Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Speläologisches im Neandertal, D


Wer kennt heute nicht das Wort "Neandertal"? Wenn irgendwie bildlich ausgedrückt werden soll, daß etwas zurückgeblieben und veraltet ist, wer hört da nicht, daß da jemand wohl noch immer im Neandertal wohne. 

Viele fahren da jedes Jahr hin, aber noch viel mehr haben gar keine Ahnung wie es dort aussieht. Warum wurde dieser winzige Fleck Erde so berühmt?

Wegen ein paar Knochen, die man in einer Höhle gefunden hat, die es längst schon nicht mehr gibt. Warum? Das Flüsschen Düssel durchquert, von Osten her kommend, ein Kalksteingebiet und mündet dann bei Düsseldorf in den Rhein. Einstmals gab es hier ein romantisches Tal mit steilen Felswänden. Im 18. und 19. Jahrhundert lag hier ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer und Naturfreunde. Aus dem Jahr 1826 stammt ein Gemälde, das ein Fest der Malerakademie Düsseldorf in der Neanderhöhle zeigt. Mitte des 19. Jahrhunderts wechselte die Wertschätzung und als dem Stück wilder Natur wurde ein Gebiet zur Rohstoffgewinnung. Der allergrößte Teil des Gesteins wurde abgebaut und damit verschwanden dann auch die Höhlen, die in ihnen angelegt waren. 1856 fanden Arbeiter in der Feldhofhöhle das Knochen eines Menschen. Der Elberfelder Gymnasialprofessor Fuhlrott bestimmte die Knochen als zu einem einst gelebt habenden, etwa 40jährigen Urmenschen gehörig. Die niedrige Stirn, der Überaugenwulst und die groben Skelettknochen waren einfach zu unterschiedlich zu modernenen Menschenformen. 

Die Entdeckung der Überreste stieß auf große Skepsis. Stammten sie überhaupt von einem Menschen? Professor Schaffhausen, dem die Stücke vorgelegt wurden, bestimmte als vom Menschen stammend, allerdings schränkte er ein, nur einem mit "geringer geistiger Tätigkeit", die "Entwicklung des Gehirns lasse auf eine sehr tiefe Stellung des Individuums schließen" (Obst 152). 

Wie wenig man im Grund anfangs mit dem Fund anfangen konnte, das zeigt eine Notiz aus der Elbefelder Zeitung vom 6.9.1856: "Nach Untersuchung dieses Gerippes, namentlich des Schädels, gehörte das menschliche Wesen zu dem Geschlechte der Flachköpfe, deren noch heute im amerikansichen Westen wohnen, von denen man in den letzten Jahren auch mehrere Schädel an der oberen Donau bei Siegmaringen gefunden hat. Vielleicht trägt dieser Fund zur Erörterung der Frage bei: ob diese Gerippe einem mitteleuropäischen Urvolke, oder blos einer (mit Attila?) streifenden Horde angehört haben." (Probst, Deutschland in der Urzeit)

Professor Huxley aus England, dem man einen Gipsabdruck des Schädels zur Untersuchung überlassen hatte, meinte, den "affenähnlichsten Schädel, den er je gesehen hatte", vor sich zu haben. Ein Herr Bush meinte, "charakteristischste Punkte gefunden zu haben, "in denen der Schädel sich denen des Gorilla und Schimpansen nähere". 1865 publizierte Schaffhausen erstmals seine Ergebnisse, was nicht einfach war, vertrugen sie sich doch nicht recht mit dem, was damals noch als "wissenschaftlich" gesichert galt. Es gab die alte Vorstellung, die auch die der Kirche war, die ihre "Erkenntnisse" aus der Bibel bezieht/bezog, daß Gott, der Schöpfer, der Natur und damit auch aller Arten gäbe - in die Sprache der "Wissenschaft" übersetzt, formulierte in etwa der Franzose Cuvier, eine ähnliche Meinung. Und da gab es auf einma eine weitere Richtung, die heute meist nur mit dem Namen Darwin verbunden ist, obwohl das nicht richtig ist, der aber damit am bekanntesten geworden ist. Die "Evolution" der Arten des Lebens wurde auf einmal diskutiert, verkürzt reduziert hier auf die Frage, "Stammt der Mensch vom Affen ab?" Ein Höhepunkt der leidenschaftlichen Diskussion war am 27. April 1872 erreicht, als der damals berühmte Berliner Pathologe Virchow den Neandertalerfund als "Fall eines rachitischen Idioten" öffentlich abtat. Er hatte sich vorher selber nach Elberfeld bemüht und im Hause von Fuhlrott persönlich die Knochen untersucht, hereingelassen von seiner Frau, während dieser nicht anwesend gewesen war. 

Andere, die die Knochen untersuchten kamen zur Meinung, es handele sich um einen Kelten, ein anderer meinte, es handele sich um die Reste eines alten Holländers oder, so der Bonner Anatomieprofessor Franz Josef Carl Mayer, um einen "mongolischen Kosaken, einen Deserteur, der 1814 während der napoleonischen Befreiungskriege in der Höhle Schutz gesucht habe und dann dort gestorben sei (Harf, Witte 45)

Ähnlich abwertend ist es ja auch Sautuola in Spanien ergangen, dessen Tochter 1879 die heute weltberühmten Deckenmalereien in der Höhle von Altamira entdeckt hatte. 1880 wurden die Ergebnisse erstmals von ihm veröffentlicht, ein im gleichen Jahre abgehaltener Archäologenkongress in Lissabon ignorierte einfach die Entdeckungen, Sautuola wurde beschuldigt, ein Schwindler und Fälscher zu sein, und 1888 starb er, verbittert. Es dauerte noch Jahre, bis dann 1906 Cartailac damals sich öffentlich entschuldigte und zugab, daß man sich sauber geirrt hatte.

Die Anschauungen über die Vergangenheit haben sich massiv geändert. Der "Neandertaler" gilt heute als wichtigees Glied in der Entwicklung des Lebens und insbesondere für den heutigen Menschen. Verkürzt gesagt: In jedem von uns steckt, so die heutigen Aussagen, zumindest zu 2 Prozent in unserem Erbgut etwas von ihm. Ohne ihn wären wir nicht, was wir heute sind.

Die Knochenfunde werden heute im Rheinischen Landesmuseum in Bonn aufgewahrt, nur der Schädel ist ausgestellt.

 

Neben der weltberühmten Fund- und Ausgrabungsgeschichte gibt es auch noch die von dem Herrn, nach dem das Tal überhaupt heute benannt ist, Joachim Neander (1650-1680): Er war bereits mit 24 Jahren Rektor der Lateinschule der reformierten Gemeinde in Düsseldorf. Irgend etwas war da passiert, denn er wurde auf einmal verwarnt und seines Amtes enthoben. Was man ihm vorwarf war, daß er neben seinen offiziellen Dienststunden auch noch privat Bibelstunden gab. Er floh und versteckte sich in einer "Höhle des wild zerklüfteten Neandertals". Er nützte die Zeit und schrieb 57 geistliche Lieder. Am bekanntesten wurde: "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!". Später nannte man ihn den "Psalmisten des Neuen Bundes" und zu seinen Ehren bekam das Tal seinen Namen.

 

Das Schädeldach eines Neandertalers aus der
Höhle
in Nachbildung im Museum
Das Museum
  Der Neandertaler

- wie sympathisch!

Die Feldhofhöhle

vergangen, abgebildet, künstlich nachgestaltet

 
Neandertal man and woman
 
  Die ältesten bekannten Musikinstrumente des
Menschen aus dem Geißenklösterle auf der
Schwäbischen Alb

- in einem Aktivschrank im Museum

Die "Kopfbox" für die Höhlenmalereien
  Das Restaurant im Museum - in Richtung der
Fundstelle blickend
  Die Düssel, das Tal durchfließend
  "Fest der Malakademie Düsseldorf in der Neanderhöhle 1826

Literatur:

Appenzeller, Tim Europe's first artists were Neandertals, SCIENCE, Vol. 359, February 2018, p852-853
Auffermann, Bärbel, Weniger, Gerd-Christian Von Wilden Männern und Frauen, Archäologie in Deutschland 3-2016, S. 22-25
Auffermann, Bärbel, Orschiedt, Jörg Die Neandertaler, Theiss, Stuttgart 2006
BBC Doctor Who Der Zehnte Doctor Band 4: Das unendliche Lied, Panini-Bilder, Stuttgart 2017
Brater, Jürgen Wir sind alle Neandertaler - Warum der Mensch nicht in die moderne Welt passt, Eichborn, Frankfurt a.M. 2007
Condemi, A., Savatier, Francois Der Neandertaler, unser Bruder, C.H. Beck, 2020
Feuerstein-Prasser, Karin Der rätselhafte Verwandte, GFGeschichte 1/2021, S. 25ff.
Filser, Hubert Von Hyänen gejagt, SZ Nr. 107, 11.05.2021, S.16
Fuhlrott, J.C. Menschliche Überreste aus einer Felsengrotte des Düsselthales, Verh. Naturh. Ver. preuss. Rheinl., No. 16, p. 131-135, Bonn
GEOkompakt Der Neandertaler, Nr. 41, 2014
Harf, Reiner, Witte, Sebastian Jäger des verlorenen Schatzes, in: GEOkompakt Nr. 41, 2014
Husemann, Dirk Die Neandertaler - Genies der Steinzeit, campus, Frankfurt/New York 2007
Lindenmayr, Franz Das Neandertal, in: Lindenmayr, Franz, hrsg. von, Tagungsband HÖREPSY 2008, Gröbenzell 2008
Menden, Alexander Mach es wie die Neandertaler, SZ Nr. 72, 28.03.2022, S. 8
Obst, h. Unsere heutige Kenntnis der Uranfänge des Menschengeschlechts, Globus 1872, S. 149ff.
ohne Verfasserangabe Das Streiflicht, SZ Nr. 228, 2./3. Oktober 2021, S. 1
ohne Verfasserangabe Ein Kunstwerk von Neandertalern, Spektrum der Wissenschaft 9.21, S. 10
Orschiedt, Jörg Knochen und Gene - ein kleines Stück Neandertaler steckt noch in uns, Archäologie in Deutschland 3-2016, S. 26-27
Ouvrage collectif La Recherce présente Neandertal, Éditions Tallandier (Paris), 2006
Pääbo, Svante Die Neandertaler und wir. Eine Suche nach den Urzeit-Genen, 2014
Probst, Ernst Deutschland in der Urzeit, Verlag Orbis, München 1986
Probst, Ernst Deutschland in der Steinzeit, Verlag Orbis, München 1999
Rosendahl, Gaelle, Rosendahl, Wilfried Les Découvertes Néandertaliennes dans les Grottes Allemandes, Regards 32-1998, S. 22-24
Schwabedissen, Hermann Der Neandertal-Fund und der Plan eines menschheitsgeschichtlichen Museums im Neandertal, Archäologische Informationen 4-1978, S. 134ff.
Wehrberger, Kurt, Wahl, Joachim Die "Mammutmelkerin" vom Lonetal, Archäologie in Deutschland 3/2020, S. 44ff.
Wragg Sykes, Rebecca Der verkannte Mensch - Ein neuer Blick auf Leben, Liebe und Kunst der Neandertaler, Goldmann, München 2022

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