Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Erdställe in Arnschwang


Arnschwang ist ein kleines Dorf in der Cham-Further-Senke, 390 m über dem Meeresspiegel, an der Chamb im Böhmerwald/Bayern. Wegen der günstigen geographischen Gegebenheiten sind schon immer Menschen hier durchgekommen und haben sich niedergelassen. Das belegen schon die aufgefundenen Faustkeile. Nicht weit von Arnschwang finden sich die Reste einer keltischen Viereckschanze, auch das spricht für eine frühe Besiedelung. 1173 wird der Ort erstmals urkundlich erwähnt.

Eine große Besonderheit weist das Dorf aus, das es als etwas Außergewöhnliches hervorhebt: die Schrazellöcher. Eine solche Konzentration dieser noch heute rätselhaften Anlagen kenne ich nur von Ulrichschlag in Niederösterreich. Auch dort gehört/e praktisch zu jedem Haus im Untergrund ein seltsames kleines Raumsystem.

Wegen der großen Häufigkeit war allseits bekannt, daß es so etwas dort gab und man beschäftigte sich damit. Aus dem Jahre 1831 stammt die erste schriftliche Aufzeichnung darüber, verfaßt von dem Geschichtsschreiber J.R. Schuegraf. Er selber soll nie dort gewesen sein, schrieb einfach nach dem Hörensagen und brachte schon da auf das Papier, was noch heute eine gute Sammlung von Hypothesen für die Entstehung der Erdställe abgeben könnte: Die Kleineren könnten Tierbauten sein, geschaffen von Wildschweinen, Wölfen oder Luchsen. Die Größeren seien vielleicht Verstecke aus dem Hussiten- oder Schwedenkriegen. Vielleicht seien sie auch von Zigeunern bewohnt worden oder von "einem kleinen Bergmännchen-Geschlecht der Vorzeit". Noch eine Nützlichkeitshypothese stellte er vor: Vielleicht seien das einfach alte Sandgruben gewesen. Daß die vorhandenen Hohlräume in Notzeiten von den Menschen genutzt wurden, keine Frage. Die waren da und wenn man es geschickt anstellte, dann nützten sie vielleicht auch etwas. Aber wurden sie ursprünglich für diesen Zweck gebaut? Wer nur ein wenig hineinschaut, dem werden wohl schnell mehr als Zweifel für so eine "vernünftige Begründung" kommen.

1844 schrieb der Dorflehrer Graf "in höchst königlichem Auftrag" eine Arbeit über die Pfarrei und den Schulsprengel und vergaß darin nicht, die "unterirdischen Gänge" zu erwähnen, "welche oft 12 bis 18 Schuhe tief unter der Erde fortlaufen". Sie seien, so die Erzählungen der Dorfbewohner, von "Schratzen" gemacht worden, "kleinen Leuten, wie in Lilliput". Um 1900 untersuchte der Studiendirektor Johann Brunner die Erdställe, vermaß sie, zeichnete Pläne davon und fertigte Beschreibungen. Der Rundfunk brachte eine Sendung darüber und seine letzten Worte darin waren: "Mir sind diese staunenserregenden Erdbauten rätselhaft und erklärlich geblieben und ich entstieg ihnen stets vergeblich nachsinnend und umweht von dem geheimnisvollen Schauer längst verflossener Zeiten."
Nun mehr als 100 Jahre vergangen, viel ist in den Erdställen geforscht worden, aber sind wir wirklich heute auch nur einen Schritt weiter? Ich glaube im Grunde nicht.

2014 war ich im Juli einmal selber in Arnschwang. Wo sind all die Erdställe? Auch mit einem geschulten Auge wird man nichts feststellen. Halt, wer weiß, wie die Schratzl ausschauen, dem wird vielleicht auch an dem neu renovierten Haus, der Dorfapotheke, mitten im Ort eine Abbildung derselben, zumindest durch die Augen eines Künstlers, auffallen. Die wetterfeste Stoffbahn hängt an einem Treppenabgang in einen Keller.

Wer sich im Internet schon seit längerem umgeschaut hat, der ist vielleicht auch auf die Information gestoßen, daß es in Arnschwang eine Gastwirtschaft gibt, durch die man in den Keller zu einem Erdstall absteigen kann. Gastwirtschaft - dieser Spur bin ich gefolgt, bin dann auf der Gemeinde gelandet, stieß auf eine sehr zuvorkommende weibliche Fachkraft, die gleich "an den richtigen Strippen gezogen hat". Zwei Stunden später parkte ich vor dem Zugang zum Erdstall, der Hausmeister tauchte mit dem Schlüssel auf. Er hatte zwei kleine Taschenlampen dabei, die wohl für sein Dafürhalten gereicht hätten. Ich zog es vor, meine Scurion zu holen und zu benutzen. Unter der Bartheke hindurch, hinein in einen gemauerten Gang, hinein in eines der typischen Kellergewölbe. Und in der Wand desselben das typische Loch: der Zugang zum Erdstall. Ein weißes Stromkabel führt auch hinein, offenbar gibt es bei Bedarf auch elektrisches Licht. Abgebrannte Kerze an abgebrannte Kerze reihte sich hintereinander bis zu einer Endkammer. Natürlich fiel dem kundigen Auge unterwegs die Deckenaussparung in Form eines Kamins auf. Oben ist sie wieder zugedeckt, sie soll auf den Platz darüber geführt haben. Sie erinnerte mich sehr an Schloß Egg. Das Außergewöhnliche an diesem Erdstall ist der senkrechte Durchschlupf. Er beginnt an der rechten Seite des Gangs, führt in eine kleine Kammer, die keine Decke hat. Da ist nämlich ein rundes Loch, gut 35 cm breit, die uns allen ja vielfach bekannte Tonnen- oder Rohrform, die oben dann wieder in eine Kammer mündet. Man kann sich die ganze Durchschlupfmühe hier sparen. Geht man bis zum Ende des geraden Ganges, dann zweigt nach rechts ein kurzer Stollen ab, leicht aufwärts führend, dann steht man am oberen Ende des Senkrechtschlupfes. So etwas braucht man nicht, um "Feinde" zu vertreiben, zu verwirren, abzuwehren. Man hat ihnen ja den Zugang selber geschaffen.
Lokal ist der Erdstall wohl überall bekannt. Dazu trägt natürlich bei, daß immer wieder Lehrer mit ihren Schulklassen hierher kommen und die Kinder in den Erdstall führen. Die alten Geschichten von den fleißigen Schrazeln, die nächtens die Arbeit machen, aber nie direkt angesprochen werden wollen, werden dann den Kindern im Kellern, auf Holzblöcken sitzend, erzählt. Hoffentlich geht bei ihnen die fruchtbare Saat auf, daß der Mensch von mehr als nur vom Brot alleine lebt, bzw. daß die Welt mehr ist, als nur das, was man zählen, messen und wiegen kann. Und das, was quantifizierbar und widerspruchsfrei ist.

Wo sind all die anderen Erdställe geblieben? Ich finde, das ist eine gute Frage. Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Nach dieser Devise haben viele seit Anbeginn der Menschheit gehandelt. Und sie dorthin gebracht, wo sie heute ist. Ist das "gut", "nachhaltig", "sustainable" - um einen zeitgemäßen Ausdruck zu verwenden?

Wenn ich gut zugehört habe, dann haben viele Bauherrn in Arnschwang die Aufdeckung eines unterirdischen Ganges bei ihren Bauvorhaben höchstens als "Störung" empfunden. Da tauchen "unerwartete" Kosten auf (die Deutsche Bundesbahn hat das selbe Argument bei ihren Bauarbeiten auf der Strecke München-Nürnberg gebraucht, als sie sich durch das Altmühltal "gebohrt" hat - durch Kalkstein! Die Verantwortlichen haben wohl alle gefehlt in der Schulstunde, als dieses Thema behandelt worden ist!). Und man beauftragt den Bauunternehmer, schnell ein paar Zentner Beton hineinzukippen - fertig ist die Lösung, von was? Dem schlechten Gewissen, der Verantwortung vor den "Vorangegangenen", der Meldung an des Denkmalamt?

Es ist wirklich wohltuend, wenn man ein positives Gegenbeispiel hat, Ulrichschlag in Österreich. Die haben auch etwas daraus gemacht, aus ihrem Erbe. Dort wurden die raren Tore in die Vergangenheit bewahrt, man kann auch heute noch hinein. Die haben aber auch eine ganz andere Form im Untergrund: dort geht es nicht durch ein Schlupfloch in die Tiefe. Bei denen geht man häufig im Kreis herum.
Über die Frage, was das eine mit dem anderen eigentlich zu tun hat, und viele weitere Fragen, darüber brechen sich seit langem schon die Mitglieder des Arbeitskreises für Erdstallforschung den Kopf.

Wir suchen weiter nach einer, was, "Idee"?

 

 
     
 
     
 
     
   

 

Literatur:

Anonym Die Schraazen, in: Cham in der bayerischen Ostmark, Deutschen Wesens Schutz und Hort, Cham 1935, S.11f.
Röbkes, Marion Esoterischer Reiseführer Bayern, Wildpferd, Aitrang 1997
Wolf, Herbert Neue Beobachtungen an Erdställen in Arnschwang, Lkr. Cham in der Oberpfalz, Der Erdstall 1,

Links:


[ Index ] [ Englisch version ] [ Höhlen und Höhlengebiete ] [ Kunst ]
[ HöRePsy ] [ Höhlenschutz ] [ VHM ] [ Veranstaltungen ] [ Links ]