Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Schulungsveranstaltung des Landesvereins für Höhlenkunde in Salzburg zum Thema "Höhle und Karst"
19.-20. Mai 2001

Dr. Karl Mais "Höhlen und Höhlenkunde"


Die "Salzburger" hatten zu einer Veranstaltung eingeladen. Dr. Karl Mais von der Karst- und Höhlenkundlichen Abteilung am
Naturhistorischen Museum in Wien, "Charly" für uns natürlich, erläuterte uns den Begriff der "Höhle" in der Rachelspergerhütte am Eingang zum Lamprechtsofen. Ein schönes Ereignis, das man mitgemacht haben sollte.

Ich hatte durch Stefan Vegh davon erfahren, andere vielleicht durch die Vereinshomepage des Landesvereins für Höhlenkunde in Salzburg, der neues Leben inzwischen eingeblasen wird, und sagte gleich zu. Zeit hatte ich genug und sicherlich würden nette Leute da sein. Die Zeitangaben waren gemütlich. Am Samstagnachmittag nach 15 Uhr hieß es. Natürlich kam ich zu spät, Peter Hofmann von HÖREPSY wohnt schließlich auf dem Weg dorthin, dann war ich auch plötzlich in Reit-in-Winkl, wo ich eigentlich gar nicht hinwollte, aber halt war, so kam ich erst zu spät zum Vortrag.

Charly war gerade dabei, den Begriff "Höhle" auseinanderzunehmen. Ein richtiger "Gummibegriff" sei er. Pragmatisch löst man diese Frage dann, wenn man der Erderscheinung eine "Katasternummer" tatsächlich zuteilt. Die "Höhle" ist im Idealfall genau so wie wir uns sie uns vorstellen. Aber es gibt ja z.B. auch die Höhlenruinen, die ganz alten Höhlen, die sich schon wieder auflösen, oder, Charly brachte da ein herrliches Beispiel, von dem ich auch noch nie gehört hatte, es gibt da gar keine wirkliche Höhle mehr. Nicht nur die Höhle ist weg, auch die Höhlenruine, man findet vielleicht nur noch ein paar frühere Bodensedimente, ein paar Felsbrocken auf dem Flysch etwa, nichts sonst mehr. Die Höhle ist eigentlich schon weg, aber eben doch noch irgendwie präsent, durch ihre wirklich allerletzten Reste. Solche Sachen sollten eigentlich viel mehr Menschen gehört haben, die sich so stolz als "Höhlenforscher" bezeichnen. Das trägt für mich einfach zur Bescheidenheit bei, zur Einsicht, daß alles, war da angehäuft wird, eigentlich auch nur sehr vergänglich ist. Steine, Wissen... Ein weiteres Thema war die Entwicklung des Faches "Höhlenkunde", das maßgeblich aus dem österreichischen Raum vorangetrieben wurde. Namen fielen, Kraus, Knebel, Fruhwirt, Trimmel, Metternich, Martel.... Charly verstand es ausgezeichnet, durch sein Detailwissen längst Vergangenes wieder auch für uns nachvollziehbar zu machen. Krieg und Frieden, wirtschaftliche Prosperität und Wasserknappheit, z.B. verursacht durch die anlandenden Schiffe in Triest. Voller sehr spannender Details steckt ja die Vergangenheit, man muß sie halt mal wirklich ausgesprochen "anhören". Das hat mir so gefallen an diesem Treffen. Was ich längst schon gelesen hatte, das kam da mit einem lebhaften Wienerischen Akzent akustisch wieder auf mich zu. Mit kleinen rhetorischen Exzessen wie einer dreifachen Verneinung: "Naa, Noo, Net".



Und es ging unter anderem noch um die Frage der Höhlenentstehung. Primäre Höhlen, sekundäre Höhlen. Lavahöhlen, Korallenriffe... Sehr gut fand ich die uralten Darstellungen der Entstehung von Höhlen, wo Glasplatten zu sehen waren, die man in ein Gestell einspannt und zu drehen anfängt. Ich glaube, daß jeder ein bißchen innerlich nachvollzogen hat, wie das ist, wenn man "verdreht" wird. Sprünge und Risse kriegt man, nicht nur das Glas und die Kalkbrocken, nicht willkürlich, sondern ziemlich "regelmäßig". Und wie ist es, wenn Druck von oben kommt? Auch da gab es Darstellungen. Wachsblöcke, Kalkblöcke, gedrückt. Es kommt zu Entladungen, Sprengungen. jetzt und später. Das passiert überall. Auch im Lamprechtsofen.
Es brächte nichts, den kompletten Inhalt von Charlys Vortrag hier wiederzugeben. Die Feinheiten sind schließlich so oft nur zwischen den Zeilen und im Akustischen. Und die sind jenseits dieses Mediums, des Internets.

Zeit zum Ausschnaufen war dann auch mal. Notwendigerweise. Der kleine Raum in der Lampohütte war ja voll. Die Luft "verfärbte" sich schon langsam und die Aufmerksamkeit läßt sich ja auch eigentlich nicht viel länger als 20 Minuten ohne Pause auf einen Vortragenden konzentrieren. Wir machten unter Walters Führung eine kleine Wanderung zu den Quellen des Lamprechtsofenbaches. Wildes Gebiet liegt dazwischen. Die Natur in freier Entwicklung, ein Lawinenstrich. Klares Wasser aus dem Berg.

Es war längst dunkel draußen geworden. Da wurde von "Bonsai" der Grill richtig in Betrieb gesetzt. Es gab etwas für die inzwischen von Feststoffen ziemlich entwöhnte "Magenhöhle", die von der offiziellen "Höhlenwissenschaft" und ihren menschlichen Vertretern, die ja aus anderen akademischen Fächern stammen, noch nicht als solche "anerkannt" ist. Die sind hauptsächlich, von ihrer akademischen Ausbildung her, "Geologe", "Geograph" oder Ähnliches, und noch nicht "Mediziner", "Psychologe", "Philosoph" oder "Künstler". Die würden nämlich, da bin ich ganz sicher, die "Höhle" noch ganz anders sehen.

Jedenfalls gab es ein prima Essen,

alle wurden satt, alle hatten hinterher auch noch Lust, Charlys Ausführungen in die Welt der Höhlen willigst zu folgen. Zur Sprache hatte sich das Bild gesellt. Irgendwann wurde es Zeit, sich auch den "hard facts" der Höhlenwelt zu stellen, was nicht schwierig war. Schließlich hatten wir eine Höhle direkt vor der Haustüre, die noch vor wenigen Monaten noch als die "tiefste Höhle der Welt" gelten durfte. Wenn das kein würdiger Ort für solch eine Zusammenkunft war...

"Normale" Menschen tun das sicherlich nicht. In der Zeit, die sich Mitternacht nähert, noch das Haus zu verlassen, Lampen zu suchen, anzuwerfen, die heimische Scholle noch zu verlassen und sich einer Zone zu nähern, deren Betreten durch die "Autoritäten", damals waren es noch "Kirchliche", einmal strengstens verboten war. Das Tor ist offen, das elektrische Licht brennt, wir gehen hinein. Charly versucht, wo es halt geht, sowohl örtlich als auch sachlich, "Theorie" und "Praxis" zusammenzubringen. "Dolomit", "Kalk", "Klüftung", "Druck".... Wir verschwinden im "Forscherteil" der Höhle erst einmal. Erläuterungen werden oft unmöglich. Schließlich fließt da das echte Höhlenwasser abwärts, feuchtet unsere Füße nicht nur intellektuell an, sondern "verseucht" die Umgebung auch noch so akustisch, daß ein paar gar nichts mehr verstehen. Der Troß wird immer kleiner, auch ich gehöre zu den Abtrünnigen.

Wir schauen in der Hütte noch ein paar Dias vom Ebers- bzw. Nebelsbergkar an, dem Gebiet oberhalb des Lamprechtsofens, aufgenommen im letzten Jahr, anläßlich einer Tour von Alfred Schlagbauer und mir. Der immer größer werdende Rest der Truppe kommt langsam herein in die warme Stube, will noch mal die Bilder sehen. Es wird immer später. Es heißt, Charly soll seinen Vortrag noch fortsetzen mit Bildern. Ich schwächle und verlasse den Raum.

Der nächste Morgen ist traumhaft. Strahlendes Wetter draußen. Langsam schiebt sich erst die Sonne höher und bringt ihre Strahlen auch in das tief eingeschnittene Saalachtal herein.

Gegen acht kommen die ersten aus der Hütte, den Kaffee trinken wir bei der Rosa im Gasthaus auf der Terrasse im warmen Sonnenschein, Christian bringt frische Semmeln vorbei, viel besser kann es einem eigentlich kaum gehen.

Gegen 10 Uhr brechen wir auf in 4 Autos. Es geht zum Gerhardstein, das Karstgebiet gleich gegenüber dem Lamprechtsofen Richtung Osten. Eine gute Straße führt weit hinauf, Walter hat die Schlüssel beim Forstamt organisiert. Wir kommen ganz einfach und ohne große Anstrengung hinauf. Da Walter und Ottmar 2 Wochen vorher den Weg hinauf zum Schwarzloch ausgekundschaftet hatten, blieb uns die große Sucherei erspart und finden sofort die schmalen Pfade, die direkt zum in einer kleinen Wandstufe liegenden führen.

Etwa die Hälfte der Teilnehmer an der Exkursion hatte ich ihre Schlaze und Lampen dabei und verschwand unverzüglich im Loch. Der Rest vergnügte sich anderweitig draußen, mit Fachgesprächen, Blödeln oder einfach die Zeit-verstreichen-Lassen. Eine selten gewordene Kunst in unserer hektischen Zeit. Ein paar von uns suchten den Weiterweg, wir untersuchten ein paar unbedeutende Wandnischen, fanden noch ein paar Ritzzeichen, die an den verschiedensten dunklen Felswandeln am Gerhardstein zu finden sind, und fanden schließlich eine Stelle, wo es etwas rutschig und sich an wackligen Steinchen oder dünnen Wurzeln festhaltend endgültig hoch aufs Plateau ging. Unten waren wir 17 Negerlein, oben auch wieder. Keiner war uns verloren gegangen. Zu glauben, so hoch oben im Gebirge sei heile Welt, das wäre naiv. Ganz massiv war hier erkenntlich, daß der Mensch dort Forstwirtschaft betrieben hat. Von wegen romantischer Wald. Man hatte hier massiv geholzt, die Stämme ins Tal geschafft, die Zweige liegengelassen. Teppiche aus Nadelwaldästen überzogen die sichtbar verkarstete, leicht geneigte Plateaufläche, der wir immer weiter noch oben folgten. Alte, vom Menschen geschaffene Wege führen hindurch und erleichtern unendlich das Fortkommen. Da wir ja einmal schauen wollten, ob es da nicht auch die eine oder andere Höhle gab, schwärmten wir aus und durchkämmten sorgfältig das Gelände. Resümee: In den meisten Zonen gibts nichts. Etwas ermattet von den fruchtlosen Anstrengungen machten wir im Schatten der großen Ritzzeichenwand eine Mittagspause. Bonsai wurde dabei zum Opfer unserer Aggressionen, als wir ihn mit Tannenzapfen beschmissen, was er lakonisch einfach ertrug. Wir waren nicht mehr weit weg von der Schattseit-Tret-Alm. Wir mußten nur noch über einen kleinen Buckel und standen auf der großen Almwiesen. Die Hütte ist inzwischen zusammengestürzt, ein paar Mauern stehen noch, alles liegt kreuz und quer übereinander, keinen kümmerts mehr. Einige Bächlein entspringen am Wiesenrand, fließen ein paar Meter oberirdisch und verschwinden dort, wo sie auf Felsen treffen, gleich wieder unter der Erde. Der attraktivste Ponor wurde ein bißchen angeschaut, aber führte nicht weiter. Weiter ging es durch die hier besser erhaltene Waldlandschaft. Die Forstwirtschaftler hatten hier noch nicht so viel eingegriffen. Abwärts ging es langsam wieder, hinüber zu den Trettalmen. Eine offenbar noch in Schuß gehaltene Forsthütte fanden wir, rundherum kleinere Ponore und kleinere Spalten. Peter, einer der "Tiger" der Gruppe, fand dann genau das, wofür wir alle hier herumirrten. Eine richtige Höhle, idyllisch in einem Mooskessel gelegen, Luftzug führend und sich als bislang 20 m langer Gang in die Tiefe windend. Eine Engstelle zwang zum Umkehren, aber hindurch geworfene Steine künden von möglichem größeren Neuland. Gleich wurde das Maßband herausgeholt, der Gang gleich vermessen, ein Leichtmetallkatastertaferl an die Wand geklopft. Richtiges Expreßcaving ist das heute. Ganz in der Nähe fand sind dann gleich noch ein ansehnliches Locherl, das allerdings auch nach wenigen Metern sich zu einer unbegehbar engen Spalte verengte.

Die Sonne setzte bereits allmählich an, ihren Tageslauf zu vollenden, als wir langsam auf gutem Weg durch die Steilwände auf der Nordseite des Gerhardsteins talwärts wieder strebten.

Wir kamen alle wieder gut unten an und zum Schluß gab es noch einen harmonischen Ausklangszusammenhock im Lamprechtsofenwirtshaus bei Radlermaß, "Heißer Liebe", hier einem Eisbecher, und Essigwurst. Eine sehr gelungene Veranstaltung hatte ein Ende gefunden. Wo sind aber die "Fortsetzungen"? Gibt es da wirklich welche? Thematisch? Örtlich? Zeitlich? Persönlich?

Ich setze da auf die "Hoffnung", Hoffnung in dem Sinne von Elisabeth Kast, die meint: "Hoffnung will nicht unbedingt, daß jetzt etwas Bestimmtes passiert. Das will die Erwartung. Hoffnung läßt die Ereignisse auf sich zukommen, hat einen viel größeren Spielraum, viel mehr Freiheit, bezieht sich auf eine fernere Zukunft. Die Erwartung bewegt sich geradezu auf die Dinge zu, während sich in der Hoffnung die Dinge auf den Menschen zubewegen."

Und so etwas wird mir immer wichtiger.

Literatur:

Lindenmayr, Franz Schulungsveranstaltung des LVfHK zum Thema "Höhle und Karst, in: ATLANTIS 23-2001, Heft 3/4, S. 28ff.

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