Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Der unterirdische Gang von Etting, Bayern


Etting ist heute ein Stadtteil von Ingolstadt und liegt nördlich davon auf ca. 350 m Seehöhe. Die Gegend war schon seit frühester Zeit vom Menschen zumindest gestreift und liegt im Gebiet der ehemaligen Salzstraße von Ingolstadt nach Nürnberg. Grabfunde aus der Merowingerzeit deuten daraufhin, daß der Platz im 6. Jahrhundert bei der bajuwarischen Einwanderung besiedelt war.

Bereits 1060 wurde die St. Michaelskirche im Ort erstmals geweiht. Das jetztige Aussehen bekam sie in Form eines Neubaus 1740 und bei einer baulichen Umgestaltung 1961-1963. Besonders die sog. "Drei Elenden Heiligen" Archus, Herenneus und Quartanus wurden "seit altes her" dort verehrt. Sie seien im 8. Jahrhundert von England her in die Gegend von Ingolstadt gekommen. Dort hätten sie sich niedergelassen und "drei Höhlen oder Grüfte als ihre Wohnstätte" (eine Gemälde mit diesem Motiv ist in der Kirche zu sehen) gewählt. Nur zum gemeinsamen Gebet seien sie täglich in der größeren Höhle zusammengekommen. Über ihren Gräbern habe man eine Kirche errichtet, wo so manches Wunder geschehen sei, so daß viele Wallfahrer dorthin gepilgert seien. Der früheste Nachweis dieser Geschichte stammt aus dem Jahre 1496. Offiziell von der Amtskirche sind diese "Heiligen" nicht anerkannt, weshalb sie "Volksheilige" genannt werden.

In dieser Geschichte steckt wohl ein kleines Körnchen Wahrheit, denn es gibt in Etting tatsächlich einige unterirdische Hohlräume, deren Entstehungsgrund man noch immer nicht wirklich erklären kann. Der Heimatforscher Johann Baptist Götz hat schon 1924 zusammengetragen, was damals noch überliefert war. "Eine Wohnung des Heiligen" liege gegenüber der Kirche "beim Hause des Melbers" und sei über einen unterirdischen Gang mit dem Altar des Heiligen in der Kirche verbunden. Ein eisernes Gitter habe noch 1627 den Abschluß gebildet. Eine zweite Wohnung befinde sich unter dem Pfarrhaus und ein weiterer unterirdischer Gang würde beim 2. Grabe in der Kirche münden. Dort habe es auch eine Quelle gegeben, die heilkräftiges Wasser ab 1660 geliefert habe. Und eine dritte Gruft sei im Hofe eines "Universitätsprofessors Dr. Rath" vorhanden gewesen, die beim 3. Grab gemündet habe. Auch weitere Quellen beziehen sich auf künstliche unterirdische Hohlräume in Etting. Hervorzuheben ist z.B. ein Bericht des Probstes Valentinus Steyrer von Weyern aus dem Jahre 1640, der sich hauptsächlich auf den echten Erdstall von Reichersdorf bezieht, und der darin auch die unterirdischen Anlagen von Etting anführt. Auch dort gibt es übrigens eine Verbindung einer Erdstallanlage mit einem Wasserkult und einer kreuzförmigen Ganganlage.

Heute ist die Situation ziemlich trist. Bei verschiedenen Bauarbeiten wurden wohl die meisten Hohlräume zerstört oder zugemauert, so daß zumindest momentan (2014) nur noch einer gelegentlich zugänglich ist. Schulklassen werden im Heimatkundeunterricht z.B. hineingelassen und können dieses rätselhafte unterirdische Bauwerk erleben.

Bei der Ortsbevölkerung war der Gang unter dem ältesten Gebäude Ingolstadts, dem "Jurahaus in der Kipfenberger Straße 108" nur als "Geheimgang" bekannt. Nach einem Artikel im Donau Kurier 1993 wurden Mitglieder der Ingolstädter Höhlenfreunde darauf aufmerksam und machten sich an die gründliche Erforschung und Vermessung. Unabhängig davon hatten auch Erdstallforscher sich damit beschäftigt und Thomas Beilner hat die unterirdische Anlage als einen "Erdstall" gedeutet, wobei er ja durchaus einräumt, daß sich seine Interpretation "zum Teil auf subjektive Eindrücke und. Erfahrungen vor Ort" stützen würden.

Ich habe daran meine Zweifel. Im Mai 2014 hatte ich einmal die Gelegenheit, selber dort einmal hineinzuschauen, zusammen mit Ingolstädter Höhlenfreunden. Es ist ja nicht auszuschließen, daß es noch viel mehr Unterirdisches im Boden von Etting gegeben hat und vielleicht auch noch gibt, aber das, was uns jetzt noch zugänglich ist, berechtigt für mein Dafürhalten nicht dazu, von dem insgesamt ca. 24 m langen Gangteil zu sagen, es handle sich hier um einen wirklichen Erdstall.

Tatsächlich fehlen erdstalltypische Merkmale wie "Schlupflöcher und Sitznischen", das bemerkt auch Beilner. Auch der Hauptgang mit dem Quergang dazu ist nicht erdstalltypisch. Die Wände sind nicht so glatt ins Gestein geschlagen, wie so oft, sondern eher grob. Beilner vermutet, daß das durch die Gesteinsart vor allem verursacht wäre, aber wirklich wissen tut es keiner. Die Breite ist schwankt zwischen 1,05 m und 1,55 m, was kaum ein Beengtheitsgefühl, das ja typisch für sehr viele Erdställe ist, aufkommen läßt. Auch die Höhe mit durchschnittlich 1,60 m ist auskömmlich. So könnte eher ein Bauwerk aussehen, das zu Fluchtzwecken gebaut worden ist, wo man sich für kurze Zeit vor Gefahren von draußen verbirgt. An einer Stelle gibt es in der Decke ein kreisrundes Loch, das heute abgedeckt ist. War hier vielleicht einmal ein Zugang, den man von unten unauffällig verschließen konnte, um einer äußeren Gefahr zu entkommen? An ein paar Stellen des Ganges bildet nicht das ursprüngliche Gestein die Wandseite oder die Deckenfläche, sondern es gibt da Ziegel- und Steinmauern, zusammengehalten von einer "mörtelartigen Substanz". Solange man sie nicht niederreißt, weiß keiner wirklich, was sich dahinter verbirgt. Ist dahinter wirklich ein "Bauhilfsschacht", "durch welchen Aushub leichter abtransportiert werden konnte"? Gab es die überhaupt? Ist unser modernistisches Mittel-Zweck-Denken angesichts der Erdställle wirklich angebracht, angesichts von Baustrukturen, die sich jeder "vernünftigen Erklärung" einfach zu entziehen scheinen?

Es hat in der Vergangenheit eine Tendenz gegeben, so manche unterirdische Anlage, die schwer zu deuten war, dann einfach zu den "Erdställen" zu rechnen. Ich finde das nicht gut, weil niemand damit gedient ist. In Roding haben wir einmal einen Hohlraum aufgesucht, der als "Erdstall" geführt im Verzeichnis geführt war, der war einfach eine Karsthöhle und hatte überhaupt nichts mit Erdställen zu tun. Auf den Erdstallverbreitungskarten tauchen immer zwei Objekte im Elsaß auf. Als wir die einmal wirklich aufgesucht haben, da durften einem schon tiefste Zweifel kommen, was die wirklich waren. Erdställe wohl nicht. Eigenes kritisches Selberanschauen und Nachdenken ist durch nichts zu ersetzen. Wir kochen alle nur mit Wasser.

  Die Kirche in Etting
     
 
     
 
     
 
     
 
     
   
7.10.2016

 

Literatur:

Beilner, Thomas Neues von den Ettinger Erdställen, Der Erdstall, Heft 19, 1993, S. 85-95
Lindenmayr, Franz Der unterirdische Gang von Etting, in: Interessengemeinschaft Höhle-Religion-Psyche, Tagungsband 2016, Gröbenzell 2016
Miedaner, Helmut Gang der drei elenden Heiligen in Etting, in: Jubiläumsheft zum 25-jährigen Vereinsbestehen der Ingolstädter Höhlenfreunde (IHF) e.V.,  Ingolstadt 2006, S. 84-96
mw Geheimnis um unterirdische Gänge, 121 Jahre Ingolstädter Zeitung DK Nr. 117, 24.5.1993, S. 9
ohne Verfasserangabe Künstliche, nichtgemauerte Höhlen mit Gängen, Fortsetzung zu Deutsche Gaue 21, 38, Bd. XXI (1920), Heft 411-416
Richter, Horst Ettinger Hausheilige, DonauKurier-Beilage "DER SONNTAG" vom 13./14. Juli 2002
Schwarzfischer, Karl Kurzinventar der Erdställe in Bayern, Der Erdstall Heft 7, Roding 1981, S. 114
Schwarzfischer, Karl Unveröffentlichte Erdställe und unterirdische Gänge in Bayern, Der Erdstall, Heft 15, 1989, S. 79-80
si Neue Aspekte zu den "Elenden Heiligen", Donau Kurier Nr. 253, 2./3. November 1996
Westerholz, S. Michael Ein altes Jurahaus mit Erdstall in Etting, Der Erdstall 41 2015, S. 117ff.

Links:

Kirchenführer - Orts- und Wallfahrtsgeschichte
Unsere Pfarrei
denkmalliste_merge_161000.pdf

Erdställe, Schrazellöcher, Hauslöcher

 


[ Index ] [ Englisch version ] [ Höhlen und Höhlengebiete ] [ Kunst ]
[ HöRePsy ] [ Höhlenschutz ] [ VHM ] [ Veranstaltungen ] [ Links ]