Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Räuber- und die Tunnelhöhle, F 22, Naabtal


Aus dem Buch von Ammon, 1872


Der Bau der Bahnlinie Regensburg-Nürnberg begann im Frühling 1871 am rechten Naabufer zwischen Maria Ort und Etterzhausen. Dabei wurden, so Prof. Zittel, "mehrere grössere und kleinere im Juradolomit liegende Höhlen angeschnitten". Die größte davon sei die "Räuberhöhle".

Im Mai 2001 war ist erstmals dort und danach  entstand der folgende kurze Text:
"Dann wollte ich noch die Räuberhöhle im Schelmengraben besuchen, wozu ich halt immer nur der Bahnlinie nach Norden folgen mußte. Nicht direkt an den Gleisen entlang, sondern oberhalb in Wald, mal weglos, mal auf gebahnten Pfaden. Die Höhle ist leicht auszumachen, denn sie liegt in dem einzigen Felsbogen, der die Bahn überspannt. Der Besuch war äußerst spannend, denn solche direkten Beziehungen zwischen Eisenbahn und Höhle hat man selten. Der künstliche Tunnel ist noch um einiges größer als der Tunnelquerschnitt, der sich unerreichbar hoch oben in der Felswand öffnet. Man kann rüberschauen, aber halt einfach nicht rein. Man müßte schon den Zugverkehr sperren und mit langen Leitern rein. Auch nach außen zu gibt es eine kleine Fortsetzung, eine Naturbrücke in der allerlei Bahntechnik an den Wänden angebracht ist. Eine nicht alltägliche Örtlichkeit. 1869/70 hatte man beim Bahnbau der Archäologen nur kurze Zeit gegeben, damit sie ihre Grabungen vornehmen konnten, dann wurde gesprengt. Sie war eine der wichtigsten Wohnplätze der ganzen Oberpfalz, wurde sie doch von Anbeginn der Besiedlung bis in die Neuzeit aufgesucht. Der Nachweis des Neandertalers für diese Örtlichkeit konnte einwandfrei erbracht werden. Die Fundstücke sind weit verstreut worden. Sogar Sammlungen in Paris und London haben Fundstücke daraus. Gümbel hat sie in seinem Werk über die Geologie Bayerns ausführlich beschrieben, im Internet gibt es wissenschaftliche Beiträge darüber. > http://albertina.uni-regensburg.de/article/viewFile/869/768 Von hier gilt es dann einfach, steil durch den Wald abzusteigen, bis man ein verwachsenes altes Wegerl erreicht, das einen nach einem Linksknick zurückbringt zum Auto."

Dieser Text enthält einen Fehler, aber ich wußte es damals einfach nicht besser. Die Höhle im Eisenbahntunnel, übrigens dem kürzesten Deutschlands, ist gar nicht die Räuberhöhle, sondern die "Tunnelhöhle" oder das "Steinerne Tor". Auch sie wurde bei den Gleisbauarbeiten zwischen 1869 und 1871 angesprengt und zum größten Teil zerstört. 

Bei der Tunnelhöhle wurde der Gang nur angesprengt, wobei allerdings der wichtigste Teil des archäologischen Fundmaterials verloren ging. Die Höhle wurde sicherlich auch inspiziert, aber es finden sich keinerlei Aufzeichnungen mehr darüber. J. Fraunholz machte im Laufe der Jahre Oberflächenfunde.
Erst im Herbst 2009 fand eine wissenschaftliche Ausgrabung dort statt, die vom 5.-9. Oktober und 17.-27. November unter der Leitung von Dr. Leif Steguweit bzw. Dipl.-Ing. Marc Händel stand. Um in die Höhle zu kommen, muß man auf einer 4 m langen Leiter von der Bahntrasse in den Eingang klettern. Um das sicher zu bewerkstelligen, mußte die Bahnstrecke gesperrt werden, wurden die Oberleitungen abgeschaltet und geerdet werden, um die Gefahr eines elektrischen Stromschlags abzuwenden. Nachdem das Grabungsteam in der Höhle war, wurde die Streckensperrung bis zum Abend wieder aufgehoben und abends wiederholt.
Zu den Gleisen hin hatte man im Innern der Höhle eine Holzwand mit Tür eingezogen. Dahinter war die nördliche Grenze der Grabungsfläche. Man legte ein zwei Meter tiefes Profil an im Mittelbereich der Höhle. 
Im oberen Teil des Höhlenbodens fand man reichlich sog. "Maltonkeramik" und größere Korken mit einer Länge von ca. 6 cm Länge. Vermutlich sind das die Überreste einer früheren Nutzung der Höhle als Lagerort von Bierfässern. Die Schloßbrauerei Etterzhausen liegt nur etwa 1 km entfernt, wurde schon 1548 gegründet und bestand bis ins 20. Jahrhundert. 
Bei einer gefundenen Knochenspitze konnte das Alter bestimmt werden und das Resultat waren 13.335plusminus 53 BP, was die Archäologen heute dem mittleren bis späten Magdalénien nennen. In dieser Periode begann nach heutigen Erkenntnissen eine "ausgedehnte Besiedelungstätigkeit in Mitteleuropa" (Sauer).
Der Grund für Grabungsaktivitäten war eher ein trauriger. Nach dem Beschluß der Bahn, die Strecke für moderne Hochgeschwindigkeitszüge auszubauen, war für den Tunnel durch die Felsrippe kein Platz mehr. Im März 2010 sprengte man den Felsen komplett weg. Nun gähnt in einer ziemlich glatten Felswand ein schwarzes Loch. Unterhalb der Bahnlinie zieht sich nun eine auffallende Blockhalde fächerförmig bis zum Talgrund. 

240 m südlich von dieser Stelle liegt der Eingang in die "Räuberhöhle". Ihr hatte man schon viel früher Aufmerksamkeit geschenkt. Bei den Bahnbauarbeiten hatte man die ersten 12 m der Höhle komplett zerstört. Das verbliebene Teilstück ist eine "stattliche, lichte Halle von 16 m Länge und 8 m Breite. Die jetzige Öffnung befindet sich 9 m über dem Bahnkörper. 
Beim Abtragen des vorderen Höhlenstücks kamen in der erdigen Ausfüllmaße zahlreiche Knochenfragmente, Topfscherben und Feuersteinstücke zu Tage. Das meiste Material wurde unbeachtet die Halde hinabgekippt. Ein Ingenieur Micheler aus Regensburg sammelte etliche dieser Stücke. Oberbergrath Gümbel und der Professor Fraas aus Stuttgart besuchten die Örtlichkeit und bemühten sich, eine systematische Ausgrabung des verbliebenen Rests zu erreichen. Die Zustimmung der Ostbahndirektion war umso leichter zu erreichen, da die sich versprach, daß aus der "Modererde der Höhle ein treffliches Dungmaterial für die Begrasung bestimmter Bahnböschungen" zu bekommen.

Im Oktober 1871 begann tatsächlich die Grabung auf Einladung eines Ingenieurs Peter. Die anfallenden Kosten trug die Ostbahngesellschaft. Fünf Tage wurden angesetzt. Arbeiter wurden angeheuert und "wurden möglichst wenig gewechselt, für glückliche Funde gab es kleine Belohnungen und so Verluste von wichtigen Stücken möglichst vermieden" (Zittel 328). Auch mit dem Wetter hatte man Glück, die "ganze Arbeit konnte bei guter Witterung und bei hellem Tageslicht vorgenommen werden". Einer der Arbeiter hatte sich "im Hintergrund der Höhle" aus herumliegenden Steinen eine Hütte gebaut, in der er mehrere Monate hauste.

Für Ferdinand Birkner haben die Grabungen von  dem Münchner Paläontologen Karl Alfred Zittel und Oskar Fraas "unzweifelhafte Beweise für das Vorhandensein des eiszeitlichen Menschen in Bayern" erbracht. Das war im Jahre 1916, als er dies schrieb. Noch 1891 vertrat Gümbel in seiner "Geognostischen Beschreibung Bayerns, Band 4", die Meinung, daß das gleichzeitige Vorkommen des Menschen mit "Thieren der Diluvialzeit nach den Erfunden in fränkischen Höhlen, so wahrscheinlich dies Zusammenvorkommen ist, doch nicht so sicher zu bejahen ist, dass nicht Einwände dagegen erhoben werden könnten." (Gümbel, S. 490). Kann man die eigenen Skepsis noch verdünnter verbreiten? 1871 war Ludwig II vom damaligen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften Justus von Liebig bereits so informiert worden: "Die Räuberhöhle bei Waltenhofen schließt sich...an die von Professor Fraas ausgebeutete Höhle im "Hohen Fels" bei Blaubeuren an, beide dienten in vorhistorischer Zeit dem Menschen als Wohnung und von ihm wurden die meisten Thiere in die Höhle geschleppt und es läßt sich bei dem gänzlichen Mangel an Metallwerkzeugen annehmen, daß diesse beiden Stationen der älteren Steinzeit zugerechnet werden müssen, welches Ergebniß sowohl in anthropologischer als paläontologischer Hinsicht von hohem wissenschaftlichem Werth ist." (Adam, S. 21)

2000 Feuersteinwerkzeuge wurden zusammen mit Resten diluvialer Tiere gefunden, von denen schon 1913 "nur mehr verhältnismäßig wenige in München, Freiburg i.B., Stuttgart und London erhalten seien". Die Untersuchung des Inventars habe ergeben, daß die Höhle "am Ende des Altpaläolithikums während der Moustierstufe sicher bewohnt" gewesen sei. 

Die Frage, ob die Höhle einstmals eine "menschliche Wohnstätte" gewesen war oder nur ein gelegentlich benutzter Unterschlupf, wurde wegen der "Menge von Asche, Küchenabfällen, Artefakten und Töpfereien" mit "Wohnstätte" beantwortet. Zwei Kulturperioden ließen sich unterscheiden, welcher Periode sie zuzuordnen seien, das "erhob große Schwierigkeiten". Man stand ja gerade am Anfang. Die Ausgrabung der Räuberhöhle stellte "den Ort der ersten Paläolithausgrabung Bayerns dar."(Sauer, S. 5). Einzelne Funde wurden mit solchen aus den Schweizerischen und Bayerischen Pfahlbauten verglichen, z.B. bei Pferdeknochen. "Für den wenig wählerischen Geschmack der menschlichen Höhlenbewohner" würden die "Spuren der Benagung der knorpeligen Knochen an verschiedenen Röhrenknochen" "Zeugniss" (alte Schreibweise) ablegen. "Selbst das treueste Hausthier, der Hund, wurde, wenn es galt, die Begierde nch Mark zu befriedigen", nicht geschont. An Knochen von Großtieren wurde immerhin Rhinoceros, Mammut und Höhlenbär bestimmt. Einen Knochen eines "jugendlichen Individuums", sein Scheitel- und Hinterhauptbein, konnte gefunden werden, und daraus schließt Zittel: "Unsere Höhlenbewohner waren auf die Beseitigung ihre Todten bedacht und dürfen gewiss nicht des Cannibalisus geziehen werden." (Zittel, S. 336).

Nur noch letzte Reste der Natur sind vorhanden. Die Reibungslosigkeit des Zugverkehrs hat oberste Priorität. Was störte ist abgeräumt, ausgeräumt, weggesprengt. Wege führen keine dorthin. Unten radeln in Kolonnen der Radfahrer im Naabtal. Und wenn sie aufmerksam sind, dann sehen auch sie die zwei schwarzen Öffnungen, die wie eine Wunde in der hellen Felsflanke klaffen. 


Die Sprengung 2010 im Fernsehen


   

Nach der Sprengung von der Straße aus
2021
2022
Kleine Höhle am Weg

Literatur:

Adam, Karl Dietrich (  ): Anfänge urgeschichtlichen Forschens in Südwestdeutschland, S. 31

Ammon Ludwig von (1872): Die Räuberhöhle am Schelmengraben file:///C:/Users/Franz/AppData/Local/Temp/869-Artikeltext-1233-1-10-20170331.pdf

Birkner, Ferdinand (1916): Die eiszeitliche Besiedlung des Schulerloches und des unteren Altmühltales, Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München

Freyberg, B. von (1972): Eine Notiz "betreff Ausräumung einer fossile Knochen und menschliche Artefakte enthaltnden Höhle bei Regensburg". Geologische Blätter für Nordost-Bayern und angrenzende Gebiete, Erlangen Bd. 22

Gümbel, C.W. von (1891): Geognostische Beschreibung des Königreichs Bayern – Vierte Abteilung „Geognostische Beschreibung der Fränkischen Alb (Frankenjura), Kassel

Lindner Herbert (1961): Die altsteinzeitlichen Kulturen der Räuberhöhle am Schelmengraben bei Sinzing. Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, Heft 16, Verlag Lassleben, Kallmünz

ohne Verfasserangabe (1871): Höhle, die, im Schelmengraben bei Regensburg (im Correspondenzblatt für Anthropologie etc. 1871 S. 92 aus der Köln. Ztg. vom 5. Dezember 1871

Schmidt, R.R., Koken, E., Schliz, A. (1912): Die diluviale Vorzeit Deutschlands, Stuttgart, S. 32/33

Steguweit, Lars, Händel, Marc (2009): Ein neuer jungpaläolithischer Fundkomplex aus der Tunnelhöhle bei Sinzing, in: Das Archäologische Jahr in Bayern 2009, S. 11-13

Zittel, Karl Alfred von (1871): Die Räuberhöhle am Schelmengraben. Eine prähistorische Höhlenwohnung in der bayerischen Oberpfalz. ( im Archiv. für Anthropologie Bd. V. (1871) S. 325-347) aus der Köln. Zeitung vom 5. Dezember 1871

Zittel Prof. Dr. K. A. (1872): Über die Räuberhöhle am Schelmengraben, eine prähistorische Höhlenwohnung in der bayer. Oberpfalz, München,  in: Sitzungsberichte der kgl. Akademie der Wissenschaften II Cl.

Zittel, Prof. Dr. K. A. (1879): Die anthropologische Bedeutng der Funde in fränkischen Höhlen, in: Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Band 2, München

Links:

file:///C:/Users/Franz/AppData/Local/Temp/869-Artikeltext-1233-1-10-20170331.pdf Ammon, Die Räuberhöhle am Schelmengraben

https://www.researchgate.net/profile/Florian-Sauer-3/publication/313660730_Die_Steinartefakte_aus_der_Tunnelhohle_bei_Sinzing_Ldkr_Regensburg/links/58a1e
36145851598babae420/Die-Steinartefakte-aus-der-Tunnelhoehle-bei-Sinzing-Ldkr-Regensburg.pdf

http://www.tvaktuell.com/default.aspx?ID=846&showNews=740005

https://www.youtube.com/watch?v=o2X560VpNfg Video von der Sprengung 31.5.2010

https://www.youtube.com/watch?v=2X5_Xte79aU Video von der Sprengung 31.5.2010

https://www.youtube.com/watch?v=M4h0ACcIRMo Video von der Sprengung 31.5.2010

Speläologisches im Naabtal

Landschaft und Höhlen der Südlichen Frankenalb

Eisenbahn und Höhle


[ Index ] [ Englisch version ] [ Höhlen und Höhlengebiete ] [ Kunst ]
[ HöRePsy ] [ Höhlenschutz ] [ VHM ] [ Veranstaltungen ] [ Links ]