Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Weber an der Wand
Inntal, Bayern
Juli 2021
"Lage, Lage, Lage" heißt es bei Immobilienmaklern, wenn sie eine Immobilie zu einem attraktiven Preis auf dem Mark anbieten wollen. Fehlt es hier an der "Lage"? Sicherlich nicht. Wer auf die Terrasse tritt, der hat einen überwältigenden Fernblick auf den Zahmen und Wilden Kaiser jenseits des Inntals vor sich. Anderswo würde man sagen, da habe man einen "half a miillion-dollar-view". Hinter einem baut sich die hohe herausgewölbte Felswand des Burgbergs bei Oberaudorf auf.
Hier hat sich sicherlich immer schon der Mensch aufgehalten, fand er doch Schutz vor Wind und Wetter unter dem Felsdach und sogar gleich zwei Quellen in einer kleine rückwärtigen Nischenhöhle. Ein Mauerrest darin ist noch ein letzter Hinweis auf die unbekannte "graue Vorzeit".
Die ältesten schriftlichen Quellen weisen auf das Jahr 1666, wo Eremiten dort einzogen und eine Klause errichteten. Die meisten Einsiedler waren nicht die weltentrückten Wesen, als die sie vielen erscheinen. Sie müssen schließlich von irgend etwas leben. In diesem Falle, ähnlich etwa wie in Stein an der Traun, wurden ihnen u.a. die Kinder geschickt, die sie dann zu unterrichten hatten. Dafür bekamen sie dann Nahrungsmittel und was sie sonst noch zum Leben brauchten, von der Menschen der Umgebung. Fünf Einsiedler lebten nacheinander "Unter der Wand", wie damals die Örtlichkeit hieß. 1794 starb der letzte Einsiedler Hieronymus, der für seine Kenntnisse in der Menschen- und Tierheilkunde bekannt gewesen war.
1817 erwarb der Webermeister Seywald das Grundstück und
errichtete das noch heute vorhandene Haus in der Halbhöhle, wobei er sich die
Rückwand und die Hälfte des Daches sparen konnte. Dafür hatte die
"Natur" schon gesorgt. Und, so ein alter Bericht, begann "sein
Webstuhl an zu rattern."
Die Lage direkt an einem Hauptverbindungsweg vom Norden in den Süden
ermöglichte einen zusätzlichen Erwerbszweig, den Einstieg in die Gastronomie.
1827 bekam Seywald die "Bierschankgerechtigkeit" und durfte damit nun
sein Angebot wesentlich erweitern. Überliefert sind uns vor allem die Namen der
"Royalties", die hier vorbei geschaut haben: Zar Alexander I von
Rußland (er soll dem Wirt 2 Golddukaten geschenkt haben), und die ganze
bayerische Königsriege, die es ja erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts gab
(Ludwig I, Max II, Ludwig II) und der Prinzregent Luitpold. Ihre Spuren finden
sich noch in den 2 Gästebüchern, die heute im Museum am Burgtor in Oberaudorf
ausgestellt werden (über das dritte verfügt der heutige Besitzer des Anwesens,
Konrad Walser). Außerdem kamen auch zahlreiche "Prominente" (Carl
Spitzweg, Wilhelm von Kaulbach, Franz Xaver Gabelsberger, Ludwig Steub...)
vorbei . So mancher fertigte eine Skizze oder ein Gemälde vom Weber an der Wand
an (W. Scheuchzer, J. Poppel, Ludwig Sckell, Eberhard Emminger). Einige dieser
Werke sollen noch in der Gaststube hängen, andere wurden auch schon auf großen
Kunstauktionen angeboten. Manchem fiel sogar Witziges ein: "Der Weber an
der Wand, der steht in Gottes Hand. Rührt sich der Felsen nur ein bissel,
fällt eer dem Weber in d'Suppnschüssel." Oft passiert das nicht.
Überliefert ist der Abstutz eines Felsblocks aus dem Jahre 1832.
Mit den Jahren wechselten auch die Betreiber des Wirtshauses, das mal besser und dann immer schlechter ging. Als es 1896 an den Münchner Konrad Walser verkauft wurde, befand sich das Gebäude schon in einem schlechten Zustand. Nach einer Renovierung wurde es von verschiedenen Pächtern weitergeführt, bis es schließlich ganz aufgegeben wurde. Nach dem 2. Weltkrieg hatte der damalige Besitzer eine Discothek dort hineingebaut, "mit PVC-Boden und Spanplattendecke", die auch schon längst wieder verschwunden ist. 1984 kaufte Konrad Walser das Anwesen und renovierte es Stück für Stück. Ein neuer Steinboden kam in das Gebäude und Holzvertäfelung an die Decke. 2006 wurde das Gasthaus wieder eröffnet und es gab ein zeitlang wieder Wirtshausbetrieb. Im Internet finden sich davon sogar noch Spuren. Man konnte elektronisch einen Tisch reservieren und sich die Speisekarte herunterladen. Und die Bewertungen anderer lesen: "Wahnsinn! Ein magisches Plätzchen!" "Eine Location in den Fels gebaut. Das muss man gesehen haben."
Corona hat vieles verändert. Als ich im Juli 2021 mich dort einmal umsah, da war der Platz wie in einem Dornröschenschlaf. Man konnte an den geschlossenen Gebäuden entlangwandern, die alte Speisekarte steckte noch in einem Schaukasten, elektrisches Licht brannte in einem Raum, an der Außenwand informierte die Schautafel des "Inntaler Unterwelten"-Projekts über wissenwerte Details. Die Gastwirtschaft war allerdings geschlossen und wie es aussah, nicht nur seit gestern.
Für die Felswand über den Gebäuden gibt es heute auch schon Interessenten: die Sportkletterer, die hier ein Extremdorado über sich haben. Sie machen sich bei ihren Unternehmungen gleich nützlich und prüfen den Fels, ob es nicht irgendwelche lockeren Felsbrocken gibt, die auf die Leute unterhalb herabstürzen könnten. Bislang ging alles gut.
Die Höhlenforscher haben sich lange nicht für das Objekt interessiert. Als Klaus Vater 1982 einen Überblick über den Höhlenkataster der Bayerischen Alpen veröffentlichte, umfaßte das Gebiet 1278 Großer Traithen, in dem die Höhle liegt, gerade drei Objekte. Der Weber an der Wand war nicht darunter. Peter Hofmann hat inzwischen einen Plan erstellt, der auch die rückwärtigen, normalerweise nicht zugänglichen Teile der kleinen Höhle enthält, erstellt und veröffentlicht.
Der Bayerische Rundfunk hat für die Sendung "Zwischen Spessart und Karwendel" eine Sendung über die "Inntal-Maler" produziert. Darin kommt auch der Weber an der Wand vor.
Peter Hofmann organisiert seit einigen Jahren immer wieder eine "Oberaudorfer Höhlennacht" und dabei besucht man natürlich auch diesen außergewöhnlichen Ort.
Aus Hartwig 1846: "..vor allem erlangte die Wohnung des Webers an der Wand, zu dem man zwischen schroffen Felswänden hinan gelangt, eine allseitige Berühmtheit und gern erkauft jeder Besucher zur Erinnerung an den Aufenthalt bei demselben eine der tropischen Pflanzen, deren Cultur der Besitzer sich mit allem Fleiße widmet."
2021 | ||
Die letzte Speisekarte des Restaurants | ||
2023 | ||
Blick vom Burgberg auf die Region um Weber an der Wand | ||
Zeitkapsel - die Zeit scheint still zu stehen | ||
Bilder aus früheren Jahren
Radierung von J. Poppel nach einer Zeichnung von W. Scheuchzer, um 1850 | ||
Literatur:
Bauer, Fritz | Unser Audorf - Chronik 1. Teil Frühzeit und Mittelalter, Oberaudorf 1980 |
Einmayr, Max | Inntaler Sagen, Oberaudorf 1988 |
Hartwig, Theodor | Führer durch die Südbayerischen Hochlande, München 1846 |
Heyn, Hans | Süddeutsche Malerei aus dem bayerischen Hochland, Rosenheim 1979 |
Hofmann, Peter | Wege im Inntal, Norderstedt 2005 |
Hofmann, Peter | Anthropospeläologie am Beispiel des Inntals, in: Verein für Höhlenkunde in München, Münchner Höhlengeschichte II, München 2004 |
Rauch, Christian | Ein Haus ohne Hintertürchen, Land & Berge 5/2016, S. 21ff. |
Städtische Galerie Rosenheim, hrsg. von | Auf ins Inntal! Spitzweg, Schleich d.Ä. und Malerfreunde auf Reisen.., Rosenheim 2015 |
Links:
https://www.chiemsee-alpenland.de/entdecken/alle-sehenswuerdigkeiten/weber-an-der-wand-b2fe206f2d
http://www.sagen.at/texte/sagen/deutschland/bayern/inntal/weber_an_der_wand.html
https://speisekarte.menu/restaurants/oberaudorf/weber-an-der-wand
https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/ApL8PkgLN2
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