Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Das Erdstalltreffen 2010 in Raabs an der Thaya
Erdställe im Gebiet um Raabs an der Thaya
Das "Erdstall-Dorf" Ulrichschlag
Vom 17. bis 19. September 2010 fand wieder einmal ein Treffen der Erdstallforscher statt, diesmal in Raabs an der Thaya. Wieder mal wurde ein Markstein gesetzt durch Edith Benarik. Sie hat uns allen die einmalige Gelegenheit gegeben, ein klein wenig von dem mitzubekommen, was sie in vielen Jahren gründlichster Arbeit zusammengetragen hat.
Vor etlichen Jahren hatte uns Herbert Wimmer einmal seine Hypothese von den 4 Erdstalltypen vorgetragen, von A, B, C und D. C - das war der Typ mit den Umgängen, die besonders im Gebiet des Waldviertels dominierend vertreten ist. Daß das stimmt, das durften wir in eindrucksvollster Weise in den 2 1/2 Tagen dort erleben.
Am Freitag abend ging es los mit einem Vortrag von Edith in der JUFA RAABS über das Erdställe im Exkursionsprogramm des nächsten Tages. Da es sehr umfangreich war und Edith immer sehr gründlich ist, war das ein umfangreiches und informationsreiches "Briefing". Danach wußten wir, wonach wir Ausschau halten sollten. Eine kurze Pause folgte, in der man auch getränkemäßig nachrüsten konnte. Dann folgte eine Vortrag, den sich wohl keiner entgehen ließ: Heinz Kusch berichtete von neuen Entdeckungen in der Oststeiermark - sowohl als auch unter der Erde. Über das neu erschienene Buch sind viele aufmerksam geworden und zahlreiche Neumeldungen von unterirdischen Anlagen sind zu verzeichnen. Eine Frage ist aber legitim: Was hat das noch mit dem Thema "Erdställe" zu tun? Natürlich schon, weil man die Grenze zwischen den Erdställen und den Nichterdställen deutlicher ausloten kann. Nächstes Jahr wird die Erdstalltagung erstmals in dieser Region stattfinden und wir dürfen alle sehr gespannt sein. Zum Schluß kam es noch zu einem kleinen Schlagabtausch über die Frage der "Wissenschaftlichkeit" einiger Formulierungen. Das kennen regelmäßige Besucher der Tagungen seit Jahren.
Eine schöne sternklare Nacht lockte noch zu einem abschließenden Aufenthalt im Freien, der ja für die Raucher inzwischen obligatorisch geworden ist, wenn sie ihrem Laster frönen wollen.
Der nächste Tag begann mit einem perfekten Frühstück im JUFA-Haus. Um 9 Uhr ging es los zu den Exkursionen. Edith hatte 4 Gruppenführer eingeteilt, die für jeweils rund 11 Personen zuständig waren. Wir mußten uns um überhaupt nichts zu kümmern, sondern einfach nur hinterher fahren. Am Abend zuvor waren die Pläne der Erdställe verteilt worden, so daß für alles gesorgt war. In einer Achterform ging es zu verschiedenen Orten, wobei 2 Gruppen vormittags die Erdställe besuchten, die die anderen erst nachmittags zu sehen bekamen. So flutschte alles ganz hervorragend und lange Anstehzeiten wurden vermieden. Und wenn man lange genug wartete, dann konnte man auch mal einen Erdstall ganz für sich alleine haben und z.B., wie ich, akustische Versuche machen.
Das ist ein faszinierendes Gebiet. An einzelnen Stellen in den Erdställen finden wir hervorragende akustische Eigenschaften. Das zu spielende Instrument haben wir alle dabei, nämlich uns selber. Sehr gute Erfahrungen habe ich mit Summen gemacht, insbesondere mit dem "OM". Wenn es einen akustischen Hintergrund für den Bau der Erdställe gibt, dann brauchen wir uns nicht wundern, daß ja eigentlich nie etwas drinnen gefunden wird.
Typischerweise bestehen die Erdställe in dieser Gegend nur aus einem kurzen Gangstück, das zu einem Umgang führt. Eigentlich überall gibt es auch mindestens noch eine Seitenkammer. Warum eine Kammer? Die meisten sind ziemlich klein und nieder. Da kann man sich hineinhocken oder hinlegen. Und dann? Es ist eine Umgebung, um in Perfektion Dunkelheit, Stille und Leere zu erleben. Die Zeit spielt hier keine Rolle mehr. Ein Ort der Meditation, des Innehaltens, des Sichablösens vom Alltag und dem Getriebe oben auf der Erde.
Wenn ich mir das Verhalten der Mitbesucher der Erdställe angeschaut habe, dann waren die meisten auf einem ganz anderen "Trip". Rein, durch, raus. Vielleicht noch ein Foto schießen. Viele der Erdställe waren auch wirklich nicht von einer Qualität, die eingeladen hätte zum Bleiben. Warum? Etliche wußten ja erst ausgepumpt werden und dementsprechend waren am Boden oft nur Schlamm und Wasser.
Mittags trafen sich alle Gruppen wieder zu einem feinen
Mittagessen nach dem Motto "all you can eat". Das
führte dann dazu, bei bei vielen Exkursionisten nachmittags die
Leistungsquote sehr nach unten zeigte. Die Schlagzahl wurde
heruntergenommen, aber fleißig wurde Erdstall um Erdstall
"abgehakt". Ein Teil des Vergnügens ist ja, in die
unwahrscheinlichsten Ambientes zu kommen, in die man ansonsten
nie Zugang hätte. Im Kellerraum eines Pferdegestüts lag da ein
kleiner seltsamer Erdstallrest, im Keller eines unbewohnten
Hauses usw.. Für viel Abwechslung war gesorgt, aber allmählich
erhärtete sich der Eindruck, das an dem englischen Spruch
"If you have seen one, you have seen them all" auch in
Bezug auf die Erdställe der Umgebung was dran war.
Um 18 Uhr war der nächste Hauptprogrammpunkt: das Zusammensein
in einem Mostheurigen. Dazu wanderten wir durch Raabs mit seinen
schmucken renovierten Bauten, überquerten die grüne Thaya an
der Stelle, wo man den Prachtblick auf die Felsenburg hat und
stiegen dann hinauf nach Oberdorf, wo sich die gemütliche
Wirtschaft befand. Hervorragende kalte Platten waren im Angebot,
frischer trüber Apfelmost und klare feine Obstbrände, die man
auch noch probieren durfte. Alles verzögerte sich etwas, so daß
es aus einem pünktlichen Anfang des Vortragsabendprogramms um 20
Uhr nichts wurde. Edith bestritt den ersten Teil und klärte uns
über das Highlight des nächsten Tages auf, das erste
"Erdstalldorf" überhaupt, Ulrichsschlag, etwa 30 km
entfernt. Dann kam noch als großer Abendvortrag der Beitrag von
Traude Czegley über den Aberglauben im Mittelalter. Nach unserem
Wissensstand liegt ja in der Frühzeit dieser Zeitepoche wohl der
Moment, als die Menschen anscheinend begannen die seltsamen
Gebilde in die Erde zu graben, denen von uns der Name
"Erdstall" gegeben wurde. Alleine schon der Blick auf
die einfach Holzhäuser auf der Erde in dieser Zeit läßt einen
staunen, was da unter der Erdoberfläche gleichzeitig geschaffen
worden war. Viel Stoff zum Nachdenken.
Das prächtige Frühherbstwetter herrschte auch am nächsten Tag noch und ließ alles in einem warmen Licht erscheinen. Es ging übers Land in Richtung Waidhofen. Kurz zuvor liegt der Weiler Ulrichsschlag. Man ließ sich nicht lumpen, als der Erdstallkreis dort auftauchte: ein richtiges "Erdstallfest" hatte man organisiert. Es war möglich, 5 Erdställe auf einmal zu besuchen, die freiwillige Feuerwehr war aufgeboten und hatte alles, was notwendig war, getan, es gab einen richtigen Getränkestand, Kuchen waren gebacken worden und mittags offerierten die Damen ein ausgezeichnetes warmes Essen: Gemüsesuppe und Schweinsbraten mit Knödel. Sogar für musikalische Untermaltung war gesorgt. Eine 4-Mann-Band spielte auf! Erst ab 3 Uhr waren die Anlagen für die Öffentlichkeit zugänglich, vorher waren sie für uns Erdstallerer reserviert. Und das Fernsehen war auch noch da, sodaß auch kräftig Außenwerbung gemacht wurde.
Tatsächlich schadet es im Moment noch nicht, wenn das Phänomen des Erdstalls mehr Aufmerksamkeit bekommt. Es ist ja wirklich traurig, was da immer noch passiert. Selbst klassische "Vorzeigeerdställe" sind keineswegs im Bestand gesichert und einige davon wurden auch in neuester Zeit einfach zerstört oder mit Beton vergossen, weil sie den Grundstückseigentümern im Weg waren. Glücklicherweise sind nicht alle so, sondern kümmern sich richtig rührend um die Objekte auf ihrem Grund.
Es wurde Zeit aufzubrechen und heimzukehren. Diesmal hatten ja wir Bayern den weiteren Weg zu fahren, nachdem die Wiener jahrelang diesbezüglich schlechter dran gewesen waren.
Ein großes Dankeschön an Edith für ihre Superorganisation eines Events, der so nie mehr wiederkommen wird. Was machen wir bloß, wenn der Zahn der Zeit noch weiter an ihr nagt?
Text vor der Veranstaltung:
Nach vielen Jahren kontinuierlichen Gleichbleibens des Veranstaltungsortes der jährlichen Erdstalltreffen wird es im nächsten Jahre wieder einmal einen Wechsel geben. Edith Bednarik hat sich bereit erklärt, das nächste Treffen auszurichten, und zwar im Waldviertel.
Wir dürfen alle sehr gespannt sein, was für Erdställe, dieses in die Erde hingebaute Rätsel, wir dort sehen und erleben werden. Ob wir da einen Schritt näher an die Lösung des Geheimnisses kommen? Egal, auf jeden Fall kann man dort wieder freundliche Leute treffen, eine schöne Landschaft durchstreifen und wohl auch wieder einigen zuhörenswerten Vorträgen beiwohnen.
Ich freue mich drauf.
Termin: 17. bis 19. September 2010 in Raabs an der Thaya, Österreich. Anmeldung bis spätestens 20. Juni 2010 bei anfrage@erdstall.de oder bei Dieter Ahlborn, Grass 12, 85653 Aying.
Bednarik, Edith | Einladung zur Tagung, Der Erdstall Heft 36, 2010 |
Karner, Lambert | Künstliche Höhlen aus alter Zeit, Wien 1903 |
Bednarik, Edith | Merkmale niederösterreichischer Erdställe, Der Erdstall 31, Roding 2005, S. 79ff. |
Maierhörmann, Günther | Bericht von der Erdstalltagung 2010 vom 17. bis 19. September in Raabs an der Thaya/Niederösterreich, in: DER ERDSTALL 37, Roding 2011, S. 110ff. |
http://www.jufa.at/raabs/
http://www.erdstall.de
https://www.lochstein.de/erdstall.htm
Landschaft und Höhlen im Waldviertel
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