Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Lochsteine und Durchkriechbräuche /
Der "Teigstein" und der heilige Wolfgang
Die St.-Wolfgangshöhle im Falkenstein am Wolfgangsee
Wer die Kirche von St. Wolfgang bei Altenmarkt betritt, dem wird sofort ein seltsames rotes Steingebilde auffallen, das den Platz vor dem Altar einnimmt. Auf der südlichen Seite davon ist ein Loch in der Steinplatte. Was hat es damit wohl auf sich?
Der "Teigstein"
1994 jährte sich zum tausendsten Male der Tod des heiligen Wolfgang. Einer der wichtigsten Orte, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hat, liegt am Falkenstein am Wolfgangsee/Salzburg. Dort soll er sich, zumindest will es so die Legende, eine Einsiedelei errichtet haben, um sich vom Getriebe dieser Welt für einige Jahre zurückzuziehen. Im rückwärtigen Teil der Kirche befindet sich eine kleine Höhle.
Die Kapelle vor der Felswand
Im Salzburger Höhlenbuch, Band 5, dem Standardwerk für den Kenner des Sachgebiets, wird sie lediglich mit den folgenden knappen Worten beschrieben: "Durch den knapp mannshohen Eingang gelangt man in eine kleine Kammer, deren einzige Fortsetzung eine sehr enge Kluftspalte ist. Diese Spalte wird nach wenigen Metern unschliefbar. Es handelt sich um eine hangparallele Abrißkluft. Drei ausgetretene Felsstufen beim Eingang deuten auf ein hohes Alter der Einsiedelei hin". Kein Wort mehr.
Die fragliche Stelle auf dem Plan von Czoernig, vermutlich aus dem Jahr 1942
Schade. Denn der Teil, der nicht einmal eines einzigen Wortes gewürdigt wurde, dieses unbezeichnete Nichts zwischen dem "knapp mannshohen Eingang" und der "kleinen Kammer" ist wohl eine der kulturhistorisch interessantesten Stellen in Höhlen im mitteleuropäischen Raum überhaupt. Offenbar ist jedoch heute das Wissen und damit das Bewußtsein um diesen Ort bereits soweit wieder vergangen, daß es sich nur noch recht mühsam und bruchstückhaft wieder zurückholen läßt.
Der originale Canyon in der Höhle
Ein einziger Blick auf diese kurze Stelle genügt schon, um feststellen zu können, daß da irgend etwas los gewesen sein muß. Glatt abgeschliffen sind die Felsen und dunkel eingefärbt. Viele, viele Menschen haben sich durch das kurze Canyonstück gezwängt und sind drüben aus der kleinen Kammer über die "ausgetretenen Felsstufen" wieder zurück. Es heißt, die Wallfahrt zum Naturheiligtum am Falkenstein "wurde zu Ende des Mittelalters nur noch von Rom, Aachen und Einsiedeln überragt". Warum taten diese Menschen so etwas?
In einer Sage wird die Entstehung des Felscanyons dadurch erklärt, daß der Teufel den heiligen Wolfgang verfolgt hätte. Plötzlich habe sich der Felsen vor dem Heiligen geöffnet, ihn durchgelassen, den Teufel aber nicht mehr. Für den sei der Durchschlupf zu eng gewesen. Ein Gemälde in der Pfarrkirche von St. Wolfgang bei Erding/Oberbayern zeigt diese Szene.
In späteren Zeiten wurde diese Durchquerung von den Pilgern über lange Zeit hinweg nachvollzogen, "ungeschaut und ungeschrien", was bedeutete, daß sie schweigend und ohne zurückzublicken auszuführen war. Auch von dieser Engstelle hieß es, daß auch der "Dickste, wenn er frei von Sünden ist", durchkomme. Und die Schwangeren erhofften sich eine leichtere Entbindung.
Eine relativ unbekannt gebliebene Fortsetzung dieses Durchschlupfbrauchs finden wir in der Kirche von St. Wolfgang bei Altenmarkt/Oberbayern. Drei, jeweils einen Meter hohe, rote Marmorplatten umgrenzen eine glatt geschliffene Felsfläche mitten im Kirchenschiff vor dem Altar. Eine davon hat ein Loch, das gerade noch das Durchkriechen ermöglicht. Sie heißt auch "Teigstein". Junge Ehepaare haben an ihr um Kindersegen gebeten. Moderne Geomantiker haben diesen Ort ebenfalls schon entdeckt und veröffentlichten "Energieskizzen" von ihm. Vielleicht haben sich die Schöpfer dieses Durchkriechsteins einfach den weiten Weg bis zur originalen Durchschlupfstelle in St. Wolfgang am Wolfgangssee sparen wollen, ähnlich wie das ja mit den vielen "Lourdesgrotten" viele Jahrhunderte später auch gewesen ist.
Wer das Grab des heiligen Wolfgangs in Regensburg besucht, der wundert sich nach all dem bereits Beschriebenen wohl nicht mehr, daß man in der Krypta einen heute verschlossenen Durchkriechgang vorfindet.
In einem Wald bei Eidenberg in Oberösterreich steht eine kleine, hölzerne Wolfgangskapelle. Sie ist halb über einen Granitfelsen gebaut worden. In ihm befinden sich kleine flache Felsschalen, wohl der Ursprung für die besondere Verehrung dieses Ortes. Keine 50 m weiter im Wald, heute durch eine Markierung leicht auffindbar, ist einem kleinen Felsbuckel ein weiteres kleines Loch - der sog. Kopfwehstein. Man kann den oberen Teil des Kopfes hineintun, was bei entsprechenden Schmerzen helfen soll.
In der Nähe von Velburg in der Oberpfalz gibt es eine einstmals sehr bekannte Wallfahrtskirche, die den Namen des Heiligen trägt. Oberhalb sind mehrere Höhlen, vor allem die Wolfgangshöhle und das Hohlloch. Zwischen beiden gibt es einen schmalen Weg, der durch ein Felsfenster führt. Man muß sich dort richtig hindurchwuzeln, was an sich ja typisch für Durchschlupfbräuche ist. Allerdings habe ich noch nirgends einen Hinweis gefunden, daß man diese Stelle früher schon für "Kultzwecke" benutzt hat.
Carl Julius Webers sämtliche Werke, 1813
Andree-Eysn, M. | Volkskundliches aus dem bayerisch-österreichischen Alpengebiet, OLMS, 1910 |
Bouchal, Robert, Wirth, Josef | Höhlenführer Österreich, Pichler-Verlag, Wien 2001 |
Weber, Carl Julius | Deutschland, oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen (Stuttgart 1826–1828, Erstausgabe 4 Bände; 3. Auflage, als Reisehandbuch eingerichtet. 1843, 6 Bände) |
Links:
Das 2015er Treffen der Interessengemeinschaft HÖREPSY in Salzburg
Lochsteine und Durchkriechbräuche
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