Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Das Blauhöhlensystem, Schwäbische Alb
Dezember 2011
Mit Stand Mai 2013 wies die Liste der längsten Höhlen Deutschlands, veröffentlicht auf der Verbandswebseite, 8,7 km als neueste Gesamtganglänge für das "Blauhöhlensystem" aus, im Februar waren das mal 7,5 km. Stand Juni 2020 zeigt die gleiche Informationsquelle: 2 Blauhöhlensystem (BW) 15.265 m und nur wenige Hundert Meter noch entfernt: 8 Hessenhauhöhle (BW) 8.365m. Liest die faszinierenden Berichte der Forscher, hat sich hier ein neues Dorado aufgetan, und eigentlich ist das erst der Anfang von etwas noch viel Größerem - vielleicht einmal der längsten Höhle Deutschlands.
Ca. 16 km habe jetzt das Blauhöhlensystem, so die Einladung zu einem Vortrag bei Speläo-Südwest im August 2021 bei der Charlottenhöhle.
Allerdings ist der Kreis sehr begrenzt, der hier höhlenforscherisch tätig ist.. Und was ist eigentlich mit all den anderen Menschen, die momentan auch noch leben, die oft auch diesen Teil unserer Welt gerne betreten würden, sehen, auch photographieren möchten! Die sind ausgeschlossen! Eine neue Form der Aristokratie - und das in Zeiten der rechtlichen Gleichheit aller Menschen.
Der Haupteingang in das Höhlensystem war immer schon dem Menschen bekannt, der Blautopf. Er ist wie alle anderen "Blauen Töpfe", die woanders halt "Blue Spring", "Source Bleu", Pozzo Azul oder ähnlich heißen, nicht zu übersehen. Unvermittelt tritt aus dem Berg viel Wasser aus und strömt als Bach bzw. Fluß dann durch die ansonsten oft nur sehr trockene Landschaft.
Pozo Azul, Provinz Burgos, Spanien |
Die Blau bei Blaubeuren entspringt in 521 m Meereshöhe. Ihre Länge beträgt gerade mal 10,2 km und sie fließt bei Ulm in die Donau. Ihr Ursprung ist eben der Blautopf. Lange Zeit war gerätselt worden, woher denn die blaue Farbe käme, und es wurde sogar schon gesagt, irgendjemand würde jeden Tag ein Fass voller Tinte hineinschütten. Heute wird das viel nüchterner in einem Informationsblatt dem Besucher erklärt: Das reine Blau sei bedingt durch die blaue Eigenfarbe des Wassers (Bunsen 1847), die gerade hier infolge der großen Tiefe und Klarheit des Wassers (Sichttiefe 20 m) in Erscheinung treten könne. Die einfallenden Sonnenstrahlen würden bis auf die blauen Strahlen nahezu völlig verschluckt. Nach Regen verliert sich diese Farbe, sie geht dann ins Hellblaue, Grüne und dann ins Gelbbraun über.
Früher diente es sogar der Wasserversorgung von Blaubeueren, aber seit 1958 hat man das eingestellt. Zuvor hatte schon ein ungewollter Markierungsversuch u.a. stattgefunden. Man hatte nämlich viel Fruchtsaft aus Bühlenhausen im Trinkwasser gehabt, den man eigentlich gar nicht gewollt hatte. (ARGE Blaukarst, Hessenhaushöhle 17)
November 2018 | |
Aus einem Einzugsgebiet von rund 160 qkm tritt in einer Flußschlinge der Urdonau
hier das Wasser wieder zu Tage. Als Minimal- bzw. Maximalwerte der Schüttung
werden 310 l/s und 32.000 l/s angegeben. Im Mittel sind es 2.300 l/s. Die
Temperatur in der Tiefe beträgt 9,4° Celsius.
Unterhalb des Wasserspiegels liegt der 20,6 m tiefe Quelltrichter. Hangseits stehen Jurakalke an, im Süden und Norden besteht der Rand aus bis zu 35 m mächtigen Flußablagerungen. Lange Zeit war ziemlich unklar, was sich tatsächlich in der Tiefe abspielte. Es wurden allerhand Geschichten darum erfunden und weitererzählt. In der Mitte des kleinen Sees befände sich etwa ein kristallenes Schloß der Seegeister. Es gäbe sowohl männliche wie weibliche, die ab und zu an Land gehen würden, um unter den Menschen einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Würden die Gefühle erwidert, so würden beide zusammen in den Blautopf zurückkehren, ohne je wieder an die Oberfläche zurückzukommen. 1641 wird berichtet, wäre man aus dem Kloster hinüber zum Blautopf gezogen und hätte zwei vergoldete Becher "für die Dämonen im Blautopf" geopfert, um zu verhindern, daß das Kloster überflutet würde. Inspirierten solche Geschichten Eduard Mörike zur "Historie von der schönen Lau", die 1853 erstmals als Teil des "Stuttgarter Hutzelmännleins" erschien? Die Geschichte selber ist frei erfunden von Mörike. Die Nixe sei von ihrem Mann, dem Wasserkönig aus dem Schwarzen Meer, in den Blautopf verbannt worden, weil sie nur tote Kinder zur Welt bringen könne. Der Bannspruch könne erst gebrochen werden, nachdem sie dreimal gelacht hätte, andere sprechen von fünfmal. Die Wirtin vom Nonnenhof und andere Helfer, z.B. ihr Sohn vollbrachten das Kunststück, in dem er die Wasserfrau einfach aus Lust an der Freud küßte, als sich einfach ein Gelegenheit dazu ergab, und sie wurde mit einem Topf voller Geld und "fünf Glückstage auf hundert Jahre" dafür belohnt.
Buchillustration von Moritz von Schwind
Auszug aus der Erläuterung des Blautopf-Begriffs durch Mörike: "Die dunkle, vollkommen blaue Farbe der Quelle, ihre verborgene Tiefe und die wilde Natur der ganzen Umgebung verleihen ihr ein feierliches, geheimnisvolles Ansehn. Kein Wunder, wenn sie in alten Zeiten als heilige betrachtet wurde und wenn das Volk noch jetzt mit abenteuerlichen Vorstellungen davon sich trägt."
Für solche Geschichten haben viele Leute heute nicht mehr viel
übrig. Sie wollen hard facts und wird von einer ersten erfolgreichen
Tiefenmessung im Quelltrichter durch den Prälaten Weissensee schon im Jahre 1718
berichtet (bereits im 16. Jahrhundert hätten erfolglose stattgefunden). 1880
versuchte der erste Helmtaucher den Grund des Blautopfs zu erreichen. Erst 1957
wurde dieses Ziel dann tatsächlich erreicht. In den 50er Jahren versuchte der
Münchner Physiker und Sporttaucher Dr. Wellenstein ohne Tauchgerät und
Tauchanzug, nur mit Maske und Flossen, auf den Grund des Blautopfs
hinabzutauchen. Er kam immerhin 15 m hinunter. 1957 schafften es zwei andere
Münchner Taucher tatsächlich. 1960-62 wird die Höhle durch die
Höhlenforschergruppe Göppingen-Eschenbach unter Leitung von Manfred Keller
erstmals mit Pressluftgeräten und Neoprenanzügen erforscht. Hobbytaucher "entdeckten" in der Folgezeit
den Blautopf als lohnendes Tauchobjekt, was
für einige von ihnen aber tödlich endete. Die Gemeinde sah sich deshalb veranlaßt, ab
1966 ein generelles Tauchverbot mit Ausnahmeregelungen zu erlassen. 1985 gelang
es dann Jochen Hasenmayer (er tauchte seit 1961 schon dort) nach einer
Tauchstrecke von 1.250 m im Mörikedom aufzutauchen und das Ende des
Unterwasserteils zu erreichen. Nach einem Tauchunfall schwer gehandikapt, baut
sich Hasenmayer ein Mini-U-Boot und kann damit weiterhin Vorstöße unternehmen.
Er erregt großes publizistisches Aufsehen damit, weil der die These vertritt,
daß sich unter der Schwäbischen Alb ein riesiges Flußhöhlensystem mit Heißwasser
befände: "Mit der Energie des Thermalwassers könnte man die Häuser von 30
Millionen Menschen tausend Jahre lang beheizen", womit man die Energieprobleme
in Süddeutschland lösen könne, hieß es noch in der Süddeutschen Zeitung
vom 27. Februar 1996.
1997 begann eine neue Zeit mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Blautopf.
Nun wurde die Höhle richtig vermessen und immer weiter vorgestoßen. 2005 wird
erstmals eine trockene Fortsetzung der Höhle am Ende des Äonendoms entdeckt,
2006 finden Jochen Malmann und Andy Kücha die damals "Größte Halle
Deutschlands", die Apokalypse mit 50 m Breite, 170 m Länge und 50 m Höhe.
Außergewöhnliche Leistungen sind dafür von Nöten. Man führt z.B. unter Tage ein
mehrtägiges Biwak durch, wozu alles unter Wasser in die Höhle gebracht werden
muß. In einem Gang hört man auf einmal Fahrgeräusche von Autos und stellt fest,
daß man gar nicht mehr weit zur Erdoberfläche hat. Hier gibt es inzwischen einen
von oben her erbohrten Zuganng, so daß sich inzwischen die material- und
kräfteaufwendigen Anmärsche sehr reduziert haben.
Schon lange war vermutet worden, daß es weitere Eingänge in das Höhlensystem
geben könne. Im Galgentäle war eine erste verdächtige Stelle, eine dolinenartige
Eintiefung, die an der Nordseite durch eine Felswand abgeschlossen war und aus
der im Sommer merklich kühler Wind strich. 450 m Luftlinie waren es bis zum
Blautopf und man war rund 50-70 m darüber. 1954 bis 1958 unternahm Karl Vetter
aus Blaubeuren erste ergebnislose Grabversuche. 1963 wurde der Versuch wieder
aufgenommen, durch
Grabungen tiefer in den Berg zu kommen, gab dann aber auch wieder dieses Unternehmen auf.
Durch die Erfolge in der Blauhöhle angespornt begann eine Gruppe aktiver
Höhlenforscher 2002 erneut mit der fachmännischen Ausgrabung der Vetterhöhle. Darüber
gibt es einen ausführlichen Bericht im Internet. Im September 2006 kam es zum
großen Erfolg: Jochen Malmann und Werner Gieswein fanden die Verbindung zwischen
Vetterhöhle und Blautopfhöhle.
Die Forschung geht weiter. 590 Dolinen sind inzwischen im Dolinenkataster
oberhalb des Blautopfeinzugsgebiets registriert. Auf Grund verschiedener
Überlegungen sind es wohl in Wirklichkeit 2.000. Viele von ihnen sind jedoch
heute verschüttet, weil die Landwirte inzwischen viele zugeschüttet haben, um
einfacher wirtschaften zu können. Zwei von ihnen haben sich als besonders
speläologisch ergiebig erwiesen, die Seligengrundhöhle bei Seißen und die
Hessenhauhöhle. Beide waren durch ihre heftige Wetterführung aufgefallen.
Vom Fortgang der Forschung berichten die höhlenforschenden Vereinigungen regelmäßig in der Öffentlichkeit, auf Veranstaltungen und im Internet, so daß man laufend das Geschehen verfolgen kann.
Die Entdeckungen bringen einen ziemlich natürlichen Gedanken mit sich: Kann vielleicht eines Tages auch die breite Öffentlichkeit die unterirdischen Schönheiten sehen, sprich, kann man nicht eine Schauhöhle eines Tages daraus machen? Erste Überlegungen sind bereits entwickelt worden und eine Erschließung scheint möglich und wird angestrebt. Mit einem Schlag wäre Blaubeuren um einen Touristenmagneten allererster Güte reicher.
Eine Bohrung ist inzwischen erfolgreich abgeschlossen und nun können die Forschungen in den hinteren Teilen vorgenommen werden, ohne daß der Eingangssiphon noch durchtaucht werden muß.
Ein nächster Durchbruch: 8. Mai 2021 Im Steebschacht gelingt
Mitgliedern des Höhlenvereins Blaubeuern ein entscheidender Durchbruch. In 160
m Tiefe wird ein großer Tunnel von 6 m Breite und 12 m Höhe erreicht. https://www.hoehlenverein-blaubeuren.de
Bilder von der Vetterhöhlengrabung:
Zwei Männer, mit einem Seil verbunden, die auf Kommando rückwärts bzw. vorwärts laufen - das ist auch echte Höhlenforschung |
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Blick in den ausgezimmerten 13 m-Schacht, darunter
ging es noch einmal so weit hinunter |
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Eingang Dezember 2011 nach dem großen Durchbruch in die Blauhöhle |
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Noch ein Eingang mit Deckel - gebohrt | ||
Im Seligengrund | ||
Juli 2011 |
Im Hinterland
Bühlenhausener Hüle
Hüle: Teiche, entweder aus Dolinen entstanden oder künstlich
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Hessenhöfe/Hessenhau | ||
In Blaubeuren
Das Kloster | ||
November 2018 | ||
14. Juni 2020
Wegen Corona |
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Zitate aus der Literatur:
"Ein anderes Mal wurde das Hutzelmännlein gesehen, der Pechschwitzer, der Tröster, und man vermutete, unsere Wanderung werden sich gegen den Blautopf richten. Die erste wunderhafte Erscheinung aber, die ich mich eigenen Augen sah, war..." Hesse, Morgenlandfahrt 19
Literatur:
Albrecht, Rolf | Höhlen, Felsen und Ruinen, Verlag E.+ S. Fleischmann, Esslingen 1980 |
Anon (o.J.) | Blautopf und Blautal, Wissenswertes von, um und über eine Karstquelle, Faltblatt, Hrsg: Bürgermeisteramt Blaubeuren |
Arbeitsgemeinschaft Blautopf | Faszination Blautopf - Vorstoß in unbekannte Höhlenwelten, Thorbecke Verlag, 2009 |
Arbeitsgemeinschaft Blautopf | Expediton Hessenhau, Berghülen 2014 |
Binder, Hans | Höhlenführer Schwäbische Alb, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart und Aalen 1977 |
Boldt, Markus, Müller, Thilo, Schwekendiek, Kai | Grabung in der Vetterhöhle bei Blaubeuren, Das muß tiefer! Das Jahresheft Grabenstetten 2002/2003, S. 45ff. |
Drescher, Daniela, Mörike, Eduard | Die Geschichte von der Schönen Lau, Urachhaus-Verlag, Stuttgart 2009 |
Frank, Helmut | Verzeichnis der Höhlen im Alb-Donau-Kreis, Beiträge zur Höhlen- und Karstkunde in Südwestdeutschland, Heft 18, 1979, S. 3ff. |
Hesse, Hermann | Morgenlandfahrt, Bibliothek Suhrkamp, Berlin und Frankfurt a.M. 1953 |
Hinderer, Eckhard, Kücha, Andreas | Grabung und erste Erfolge in der Seligengrundhöhle bei Blaubeuren-Seißen, Jahresheft 2008, Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Grabenstetten, S. 45ff |
Kücha, Andreas | Forschungsaktivitäten der HFGOK/Arge Blautopf in der Blauhöhle bis 2020, Mitt Verb. dt. Höhlen- und Karstforscher 66(4), München 2020, 87-92 |
Mörike, Eduard | Das Stuttgarter Hutzelmännle, unter anderem: Reclam Verlag, Nr. 4755, erstmals erschienen: 1853 |
Mörike, Eduard | Die Historie von der schönen Lau - Mit Illustrationen von Moritz von Schwind und einem Nachwort von Traude Dienel, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1974 |
Müller, Thilo | Höhlen bei Blaubeuren, Teil 2: Höhlen im Bereich der Blaubeurer Talschleife, Mitteilungsblatt der Höhlenforschungsgruppe Blaustein, 6. Jahrgang, Heft 1, Trossingen 1983, S. 3ff. |
Reimer, W. | Höhlenforscher, von Argumenten erdrückt - Disput um die Schwäbische Alb, SZ Nr. 62, 15./16. März 1986, S. 3 |
Schopper, Michael | Neuland im Blautopf, Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher, 52(4), München 2006, S. 132 |
Schopper, Michael, Boldt, Markus | Verbindung zwischen Blautopf und Vetterhöhle ist hergestellt, Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher, 52(4), München 2006, S. 133 |
Striebel, Thomas, Eckenfels, Jürgen | Forschungsaktivitäten der Arge Blautopf in der Blauhöhle 2011/2012, Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher 58(3), München 2012, S. 79-81 |
Striebel, Thomas | Höhlen im Gebiet der Stadt Blaubeuren, Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Grabenstetten, Das Jahresheft 1995, S. 150ff. |
Vogelsang, Dieter, Eckhard Villinger, Eva Borst | Karst- und Flußsysteme am Rande der Schwäbischen Alb: elektromagnetische
und hydrogeologische Erkundung des Donau-Aach-Karstsystems (Schwäbische
Alb), Der Schmiecher See bei Schelklingen, die Blautopfhöhle bei Blaubeuren als Beispiel für die Entwicklung des Karstsystems im schwäbischen Malm, Geologisches Jahrbuch Reihe C, Band C 49, 1987 |
Wieczorek, Udo, Mammel, Fritz | Beschreibung und Plandarstellung der Vetterhöhle, Jahresheft 2008, Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Grabenstetten, S. 7ff. |
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