Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Höhlengeschichten
"Seit Menschheitsbeginn haben wir uns mithilfe von Geschichten und Gedichten unserer selbst versichert, Veränderungen verarbeitet und uns in die Zukunft hinein entworfen. Wir erzählen nicht Geschichten über uns. Wir sind diese Geschichten. Und wenn wir nicht in der Lage sind, Geschichten zu erzählen, sind wir nicht in der Lage, Gesellschaft zu gestalten." Buchholz et al
"Wer aus dem Dunkel kommt, hat etwas zu erzählen." Krüger, Verabredung mit Dichtern 225
Das Gebiet der "Höhlengeschichten" zu betreten, das heißt in ein riesiges Gebiet einzudringen, labyrinthisch, unübersichtlich, voller Überraschungen, Unerwartetheiten - kurz genau das, was "Höhlenforschung" ja so spannend macht.
Mit dem Alter zieht man sich schon aus rein körperlichen Gründen aus der "harten Realität" immer mehr zurück, schon allein, weil es immer schwieriger wird, überhaupt den Boden zu erreichen. Aber es gibt ja noch diese "zweite Welt", die der Repräsentationen der ersten.... Bilder, Bücher, Klänge...
Da mache ich am 3. Januar 2022 das Buch "Gesammelte
Werke" von Adelbert von Chamisso (1781-1807) auf und stoße auf einen
Text, in dem ein Wort vorkommt, das mir schon lange im Kopf herumgeisterte,
aber dessen Bedeutung ich nie so richtig verstanden hatte:
"Schlemihl". Das Wort gibt es so gar in der englischen Sprache,
die es einfach übernommen hat. Schlemihl...ein Mann ohne Schatten..
Und dann auf Seite 272 unvermittelt:
"Wir saßen einst vor einer Höhle, welche die Fremden, die das Gebirg
bereisen, zu besuchen pflegen. Man hört dort das Gebrause unterirdischer
Ströme aus ungemessener Tiefe heraufschallen, und kein Grund scheint den
Stein, den man hineinwirft, in seinem hallenden Fall aufzuhalten.
er malte mir, wie er öfters tat, mit verschwenderischer
Einbildungskraft und im schimmernden Reize der glänzendsten Farben
sorgfältig ausgeführte Bilder von dem, was ich in der Welt, kraft meines
Säckels, ausführen würde, wenn ich erst meinen Schatten wieder in meiner
Gewalt hätte."
Hat Chamisso da ein Vorbild vor Augen gehabt, das er literarisch verarbeitet
hat?
Noch einmal taucht die "Höhle" im Text auf Seite 279 auf, wenn er
mit Hilfe seiner Siebenmeilenstiefel durch die Welt eilt. In Ägypten
"gaffte er die alten Pyramiden und Tempel an..erblickt die Wüste,
unfern des hunderttorigen Theben", und dann "die Höhlen, wo
christliche Einsiedler sonst wohnten." Eine davon, erkor er eine der
verborgensten die zugleich geräumig, bequem und den Schakalen unzugänglich
war zu meinem künftigen Aufenthalte und setzte meinen Stab
weiter."
Die Höhle läßt Schlemihl von einem Pudel bewachen (S. 283), der
"freudig an mich sprang und es mich doch menschlich empfinden ließ,
daß ich nicht allein auf der Erde sei". Der Grund für das Aufsuchen
der Höhle war, "mit neuen Schätzen beladen zu ihm
zurückzukehren".
Adolf Menzel hat zwei Illustrationen mit Höhlenbezug gemacht, eine mit
einem Pudel am Höhleneingang und dem heranflliegenden Wanderer mit
Siebenmeilenstiefeln, einem Stock und seinen Sachen im kleinen Tüchlein,
und eine mit einem nachsinnenden alten Mann mit einem aufgeschlagenen Buch
und Federkiel auf einem Felsblock vor sich im rundlichen Portal einer Höhle
und dem schlafenden Pudel vor sich.
Boyle,, T.C. | Wir Höhlenmenschen | SZ Magazin 23.8.2024 S. 15 | "Die Höhle, in der die Chumash noch im 17. Jahrhundert gelebt hatten, war ein kleines Wunder. Zum einen war es dort drinnen relativ kühl. Zum anderen gab es alle möglichen Simse, die sich als Betten und Kissen anboten, und einen großen Felsen, der fast wie das Sofa aussah, auf dem Margot und ich und die Kinder in glücklicheren Zeiten gesessen und uns Zeichentrickfilme angesehen hatten.....eine Höhle finden, Schnecken und Ratten essen. Es geht uns gut. Alles wird gut." |
Lessing, Doris | Durch den Tunnel | Die Schmuckschatulle - Die schönsten Erzählungen, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008 | Eine kurze Erzählung über einen jungen Mann, der an einer Meeresküste anderen jungen Menschen begegnet, die ihm etwas voraushaben: Sie springen in ein Felsloch im Meer und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Er will es ihnen nachmachen und stößt an seine Grenzen. Mit Happyend. |
Melandri, Francesca | Alle, außer mir | Wagenbach, Berlin, 2. Auflage 2018 | Das Buch enthält die Schilderung des Massakers an vielen Äthiopiern durch italienische Soldaten 1939 in der Höhle von Zeret, bei dem auch Senfgas eingesetzt wurde. S. 510 ff. |
Morselli, Guido | Dissipatio humani generis | Bibliothek Suhrkamp, 2021 | "Ein Mann, der an einem 4. Juni in einer Höhle in den Alpen Selbstmord begehen will, sich in letzter Minute besinnt und wieder hervorkriecht. Um zu entdecken, dass er inzwischen als der letzte Mensch auf der Erde zurückgeblieben ist.... (Krüger, Im Juni 17) |
Roth, Gerhard | Landläufiger Tod | S. Fischer, Frankfurt a.M. 2017 | Unterirdische Landschaften 454 ""Ich bin Höhlenforscher", erklärte der Fremde im Gasthaus, "und beabsichtige eine Karte anzufertigen, die die unterirdische Gänge genau beschreibt. Schwierigkeiten gibt es viele: Erstens wegen der künstlichen Stollen des ehemaligen Bergwerks, die nicht selten mit den natürlichen Höhlen korrespondiren, und zweitens wegen der ungeheuren Geröße und der verwirrenden Ähnlichkeit der wiederholt abzweigenden Seitengänge" Er trug ein ausgewaschenes Armeehemd und Schnürlsamthosen. "Die Höhlen haben durch eine Reihe von tragischen Unfällen traurige Berühmtheit erlangt." Er zog jetzt an den Riemen seines Rucksacks..." "Wir wissen nichts von diesen Höhlen", antwortete der Kirchenwirt.." |
Getrennt vom Vorkommen von Höhlen in der allgemeinen Literatur sollen hier einige Geschichten aufgeführt werden, die von "Höhlenforschern stammen:
"Angeblich soll H. Gruber seinerzeit diese Höhle
entdeckt haben, in dem er beim besagten Schneekegel in die Halle
eingebrochen ist und sich dann durch den Nebeneingang wieder ins Freie
retten konnte." Knapcyzk, Hagengebirge 26
"Der beinahe "tödliche" Schluf im
Katzenloch", erzählt von Spöcker, in: Leja, Teschner, Richard
Gottfried Spöcker 1. Teil, S. 95ff.
Dolfi Triller berichtet packend von den Vorstößen in die Schlüssellochhöhle und die Große Spielberghöhle im Laubenstein. "Grauenhaft eng war die Felsröhre und führte steil bergan, aber ich spürte keine Müdigkeit, nur einen mächtigen Drang nach vorn, immer weiter, immer tiefer hinein in den Berg..." Triller, Ernstes und Heiteres aus den Laubensteinhöhlen 332
Sehr gut auserzählt sind Höhlengeschichten besonders in dem Höhlen-Buch von Donald Jackson und der TIME-LIFE-Redaktion! Unbedingt lesenswert!
Literatur:
Boyle, T.C.:Wir Höhlenmenchen, Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 34-23.8.2024, S. 15f.
Buchholz, Simone, Kapitelman, Dmitrij, Sanyal, Mithu (2022): Dichterin gesucht, SZ Nr. 2, 4.1.2022, S. 9
Chamisso, Adelbert von (1964): Gesammelte Werke, Bertelsmann Lesering
Jackson, Donad Dale und der Reaktion der TIME-LIFE-Bücher (1983): Höhlen
Krüger, Michael (2023): Verabredung mit Dichtern - Erinnerungen und Begegnungen, Suhrkamp, Berlin
Knapczyk, Harald (1978): Eine Woche im Herzen des Hagengebirges, ATLANTIS 2-1978, S. 26
Leja, Ferdinand, Teschner, Karl (2007): Richard Gottfried Spöcker 1. Teil, in: Der Fränkische Höhlenspiegel 54-2007, S. 95f.
Triller, Elke (2003): Anekdoten - erzählt von Käthe Cramer, Der Schlaz 100-2003, S. 41
Triller, Adolf (1962): Ernstes und Heiteres aus den Laubensteinhöhlen, Jahreshefte für Karst- und Höhlenkunde - hrsg. vom Verband der Deutschen Höhlen- und Karstforscher e.V. München, München
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