Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Schwarz-Projekt


 "Die Avantgarde war immer eine Art Endspiel. Es ging immer darum, wer das letzte mögliche Kunstwerk macht." Jeff Wall.


So einen Endpunkt habe ich gesetzt mit dem Schwarz-Projekt. Was ist das ultimative Höhlenfoto? Das Ringen begann mit dem Moment, als die Höhlenfotographie einsetzte. Es wird noch immer weitergetrieben. Immer barockere Ausleuchtungen werden da inszeniert, immer raffinierter wird in die Groß- und Kleinformenwelt der Höhlen eingedrungen, immer exotischere Plätze werden aufgesucht, um gute Bilder davon und daraus mitzubringen. Von einer ausgeleuchteten Sarawak-Chamber bis hinein in Rastertunnelmikroskopaufnahmen reicht das Spektrum.

Das ist ein Ende des Spektrums. Das andere ist die Reduktion. Nicht immer "mehr" aufs Bild bringen, sondern immer "weniger". Das geht es in die Abstraktion, die ja in der Malerei längst auch schon verwirklicht worden ist. Aber wo endet sie? Es endet nicht in einem Ende, sondern franst an den Rändern auch wieder aus. Sei es nun, daß man die Leinwände aufschneidet und Löcher hineinmacht, die Leinwand ganz wegläßt und sich selber ausstellt - oder, fast schon eine klassische Lösung: die Leinwand komplett schwarz bemalt.

Gewendet auf die Höhlenfotographie heißt das, man macht schwarze Höhlenfotos. Man läßt mal den Blitz zuhause und macht vollkommen "natürliche" Bilder. Wenn nicht gerade das Tageslicht eindringt in die Höhle, dann ist es da schwarz, finsterer als in irgendeinem anderen natürlichen Ort dieser Erde. Selbst in der finstersten Nacht ist ja draußen der Himmel doch nicht vollkommen dunkel, denn irgendein Stern- oder Mondlicht ist da doch irgendwo.

An diesem Schwärzephänomen habe ich angesetzt und mal nicht all die "verdorbenen" Fotos von Touren einfach weggeworfen, sondern sie aufgehoben. Im Laufe der Zeit kommt das schon einiges zusammen. Und diese Bilder wurden dann in einen Kasten gestellt und gemeinsam mal projiziert. Zum erstenmal bei HÖREPSY 2003 - allerdings nur in der Kurzversion. Die Schau besteht aus 100 schwarzen Höhlenbildern, eines so schwarz wie das andere. Dem wunderbaren englischen Sprichwort folgend, "If you have seen one, you have seen them all", sieht das erste genauso aus wie das letzte oder alle anderen dazwischen.

Wie nehmen das die Zuschauer auf? Es ist bestimmt mal interessant, die Rezeptionsgeschichte dieses "Kunstwerks" zu schreiben.

Außer von der Uraufführung gibt es noch zu berichten, daß es auch bereits einen akustischen Seitenzweig gibt. Jasmin Thesen hat mich draufgebracht. Als ich mal von dem Projekt erzählte, sagte sie spontan zu, den "Ton" dafür zu machen. Sie war tatsächlich im Hölloch in der Schweiz mit dem Mikrophon unterwegs, zusammen mit Pali Berg und ?. Dort haben sie viele Minuten lang alle akustischen Signale aufgezeichnet, die so bei einer Höhle vorkommen. Vom Schluf bis zum Gehen, vom Durchs-Wasser-Laufen bis zum Karbidwechsel. Diese Töne passen recht gut dazu, wobei die ganze Akustikshow so lange ist, daß man bei der Aufführung mit den Bildern wohl nie zweimal die gleichen Töne zu hören bekommen wird. Die schwarzen Bilder passen ganz gut dazu, weil der Zuschauer durch nichts abgelenkt wird vom reinen Hören. Aber beide Teile gehören nicht unbedingt zusammen. Sie können auch ganz alleine "genossen" werden!

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Werners Nomenklatur der Farben kennt 7 verschiedene Arten von Schwarz:

- Gräulichschwarz
- Bläulichschwarz
- Grünlichschwarz
. Bräunlichschwarz
- Rötlichschwarz
- Tintenschwarz
- Samtschwarz (...ist die kennzeichnende Farbe für alle Schwarztöne. Es ist die Farbe schwarzen Samtes.)


"Nur sehr verwöhnte Leute wissen Bilder zu schätzen, auf denen möglichst wenig, am besten aber gar nichts zu sehen ist. Reiche Sammler bezahlen hohe Preise für ihr Minimal Art. Dem Überfluß beim Konsum entspricht der Puritanismus im Wohnzimmer, kahles Design oder Arte povera." H.M. Enzensberger, Z, S. 40


"Kunst verweist den Blick darauf, dass alles negiert werden kann - vielleicht ist Kunst selbst eine Form der Negation, weil sie stets den Alltagsblick, die herkömmliche Sehgewohnheit und die Erwartung an bestimmte Anschlüsse enttäuschen, negieren muss, um überhaupt unter Kunstverdacht zu geraten. Das geht so weit, dass Kunst im 20. Jahrhundert dies noch steigert, vielleicht sogar steigern muss, und den unverfälschten Alltagsverstand zum Kunstwerk erklärt, um in der Erwartbarkeit des "Normalen" auf die Unerwartbarkeit der künstlerischen Performance hinzuweisen." Armin Nassehi, Das große Nein, Hamburg 2020, S.38



 

Literatur:

Enzensberger, Hans Magnus

Herrn Zetts Betrachtungen, Z, oder Brosamen, die er fallen liess. Aufgelesen von seinen Zuhörern, Suhrkamp, Berlin 2013

Jocks, Heinz-Norbert, Interviewer

Pierre Soulages, Wunschlos verliebt in Schwarz, Interview mit, in: KUNSTFORUM International Bd. 267 Mai 2020, S. 226 ff

Liebs Holger

Inszenierung - Interview mit Jeff Wall, SZ / 24./25. Mai 2003 Nr. 119 

Richter, Peter

Es werde Schwarz, SZ Nr. 250, 29./30.Oktober 2022, S. 17

Syme, P.

Werners Nomenklatur der Farben - angepasst an Zoologie, Botanik, Chemie, Mineralogie, Anatomie und die Kunst, 1823, neu aufgelegt vom Natural History Museum, London 2018

Vaas, Rüdiger

Die Ästhetik der Abwesenheit, bild der wissenschaft 10/2006, 59

Links:

2003hrp.htm


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