Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Höhlenmotiv im Werk Salman Rushdies


Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ist einer der bedeutendsten zeitenössischen Schriftsteller. In seinen zahlreichen Werken sind oft Elemente aus der Märchen- und Traumwelt gemischt mit Beschreibungen aus einer Welt, in der wir heute leben. Sein Stil wurde schon als "Magischer Realismus" bezeichnet. In der Süddeutschen Zeitung wurde er als "Symbol für universelle Werte, für Meinungsfreiheit und die Freiheit schlechthin" bezeichnet. 

Seit 1989 ist er vom iranischen Regime mit einem Todesurteil belegt worden und wäre 2022 fast bei einem Attentat gestorben.

Aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2023 an ihn habe ich mich einmal hingesetzt und eines seiner bekanntesten und nicht unumstrittenen Bücher, Die satanischen Verse, gelesen. Bis auf wenige Stellen sind im folgenden alle aufgeführt, in denen die "Höhle" vorkommt, "Höhle" mit unterschiedlichsten Bedeutungsinhalten, vom Bezug auf tatsächliche Hohlräume im Gestein bis zu der Verwendung in der Beschreibung von Körperteilen und nur in einem sehr übertragenen Sinne als abgelegener Teil eines Londoner Hauses.

Zentral ist die Gründungsszene des islams, die Verkündigung der ersten Verse des Korans in einer Höhle, hier auf literarische Art in den Text eingebaut...

"Und eines Tages....schlenderte er aus dem Haus...quer über den rasenden Irrsinn der Straße, über die Kaimauer und schließlich bis zu der weiten Fläche glänzender schwarzer Felsen mit den kleinen Tümpeln voller Krabben. Sittsame Mädchen kicherten in Röcken, Männer mit zusammengerollten Schirme standen schweigend da, den Blick auf den blauen Horizont gerichtet. In einer Höhle aus schwarzem Stein sah Salahuddin, wie sich ein Mann in einem Dhoti über einen Tümpel beugte. Ihre Blick trafen sich, und der Mann winkte ihn mit einem Finger zu sich, den er dann auf den Mund legte. Pst, und das Geheimnis der Felsentümpel zog den Jungen hin zu dem Fremden. Er war ein Geschöpf aus Knochen. Trug eine Brille mit einer Fassung, die wie Elfenbein aussah. sein Finger krümmte sich, krümmte sich wie ein Angelhaken mit Köder, komm. Als Salahuddin bei ihm angelangt war, packte ihn der andere, legte ihm eine Hand über den Mund und zwang seine kleine Hand zwischen alte und fleischlose Beine, damit sie den Fleischknochen dort betastete. Der Dhoti offen im Wind. Salahuddin hatte sich nie zu wehren gewußt; er tat, wozu er gezwungen wurde, und dann wandte sich der andere einfach von ihm ab und ließ ihn gehen." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 57
"Gibril...Er kommt auf dem Weg zum Gipfel des Cone Mountain, zur Höhle. Alles Gute zum Geburtstag..." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 126
"Man steigt auf der zur Wüste gelegenen Seite ab, und knapp zweihundert Meter weiter unten erreicht man die Höhle, die hoch genug ist, daß man aufrecht darin stehen kann, und deren Boden mit wundersamem Albinosand bedeckt ist. Während er hinaufsteigt, hört er die Wüstentauben seinen Namen rufen, und auch die Felsen grüßen ihn in seiner eigenen Sprache und rufen Mahound, Mahound. Wenn er bei der Höhle anlangt, ist er müde und schläft ein." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 150
"Er kämpft gegen den Schlaf an und zwingt sich, die Augen offenzuhalten....er verkleinert mich bis auf seine eigenen Größe und zieht mich in sich hinein, sein Kraftfeld ist unglaublich, stark wie das eines verdammten Riesensterns...und dann ringen Gibril und der Prophet miteinander, beide nackt, wälzen sich herum in der Höhle des feinen weißen Sands, der sich wie ein Schleier um sie herum erhebt. Als ob er mir etwas beibringen, mich erforschen will, als ob ich derjenige bin, der einer Prüfung unterzogen wird. In einer Höhle zweihundert Meter unterhalb des Gipfels von Mount Cone ringt Mahound mit dem Erzengel, schleudert ihn von einer Seite zur anderen, und ich muß sagen, er kommt überall hin, seine Zunge in mein Ohr, seine Faust an meine Eier, nie zuvor hat es einen so wütenden Menschen gegeben, der muß es muß es wissen muß es WISSEN, und ich habe ihm nichts zu sagen, er ist körperlich doppelt so fit wie ich und viermal so intelligent, mindestens, wir haben vielleicht beide viel durch Zuhören gelernt, aber - es liegt auf der Hand - er ist ein bessser Zuhörer als ich; so wälzen wir uns treten kratzen, er wird ziemlich mitgenommen, aber meine Haut bleibt natürlich glatt wie die eines Babys, man kann einen Engel nicht in einen verdammten Dornbusch werfen, man kann ihn nicht gegen einen Felsen schmettern. Und sie haben Zuschauer: Dschinns und Afrits und alle möglichen Geister sitzen auf den Felsen und beobachten den Kampf und am Himmel schweben die drei geflügelten Wesen, die aussehen wie Reiher oder Schwäne oder einfach Frauen, je nachdem wie das Licht einfällt..Mahoud macht Schluß. Er gibt den Kampf auf... Rushdie, Die satanischen Verse, S. 166
"Oben, ganz oben unterm Dach, das heißt, in Saladins Höhle, wand Pamela sich in den Armen ihres Geliebten, weinte sich das Herz aus und heulte aus vollem Halse: "Es ist nicht wahr. mein Mann ist explodiert. Keine Überlebenden. Hörst zu mich?" Rushdie, Die satanischen Verse, S. 252
"Mirza Said...machte sich wieder an ihr seltsames Mahl,....Das Seltsamste war, daß es schien, als strömten die Schmetterlinge bereitwillig wie durch einen Trichter aus der jetzt sonnenhellen Luft nach unten auf ihre ausgestreckte Hand und in den sicheren Tod. Sie ergriff sie an den Flügelspitzen, warf den Kopf zurück und holte sie mit der Spitze ihrer schmalen Zunge in den Mund. Einmal ließ sie ihren Mund geöffnet, die dunklen Lippen teilten sich herausfordernd, und Mirza Said zitterte, als er sah, wie ein Schmetterling in der dunklen Höhle seines Todes umherflatterte, ohne daß er zu fliehen versuchte. Als sie überzeugt war, daß er dies gesehen hatte, schloß sie den Mund und begann zu kauen.." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 292
"Erschütterungen unter der Erdoberfläche zeigten die Bewegungen riesiger unterirdischer Würmer an, die Menschen gierig verschlangen und wieder ausspuckten, und von oben der Trommelwirbel der Hubschrauber.." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 337
"Eines Nachts träumte dem persischen Schreiber, er schwebe über der Gestalt Mahounds, bei der Höhle des Propheten auf dem Mount Cone. Zuerst dachte Salman, daß dies bloß eine nostalgische Erinnerung an die alte Zeit in Jahilia war, aber dann fiel ihm auf, daß er im Traum die Position des Erzengels eingenommen hatte, und in diesem Moment erinnerte er sich an den Vorfall mit den Satanischen Versen, so deutlich, als wäre er erst am Tag zuvor passiert. "Vielleicht hatte ich mich auch gar nicht als Gibril geträumt", sagte Salman, "vielleicht war ich Schaitan." Diese Überlegung brachte ihn auf eine diabolische Idee. Und er begaann, jedesmal, wenn er zu Füßen des Propheten saß und Vorschriften Vorschriften Vorschriften notierte, heimlich das eine oder andere zu verändern.
"Zuerst nur Kleinigkeit. Wenn Mahound eine Vers zitierte, in dem Gott als der Allhörende, der Allwissende bezeichnet wurde, dann schrieb ich der Allwissende, der Weise. Und jetzt paß auf: Mahound bemerkte die Veränderungen nicht. Da habe ich doch tatsächlich Das Buch geschrieben oder umgeschrieben, wie auch immer, jedenfalls das Wort Gottes mit meiner eigenen profanen Sprache verunreinigt...
Rushdie, Die satanischen Verse, S. 483f.
"..da Baal keine andere Wahl blieb, nahm er den zwölffachen Heiratsantrag an. Daraufhin traute die Madame persönlich alle zwölf Mädchen und in dieser Lasterhöhle, dieser Antimoschee, diesem Labyrinth der Gottlosigkeit wurde Baal mit den Frauen des ehemaligen Geschäftsmanns Mahound vermählt." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 504
"Am Ende war es wohl doch Liebe, sinnierte Saladin Chamcha in seiner Höhle: Liebe, der eigensinnige Vogel aus Meilhacs und Halévys Libretto von Carmen, eines der Paradeexemplare aus dem Allegorischen Aviarium, die er in heitereren Tagen gesammelt hatte und zu denen auch die gefiederten Metapahern Süße (der Jugend) Gelb (mehr Glück als ich), Khayyam-Fitz-Geralds adjektivloser Vogel der Zeit..und das Obszöne gehörten: letzteres aus einem Brief von Henry James an seine Söhne.. Rushdie, Die satanischen Verse, S.  521
"Wiederauferstehung also lautete die Parole, den Felsen vom dunklen Eingang der Höhle wälzen, und zum Teufel mit rechtlichen Problemen." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 527
""Ich ziehe wieder ein", sagte er. "Das Haus ist groß und hat viel Platz. Ich nehme die Höhle und die Zimmer drunter, einschließlich dem zweiten Bad, damit ich unabhängig bin. Ich habe vor, gelegentlich die Küche zu benutzen. Da meine Leiche nie gefunden wurde, vermute ich, daß ich offiziell noch immer als vermißt-vermutlich-tot gehlt und daß du nicht zum Gericht bist und mich begraben hast...Er rauscht hinaus, machte den Abgang, bevor er das große Zittern bekam, und erreichte gerade noch die Höhle, bevor es ihn überfiel.." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 529
"Sunt lacrimae rerum...Saladin hatte während der nächsten Tage reichlich Gelegenheit, über die Tränen in den Dingen nachzudenken. Anfangs verharrte er praktisch reglos in seiner Höhle, ließ sich von ihr in ihrem Tempo wieder überwuchern, wartete darauf, daß sie wieder etwas von der soliden, tröstlichen Eigenart ihres früheren Selbst erlangte, so wie es war, bevor sich das Universum verändert hatte. Er sah viel fern.. Rushdie, Die satanischen Verse, S. 531
"Wie er so in seiner Höhle in dem Parker-Knoll-Ruhesessel saß, um ihn herum dei vertrauten Gegenstände - die Porzellanharlekine, der Spiegel in der Form eines Herzens, der Eros, der die Kugel einer antiken Leuchte hielt -, beglückwünschte er sich, daß er zu der Sorte Mensch gehörte, die Haßgefühle nicht lange aufrechterhalten können." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 534
"Was, oder besser, wer zwang ihn duech die simple Tatsache seiner (ihrer) Existenz, aus jener Kokonhöhle, in der - das jedenfalls glaubte er - sein früheres Ich wiedehergestellte wurde, aufzutauchen und sich einmal mehr in die gefährlichen (weil unerforschten) Gewässer der Welt und seiner selbst zu stürzen? Rushdie, Die satanischen Verse, S. 540
"Höhle..die oberen Stockwerke des Hauses in Nottinghill" Rushdie, Die satanischen Verse, S. 537
"Mirza Said begann, ihnen Geschichten zu erzählen..er erzählte ihnen auch die Geschichte eines Flötenspielers, der die Kinder einer Stadt in eine Berghöhle lockte. Als er diese Geschichte in ihrer Sprache erzählt hatte, trug er Verse auf englisch vor, damit sie der Musik der Dichtung lauschen konnten, auch wenn sie die Worte nicht verstanden. "Die Stadt Hameln liegt in Braunschweig", hob er an. "In der Nähe der berühmten Stadt Hannover. Der Fluß Weser, tief und breit, umspült ihre Mauern an der Südseite...Die, die den Versen des Teufels lauschen, gesprochen in der Sprache des Teufels", rief sie, "werden am Ende selbst zum Teufel gehen." Rushdie, Die satanischen Verse, S. 629

 

Auf diesen Text wird offenbar im Buch literarisch Bezug genommen.......

Text bei einer Moschee  in Antalya 2023

 

 


Literatur:

Salman Rushdie: Die Satanischen Verse (Originaltitel: The Satanic Verses). Penguin, München 2017

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