Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle


Natur und Höhle


"Natur...noch ein schwieriges Wort mit viel historischem Gepäck, eine riesige Debatte, die aufgemacht wird...Für Baruch Spinoza war sie gleichbedeutend mit Gott, im 17. Jahrhundert ein geniales Argument, um Gott abzuschaffen... Blom, Aufklärung 21


Ist das nicht ein seltsames Thema? "Natur und Höhle"? Was immer wir als "Höhle" ansehen, ist das nicht immer und voll und ganz "Natur"? Es kommt auch ganz darauf an, was wir denn als "Natur" bezeichnen.

Auf den Zusammenhänge stoße ich immer wieder, wenn ich z.B. lese

- "Ein paar leider durch Naturgewalt zerstörte Sinterbildungen erfreuen für kurze Zeit das kühne Forscherherz." Bittner, Windlöcher 28

- Lurgrotte verwüstet - Zerstörung eines Großteils der Steiganlagen durch ein Unwetter am 15. Juli
"..Beleuchtungskörper wurden zertrümmert, Leitungskabel abgerissen, der Führungsweg großteils total zerstört. Blöcke bis 80 kg wurden über eine 10 m aufwärts führende Stiege transportiert. Auf einer Betonbrücke fand man einige 100 kg schwere Felsblöcke, die vom Wasser hinaufgeschoben worden waren. Die Höhe des Schuttstromes betrug stellenweise bis zu 5 m. Die Hochwasserwelle benötigte für die mehr als 4 km lange Strecke eine gute halbe Stunde." Vereinsmitteilungen Salzburg 2-1976, S37

- Scheukofen: "Wir haben es geschworen, diesen gemeinen tückischen Wasserschlund, der uns zwei Kameraden genommen hat, zu besiegen..." Kaufmann, Grosser See

- "Das sah aber nur so aus, denn das Seil hatte durch den Höhlenschmutz Tarnfarbe angenommen." Yamun, 20 Jahre Chiemgauer Höhlenbären 12

Was ist überhaupt "Natur"? Der Begriff wird dauernd verwendet, aber selten beschrieben, was man gerade darunter verstehen will.

Ein paar Stimmen dazu:

Daß die Natur Geschichte hat, mehr noch: Geschichte ist, entzieht sich der jederzeitigen Verfügung durch eine Erkenntnis, die sie zur einförmigen Maschine, ohne Vorzeit und Zukunft, erniedrigt hat. Die Natur wäre nicht die Natur, wenn sie keinen Geist hätte..Novalis, in: Blumenberg, Lesbarkeit 253

Erkennen sie in der Natur nicht den treuen Abdruck ihrer selbst. Novalis
"Die Natur ist nicht jedermanns Sache.
Und umgekehrt.  Clavadetscher, Knochenlieder 16
"Aus den Händen des Menschen, des "Königs der Erde", soll eine "neue, verjüngte und verschönerte Natur" hervorgehen. Die "wilde" Natur sei scheußlich und liege in ihren letzten Zügen. "Laßt uns diesen überflüssigen Unrath, jene schon halb vergangenen Wälder mit Feuer verbrennen, und was das Feuer nicht aufreibt, vollend mit der Axt zerstören." Buffon / zitiert nach Zimmermann, Philosophische Horizonte der Histoire Naturelle von Max Ernst 22
"Nichts ist so verführerisch wie die Aussicht, die Natur zu überlisten. Der Natur ausgesetzt zu sein, ist für ein denkendes Wesen furchtbar, kränkend, demütigend." Liessmann, Wer hat, 36
"Natur..wurde zu einem Ort der Reflexion, den man - oft allein und wie auf Flucht - aufsuchte, um eine Innigkeit jenseits des Alltäglichen zu leben. Die Natur ließ sich als geheimnisvoll, als fremd und wild und doch als maßvoll und zweckmäßig erfahren; sie gab dem Betrachter reiche Anregung, ließ ihm aber mehr Freiraum als die geregelte Welt der Zivilisation, je war genauso unverbindlich wie eine antike Skulptur, der ursprünglicher Kontext verloren gegangen war. So wurde Natur - wie die Kunst - als Hort von Selbstbestimmung und Freiheit genossen" Ullrich 35
"Frei empfängt mich die Wiese...Schiller, Der Spaziergang" zitiert nach Ullrich 35
So..artikuliert sich - allgemeiner - Widerstand gegenüber einer Zivilisation, die durch  Insitutionen und Zweckrationalität charakterisiert ist. Ihr sollte man in einsamer Andacht erfahrene..Natur als das Wahre und Eigentliche entgegengesetzt werden." Ullrich 36
"Die Natur kennt keine Katastrophen. Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt." Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän
"Die Natur braucht keine Namen." Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän 139
"Wichtiger ist die Frage, von welcher Macht die Humanität bedroht wird. Es ist die rücksichtslose Natur, die maßlos zeugende, ist ihre gänzlich außermoralische Beschaffenheit." Peter von Matt, Wörterleuchten (Besprechung des Gedichts "Von Katzen" von Theodor Storm) 107
"Darwin....Die Natur ist abwechslungsweise ein Schlachtfeld, ein Friedhof, ein Schlachthof und ein Bordell. Die Grundlage des Lebens ist die massenhafte Vernichtung des Lebens." Bärfuss, Vaters Kiste 40
Die Natur hat keinen König, sie ist kein Reich, niemand herrscht, auch nicht der Mensch, obwohl dieser Glaube kaum auszurotten ist. Bärfuss, Vaters Kiste 44
Die Natur interessiert mich überhaupt nicht, weder die Pflanzen noch die Vögerl, weil ich die sowieso nicht unterscheiden kann voneinander und noch heute nicht weiß, wie eine Amsel ausschaut." Thomas Bernhard (1979), zitiert in: Thomas Bernhard, Hab und Gut 61
Natur als Voraussetzung und Raum unseres Lebens kann ebenso damit gemeint sein wie die Summe der Gewalten, denen gegenüber sich der Mensch behaupten muss; Natur kann als ein Ideal gedacht werden, zu dem der Mensch zurückkehren möchte, oder als ein Verhängnis, aus dem er sich befreien sollte...Liessmann, Lauter Lügen 197
Die Japaner und die Natur. Das ist eine große Geschichte. Yoshifumi Miyazaki verweist auf einen Artikel des Wissenschaftlers Masao Watanabe aus dem Jahr 1974. Darin steht, dass der westliche Mensch sich aus seinem christlichen Glauben heraus immer als Spitze der Schöpfung gesehen habe und deshalb dazu neige, die Natur zu seinem Vorteil zu benutzen. "Für uns Japaner war die Natur etwas anders", schreibt Watanabe, "sie war nicht Gegenstand seiner Herrschaft, sondern seiner Wertschätzung." Hahn, Die Kraft der Bäume 70
Das Nachdenken über die Natur vollzieht sich in Gedankenbildern: als Schöpfung, als Maschine, als kritische Zone, als selbstregulierender Organismus." Blom, Die Unterwerfung 340
Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Mischung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein lebendiges Ganzes. Humboldt / Blom 314
Die Natur ist immer auch ein riesiger Friedhof, in dem das Glück, die Hoffnungen und das Leben ihrer Geschöpfe begraben liegen. Strasser, Was ist Glück? 77
Die Natur bietet uns nur besondere Einzeldinge, unbegrenzt an Anzahl und ohne festgefügte Unterteilungen."  Diderot, Encyclopedie
Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt ie sich an uns." Friedrich Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen (1876)
..die Vorstellung von der Natur als Gegensphäre zur Gesellschaft.... Rosa, Resonanz 470
..die kulturell etablierte Weltbeziehung der Moderne ..hin- und herpendelt gleichsam vermittlungslos..zwischen einem handlungspraktisch und institutionell dominanten Naturverhältnis dem Natur als Ressource dient, die es intellektuell zu beherrschen, technisch zu bearbeiten und ökonomisch zu nutzen gibt, und einem psychoemotionalen Naturverhältnis, in dem Natur als primordiale Resonsanzsphäre fungiert.. Rosa, Resonanz 467

Langsam zeigt sich wieder ein Denken, das die Trennung Natur-Mensch wieder aufhebt. Der amerikanische Naturschützer und Ökologe Aldo Leopold hat einmal das Motto ausgegeben: "Thinking like a mountain". 

Wir sollten es einmal mit "Thinking like a cave" ausgeben. Was kommt dabei heraus?


Literatur:

Bärfuss, Lukas (2023): Vaters Kiste, Rowohlt, Hamburg, 3. Auflage

Bittner, Wolfgang (1975): Windlöcher-Morsches Land, Vereinsmitteilungen Salzburg 4-1975, S. 27

Blom, Philipp (2022): Die Unterwerfung - Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur, Hanser, München 2022

Blom, Philipp (2023): Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung, Brandstätter, Wien 2023

Blumenberg, Hans (1981 ): Die Lesbarkeit der Welt, Suhrkamp

Clavadetscher, Martina (2017): Knochenlieder, Hitzkirch, 2. Auflage

Darnton, Robert (1989): Das grosse Katzenmassaker, Hanser, Wien

Frisch, Max (1979): Der Mensch erscheint im Holozän, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

Großklaus, Götz, Oldemeyer, Ernst, hrsg. von, Natur als Gegenwelt - Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, von Loeper Verlag, Karlsruhe 1983

Haft, Jan (2023): Wildnis - Unser Traum von unberührter Natur, Penguin-Books, 1. Auflage, München

Hahn, Thomas (2023): Die Kraft der Bäume, SZ Nr. 214, 16./17.09.2023, S. 70

Heller, André, hrsg. von (2019): Thomas Bernhard Hab & Gut, Brandstätter, Wien 2019

Kaufmann, Bruno (1976): Grosser See im Scheukofen im Handstreich besiegt! Vereinsmitteilungen Salzburg 4-1976, S  3ff.

Koebner, Thomas (1993): Zurück zur Natur, Heidelberg 

Köhlmeier, Michael, Liessmann, Konrad Paul (2016): Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam? Mythologisch-philosophische Verführungen, Hanser, München

 Leopold, Aldo (1992): Am Anfang war die Erde: Plädoyer zur Umwelt-Ethis = "Sand county almanc", Knesebeck

Liessmann, Konrad Paul (2023): Nach der Natur, in: Lauter Lügen, Zsolnay, Wien 2023

Matt, Peter von (2009): Wörterleuchten, Hanser-Verlag, München

Rasper, Martin (2022): Eine Stimme für Wiesen, Wälder und Wasser, frings eins, 2022, S. 2ff.

Rosa, Hartmut (2016): Resonanz - Eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp, Berlin

Strasser, Peter (2011): Was ist Glück? Über das Gefühl lebendig zu sein, Wilhelm Fink, München

Treml, Alfred K. (1988): Zurück zur Natur? Rousseaus Naturbegriff im "Emile", UNIVERSITAS 7/1988, S. 799ff.

Ulrich, Wolfgang (2013): Tiefer hängen - Über den Umgang mit der Kunst, Wagenbach-Verlag, 5. Auflage, Berlin

Yamun, 20 Jahre Chiemgauer Höhlenbären, Der Schlaz 109-2006, S. 12

Zimmermann, Jörg (1994): Philosophische Horizonte der Histoire Naturelle von Max Ernst, in: Sprengel-Museum Hannover (1994): Die Erfindung der Natur, Hannover 1994

Links 

http://www.puma.uni-frankfurt.de/index.php/Naturbegriffe_-_Hintergrund

hrp/themen/philosophie/philosophie.htm

 


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