Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Lochsteine und Durchkriechbräuche auf Mallorca
Nach meinen Erfahrungen auf Malta hatte ich es fast schon erwartet. Würde es auf Mallorca irgendwelche "Lochsteine" geben? "Durchschlupfbräuche"? Ich wußte es nicht. Von niemand hatte ich vorher etwas darüber gehört. Die Literaturrecherche hatte auch nichts zu Tage gefördert. Nur im Internet war auf einer Seite, die sich mit den Talaiots der Insel beschäftigt, auf einem Bild ein Lochstein zu sehen gewesen. In den Herbstferien 2000 war ich selber auf der Insel und schaute mich um. Es gibt etwas. Erstaunlich viel.
Wer die Augen aufmacht, der wird immer wieder Lochsteine auf irgendwelchen Mauern, insbesondere an Eingangspforten entdecken. Man hat sie in der Natur aufgesammelt und verleiht ihnen, in dem man sie auf die Torpfosten mauert, besondere Aufmerksamkeitswirkung. Ein paar Beispiele:
Naturlochsteine in Valldemossa und in der Nähe von Arta |
Am Eingang in die Kirche von Santanyi finden sich links und rechts jeweils 5 mandelförmige Öffnungen, die durch das Zusammensetzen von 2 Steinen entstanden sind. Sieht man sich die Schlitze genau an, so fällt sofort auf, daß sie blankpoliert sind. Hier müssen schon viele durchgeschlupft sein. Warum? Wahrscheinlich waren es Kinder, die einen idealen Platz zum Spielen hier hatten.
Neben diesen eher zeitgenössischen Beispielen gab es in den
megalithischen Anlagen der Talaiots einige Überraschungen.
Zu den bekanntesten und meist besuchten Stätten zählt Cabocorp
Vell im Südteil der Insel bei Cala Pi. Im mittleren viereckigen
Bau ist ein richtiger Kriechgang angelegt worden, der sich
spiralförmig in die Tiefe zieht bis in einer unterirdische
Kammer mit einer Balkendecke. Praktischen Zwecken hat so etwas
nicht gedient. Ich mich ohne Licht in die Tiefe dieses Bauwerks
aufgemacht und einfach durch Tasten den Weg nach unten gesucht.
Das ging, kein Problem, mit einem gesunden, vorsichtigen
Selbstvertrauen. Auf einmal ging es nicht mehr weiter. Meine Hand
stieß an einen Holzbalken, der Raum weitere sich etwas auf, ich
fühlte ein bißchen herum, machte ein Foto und kroch dann wieder
durch die Dunkelheit nach oben. Ein prickelndes Erlebnis.
Ein weiterer Talaiot hat seitlich einen Zugang, der ebenfalls nur
kriechend zu bewältigen ist.
Bei etlichen maltesischen Tempeln hatte ich seitlich vom Eingang
Lochsteine gesehen. Ob es auch hier so war? Ich suchte überall
herum, aber Erfolg war mir nur an einer Stelle vergönnt. In den
Resten eines anderen Steinturms lag ein rundlicher Lochstein
einfach auf der Mauer herum. Vermutlich hatte man ihn bei den
Ausgrabungen dort gefunden und ihn dort liegengelassen. Immerhin.
Der Talaiot mit dem Spiralgang "stooping size" |
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In der Nähe von Arta ist eine der sehenswertesten Talaiots Mallorcas zu sehen, Ses Paisses. In dem Mallorca-Führer von Hans-R. Grundmann heißt es zwar: "Die Steine und Mauern von Ses Paisses sind für Nichtarchäologen kaum sonderlich aufschlußreich", aber von so etwas sollte man sich nicht beeinflussen lassen. Die ganze Anlage ist von einer hohen Steinmauer umgeben, die durch 3 Tore zugänglich war. Im wichtigsten davon enthält der Deckstein der Türöffnung ein deutlich sichtbares Loch und wenn man dieses genauer anschaut, dann kann man in zwei Richtungen hinausblicken. Die Verwendung eines "Lochsteins" an solche prominenter Stelle ist wohl kein Zufall, sondern Ergebnis bewußter Entscheidung. Allein auf die entscheidende Frage nach dem "Warum" erhält man natürlich von dem stummen Stein auch keine Antwort, aber Verwendung von Lochsteinen an Eingängen auf Mallorca als über Jahrtausende hinweg bestehender Brauch ist schon verblüffend.
Eine zweite Überraschung wartete auf mich im zentralen Talaiot. Man kann die höchste Stelle des Bauwerks von außen erklimmen und blicke auf einmal in einen runden gemauerten Kessel. Unten führen von links und rechts kleine Schlupfgänge hinein. Die Wände sind so steil, daß sie normalerweise kaum zu erklimmen sind. Wer hier hineinkommt, der tut das nur durch die Schlupfe und verläßt ihn auch wieder dadurch. Seitlich in der Steinmauer ist tatsächlich eine Öffnung. Der Gang ist zwar etwas mühsam, aber unschwierig zu bekriechen. Länge ca. 6 m. Auf der anderen Seite des Kessels geht es weiter und man könnte unterirdisch den ganzen Talaiots durchqueren. Gegen Abend scheint übrigens die Sonne in die Schlupföffnung. Zufall? Ich glaube nicht, zu sorgfältig ist das alles geplant und gebaut. Wozu? Wieder die große Frage!
Literatur:
Links:
Lochsteine und Durchkriechbräuche
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