einen aber schnell wieder zurück aus den romantischen Träumereien. Auf breiten
betonierten Wegen kann man tiefer in den Berg vordringen. An einer Stelle
spaltet sich der Weg. Nach unten geht es zu einem Aussichtsbalkon, von dem aus
man einen Blick in die Tiefe auf den großen See haben kann. Der wird vom
eindringenden Regenwasser gespeist und ist mal tiefer, mal fast verschwunden.
Der andere Weg bleibt zuerst auf gleicher Höhe und mündet auf einer großen
Plattform. Sie wird immer wieder für Konzerte und andere bedeutsame
Veranstaltungen genutzt, nichtzuletzt wegen der herausragenden Akustik. Auf
stufenreichen Wegen kann man immer höher hinaufsteigen bis man fast unter der
Decke angekommen ist. Der Formen- und Farbenschatz der Wände und des Bodens ist
einfach fremd für jeden, der ansonsten nur Karsthöhlen kennt. Und dann darf
man doch überrascht sein, wenn es auf einmal richtige Stalaktitenformen an der
Decke gibt. Allerdings sind die aus ganz anderem Material, aus amorphen
Silikaten, aus Obsidian und Limonit.
Am 26. Januar 1893 waren Candido Corvelo und José Luis Sequeira wohl die ersten
Menschen, die in den Eingangsschacht einstiegen. 1934 zeichnete Didier Couto den
ersten Aufriß der Höhle. Die Befahrung erfolgte mit Hilfe von Seilen. Die
Gruppe Os Montanheiros begann 1963 mit organisierten Befahrungen des Schachts
und begann mit der Erschließung dieses Naturwunders. Besucher wurden mit Hilfe
einer Art Stuhls an Seilen in die Tiefe gelassen und wieder heraufgezogen. 1966 begann man mit dem
Bau eines 44 Meter langen Tunnels und der 330 m langen Treppenanlage bis zum
Grund der Höhle, womit der Ausbau der Höhle immer weiter voranschritt.
Die Höhle ist ein wertvoller Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Einige Arten sind endemisch, das heißt sie kommen nur hier und nirgends wo anders mehr vor. Man hat seltenste Moose gefunden und einzigartige Höhlenspinnen, Hundertfüßler, Springschwänze und Käfer. So ist es angebracht gewesen, das Gebiet zum Regionalen Nationaldenkmal zu erklären..
Blick aus dem Weltraum mit Hilfe von GOOGLE EARTH |
Literatur:
Borges, Paulo A.V. et al | Indicators of Conservation Value of Azorean Caves Based on its Arthropod Fauna, in: AMCS Bulletin 19 / SMES Boletin 7, 109-110 |
Borges, P.A.V., Silva, A., Pereira, F. |
Caves and Pits from the Azores with some Comments on their Geological Origin, Distribution, and Fauna, Proceedings 6th International Symposium on Vulcanospeleology, p 121ff. |
Constancia, Joao P. et al | Ranking Azorean Caves Based on Management Indeces, in: AMCS Bulletin 19 / SMES Boletin 7 - 2004, 70-71 |
Middleton, Gregory J. | Overview of volcanic caves that have been opened for tourists around the globe, Proceedings of the 20the International Symposium on Vulcanospeleology, 2023 |
Pereira, Fernando et al | New Data on the Probable Malha Grand Lava Flow Complex Including Malha, Buracos, and Balcoes Caves, Terceira, Azores, AMCS Bulletin 19 / SMES Boletin 7, 88 |
Pereira, Fernando et al. | CATALOGO DAS CAVIDADES VULCANICAS DOS ACORES, Edicao Associacao Os Montanheiros 2015 |
Links:
https://toursofazores.com/2019/04/20/the-algar-do-carvao-cave-on-terceira-island/
https://www.exploreterceira.com/mapa-interativo/local/algar-do-carvão/
https://www.futurismo.pt/blog/travel/algar-do-carvao-inside-a-volcano-in-the-azores/
https://www.showcaves.com/english/pt/showcaves/Carvao.html
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