Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Zarathustra und die Höhle

 


Am Beginn von "Also sprach Zarathustra" von Friedrich Nietzsche steht folgendes:

"Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See seiner Heimat und gieng in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, - und eines Morgens stand er mit der Morgenröthe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:

"Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!
Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange...."

"...Es gibt eine alte schwere Brumm-Glocke. die brummt Nachts bis zu diener Höhle hinauf: hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du zwischen Eins und Zwölf daran." (KSA 4, 285)

"Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosse Mittag! Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt." (KSA 4, 408)

"Am Ende des Vierten Teils des Zarathustras versinken die Anhänger, nachdem sie das Mitternachtslied gesungen und getanzt haben, in tiefen Schlaf. Am Morgen will ihnen Z. den Satz "Ich schlief, ich schlief" erläutern, er kann es aber nicht, weil die anderen weiter schlafen. "Nun schlafen sie, sind für Zarathustra und seine Stimme, für seinen Weckruf nicht mehr erreichbar: "Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen Mitternachten. Das Ohr, das nach mir horcht, - das gehorchende Ohr fehlt in ihren Gliedern." KSA 4,405 Das ärgert Z.. Er verlässt sein Gefährten, steigt hinunter und geht seinen Weg." Liessmann, Alle Lust 100

"Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Leben in Eis und Hochgebirge." Nietzsche, Ecco Homo, KSA 6, Vorrede 3

"...als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gäbe, der sich denen verschütte, welche etwas lernen... " Scheck 234

"Das aber glauben alle Dichter, daß wer im Grase oder an einsamen Gehängen liegend die Ohren spitze, etwas von den Dingen erfahre, die zwischen Himmel und Erde sind." Scheck 235


Schon am Beginn der Geschichte der Hinweis auf eine HÖHLE.

Was hat es damit auf sich? Eine Frage, der nachzugehen ist.....

 

"Im Januar 1883 schreibt Nietzsche wie im Rausch "Die Reden Zarthustras", die den ersten Teil seines großen Werks bilden, dessen letzten, vierten Teil er zwei Jahre später fertigstellt und Mitte April 1885 nur als Privatdruck in wenigen Exemplaren publiziert. Er preist es als das "höchste" Buch, das es gebe, mit einer Stimme über Jahrtausende hinweg, zugleich als das "tiefste", dessen Reichtum niemals ganz ausgeschöpft werden könne." (Geier, S. 209)

In "Menschliches, Allzumenschliches schreibt er einmal über die "Hadesfahrt - Auch ich bin in der Unterwelt gewesen, wie Odysseus, und werde es noch öfter sein; und nicht nur Hammel habe ich geopfert, um mit einigen Todten reden zu können, sondern des eignen Blutes nicht geschont. Vier Paare waren es, welche sich mir, dem Opfernden nicht versagten: Epikur und Montaigne, Goethe und Spinoza, Plato und Rousseau, Pascal und Schopenhauer. Mit diesen muss ich mich auseinandersetzen....Auf die  e w i g e  L e b e n d i g k e i t  kommt es an: was ist am "ewigen LebenW und überhaupt am Leben gelegen?" (Nr. 408; 2,2533)

"Nietzsche zeigte sich dem Freund (Paul Deussen) überaus rücksichtsvoll...führte mich zu seinen Lieblingsplätzen, zu seiner sehr primitiven Wohnung, "seiner Höhle", wie er sie nannte." Hoffmann, S. 74

"Meta von Salis aufrichtige Hochachtung vor dem "alten Höhlenbär von Sils", wie sich Nietzsche auch nannte.." Hoffmann, S. 73

"Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht." Das trunkene Lied

In einem Brief an Franz Overbeck, Freund, klagt er: "Du hast es, Dank Deiner Frau, eben hundert Male besser als ich: Ihr habt zusammen ein Nest - und ich habe höchstens eine Höhle ... ich (fühle) den gelegentlichen Verkehr mit Menschen wie ein Fest, wie eine Erlösung von "mir"". (de Botton 292)


"Ein Japaner wurde beim Versuch ertappt, nachts über das WC-Fenster einzusteigen, um in Nietzsches „Höhle“, wie der Philosoph sein Zimmer nannte, zu nächtigen."
https://www.welt.de/reise/nah/article148347207/Sils-Maria-fuer-Nietzsche-ein-Ort-der-Erleuchtung.html


"Wenn man sich die Umwertung aller Werte bei Nietzsche einmal genauer anschaut, findet man diese kitschige Zarathustra-Lyrik. Sein Ideal sieht so aus, dass wir einsame Wanderer sind, die in einer Höhle leben. Extrem kitschig." (Markus Gabriel)

"Nietzsche erzählt von den Wanderungen Zarathustras, die diesen aus der Einsamkeit des Gebirges in die große Stadt und wieder zurück, aufs Meer und zu fernen Inseln und abermals wieder zurück führen..." Münkler 302


In den Umkreis dieses Thema gehört Filareto Kavernido. Eine Biographie dieses ursprünglich Goldberg heißenden, in Berlin-Weißensee in eine deutsch-jüdische Familie geborenen Mannes, findet sich in Greiner, Die Diktatur der Wahrheit. Er war in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts der Herausgeber der "Mitteilungsblätter aus Zarathustras Höhle". In der Umgebung von Berlin versuchte er eine anarchistische Gruppe mit dem Namen "La Kaverno di Zarathustra" zu etablieren. Ein Thema, das zu untersuchen ist....

http://filareto.info/

http://www.waldsieversdorf-online.de/Text_Vortrag_11.12.2015_in_Potsdam-pdf.pdf

Es gibt auf der Welt noch einige Tausende Gläubige der zorastrischen Glaubensgemeinschaft. Jährlich feiern sie das Sade-Fest in der Chak Chak Höhle in der Provinz Yazd im Iran. 


Im Werk von F. Nietzsche finden sich noch mehr Hinweise auf "Höhle":

- "Die deutsche Seele hat Gänge und Zwischengänge in sich, es gibt in ihr Höhlen, Verstecke, Burgverließe; ihre Unordnung hat viel vom Reize des Geheimnisvollen; der Deutsche versteht sich auf die Schleichwege zum Chaos." (Nietzsche, Velhagen& Klasing-Ausgabe S. 77)

- "In meinem unerbittlichen und unterirdischen Kampfe gegen alles, was bisher von den Menschen verehrt und geliebt worden ist, ist unvermerkt aus mir selber etwas wie eine Höhle geworden - etwas Verborgenes, das man nicht mehr findet, selbst man ausginge, es zu suchen." (Weischedel 259)

- "Ah, dieser alte Räuber! Er raubt uns die Jünglinge, er raubt selbst noch unsere Frauen und schleppt sie in seine Höhle...Äh, dieser Minotaurus! Was er uns schon gekostet hat! Alljährlich führt man ihm Züge der schönsten Mädchen und Jünglinge in sein Labyrinth, damit er sie verschlinge, - alljährlich intonirt ganz Europa 'auf nach Kreta! auf nach Kreta!" (Münkler 126)
Nietzsche kritisiert in den Passage das Verhalten Richard Wagners, der sich dauernd in Geldproblemen befand und viele Wege finden mußte, um mit ihnen fertig zu werden. Z.B. in dem er sich von Ludwig II aushalten ließ.


"..in apodiktischer und anekdotischer Verknappung vortrug.." Münkler 300


"Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit." FN, Von den Verächtern des Leibes, ASZ

"..ihre große Identifikationsfigur Zarathustra, der von ihm selbst entworfene Idealtypus eines souveränen, mit allen Lebensbedingungen spielenden Menschen.." Türcke 69


Kleine Zeitdatentabelle:

1844 Geburt als Pfarrerssohn in Röcken bei Lützen
1858-64 Schüler des Gymnasiums Schulpforta bei Naumburg
1864 Student der Theologie und klassischen Philologie in Bonn
1866 Persönliche Bekanntschaft mit Richard Wagner
1883 Zarathustra
1900 Tod in Weimar

Literatur:

Bono, Alain de Trost der Philosophie - Eine Gebrauchsanweisung, fischer, 4. Auflage, September 2013
Flasch, Kurt, hrsg. von Nietzsche-Brevier, Reclam-Verlag, Stuttgart 1992
Geier, Manfred Geistesblitze - Eine andere Geschichte der Philosphie, rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 2013
Greiner, Steffen  

 

Hesse, Michael, Interview von "Das Meiste von Platon ist Schrott", Interview mit Markus Gabriel, HOHE LUFT  3/2014, S. 61ff.
Hoffmann, David Marc Nietzsches Land der Verheissung, DU Mai 2014, S. 68ff.
Liessmann, Konrad Paul Alle Lust will Ewigkeit - Mitternächtliche Versuchungen, Zsolnay-Verlag, Wien 2021
Münkler, Herfried Marx Wagner Nietzsche - Welt im Umbruch, rowohlt, Berlin 2021
Nietzsche, Friedrich Also sprach Zarathustra, Werke in drei Bänden, München 1954, Band 2
Nietzsche, Friedrich Aus aus seinen Werken, Velhagen und Klasing, Bielefeld und Leipzig 1933
Nietzsche, Friedrich Ecco homo, in: Friedrich Nietzsche Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, de Gruyter, dtv, Band 6, München 1999
Nietzsche, Friedrich KSA Kritische Studienausgabe, Sämtliche Werke, hrsg. von Giorgio Colli und mazzino montnari, München 1980
Pieper, Annemarie "Ein Seil, geknüpftz zwischen Thier und Übermensch", Schwabe reflexe, Basel 2010
Safranski, Rüdiger Biographie seines Denkens, Fischer, Frankfurt a.M 2002
Scheck, Denis Schecks Kanon, Piper, München 2019
Schloemann, Johan Das todwunde, edle Tier hat sich zurückgezogen, Süddeutsche Zeitung Literaturbeilage, 24. Juni 2011, S. 16
Spreckelsen, Cord Nietzsche für Anfänger Also sprach Zarathustra, dtv, 8. Auflage München 2010
Türcke, Christioph Nietzsches Vernunftpassion, ZUKLAMPEN Springe 2017
Weischedel, Wilhelm Die philosophische Hintertreppe, dtv, München 1966, 1973

 

Links:

https://www.swr.de/swr2/literatur/aexavarticle-swr-39342.html / Denis Scheck

Kurzinhalt, Zusammenfassung: Also sprach Zarathustra | Xlibris
Zarathustra | newsage - Das Magazin für Körper, Geist und Seele
Das Rote Luch und La Kaverno di Zaratustra
http://www.heritageinstitute.com/zoroastrianism/worship/piresabz.htm
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/nietzsche_zarathustra03_1884?p=102
https://filareto.info/mitteilungsblaetter-uebersicht/

Höhle-Religion-Psyche


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