Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

X


Durch Mahamasina in Nordmadagaskar geht die Nationalstraße von Diego Suarez Richtung Anatanarivo hindurch. Wichtig ist dort vor allem, daß dort der Osteingang in den Tsingy-Nationalpark von Ankarana gibt. Dort gilt es, jeden Besuch anzumelden, die Gebühren zu bezahlen und einen Führer zu engagieren.

Welchem bis in die Wolle gefärbten Höhlenforscher ginge das nicht gegen den Strich? Vor Jahren sagte schon einmal ein Münchner Höhlenforscher, dessen Namen ich hier lieber nicht hinschreibe, als er die von mir organisierte Höhlenkunstausstellung in Aschau, anläßlich der Verbandstagung des VdHK und dem 50. Vereinsjubiläum des Vereins für Höhlenkunde in München, besuchte: "Jeder echte Höhlenforscher ist doch ein Anarchist!" und traf damit einen Nerv.

Wenn die Höhlenforschung so gegängelt und bürokratisch fast erwürgt wird, dann sucht man sofort nach neuen Wegen, meist anderswo und in der Tiefe, wo die smart asses von oben machtlos und verloren sind.

Warum nur denke ich im Moment solche Gedanken? Wenn bei uns das Betreten der Höhlen im Winter aus sog. "Fledermausschutzgründen" amtlicherseits verboten wird, wo geht man dann in dieser Zeit hin? Man kann in die Tropen zum Beispiel fliegen, 10.000 km im Flugzeug zurücklegen - und schon ist man in großen, oft noch gänzlich unerkundeten Karst- und damit wahrscheinlich auch Höhlengebieten, wo die Fledermäuse noch auf dem Speisezettel der armen Leute stehen. Es gibt so viele davon, daß ein Paar davon einfach als Nahrungsmittel dienen. Der Bestand wird dadurch nicht gefährdet.

Eines davon liegt ganz in der Nähe dieser eingangs erwähnten Nationalstraße. Das ca. 200 qkm große Karstgebiet von Ankarana liegt westlich von ihr, östlich davon gibt es aber auch Kalk, viel Kalk im Untergrund. Schriftliches darüber gibt es in den üblichen Reiseführern überhaupt nichts, in den Karten ist nur ein weißer Fleck. Einen Namen für die Zone sucht man vergeblich. Darum schreibe ich einfach einmal ein X.

Hinweise, daß es östlich der Straße irgend etwas Interessantes geben könnte, sucht man vergebens. Flaches, leicht welliges Gelände bis zum Horizont, genauso brandgerodet wie fast überall auf Madagaskar. Straße gibt es keine, wenn man sehr aufmerksam ist, dann sieht man einen Fußweg ins Gelände führen hinter der "letzten Hütte" von Mahamasina.

Man muß schon 6 km zu Fuß laufen durch unübersichtliches und wenig gegliedertes Gelände, mal über Grasland, Buschland, quert einen trockenen Fluß, da wird gerade brandgerodet, da ist sogar eine Art Fahrweg, auf dem wahrscheinlich einmal im Jahr irgendein Fahrzeug unterwegs war. Eine leere Hütte, 2 km entfernt noch eine, diesmal bewohnt. Ein Mann und eine Frau leben da, der Mann versucht gerade ein Stückchen Erde fruchtbar zu machen, ein kleines Reisfeld anzulegen, das Wasser, das gelegentlich hier ankommt, zu nutzen. Das Wasser stammt aus einer Karstquelle, und die war trocken, als wir 4, zwei Träger aus Mahamasina, Jean-Claude und ich, im Oktober 2014 hier standen. Aus der Ebene erhoben sich auf einmal 20 m hohe Karsttürme, wirklich auf einmal, denn vorher war da überhaupt nichts davon zu sehen gewesen. Mit dem Beginn der Felsen wächst auch der Wald heran. Undurchdringlich wird da auf einmal alles. Dornbüsche passen in diese Gegend und gleich blieb ich an einem Ast hängen. Das schöne Berghemd war im Nu in viele Fetzen zerrissen. Mid Schwund muast lebm, sagt der Bayer.

Wenn man nicht weiß, daß da sich eine Riesenhöhle befindet, man würde es nicht glauben und sie auch nie finden. Ein vollkommen unscheinbarer senkrechter Spalt in einer weißen Felsmauer ist der Hauptzugang. Geradeaus geht es hinein, und schon ist man bei der ersten Kreuzung. Dieses riesige System, dessen Namen ich mir einfach nicht merken konnte, es heißt A...irgendwas, hat inzwischen über 11 km vermessene Gesamtlänge. Es ist ein endloses Netz von parallelen Spaltengängen, verbunden mit Querklüften. Das Ganze spielt sich in einem Kalksteinpaket von etwa 20 m Dicke ab. Viele viele Taglichtschächte stellen eines der Kernelemente einer echten "Höhle" in Frage - nämlich, daß es da auch einmal dunkel wird. Von irgendwo kommt hier immer Licht herein. Das ist  nicht das Problem. Nur wie sich da orientieren! Ehrlich, ich ging auch verloren und gelangte nach einen anstrengenden Rundkurs auch nur wieder an einem Punkt an, den ich einen Viertelstunde vorher verlassen hatte. Ob ich überhaupt wieder den Eingang finden würde? Mit dem Weg nach draußen und dem Zurückfinden über die Oberfläche habe ich in einer Höhle auf den Galapagosinseln auch schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Ich kam tatsächlich wieder heraus und freute mich von Herzen.

Drin geblieben war Jean-Claude Dobrilla, der Mann, dem ich den Hinweis auf die Höhle und das riesige Höhlengebiet dahinter, überhaupt verdankte. Er ist Franzose, Höhlenforscher, Pionier der Forschung in der Grande Chartreuse, Mitautor der ersten Auflage des Buches "Techniques de la spéléologie alpine", Höhlentaucher, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung von Ankarana, und gerade an einem Gutachten für die weitere Erschließung des Nationalparks arbeitend. Zwei Projekte stehen an: der Bau eines modernen Hotels ganz in der Nähe der Tsingies und die Erschließung einer mehr als 1 km langen Höhle zwischen dem Benavony-Karst und dem Lac Vert. Jean-Claude saß im hölzernen Restaurantbau des Aurelien alleine am Tisch. Ich stellte mich als "spéléo allemand" vor und hatte ab da nur noch mich meiner Französischkenntnisse aus Abendgymnasiumszeiten zu bedienen. Jean-Claude gehört noch der Generation an, die es ablehnte, Fremdsprachen zu lernen. Es klappte trotzdem, und am nächsten Morgen machten wir uns zu Viert auf in Richtung X. Jean-Claude wollte in der Höhle übernachten und hatte deshalb ein eigenes kleines Zelt mitgenommen. Das baute er dann in einer Felsspalte auf und verbrachte die Nacht darin. Er wolle nicht draußen übernachten, aus Vorsicht vor irgendwelchen Leuten, die ihm vielleicht Übles wollten (ich hatte ihm vorher von meinem Erlebnis in Tana natürlich auch erzählt). Um 3 Uhr am nächsten Tag sollte ihn ein Träger wieder abholen und zurückbringen.

Kurz nachdem wir die Höhle betreten hatten, trennten sich schnell all unsere Wege. Die Träger verließen die Höhle wieder, wobei sie gar keine Lampen brauchten, denn das von überall her durch irgendwelche Erdöffnungen hereinkommende Licht genügt, um, wenn man den richtigen Weg kennt, sicher wieder hinauszufinden. Jean-Claude machte einen Nachvermessung eines Seitenteils, um dem Plan mehr Übereinstimmung mit dem gezeichneten Abbild zu verschaffen, ich turnte durch mehrere Querspalten und photographierte in SCP-Manier die Räume. Das Thema ist relativ schnell erschöpft, denn wenn man die die Parallelspalten geht, dann sieht die Höhle immer noch genauso aus wie in den Spalten und Querklüften vorher.

Das kann natürlich Anlaß sein, um überhaupt über den Sinn solcher Höhlenforschung nachzudenken. Immer wieder immer das gleiche. Was kommt dazu, wenn man da weitermacht? Irgendwann ist diese Höhle zu Ende, aber jenseits davon, im nächsten Hügel, scheint sich die nächste Höhle zu öffnen - vielleicht es da dann so weiter, so wie vorher. Schon wieder. In der Höhle XX.

Jean-Claude forscht ja seit einigen Jahren schon in diesen Höhlen, schreibt auch Berichte darüber, die aber nie veröffentlicht wurden. Die FFS bekommt Kopien davon und in deren Archiven schlummert nun dieses "Wissen". Ist das wirklich "Wissen"? Informationen, die von irgend jemandem gewonnen wurden, aber im Grunde nichts und niemanden bewegen.

 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
< Hier fließt der Fluß, der aus der Höhle in der Regenzeit kommt
     
Brandrodung
     
Ein flüchtiger Blick auf den Höhleneingang
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 

Literatur:

 

Links:

Der Nationalpark von Ankarana, Nordmadagaskar


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