Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Die "Höhle" bei den Maoris
Die Maoris werden uns heute als die Ureinwohner Neuseelands vorgestellt. Sie seien in der "Great Migration" im 14. Jahrhundert von Polynesien her in mehreren Wellen eingewandert. Die Polynesier ihrerseits würden aus Südasien stammen, wo sie Jahrhunderte früher in die Weiten des Pazifik ausgebreitet hätten. Überbevölkerung und Nahrungsmangel sei der Auslöser für diese Völkerwanderung gewesen.
Es gibt auch eine andere, umstrittene Darstellung, daß nämlich schon vor den Maoris, die ja eine sehr kriegerische Art des Auftretens haben, eine andere Gruppe von Menschen eingewandert gewesen sei, die sich viel friedlicher benommen hätten, und von denen man auch spärliche Spuren auf Neuseeland gefunden hätte.
Welches Verhältnis hat eine Gruppe von Menschen, die nicht abendländisch geprägt ist, für ein Verhältnis zum Phänomen der "Höhle" im Laufe der Geschichte entwickelt? Unterscheidet es sich wesentlich von den bei uns sich findenden Arten und Weisen?
Im August und September 2007 war ich selber mal in Neuseeland und habe mich mal umgesehen. Und auch in der Literatur ist ein wenig was dazu zu finden.
Den engsten Kontakt mit der Kultur der Maoris hatten wir, wie wohl sehr viele andere Touristen Te Puia in Rotorua. Dort besuchten wir das dortige Maorimuseum und waren von der Vorstellung vollkommen eingenommen. Das ist ja kein billiges Vergnügen, sondern es wird schon geldmäßig "richtig hingelangt". Aber der Besucher bekommt etwas dafür. Mal selber einen echten "Hongi" mit einem Mitmenschen zu teilen, also ihn "Nasezuküssen", das ist schon was Außergewöhnliches. Und auf der Bühne mit ein paar anderen Touristen zu stehen und einen "Kriegstanz" nach kurzer Anleitung hinzulegen, das war ein starkes Erlebnis! Die Abendveranstaltung, die auch noch ein typisches Essen beinhaltet hätte, die war schon ausverkauft - und das in der neuseeländischen Winterzeit! Im Souvenirladen gab es wirklich alles, was einem zum Thema "Maori" einfallen kann. In einem Buch mit Maorigeschichten fand ich dann die folgende Illustration:
Da ist eindeutig der Eingang zu einer Meereshöhle zu sehen. Zu welcher Geschichte paßt sie?
In dem Buch "Maori Myths & Legendary Tales" von A. W. Reed finden sich viele Anspielungen auf das Thema:
- Schon im Urmythos der Schöpfung, wo Rangi, der
Himmelsvater in den Armen von Papa, der Erdmutter, einfach nur
immer geborgen lag, da passierte es irgendwann einmal. Die Kinder
mußten sich lichtlos immer zwischen ihnen bewegen. Es gab noch
kein Licht und keinen Wind. Irgendwann waren sie es satt, immer
nur in den engen Tunneln und Höhlen ihrer Welt (crawling
through the narrow tunnels and caves of their land) herumzukriechen.
Die Kinder überlegten, was geschehen könne, und die Vorschläge
gingen von der Ermordung der Eltern bis zu deren gewaltsamer
Trennung. Tane-mahuta, der mächtige Vater der Wälder, der
Vögel, Insekten und alles Lebendigen, schaffte es schließlich.
Auf dem Kopf stehend, die Hände gegen die Erdmutter stemmend und
mit den Füßen gegen den Himmelsvater gereckt - unter Aufwendung
aller seiner Kraft gelang das Kunststück. Ein leises Raunen ging
durch die Luft, der Klang ging durch den Leib der Erdmutter, als
sie fühlte,daß ihr der Mann entglitt. Der Ton wurde stärker,
wurde ein Brüllen. Ein starker Wind setzte ein, als plötzlich
Raum für ihn war. Auf einmal war die Mutter zu sehen in ihrer
vollen Schönheit....
Am Ende der Geschichte stoßen wir noch einmal auf eine
"Höhle" im weiteren Sinn. Es geht um die Erschaffung
der Frau. Tane, der Sohn des Urelternpaares, wollte sich erst
zufrieden geben mit der Schaffung einer neuen Weltordnung, wenn
die Erde auch mit Männern und Frauen bevölkert war. Es gab noch
keine Frau und so kamen die Götter zusammen, um aus roter warmer
Erde das Bild einer Frau physisch wirklich werden zu lassen. Sie
sei wunderbar anzuschauen gewesen mit ihrer weichen Haut, ihren
runden Formen und ihren schwarzen Haaren. Was ihr fehlte, das
waren Wärme und Lebendigkeit. Diesen Übergang von der reinen
Stofflichkeit in die Ebene des "Lebendigen", den
beschreibt der Mythos so: Tane beugte sich herunter und atmete in
ihre Nasenhöhlen. Ihre Augenlider begannen sich zu regen und
öffneten sich. Sie sah die Götter ringsherum, die sie
anstarrten. Sie mußte niesen. Der Atem Tanes war in sie
eingetreten und sie war ab da eine lebendige Frau.
Die Götter reinigten sie noch und gaben ihr den Namen
"Hine-ahu-one", was soviel wie
Frau-geschaffen-aus-der-Erde heißt (Sie ist dort kein Geschöpf
aus der Rippe Adams!). Tane nahm sie sich zur Frau und hatte
viele Kinder mit ihr. Der erste Mann in der Maorimythologie,
Tiki, wurde von einem anderen Gott geschaffen, Tu-matauenga, der
Gott des Krieges. Wie anders sich doch hier der Anfang
darstellt....
- In der Geschichte von der Echse Kaiwhakaruaki,
die den "taniwhas" zugerechnet wird, spielt die Höhle
einfach die Rolle eines Aufenthaltsorts für ein
"Ungeheuer". "Taniwhas" und
"ngararas" sind in der Maorimythologie seltsame,
unheimliche Wesen, manche nennen sie auch "Monster",
die sowohl auf dem Land als auch im Wasser leben. Durch das
Wirken des weißen Mannes seien im Augenblick in einen Schlaf
versunken, aber sie liegen momentan nur versteckt unter den
Hügeln und tief im Wasser. Eine besondere Eigenschaft wird ihnen
zugeschrieben, die sie gerade für den Menschen gefährlich
macht: Sie fressen sie nämlich. Der alten Geschichten werden
bevorzugt von den alten Männern in der Zeit der Nacht erzählt
am Lagerfeuer in den Wohnhütten, wo dann die Angelegenheiten der
Vergangenheit einfach wieder lebendig werden.
Dieser Kaiwhakaruaki hatte eine feuchte und ausgebleichte Haut
gehabt von seinem Hausen in der dunklen Höhle. Wenn sich sein
ekelhafter Körper über das Land schleppte, dann seien sogar die
Vögel auf und davon geflogen. Als er eines Tages auf
Nahrungssuche im Wald war, da überraschte er dort eine Frau. Ihr
ganzes Schreien half ihr nichts, er schleppte sie in seine Höhle
und behielt sie dort als seine Frau. Er hatte keine Angst davor,
sie zu verlieren, denn wenn er in die Höhle trat, dann füllte
sein riesiger Körper den Eingang vollkommena aus, und wenn er
hinausging, dann band er seine Frau an ein langes Band aus
Flachs, dessen anderes Ende er immer in der Hand hielt. Von Zeit
zu Zeit zog er daran, um sich zu versichern, daß sie von
daranhing.
Das gefiel der Frau natürlich nicht und sie sann nach, wie sie
durch List entkommen könnte. Als ihr "Mannmonster"
wieder einmal draußen war, nahm sie eine messerscharfe Muschel
und schnitt ihr Haar von dem Flachsband frei. Das band sie
wiederum an dem Stamm eines jungen Baumes fest, der noch sehr
biegsam war. Die Echse merkte den Betrug nicht sofort, so daß
die Frau fliehen konnte. Sie suchte ihr Heimatdorf auf, wo man
ihr Hilfe anbot.
Die Echse sollte in eine Falle gelockt werden, was auch gelang.
Man versprach ihr ein wunderbares Haus mitten in der Siedlung und
die Frau versprach, daß sie zu ihr gerne dann zurückkehren
würde. Sie fiel auf die List herein und verendete im Feuersturm.
Ein Teil blieb übrig, der Schwanz, der noch heute in sehr
verkleinerter Form in all den vielen Echsen Neuseelands
weiterlebt.
- Hatupatu wird uns als ein kleiner
unglücklicher Junge vorgestellt, der zwischen Rotorua und Taupo
mit vielen Brüdern lebte. Er war wohl der Kleinste von allen,
wurde überall benachteiligt und bekam immer die schlechtesten
Stücke des Essens ab, so daß er mehr und mehr abnahm, weshalb
ihn die anderen aber wiederum auslachten. Irgendwann rächt er
sich, stiehlt sich die besten Vögel aus dem Lagerhaus, ißt sie,
täuscht einen Überfall vor, täuscht die Brüder, die ihm die
Version mal glauben, die Szene wiederholt sich, bald werden sie
skeptisch, überraschen und töten ihn.
Der Vater sagt es den Brüdern auf den Kopf zu, daß sie ihren
Bruder umgebracht hätten. Er beläßt es nicht dabei, sondern
schickt den "Geist" Tamumu los, der den Jungen findet
und wieder zum Leben erweckt. Das Blut begann wieder in den Adern
zu fließen und er rührte sich wieder. Mit einem Speer bewaffnet
rennt es los und in den Wald, um Nahrung zu jagen. Er wirft den
Speer nach einem Vogel, aber anstatt einen zu treffen, landet
dieser zwischen den Lippen einer alten Frau, die mit dem Mund die
Vögel jagt. Sie schreit auf und dreht sich nach dem Jungen um.
Er erkennt, daß sie Flügel an ihren Armen hat und kaum den
Boden berührt. Knochige Finger greifen nach ihm, packen ihn und
schleppen ihn einen engen Weg entlang zu einer heruntergekommenen
kleinen Hütte, versteckt unter Nikaupalmen.Er wird zum
Gefangenen und führt ein entsprechend karges Leben. Er versucht
eines Tages die Flucht, was ihm eine Zeit lang auch gelingt. Dann
hat ihn die alten Frau fast eingeholt, als ein großer Felsen den
Weiterweg versperrt. "Felsen öffne dich!" ruft er in
seiner Verzweiflung. Und das tut er auch tatsächlich, läßt
Hatupatu schnell hineintreten in das Dunkel und schließt gleich
wieder hinter ihm. Die alte Frau bumpert heftig an die
Naturmauern und die Geräusche sind auch innen noch zu vernehmen.
Allein es hilft nichts. Als es wieder still draußen ist, kriecht
Hatupatu wieder heraus und setzt seine Flucht fort. Wieder wird
er entdeckt, versteckt sich dann unter einem dichten
Blätterdach. Am Ende stürzt der schreckliche Frauenvogel in
Rotorua in ein kochenden Schlammloch und kommt darin um.
- Es gibt mehrere Geschichten, in denen die
"Unterwelt" eine große Rolle spielt und die viele
Eigenschaften von Höhlen aufweist. Die Geschichte von Mataora
und Niwareka ist ein besonders gutes Beispiel dafür. Mataroa
wird uns als ein Kriegshäuptling vorgestellt, der an
Schlafstörungen leidet. Eines Tages entdeckt er im Eingang zu
seiner Hütte und in den Fenstern weiße Gesichter, die
hereinstarren. Auf die Frage, wer sie seien, benennen sie sich
als "Turehu", die aus der Unterwelt kämen. Er wird
seinerseits gefragt, ob er ein Gott sei und ein Mann. Etwas
pikiert erwidert er, ob sie das nicht sehen würden, aber
andererseits, alle Turehu sind schließlich Frauen! Der
entscheidende Grund dafür, daß sie sein Mannsein bezweifeln,
ist, daß seine Tatoos nur aufgemalt seien und nicht tief in die
Haut geritzt. Sie essen nur rohes Fleisch und lehnen alles
Gebratene ab.
Sowohl Mataroa als auch die Turehus beginnen zu tanzen und zu
singen. Am Ende frägt er sie, ob er sich nicht ein Weib für
sich auswählen könne und das wird ihm zugestanden, Niwareka ist
die Ausgesuchte, das Mädchen, das größer als alle anderen war.
Die anderen verschwinden wieder in die Unterwelt, wo "alles
wunderschön und voller Licht" sei. Die Tochter des
"Chefs" der Unterwelt, des "Ue-tonga von
Rarohenga", vereinigt sich nun mit dem mächtigen Häuptling
der Oberwelt.
Das geht zuerst gut, aber dann schlägt er einmal seine Frau. Sie
ist so eine grobe Behandlung nicht gewohnt und nicht gewillt sie
hinzunehmen. Sie läuft davon und verschwindet. Nachdem sie lange
wegbleibt, nimmt Mataroa an, daß sie zurück in die Unterwelt
gegangen sei. Er nimmt die Herausforderung an und will sie
zurückholen, trotz all der Risiken, von denen er schon weiß,
daß so ein Unternehmen mit sich bringt.
Er sucht das "Haus der Winde" auf, von dem offenbar
schon bekannt ist, daß dort die Geister der Toten zurück nach
Rarohenga kehren.In diesem "Haus" gibt es einen
Wächter, und der wird von ihm gefragt, ob er nicht eine Frau
gesehen hätte, die wunderschön und blaß gewesen sei, langes,
flachsartiges Haar gehabt habe, weiche Haut und eine gerade Nase.
Ja, sie sei da vorbei gekommen vor langer Zeit und geweint habe
sie. Mataroa erkundigte sich, ob er ihr folgen dürfe. Die
Antwort: Ja, wenn du den Mut hast. Das war wohl das Geringste. Er
öffnete eine Tür und sah einen langen abwärts führenden
Tunnel vor sich. Er begab sich umgehend hinein und die Tür wurde
hinter ihm geschlossen. Nun war überhaupt kein Licht mehr
vorhanden und der Ort fühlte sich luftleer und kalt an. Er
tastete sich nun durch die Dunkelheit und erst nach Stunden des
Herumstolperns und äußerster Stille sah er einen heller
werdenden Fleck in der Ferne. Er eilte weiter und sah bald im
Dämmerlicht Tiwaiwaka, den Fächerschwanzvogel, herumfliegen.
Mit ihm konnte Mataroa sogar gleich reden und erfuhr von ihm,
daß seine Frau mit rotgeweinten Augen mal hier vorbei gekommen
sei.
Er eilte weiter und kam in einer vollkommen anderen Welt heraus.
Es gab hier keine Sonne und irgendein Himmelblau. Es gab ein
Felsdach, durch das Licht hereindrang, das den Raum vollkommen
füllte. Vögel sangen und Gras bewegte sich im leichten Wind.
Von irgend woher war auch das Geräusch eines Baches zu hören.
Schließlich erreichte er das Dorf, in dem der Vater seiner Frau
lebte....
Am Ende darf er doch wieder zurück in die Oberwelt mit seiner
Frau, obwohl die in der Unterwelt lebenden diesen Ort weiter an
den Platz der Dunkelheit ansehen, währenddessen doch Rarohenga,
die Unterwelt, doch voll des Lichts sei. Der Häuptling
verabschiedet sich von Mataroa mit den Worten: "Nimm unser
Licht mit hinauf in die Welt der Dunkelheit!"
Als sie wieder an den Eingang des langen Tunnels nach oben
kommen, rät ihnen Tiwaiwaka einen Führer mitzunehmen. Sie
sollten doch Popoia und Peka mit sich nehmen. Die Vögel des
Waldes würden sie dann verfolgen, wenn sie die mitnehmen
würden. Die werden sich im Dunkel der Nacht verstecken. Da sucht
sie keiner. So kamen die Eule und die Fledermaus auf die Erde.
Beide Tiere begleiteten sie nach oben und so kamen sie sicher
wieder in die Oberfläche. Der Wächter am Ausgang im Palast der
Winde sah die Beiden ein dickes Bündel tragen. "Wozu dient
es?" Es seien die Kleider, die sie in der Oberwelt tragen
würden müssen. Der Wächter: "Da ist mehr als das. Ihr
versucht mich hinter das Licht zu führen. Ich werde niemals
jemandem mehr erlauben, wieder aus der Unterwelt heraufzukommen.
Diese Möglichkeit ist von nun an gestrichen. Es dürfen nur noch
die Geister der Toten hinunter. Du hast das Gewand von Te
Rangihaupapa mit dabei!"
Niwareka gab ihre Unaufrichtigkeit zu. Die wunderbaren Muster auf
den Rändern der Gewänder, die die Frauen tragen, waren darin.
Das Bündel kam in die Hände des Wächters, der es ausrollte und
an die Wand des düsteren Gebäudes hängte, in dem er sich
aufhielt. Sofort verwandelte sich die Atmosphäre durch die
ausgestrahlten Farben. Als der Wächter ihnen den Rücken
zukehrte, gingen sie weiter und lebten danach in großer Freunde
und Glück. Mataora brachte das Geheimnis der Körpertatoos mit
sich und Niwareka die Farbränder für die Kleidung...
Im großen Höhlengebiet von Waitomo stießen wir noch einmal auf die Maori. Natürlich kannten sie schon lange vor jedem weißen Mann die gar nicht zu übersehenden vielen Höhleneingänge. Die berühmte Glühwürmchenhöhle wurde schließlich dem ersten Weißen von einem Maori gezeigt! Was heute als Ruakuri Cave groß vermarktet wird, das war lange Jahre hindurch nur sehr schlecht zugänglich. Die Maoris verwendeten Höhleneingänge gerne als Grabstätten. Hatten sie das mal gemacht, dann war das Betreten der Höhle praktisch untersagt, war damit ein Betretungstabu verbunden worden. Deshalb mußte erst für die modernen Erschließung ein künstliches großes Loch in die Erde gesprengt werden, damit heutige Besucher nicht die Ruhe der toten Maoris stören, die nun einfach in einem anderen Teil des Systems zu finden sind.
Literatur:
Reed, A. W. | Maori Myths & Legendary Tales, edition published in 1999 by New Holland Publishers (NZ) Ltd 1999 |
Lindenmayr, Franz | Maoris und Höhle, in: Tagungsband HÖREPSY 2008, Gröbenzell 2008 |
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