Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die "Franzosenkriege" und ihre Auswirkungen auf die "Höhlen"


A 43 Franzosenloch im Peilstein


Im Jahre 1796 wurde "ein Mann an Seilen in die Höhle (heute heißt die Höhle Adernzopf, A.d.V.) hinunter gelassen, und bey dieser Gelegenheit zeigt sichs, daß die Höhle 110 Fuß tief ist, und auf dem Grunde in mehrere Kammern, von der Größe einer gewöhnlichen Wohnstube, sich erweitert." So steht es in der Beschreibung des Oberamts Riedlingen unter der Kapitelüberschrift "Erdfälle und Höhlen". Die Aktion geschah, weil "die Bewohner darauf bedacht waren, ihre Habseligkeiten vor den Franzosen zu flüchten".

Febr. 2016

Dies ist ein Beispiel von sehr vielen, das zeigt, wie sich der "Franzosenkrieg" auf die Menschen und ihr Verhältnis zu den "Höhlen" ausgewirkt hat.

Der Begriff "Franzosenkriege" ist zuerst einmal eine "Sammelbezeichnung für verschiedene Kriege des 17.  bis frühen 19. Jahrhunderts. Zwei Hauptverwendungen gibt es:

1) Kriege Ludwig XIV mit dem Heiligen Römischen Reich (Holländischer Krieg 1672-1679, Pfälzischer Erbfolgekrieg 1688-1697 und Spanischer Erbfolgekrieg 1703-1714) und

2) die Koalitionskriege zwischen 1792 und 1815. Damit werden die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und den europäischen Machtrivalen bezeichnet, wobei sie, unter Ausschluß des ersten Koalitionskrieges, auch Napoleonische Kriege heißen. Mit diesen beschäftigt sich im folgenden der Text vor allem.


Vom 30. April bis 31. Oktober 2015 fand im Neuen Schloß Ingolstadt die nächste Bayerische Landesausstellung statt.

Thema: Napoleon und Bayern

"Das Land wurde in der Ära Napoleon durchgerüttelt wie in einem Tsunami und dabei fast zerrissen. Bayern mutierte in diesen 20 Jahren vom Gegner Napoleons zu seinem Verbündeten und schließlich wieder zum Gegner. Diese Schaukelpolitik mündete in einen radikalen Umbruch.. Napoleon erhob das Land zwar zum Königreich, brachte ihm Glanz, Ruhm und Modernität, andererseits aber auch permanent Kriege, Tod und Verderben. Fast die gesamt bayerische Armee verreckte bei Napoleons Russlandfeldzug von 1812." (Kratzer R15)

Infos: Ingolstadt Tourismus: Landesausstellung 'Napoleon und Bayern'Haus der Bayerischen Geschichte – Napoleon in Bayern - Bayerische Landesausstellung 2015

Einmal sehen, ob es da auch zum Thema "Höhle" etwas gibt!

Kurzer Kommentar Mai 2015: In der Ausstellung gibt es nichts über "Höhlen", aber viel über Napoleon und die Zeit. Eine Ausstellung, die sich lohnt für Menschen mit historischem Interesse.

Von Carl Spitzweg stammt ein Vers, der wohl die Gefühle vieler ausdrückt, die noch zeitlich viel näher an diesen Momenten gewesen ist:

Wann i'n hätt den Napolibon,
Ja, gleich tot tät i'n schlagn
Und vergiften und köpfa
Und zum Land aussi jagn!

Und abends tu ich dichten, S. 11

 

 


Im folgenden wird diesem Thema an weiteren Beispielen nachgegangen werden. Viel Arbeit liegt vor mir.....

Auf der SCHWÄBISCHEN ALB gibt es 3 Höhlen, die schon mit ihrem Namen auf die "Franzosen" hinweisen:

1) die Franzosenkübelhöhle (7325/17). Sie liegt 1 km SSW von Stötten auf der Ostalb. Der Flurname "Franzosenkübel" würde auf Ereignisse zurückgehen, "die sich bei einem der Franzoseneinfälle im 17. oder 18. Jahrhundert abgespielt haben sollen.
2) die Franzosenhöhle (7919/58). Diese Höhle liegt im Oberen Donautal beim Jägerhaus. Von dort sieht man den Schwarzwagfelsen und nicht weit davon liegt "das mächtige Portal des Franzosenlochs, das im Sommer vom Laubwerk völlig verdeckt ist.
3) Franzosengrab (7920/245 "1,3 km W Thalheim stieß man im Wald Katzenhau bei Aushubarbeiten für einen Teich im Oktober 1994 auf einen knapp 7 m tiefen Schacht, in dem sich die Überreste von etwa 6 Menschen befanden. Nach den Beifunden wie Knöpfen, Bleikugeln, Schnallen und einem Reitersporn ist von einem neuzeitlichen Alter auszugehen..." Jantschke, Oberes Donautal 2, S. 145

Außerdem wird von anderen Höhlen berichtet, die als Zufluchtsort gedient hätten:

- Kellerhöhle im Oberen Donautal zwischen Dietfurt und Gutenstein: "...die Höhle soll um 1800 den Gutensteinern Zuflucht beim letzten "Franzosenkrieg" gewesen sein (Meyer 2020)", aus: Jantschke, Oberes Donautal 2, S. 42

Auf der FRÄNKISCHEN ALB gibt alleine Katastergebiet A drei Höhlenobjekte, die "Franzosen" im Namen tragen:

1) Franzosenloch bei Bürtel A 188
2) Franzosenloch oder Philippshöhle bei Neidstein A 84
3) Franzosenloch bei Peilstein A 43 (Der Name kommt davon, daß sie ein "Rastplatz französischer Truppen im August 1796" gewesen sei.)
4) Vom Guckerloch bei Michelfeld A 44 in der Gemeinde Michelfeld heißt es, sie sei "Aufenthaltsstätte der napoleonischen Besatzungstruppen" gewesen. 
5) Vom Kühloch bei Loch/Königstein ist überliefert, daß es 1796 als Viehversteck vor den Franzosen gedient hätte.
6) Im Katastergebiet D liegt die D 102, das Franzosenloch bei Etzdorf, eine der tiefsten Höhlen der Fränkischen Schweiz. Gleich im Anschluß an den Eingang folgt ein 24 m Direktschacht. Heller berichtet davon, daß man im Kriege 1796 "mehrere Franzosen hineingeworfen" habe. Die französischen Divisionen Grenier und Championnet, waren nach der verlorenen Schlacht bei Amberg auf dem Rückzug (siehe Spöcker 109).
7) Nach der Schlacht bei Krottensee am 24.5.1703 im Spanischen Erbfolgekrieg "entsorgte" man sich der Leichen der französichen Soldaten, in dem man sie einfach ins Windloch der Maximiliansgrotte warf. 

Laut dem SALZBURGER HÖHLENKATASTER trugen die heute als "Steinklüfte bei St. Gilgen" bezeichneten 10 bis 20 m langen Höhlenobjekte einst auch die Bezeichnung "FRANZOSENKLÜFTE". Sie liegen im Plomberg bei St. Gilgen. Sie sollen schon in den Türkenkriegen, aber auch eben in der Kriegszeit mit Napoleon als Versteck für Frauen und Wertgegenstände gedient haben (Klappacher, S. 350f.)


In der Sächsischen Schweiz gibt es eine Höhle mit einem Doppelnamen. Einer davon ist "Franzosenloch":

https://www.wandern-saechsische-schweiz.de/wordpress/wanderungen/petermannhoehlefranzosenhoehle/

Der NIEDERÖSTERREICHISCHE HÖHLENKATASTER weist immerhin 10 Höhlen auf, die "Franzosen" im Namen haben......

In Oberösterreich wird die Evakuchel südöstlich von Losenstein mit den Franzosenkriegen in Verbindung gebracht. Eine Schuster-Eva aus Dirnberg habe sich dort vor den gefürchteten Franzosen in Sicherheit gebracht, "um ihre Unschuld zu schützen". (Wirth 343)

Auch in Tirol finden wir einen Bezug zum Thema in Form der Speckbacher-Gufel im Voldertal. Den Winter 1809/10 soll der von den Franzosen geächtete Freiheitskämpfer Josef Speckbacher vom Rang eines Schützenmajors sich mehrere Wochen dort aufgehalten haben. Seit 1975 findet dort an einem Sonntag im September in der Nähe eine Bergmesse statt. Viele sollen an diesem Tag zur Gufel hinaufsteigen.

(Bild in der NAPOLEON-Ausstellung)

Die Tischoferhöhle im Kaisertal bei Kufstein wird auch mit den Franzosenkriegen in Zusammengehang gebracht. Vorher war sie einfach die "Schäferhöhle", dann soll sie angeblich Waffenversteck und Versammlungsplatz gewesen sein. In der Höhle habe sich ein Felsblock befunden, der als Tisch diente. Als die Leute gefragt wurden, wohin sie wollten, hätten sie nur geantwortet: "zum Tisch oba".

Auch die Schweiz war betroffen. Besonders am Bürgenstock am Vierwaldstätter See hat sich Schreckliches abgespielt. Im Herbst 1798, genauer am 9. September, fand die Vernichtung des letzten Schweizer Widerstands gegen die napoleonische Besetzung dort statt. 2.000 Einheimische aus Nidwalden, "bewaffnet mit Gewehren, aber auch mit Heugabeln, Steinen und Prügeln standen 10.000 gut ausgebildeten, kriegsmäßig ausgerüsteten Soldaten gegenüber" (Piatti 209). Ein halben Tag dauerte das Gemetzel, "und die Soldaten, in Rage wegen der gefallenen Kameraden, schonten das Volk von Nidwalden nicht, nicht die Kinder, nicht die Frauen und nicht die Alten" (Piatti 209). Gottfried Keller hat diesem Ereignis eine literarische Bearbeitung zukommen lassen und in dem Text "Verschiedenen Freiheitskämpfer" den Kampf mitaufgenommen. Eine Höhle am Aufstieg zum Bürgenstock trägt noch heute den Namen "Franzosenloch" und erinnert damit an diese Vorkommnisse.

Ein anderer Aspekt des Themas zeigt sich in der Benennung eines Tropfsteis in der Sophienhöhle in der Fränkischen Schweiz: "Auch Napoleon ist gleich am Eingange zur ersten Abteilung in einer kleinen Statue verewigt.", in:  "Führer durch die Fränkische und Hersbrucker Schweiz" von Karl Brückner, erschienen 1907 im Verlag G. Kohler, Wunsiedel, entnommen.", ohne Verfasserangabe, Der Fränkische Höhlenspiegel 13-1981 S. 25ff.


Literatur zur speläologischen Seite des Themas:

Binder, Hans Höhlenführer Schwäbische Alb, Theiss Verlag, Stuttgart und Aalen, 1977
Hartmann, Helga und Wilhelm Die Höhlen Niederösterreichs Band 4, Wien 1990
Heller, Joseph Muggendorf und seine Umgebungen oder die fränkische Schweiz, Nachdruck der 1. Ausgabe aus dem Jahre 1829, Erlangen 1979
Huber, Fritz Die Höhlen des Karstgebiets A Königstein, Jahreshefte für Karst- und Höhlenkunde, Heft 8, XVIII, München 1967
Jantschke, Herbert, Luz A.+H. M., Simon, W. Straub, Rainer, herausgegeben von der Höhlenforschungsgruppe Ostab-Kirchheim Höhlen im Oberen Donautal - Teil 2, Materialhefte für Karst- und Höhlenkunde 24, 2021
Kirchhöfer, Horst, Illmann, Renate Die Franzosensteinhöhle (C77) bei Heroldsberg, Der Fränkische Höhlenspiegel 59-2013, S. 47ff.
Klappacher, Walter Salzburger Höhlenbuch Band 5, Salzburg 1992 
Mattes, Johannes Höhlennutzung seit der Antike, in: Spötl, C., Plan, L., E. Christian (Hrsg.), Höhlen und Karst in Österreich. - Linz 2016 (Oberösterreichisches Landesmuseum), 287ff.
Mutschlechner, G. Höhlenkundliche Mitteilungen Tirol 1-XXIII, S. 36
Piatti, Barbara Es lächelt der See - Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz, Rotpunktverlag, Zürich 2013
Spitzweg, Carl Und abends tu ich dichtgen, dtv, München 1979
Spöcker, R.G. Der Mensch und die Höhlen des bayerischen Juras in historischer Zeit, Speläologisches Jahrbuch Wien 1924/25, redigiert von R. Willner und G. Kyrle
Spötl, Christioph Auf der Suche nach der Speckbacher Gufel im Voldertal, HKM Tirol, 2009, S. 12-17
Trüssel, Martin Die Franzosenhöhle am Bürgenstock, Eigenverlag, Alpnach
Wirth, Josef Höhlensagen, in: Spötl, C., Plan, L., E. Christian (Hrsg.), Höhlen und Karst in Österreich. - Linz 2016 (Oberösterreichisches Landesmuseum): 343

Literatur zu "Napoleon" allgemein:

Hamm, Margot, Brockdorff, Evamaria, Bräu, Volker, Buchhold, Stefanie, Lerche, Uta, herausgegeben von Napoleon und Bayern, Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2015, Ingolstadt 2015
Hofmeier, Franz "Wir sind wie eine Überschwemmung", Sonderbeilage der Süddeutschen Zeitung zur bayerischen Landesausstellung, 16. April 2015, Nr. 87, S. 24
Kluge, Alexander Napoleon Kommentar - Ein Mensch, aus Trümmern gegossen, Leipzig 2021
Kratzer, Hans Der Franzosenkaiser und die Bayern, Süddeutsche Zeitung Nr. 283, 9. Dezember 2014, R 15
Neumaier, Rudolf Der Kaiser als Bonapartl, Süddeutsche Zeitung Nr. 99, 30. April, 1. Mai 2015, S. 13
Sloterdijk, Peter Die schrecklichen Kinder der Neuzeit, Suhrkamp, Berlin 2014

Links:

https://www.napoleon.org/en/

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