Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Eine Reise zu Erdställen im Zentrum Frankreichs

- der XXV. Kongress der SFES in Saint-Remy-sur-Durolles, F


"Souterrains" sind das französische Wort für all die vielen Erscheinungsformen unter der Erdoberfläche, die durch überwiegend menschliche Einwirkung geschaffen und geformt worden sind. Da sind zu nennen Tunnels, Aquädukte, Keller und das, was bei uns "Erdstall" heißt.

Vom 20. bis 22. Juli 2002 fand der 25. Kongreß des ungefähren französischen Äquivalents zum "Arbeitskreis für Erdstallforschung" in Deutschland statt, der "Société Francaise d'Etude des Souterrains". Der Ort war der Salle Polyvalente in Saint-Rémy-sur-Durolles, nördlich der Strecke von Lyon nach Clermont-Ferrand im "Parc Natural Regional du Livradois Fore" gelegen.

Das Publikum wechselte immer wieder, aber zu den besten Zeiten waren es um die 40 Personen aus 4 Ländern, die hier zusammen gekommen waren. Das stärkste Kontingent stammte natürlich aus Frankreich, aber auch aus Belgien, Italien und Deutschland waren Leute hier. Unsere deutsche Abteilung bestand aus Dorothee Kleinmann, Monika Löffelmann und mir.
Im Hintergrund stand bei uns natürlich auch der Gedanke, potentielle Teilnehmer für den Internationalen Erdstallkongreß 2002 in Roding zu gewinnen. Wieviele es am Ende tatsächlich geworden sind, das wird sich in 3 Monaten zeigen, aber zumindestens gab es durchaus gewichtiges Interesse.

Die Tagung begann am Samstag morgen mit der Begrüßung der Anwesenden durch Luc Stevens, den agilen und sehr kontaktfähigen Vorsitzenden der SFES aus Belgien. Aus diesem Land kam auch der erste Vortragende, Claude Kahn. Er berichtete von der Freilegung eines Burgbrunnenschachtes und den damit verbundenen Funden und Entdeckungen (puits du château fort de Logne). Giulio Cappa erzählte dann von einigen in den Vulkantuff der Toskana gehauenen Souterains. Meist waren es Gräber oder Ställe. Sein Schwerpunkt lag auf den Ziffern, die in die Wände geritzt worden sind, die zum Teil schon aus der Etruskerzeit stammen und bis ins 18. Jahrhundert reichen. Ein Zeitunterschied von zweitausend Jahren auf 5 cm Wandfläche, a somewhat exciting experience.
Dann kam ich dran und konzentrierte mit auf die "goulots". Das ist das französische Fachwort für die Durchschlupfe, die charakteristisch für viele Erdställe sind. Wo man so etwas findet, da ist ein Erdstall, wo nicht, na, was ist das dann? Auch ein Erdstall? Das Thema ist sehr komplex. Ja und Nein. Es gibt ja auch die "Annulaires", auch vollkommen rätselhafte Gebilde, manchmal mit, manchmal ohne "goulot". Was bedeuten sie? Lauter Fragen und Suchen nach Antworten. Die, die diese Gebilde geschaffen haben, kann man nicht mehr fragen. Längst schon tot. Der anschließende Vortrag von Raymond Delavigne paßte haarscharf zu meinem, denn er befaßte sich mit einer unterirdischen Kapelle in einem Steinbruch in Meudon mit einem Durchschlupf und von das aus sichtbaren Vulva. In einem Rundumschlag brachte er auch noch eine Übersicht über französische Lochsteine und Durchschlüpfe, über mythologische und volkskundliche Aspekte derselben bis hin zu Teufeln und Sheela-na-gigs. Mitten hinein gab es auch einen "Vin d'honneur", wohl von der Gemeinde spendiert, der ein ausgesprochen fruchtiges Aroma hatte und begleitetet wurde von herzhaften Kuchenstücken.
Wer Lust hatte, der konnte an dem 5-gängigen Menü teilnehmen, das um die Mittagszeit im Vortragssaal kredenzt wurde. Das war deshalb nicht unerheblich, weil es abends noch einmal so etwas in einem nahe gelegenen Restaurant gab. Aber, um ein bißchen im Stil von Gerhard Polt zu schreiben, der "Franzose liebt das Essen und den Wein". Und so war der Saal voll, die Stimmung gehoben, langsam lernte man sich kennen, taute auf, lachte und trank zusammen.

Nachmittags ging es auf Exkursion. Eine Autokarawane setzte sich westwärts in Bewegung, nicht weit, denn es sollten zwei Erdställe bei Thiers und Saint-Remy-sur Durolle besucht werden. Der erste, das "Souterrain à Thiers" (Plan siehe Tagungsband) öffnete sich im Kellerraum hinter einer Garage. Der Besitzer war äußerst zuvorkommend, daß er für die große Gruppe der Tagungsteilnehmer seine privaten Hallen öffnete und uns reinließ. Vorbei an Werkstatt und Weinlager ging es zu einer bogenförmigen Öffnung. Man hatte den Erdstall wohl angeschnitten, als die Garage gebaut wurde. Ein 5 m langer gerade Gang mit einer kleinen Nische links führt zu einem quer verlaufenden 17 m langen Gang, der in seinem Verlauf an seinen Enden einmal nach rechts seitlich und einmal nach links seitlich abknickt. Etwa die Hälfte des Gangs blieb uns allen praktisch verwehrt. Um den zu sehen, hätte man durch ein enges Goulot kriechen müssen, das auf der anderen Seite senkrecht abfällt und einen Meter über dem Boden endet. Vielleicht kann man sich da auf der anderen Seite harakirimäßig einfach hinunterfallen lassen, aber ans Zurückkommen sollte man ja auch noch denken. Der obere Schlupfgang ist nur eine Hälfte der Doppelanlage, allerdings ist die untere Röhre heutzutage fast völlig schon vom flüssigen Schlamm wieder aufgefüllt. Man müßte schon so eine Art Schlammtaucher sein, um sich da erfolgreich durchzuwühlen. Wir begnügten uns mit einem Blick auf diese "Folterstrecke" und drehten nach rechts ab. Der weiche Baatz nahm willigst unsere Stiefel auf und gab sie glubschend auch wieder frei. Eine kleine Nebenkammer nach links war da noch und eine Trockenmauer am Ende. Vermutlich hat man den Erdstall von hier aus gebaut und später wieder verschlossen. Das war es dann schon wieder und man konnte nur noch umkehren.
Dabei hinterließ jeder Spuren. Lehmbatzen, gar ganze Würste verteilten sich auf der Rückwegstrecke auf dem ansonsten blitzsauberen Teer der Garage und der Zufahrt. Ständig wieselte jemand mit Schaufel und Besen herum, um die Ausbreitung des hellbraunen Lehms auf dem Schwarz in den Griff zu kriegen. Bei den Erschließungsarbeiten stieß man auf viele Tonscherben, die wohl Hinweise auf das Alter der seltsamen Anlage liefern können.

Von Thiers aus ging es "in den Wald". Es ging immer bergauf. Die Gegend erinnerte auf verblüffende Weise an den Bayerischen Wald. Ein hügeliges Gebiet, viel Wald, viele Wiesen, eingestreute Ortschaften. Dann ging es nach rechts auf eine Schotterstraße. Schließlich hieß es halten, aussteigen, zu Fuß weiter aufwärts steigen. Hier ein Erdstall? Seltsam, mitten im Fichtenwald. Ja, auf einmal war da eine Grube im Waldboden. Am Grund hier eine Öffnung, da eine Öffnung, auch dort schien es weiterzugehen. Unter den Wurzeln einer Fichte ging es dann tatsächlich schlupfartig hinunter in das Annulaire, diese seltsamen unterirdischen Hohlreifen, die sich begehen lassen, ja, begehen. Denn da wurde es richtig so groß, daß man sich seines Menschseins wieder besser gewahr werden konnte, weil der Gang Menschengröße erreichte, zumindest an einer Stelle. Nach einer runden Strecke konnte man nur noch durch ein Loch nach oben schauen, aber als Erwachsener nicht mehr durch. Unser jüngster Teilnehmer, ein höchst lebendiger Junge schaffte es aber doch noch, auch dort durchzukommen. Es gibt da aber nicht nur den Bogen, ein kreuzförmiger gerade Teil zieht weiter und ein tiefer gelegener Gang, der im Wasser endet und der nur durch ein Goulot erreicht werden kann. Dieser Gang endet an einer Trockenmauer, hinter der der Bauschacht liegt, der zur Oberfläche wieder führen würde, würde man ihn ausgraben.
Die Örtlichkeit ist nicht unbelebt, wenn der Mensch weg ist. Dachse haben sich auch hier ihren Lebensraum erschlossen und durchstreifen diese auch viel besser auf ihre Körpergröße dimensionierten Räume. Mit ihnen bekamen ein paar Teilnehmer direkt schon Sichtkontakt, als sie ein im Wald befindliches Erdloch versuchten, weiter zu öffnen.

Die Sonne senkte sich langsam auf den Horizont herab, es wurde Zeit zurückzukehren. Ein voller Tag neigte sich seinem Ende zu und war doch noch lange nicht zu Ende. Wir trafen uns erst alle noch zum großen Abendessen in einem schönen Restaurant mit herrlichem Blick auf die Umgebung, und später noch zu dem öffentlichen Vortragsabend im Salle polyvalante. Öffentlich war er ausgeschrieben, überall angekündigt, gekommen ist dann doch nur die Kernmannschaft. Hugues Dourvert stellte die Erdställe der Montagne Thiernoise vor, dann zog es die Leute bald hinan zur wohlverdienten Nachtruhe.

Sonntags war was los auf einmal in Saint-Rémy-sur-Durolles. Die Parkplätze alle belegt, Menschenauftrieb im Ort, Kirche und Kommerz. Die Souterainler trafen sich noch einmal zu ihren Vorträgen: eine uralte Wasserleitung unterhalb von Tusculum in der Nähe von Rom, das Souterain von Luché in der Vienne, die Hauptversammlung der SFES... Mittags wieder das große Essen, nachmittags wieder die Exkursionen.
Diesmal ging es in einen Erdstall bei Thiers in der Nähe eines Stauweihers. Die beiden Eingangsschlufe sind von Menschen gebauter Art. Man hat zuerst die größeren Hohlräume geschaffen und sie dann wieder mit Steinen vollgefüllt - bis auf die paar schmale Schlupfe, durch die man innen kriechen kann. Hat man die hinter sich, dann kann man stehen, und ist in einer Art Annulaire, die aber nicht durchgehend ist. Eine Trockenmauer schließt eine Richtung ab, in die andere geht eine kurze Sackgasse. Ein Schmankerl.

Beim Rückweg gab es einen kleinen Imbiß im privaten Reich von Hugues Dourvert, unserm Führer während der ganzen Reise.

Weiter ging es, wieder in den Wald. Wir hatten erst zurückzufahren nach Thiers, dann über St-Remy-sur-Durolle nach Chabreloche und dann hinauf zum Col des Sagnes. Dort ließen wir die Autos zurück und wanderten wieder bergabwärts Richtung Norden, zweigten dann auf einen Forstweg an und kamen so bis zu einer kleinen Bodenöffnung direkt neben dem Weg. Erst schien es schon äußerst merkwürdig, daß da mitten im Wald und weit von jeder menschlichen Besiedlung sich da ein Erdstall befand. Die kundigen Augen einiger erfahrener Erdstallforscher sahen aber gleich die allerletzten Reste einstiger Gebäude im Wald. Da war früher gar kein Wald, da lebten Menschen einstmals, wo jetzt nur noch die Fichten in Höhe schießen. Auf dem Plan sieht das "Souterrain à Chabreloche" ja ganz gut aus - zwei Ringe schließen sich zu einem Annulaire, eine Seitenkammer gibt es und eine Nische. Vor ein paar Jahren war da noch mehr zugänglich, aber innerhalb kurzer Zeit kann man nur noch letzte Reste davon besichtigen. Ein wichtiger Grund dafür ist, daß hier jetzt ein Dachs lebt und seinen Lebensraum gestaltet dieses Tier nach eigenen Gesetzen. Hugues hatte kurze Zeit vorher schon mal vorerkundet, ob der Dachs noch da sei, ansonsten wäre vielleicht das Ganze abgesagt worden, denn wer möchte sich schon auf einen Kampf mit diesem Tier unter der Erde einlassen? Wie ein Hund, oder in dieser Umgebung wohl besser Dachs, durfte man sich da drinnen fühlen, kroch, kroch und kroch nochmal, dicke Wurzeln drängten aus der Decke wie Stalaktiten, der Dachsgeruch war überall, die schönen Gänge waren vollgefüllt mit erdigem Füllmaterial. In die kleine Seitenkammer konnten sich nur ganz gelenkige und schmale Zeitgenossen und -innen drängen und die beste konnten sich sogar noch drinnen umdrehen. So was war mir nicht mehr möglich.

Abends gab es dann im Restaurant am Berg wieder ein 5-gängiges Menü , Standard hier, guten Wein und gute Gespräche, aber hinterher keine Vorträge mehr. Es reichte.

Am Montag morgen wurde der ganze Saal geräumt, geputzt, aufgebrochen. Ein schönes Besuchsprogramm gab es noch. Erst ging es nach Courpière, eine halbe Autostunde südlich von Thiers. Mitten auf dem Marktplatz hielt unsere Autokarawane, wir wanderten an der Schule vorbei zum Rand der wohl einstmals mit dicken Mauern befestigten Stadt. Dort wartete schon der Bürgermeister, ein fachkundiger Einheimischer (Monsieur Paul Valande) und ein Ortspolizist in Uniform. Wir bekamen eine ausführliche Einführung in die Geschichte des Ortes und die Fundumstände des Erdstalls. Bei Terrassierungsarbeiten für einen neuen Park am Rand der Stadtmauer war man auf ein Loch gestoßen. Bei der Erkundung fand man wohl der Rest eines Erdstalls. Denn was soll das sonst sein? Ein Stollengang, eine kleine Seitennische, dem Ende zu nach rechts abknickend ein ansteigender Gang. Viel Arbeit hat man sich da einmal gemacht für etwas, was für uns heute eigentlich keinen richtigen Sinn mehr macht. War man durch das enge Loch am Eingang gerutscht, so ging es auf erdigem Material in einem niederen Gang schräg abwärts bis zu einem Seechen. Steine ermöglichten eine trockene Durchquerung. Ein fast mannshoher Gang führt geradeaus, bis er niedriger werdend langsam ansteigt und schließlich verstopft endet.

Für den Nachmittag war noch ein Ausflug vorgesehen in ein Gebiet, das so eine Art Mekka für Erdstallforscher ist. Die Montagne Bourbonaise. Leider konnten wir einen der bemerkenswertesten Erdställe dort aus Zeitgründen nicht mehr besuchen, das "Souterrain du Rez des Ecoliers à Arfeuilles" im Departement Allier, eine klassisches Annulaires. Unsere Karawane stoppte plötzlich bei einem einzelnen Bauernhof. Die friedliche Idylle füllte sich mit Menschen und Autos. Picknickkörbe wurden ausgepackt, Kartons mit Chips gebracht, Kartons mit Wasserflaschen, natürlich auch ein Vrac mit rotem Wein (es soll hier keine Polizisten in der Umgebung geben). Das "repas 'tiré du sac' fourni par le traiteur" fand da gerade statt. Stilgerecht fand es im "Schatten" eines Erdstalls statt, der hinter uns in der angegrabenen Felswand seine beiden Öffnungen hatte. Nicht einmal umziehen mußte man sich für seine Befahrung. Man mußte sich zwar bücken für seine Begehung, aber recht viel war nicht mehr übrig. Richtig spektakulär war die Beschreibung der Umgebung. Der Bauer deutete hierhin, dorthin, dann dahin, und überall gab es in der hügeligen Umgebung einen weiteren Erdstall. Was hat nur die Menschen mal angetrieben, sich in der Erde solche Hohlraumsysteme zu schaffen? Hier vor allem Annulaires? Es fiel tatsächlich das Wort von den österreichischen "Bergleuten", die hier mal hergekommen seien, die Landschaft erinnert ja tatsächlich z.B. sehr an das Waldviertel, aber eigentlich ist das ja vollkommen unwahrscheinlich.

Eine schöne Reise ging zu Ende, Monika und ich verabschiedeten sich von den uns inzwischen schon recht vertraut gewordenen französischen Erdstallerern, Dorothée hatte vorher schon jemand gefunden, der sie in ihre Felsenunterkunft in Chinon an der Loire mitgenommen hatte, aber vielleicht sehen wir bald wieder einige unserer französischen Freunde, bei der nächsten Erdstalltagung in Roding!

Literatur:

Société Francaise d'Etude des Souterrains XXVème Congrès annuel, 20-21-22 juillet 2002, Programme général

Kleinmann, Dorothée

Der Kongreß der SFES in St.-Rémy-sur-Durolles, 20.-22. Juli 2002, in: Der Erdstall 29, Roding 2003, S. 93

Kahn, Claude, Stevens, Luc, Réalisation

Subterrane'Actes - Actes du 25ème Congrès de la SFES tenu à Saint-Rémy-sur-Durolle (Puy-de-Dome) les 20, 21 et 22 juillet 2002, Orleans 2004

Links:

Société Française d'Etude des Souterrains


Eine kurze Zusammenfassung der Vorträge (von Luc Stevens), übernommen von der Webseite der SFES:

 


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