Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Internationales Erdstall-Symposium
in Raabs an der Thaya/A
19.-21. Juli 2024
Erdställe bei Raabs an der Thaya
In Raabs an der Thaya hat es schon früher Treffen von Erdstallforschern gegeben. Das ist kein Zufall, denn in der Umgebung gibt es starke Konzentration dieser unterirdischen Leerformen, nach deren "Sinn" noch heute, selbst nach mehr als 100 Jahren intensiver Forschung gesucht wird. Und es gibt dort eine besondere Form davon, nämlich die sog. "Rundgangerdställe", die in weltweit selten vorkommenden Maße dort erlebt werden können.
Nach einer Zeit der Krise, in die der früher sehr erfolgreiche Arbeitskreis für Erdstallforschung nach dem Rückzug von Regine Glatthaar von der Vorstandschaft geraten war, die dazu führte, daß innerhalb kurzer Zeit drei Vorstände dieses Amt nacheinander innehatten und nun gleich drei Gruppen existieren, scheint sich die Lage wieder etwas zu beruhigen.
Nun wurde vom Arbeitskreis für Erdstallforschung und der Interessengemeinschaft Erdstallforschung IGEF gemeinsam gleich eine international intendierte Veranstaltung organisiert und sehr erfolgreich durchgeführt.
Als Tagungsort wurde das Stadthotel Raabs gewählt, das sich als sehr gut geeignet erwies. Dort übernachteten auch die meisten der ca. 35 Teilnehmer aus 6 Ländern (Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien, Irland, Israel). Die flexible Raumgestaltung machte es auch möglich, daß es am Samstagabend einen öffentlichen Vortrag über Erdställe mit weiteren 30 Teilnehmern dort gab.
Am Freitagabend gab es im Schloßblick Heurigen in Oberndorf ein sehr gelungenes Abendessen im Freien beim "Coming together", Samstagmittag gab es belegte Brötchen und Getränke, abends ein Abendessen im Stadthotel Raabs, für den Sonntagmittag wurde ein Mittagessen beim Dorffest in Ulrichschlag organisiert.
Das Vortragsprogramm war umfangreich:
- Rundgangerdställe in Niederösterreich (Otto Cichocki)
- Les souterrains annulaires et la question de leur diffustion en Europa (Eric
Clavier)
- 10 Rundgangerdställe im Bildvergleich (Franz Lindenmayr)
- 3D Vermessung des Erdstalles Unterstetten/Tollet (Kurt Niel)
- Kleiner Beitrag zur Hohlraumstatik (Christian Dialer)
- La Cave aux sculputures de Dénezé-sous-Doué/France (Luc Stevens)
- Subterranean rock-cut complexes in Judea: Typology, chronology, geographical
distribution and historical significance (Boaz Zissu)
- Die unterirdische Stadt Oppenheim (Winfried Ebert)
- Geschichte der Erdstallforschung in Mitteleuropa (Ralf Keller)
- Tunneled Souterrains in South West Ireland (James P. McCarthy)
- Neues zu Erdställen in Niederbayern (Nikolaus Arndt)
- Erdstallkataster / aktueller Stand (Nikolaus Arndt)
- (Meine) 45 Jahre Erdstallforschung (Josef Weichenberger)
Großer Abendvortrag: Erdställe im Waldviertel - Forschung und Fragen (Otto
Cichocki).
Die Bandbreite der Themen war weit gespannt und umfangreich. Mit
dem Hauptthema, den Rundgangerdställen, befaßten sich schwerpunktmäßig nur
die drei ersten Beiträge. Das Rätsel, warum es sie gibt, konnte keiner von uns
definitiv lösen.
Den lebendigsten Vortrag lieferte Josef, der aus seinem reichen Erlebnis- und
Erfahrungsschatz erzählte. Seine Übernachtungsversuche im Erdstall, der Bau
eines neuen Erdstalls und besonders die Ideen zu und die praktischen
Vorführungen der Schaffung eines vertikalen "Schlupfes" hatte
Kabarettqualität mit Tiefgang.
Die Vorträge wurden in drei Sprachen gehalten, mal nur in einer, mal auch noch übersetzt in eine andere Sprache, weil nicht alle gleich mehrere Fremdsprachen fließend beherrschen. Zu glauben, daß das einfach ist, zeigt nur, daß man die "pitfalls and traps" nicht erkannt hat, die es da gibt. "Erdstall" auf Englisch? Das Wort gibt es in dieser Sprache nicht, hat eher den Charakter eines "Untranslatables". "Erdställe" zu den unterirdischen Anlagen in Südirland beispielsweise zu sagen, das ist nicht so gelungen, aber welche Wort soll man denn sonst auf die Schnelle verwenden, wenn man dringend eines bräuchte?
Einmal habe ich mich gemeldet und ein paar Anmerkungen gemacht.
Es ging um den Beginn der Erforschung der Erdställe. Otto Cichocki hatte mit Karner (um 1903) begonnen, Ralf Keller mit Panzer (1848). Der Höhlenpater
Karner hat in seinem Buch bereits auf Seite 1 geschrieben: "Die ersten Forschungen auf dem Gebiete der künstlichen
Höhlen fanden in Bayern statt." Von "Erdställen" sprach man zu
dieser Zeit überhaupt noch nicht, da waren es einfach "Höhlen" oder
halt "künstliche Höhlen". Die früheste Veröffentlichung, die ich
kannte, stammt aus dem Jahre 1828 in der Bayerischen Landbotin, heute über das
Internet leicht für jeden lesbar. Zu erwähnen ist sicherlich auch, die
Ausgrabung des Erdstalls von Rockenstein in den Jahren 1835-1840 durch die
Bayerische Akademie der Wissenschaften. Gepaßt hat dann eine Bemerkung von
Nikolaus Arndt, der bei seinen Recherchen zu den Erdställen in Niederbayern auf
der "SECRET"-CD von Walter Kick auf einen alten Artikel aus dem Jahre
1821 aus dem Königlich-Bayerischen Intelligenz-Blatt des Unterdonaukreises
gestoßen war, in dem von einer "Höhle" im Mergel berichtet wird, die
kurz vorher entdeckt worden war. Auch den kann heute jeder mit Internetanschluß
lesen. Der Link ist: https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB10347054?cq=Ockel,%20C.%20von&p=1.
Der Text ist in der Ausgabe-Nr. 9 auf Seite 89 - ohne eine
Verfasserangabe.
Das ist ja gerade das Spannende an dem Erdstallthema, daß man immer wieder auch
Neuentdeckungen machen kann, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hat!
Es zeigt sich, daß die naturwissenschaftlich orientierte "Wissenschaft" beim Thema "Erdstall" deutlich ihre Grenzen hat. Hauptsächlich wird über das Alter der Erdställe gearbeitet, was auch nicht so einfach ist. Ob es nun eine "relative" oder eine "absolute" Altersbestimmung ist - aber was sagt schon wirklich aus? Und die Produkte der exaktesten Laservermessungen der Hohlräume sehen am Ende auch nur aus wie wild gewundene "Koprolithen". Läßt sich daraus letztlich wirklich "herauslesen", aus der Form, über den "Sinn"?
Am Samstagnachmittag (und am Sonntagnachmittag) gab es Exkursionen in Erdställe der Umgebung. Um den Andrang zu kanalisieren, wurden zwei Gruppen gebildet, die versetzt zueinander, in entgegengesetzter Reihenfolge die Objekte abfuhren. Den Besitzern der Erdställe muß wirklich gedankt werden, daß sie da mitgemacht haben und uns freundlich empfingen. Manchmal kamen wir ja auch ziemlich dreckig wieder aus dem "Loch" und waren dankbar dafür, daß wir uns am Wasserhahn wieder ein wenig säubern konnten.
Einer der wichtigsten Aspekte solcher Treffen ist, alte und neue Bekanntschaften zu machen. Dazu war reichlich Gelegenheit, sei es beim Heurigen, bei den Exkursionen oder halt zwischendurch. Die Hoffnung, daß nach dem öffentlichen Vortrag sich vielleicht Menschen aus der Umgebung melden würden, die Erdställe kennen, die bislang durchs immer enger werdende Maschennetz der Forscher geschlüpft sind, erfüllte sich tatsächlich. Da war z.B. ein Herr aus dem Baubereich, der uns ein Handyfoto zeigen konnte von den typischen Erdöffnungen, die das Herz des Erdstallforschers schneller schlagen lassen. Und drei Stühle weiter saß ein weiterer Mann, der tatsächlich schon einmal drin gewesen war. Gleich wurde ein Besuchstermin vereinbart!
Das 3D-Modell des Erdstalles Unterstetten | ||
In Ulrichschlag | ||
Literatur:
Karner, Lambert (1903): Künstliche Höhlen
aus alter Zeit, Wien
online zugänglich unter: Künstliche
Höhlen aus alter Zeit : Pater Lambert Karner : Free Download & Streaming :
Internet Archive
Links:
https://www.erdstallforschung.de/media/412.erdstall symposium raabs_2024.pdf
https://www.meinbezirk.at/waidhofenthaya/c-freizeit/vortrag-im-stadthotel-raabs-am-20-juli_a6784848
https://www.herder.de/wbg-magazine/aktuelles/2024/erdstaelle-im-digitalen-zeitalter/ Erdstall Unterstetten / Kurt Niel
https://www.caveauxsculptures.fr/ Déneze-sous-Doué
https://www.rheinhessen.de/a-oppenheimer-kellerlabyrinth
https://www.stadthotel-raabs.com/