Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Der Themenweg "Unterirdische Schandtauber"
In einem Nachruf in der Süddeutschen Zeitung zum Tode von Milan Kundera am 13. Juli 2023 heißt es: "In seinen Büchern entwickelt sich die Welt nicht nach Plänen, sondern durch Zufälle, Emotionen und Träume." (Minkmar, Vom Dasein 9). "Zufälle, Emotionen und Träume", die haben auch eine Rolle gespielt, als ich auf dem Weg vom 22. Speläo Südwest 2023 in Holzelfingen nach Fürth einen kurzen Schlenker machte und mir einmal den Themenweg "Unterirdische Schandtauber" ansehen wollte, oder wenigstens das, was man davon mitbekommt, ohne daß man eine aufwendige Recherche vorher betrieben hat und alleine unterwegs ist, also dem "Zufall" viel zutraut, und "Emotionen" sind natürlich auch viele bei mir mit dieser Region verbunden, die bis ins Jahr 1984 zurückreichen.
Ich kam über Rothenburg herein, fand schließlich Bettenfeld und hoffte auf irgendein Zeichen, das auf den Themenweg hinweisen würde. Zuerst fand ich ein Jakobswegzeichen an einem Baum beim Gasthof Grüner Baum, der ja auch hier entlang führt und wohl ein Vielfaches an Benutzern hat. An einem weiteren Baum endlich das erste Zeichen, zusammen mit "HW4" des Schwäbischen Albvereins und einem Jakobswegzeichen und ein "E8". Wie sollte man dem "Themenweg" folgen? Nach links? Nach rechts? Mangels Unterlagen irrte ich umher, glücklicherweise nicht zu Fuß und nicht mit dem Fahrrad, was wohl die eigentlich gemeinten Weisen wären, in denen man ihm folgen sollte, sondern mit dem Auto. Da kommt man schnell in die Situation, daß sich da ein Weg aufspaltet in zwei Richtungen und jeglichernd Hinweis fehlt, wohin man sich wenden sollte. Mit dem Auto ist das nicht so tragisch, weil sich Fehler leichter korrigieren lassen, aber wenn man da zu Fuß unterwegs ist, kann das zu einer strengen Bußübung schon auf Erden werden. Und was tut man, wenn man einmal die Zeichen verloren hat? Das kann schnell zu einer therepeutischen Übung werden: Wie verhalte ich mich im Falle von Orientierungslosigkeit und einen sehr fragmentarischen Informationsstand.
Ich durchfuhr lauter Ortschaften, von denen ich vorher noch nie gehört oder
gelesen hatte und die in keinerlei Verbindung mit dem Schandtauberhöhlensystem
bringen konnte: Reusch, Leuzendorf, Wolfskreut, Speckheim....Kurz vor Schrozberg
bog ich Richtung Schmalfelden ab und ab war die Verfolgung des Themenwegs
"a gemahte Wiesn" wie wir in Südbayern sagen könnten. Da stand
nämlich gleich neben der Straße eine mustergültige Informationstafel, die die
Nummer 2 (Ehemaliger Steinbruch Heilmann) trug und ausführlich über den Standort den Interessenten informierte.
Clever ist sie gemacht mit Text, Bildern und Karte und sogar einem
Audio-Kommentar, den sich technikaffine Personen mittels eines QR-Codes
heranholen können.
Wo die Tafel steht, das fand ich allerdings nun nicht sehr erbaulich. Direkt an
der Gabelung mehrerer geteerter Straßen mit regem Verkehr, einen großen grauen
Gitterzaun gleich in der Nähe, rundum flache gelbliche Felder, ein paar Bäume
am Rand, in der Ferne die ersten Häuser von Gammesfeld. Von einer Höhle oder
einer Karsterscheinung war da gar nichts zu sehen. Ein Hinweis war allerdings
berührend: daß man nämlich direkt auf einer Höhle stehen würde, einem
Gangteil des Öllochs. Hier zeigt sich ein Dilemma dieses Themenwegs: er soll
einem etwas "zeigen", wo nichts mit den Augen zu "sehen"
ist. "Mind fucking" könnte man das nennen. Auch wenn ich einen
Schritt vorwärts oder rückwärts gehe, oder nach links oder rechts - nichts
verändert sich für mich in Bezug auf den imaginierten Hohlraum unter meinen
Füßen, weil eben alles nur imaginiert ist und nicht kein echtes körperliches
Erlebnis. Ich könnte mir noch ausmalen, wie es wäre, wenn sich plötzlich
ein Loch unter mir öffnen würde, so wie das ja immer wieder auf dieser
Welt passiert, dann käme da ein wenig Drama ins Spiel, das ist ja alles nur im
Konditional formuliert.
Natürlich freute ich mich über den Hinweis, daß es sich da um die Nummer 2 des Weges handele, dann würde ich vielleicht auch noch die Nummer 1 (Zwerchäckerdoline) finden. Tatsächlich ist die nicht weit entfernt, leicht erreichbar auf einer geraden, geteerten Straße, die beim Erreichen eines Wäldchens abknickt. Dort sind sogar 2 Themenwegzeichen angebracht, wobei mir nicht klar geworden ist, was hier eigentlich markiert ist. Neben einem Schild führt ein Trampelpfad in einen Wald, der allerdings bald wieder aufhört. Die Benutzer des nahen Spielplatzes kommen offenbar öfters hierher und erledigen mangels anderer Toilettenanlagen hier ihre Notdurft. Beim Spielplatz fand ich keinerlei Hinweis auf eine Karsterscheinung und die große Familie, die offenbar öfters hierher kam, im ihre Freizeit mit den Kindern dort zu verbringen, hatte auch noch nie etwas Auffälliges dort bemerkt. Leicht frustriert zog ich von dannen auf der Suche nach weiteren Stationen des Themenwegs.
Mit dem Auto ist man ja schneller unterwegs als zu Fuß und so sieht man nur die auffälligeren Wegzeichen. In Großbärenweiler steht gleich neben einem Bushäuschen eine weitere Tafel, die Nummer 4 (Wasser verschwindet auf unbekannten Wegen). Von Karsterscheinungen war da weiter nichts zu sehen, was einen aber nicht enttäuschen darf, spielt sich doch eigentlich alles im Untergrund ab und sehr selten an der Oberfläche. Von Nummer 5 und 6 bekam ich auf meinem Schnelldurchlauf gar nichts mit, erst die Nummern 7 und 8 fand ich dann wieder. 7 (Die Schandtauberhöhle 1 - "Ohne Steinbruch niemals entdeckt) ist am Rande des ehemaligen Steinbruchgeländes, man sieht nur noch die Infotafel, eine betonierte Freifläche, ein kleines Verwaltungsgebäude und die wieder der Natur "zurückgegebenen" Steinbrüche. Das Bachbett auf der anderen Straßenseite war völlig ausgetrocknet. Mit der Nummer 8 (Ende der Reise durch die Unterwelt) hat man den Endpunkt der Reise erreicht. Hier sieht man endlich richtig etwas: Selbst in unseren trockenen Zeiten tritt kräftig Wasser aus dem Talhang an mehreren Stellen. Ein Weg durchquert das Flußbett der Schandtauber und kann wohl manchmal, wenn wenig Wasser da ist, als Furt dienen. Sorgfältig gepflegte Häuser sind aufgereiht entlang im oberen Teil wohl schon länger trockengefallenen Flußbetts, weil dort die üppige Natur die Fläche emporschießt. Einige davon gehören zum Gasthof Rappen, der heute wohl auch gerne von Jakobswegpilgern benutzt wird.
Laut auch im Internet verfügbarer Broschüre soll der Themenweg dem rund 10 km langen unterirdischen Fluß folgen, der die Landesgrenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern unterquert, einst den Steinbruchbetreibern "das Leben schwer machte", an zwei Stellen von oben sichtbar sei, der Fundort von mittelalterlichen Gefäßen und vorzeitlichen Tierknochen sei. Mancher holte aus Brunnen aus dem Höhlengewässer sein Trinkwasser und gleichzeitig leiteten an anderer Stelle andere Leute ihr Abwasser wieder in die Tiefe - ein klassisches Beispiel dafür, wohin isoliertes und isolierendes Denken führen kann.
Ich habe mich gefragt, wo denn eigentlich dieser Weg anfängt
und wo er wieder zu Ende ist. Das ist wichtig, wenn man ihm tatsächlich folgen
will, besonders wenn man zu Fuß unterwegs wäre. Immerhin 17 km werden als
Gesamtlänge angegeben, wovon 70 % asphaltiert sind. Das ist sicherlich für
Fußgänger nicht sehr einladend. Am Bahnhof in Schrozberg beginne er, in
Bettenfeld-Rothenburg ist das Ende. Da stellt sich die Frage für den
umweltbewußten Wanderer, wie er hin und später wieder weiterkommt. Kein
leichtes Unterfangen.
Und wenn man sich schon die Mühe macht, dort so ein Unternehmen zu starten, was
gibt es dann eigentlich zu sehen? In der Praxis sind das meist die aufgestellten
Informationstafeln und die Wanderwegskennzeichen, was in der Natur der Sache
liegt. "Verborgen, aber nicht verschwunden", so heißt es in der
Informationsbroschüre. Die Oberfläche ist es überwiegend flach bis leicht
wellig, von den Höhlen hat man ja überhaupt erst erfahren, als man in den
Steinbrüchen in die Tiefe eindrang - mit ganz wenigen Ausnahmen. Die
Informationen werden ja auch nur sehr dosiert vermittelt. Daß man direkt oder
sehr nah an den Eingängen zu den großen Höhlen vorbeikommt, das wissen nur
die "eingeweihten Höhlenforscher". Man muß auch nicht alles
unbedingt in die Öffentlichkeit tragen, führt aber in ein Dilemma, für
das es keine einfache Lösung gibt.
Der ausgezeichnete Artikel von Michael Ross in den Verbandsmitteilungen 67(2) 2021 42-48 schließt natürlich eine wesentliche Informationslücke. Hat man den gelesen, dann sieht man eigentlich erst wirklich, was man "sieht" oder halt nicht. Und ist Anlaß, noch einmal hinzufahren und die Wissens- und Erlebnislücken zu schließen.
Eingang Schandtauberhöhle |
Literatur:
Mickmar, Nils (2023): Vom Dasein, Süddeutsche Zeitung Nr. 159,
13. Juli 2023, S. 9
Pantle, Markus (1994): Erforschung des Schandtauber-Höhlensystems, Beiträge
zur Höhlen- und Karstkunde in Südwestdeutschland Nr. 37, Stuttgart 1994, 23-29
Pantle, Markus (2012): Die Schandtauberhöhle 2 bei Bettenfeld und ihr
Einzugsgebiet, Beiträge zur Höhlen- und Karstkunde in Südwestdeutschland Nr.
50, Stuttgart 2012, 28-55
Ross, Michael (2021): Der Themenweg "Unterirdische Schandtauber"
zwischen Schrozberg und Rothenburg ob der Tauber, Mitt. Verb. dt. Höhlen- und
Karstforscher 67 (2), München 2021, 42-48
Links:
https://leader-hohenlohe-tauber.eu/projekte-2/projekte/schandtauber/
https://leader-hohenlohe-tauber.eu/aktuelles/eroeffnung_themenweg_schandtauber/
https://www.vdhk.de/fileadmin/image/Schutzgebiete/Projekt-in-SchutzgebietThemenweg.pdf
https://www.arge-hoehle-stuttgart.de/themfly.pdf
http://www.gasthaus-zum-rappen.de/
https://schrozberg.de/feuerstein-hoehle/
https://www.pilgern-bayern.de/jakobswege-bayern/fraenkisch-schwaebischer-jakobsweg
https://leader-hohenlohe-tauber.eu/aktuelles/feuersteinehoehlen/
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