Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Schluchten des Verdon und seine Umgebung, F


Der 166 km lange Verdon ist ein Nebenfluß der Durance im Südabschnitt der Alpen. Die Grenze der Départements Alpes-de-Haute-Provence und Var wird auf weite Abschnitte von ihm gebildet. Berühmt ist vor allem sein Mittelteil, der 21 km lange Abschnitt, die "Gorges du Verdon" oder auch "Grand Canyon du Verdon" genannt. Manche nennen diese Zone die größte Schlucht Europas und rücken sie nach dem Gran Canyon in den USA an die zweite Stelle der Weltschluchtenliste.

Daß dieses Naturwunder heute noch erhalten ist, das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Es gab tatsächlich Pläne der EDF (heute nennt sie sich ERDF), auch den Hauptteil der Schlucht unter Wasser zu setzen durch den Bau eines gewaltigen Staudamms, um Elektrizität zu gewinnen. 5 Stauseen gibt es im Laufe des Flußlaufs trotzdem, der letzte wurde 1974 vollendet und führte zum Sainte-Croix-See. Eine ganze Ortschaft wurde zerstört und an anderer Stelle wieder aufgebaut, les Salles-sur-Verdon, die großen Karstquellen verschwanden von der Oberfläche. Das ganze Wasserregime ist verändert, richtet sich nun nach den Marktbedürfnissen und Gewinnerwartungen von Unternehmungen, statt, wie früher, nach Wetter und Jahreszeit. Weitere Speicherseen waren schon geplant, so sollte in der Umgebung von Le Palud eine große Hochebene auch unter Wasser gesetzt werden, damit zusätzlicher Wasserstauraum für ein lukratives Pumpspeicherwerk entstünde. Mit der erwachten Umweltbewegung und den entsprechenden Protesten, in die auch der Aga Khan einbezogen war, zog die EDF ihre Pläne wieder zurück.

Nun scheint ein wenig Ruhe an der "Fortschrittsfront" eingekehrt zu sein, ein "Regionaler Naturpark Verdon" bringt wohl die unterschiedlichsten Interessen zu einem gewissen Ausgleich. Nicht zuletzt ist der Tourismus heute die wichtigste Erwerbsquelle und der braucht "Attraktionen". Und die sind hier wirklich vorhanden.

Durch die Aufstauung am Ende der Hauptschlucht ist ein fjordartiger See entstanden, in den die Tretboote und andere Wasserfahrzeuge leicht eindringen können. Die Schlucht ist nur von sehr guten Kanufahrern befahrbar, wenn der Wasserstand es überhaupt erlaubt. Manche schwimmen hindurch, meistens nur auf Teilabschnitten, weil es ein paar kritische Schlüsselstellen gibt, die kaum bezwingbar sind. Den Wanderern sind heute einige Partien schon sehr gut zugänglich, da massive Wegbauten vorgenommen wurden. Berühmt sind die Tunnels unterhalb des Point Sublime auf dem Blanc-Martel-Weg. Früher hieß der nur "Sentier Martel" nach Eduard Martel, dem "Vater der französischen Speläologie, der allgemein als erster Durchquerer des Hauptteils der Schlucht eine zeitlang angegeben wurde. Mit der Aufnahme von "Blanc" wird der Tatsache Rechnung getragen, daß Martel keineswegs der erste Mensch war, der sich zwischen den Hunderte von Metern in den Himmel ragenden Felswänden umgesehen hat. Blanc war Dorfschullehrer in Rougon und kannte seinen Lebensraum. Er zeigte Martel vieles und begleitete ihn.

 

Heute durchquert man die schwierigen Abschnitte am Anfang der Schlucht in langen Tunnels ohne Licht. Deshalb wird allen Touristen geraten, Lampen mitzunehmen. Wirklich notwendig ist es nicht. Man kann, so wie ich vor 40 Jahren, einfach in die Dunkelheit hineinlaufen, die Hand an der Wand mitlaufend, immer weiter. Irgendwann tut sich wieder ein Lichtlein vor einem auf, durch ein Seitenfenster in der Felswand kommt wieder Tageslicht herein. Aber es geht weiter und weiter, wieder in die Dunkelheit und am Ende wieder ans Licht. Empfehlenswert ist solches Verhalten trotzdem nicht unbedingt, da am Boden des Tunnels einige Steinblöcke liegen und große Wasserpfützen. Von denen nimmt man dann nur sehr diffus und nassmachend etwas wahr. Noch ein Tunnel kommt, dann noch ein dritter. Früher. Heute ist der gesperrt. Man hat einen neuen Weg durch das Gelände gelegt, läßt die Touristen einen kleinen Quergang am Seil machen, warnt sie, daß nun der einfache Teil des Weges vorbei ist. Nur erfahrene Wanderer sollten danach weitermachen. Solche Warnungen sind offenbar sinnlos. Viele Kinder haben wir unterwegs getroffen. Die Eltern scheinen ein gesundes Gottvertrauen zu haben, daß ihre Sprößlinge nicht unterwegs daneben treten und 100 m die Felswand neben sich in die Tiefe fallen werden.

Unterwegs stößt man auf einige kleine Höhlen, die meisten vom Balmentyp, also bessere Felsdächer: die grotte aux chiens, die grotte aux hirondelles und die grotte aux boeuf. Die ist am eindrucksvollsten, aber hat auch bald ein Ende. Meistens wird die Tour mit einem Aufstieg nach La Maline beendet, 350 Höhenmeter geht es dazu auf sehr gut ausgebautem Weg wieder nach oben bis zur Straße. Dort hat man dann das Problem, wie man wieder zurückkommt. Vielleicht nimmt einen ja ein mitleidvoller Autofahrer wieder zurück mit nach La Palud und weiter.

Eine zweite sehr beliebte Tour führt von La Maline hinab in die Schlucht und dann einige Kilometer flußabwärts bis zu einer Stelle, ab der nur noch erfahrene Canyonisten und Kanten weiterkommen, weil der Fluß sich hier zwischen zwei Felsen hindurchgearbeitet hat, wo jeder trockene Weg ansonsten endet. Hier drehen dann 99,99 % um. Der Weg ist ausgetreten, viel benutzt, ausgebaut und nicht ohne. Er führt mal über den Fluß auf einer Spannbrücke, mal hoch hinauf und dann wieder hinunter, Drahtseile geben ein wenig Gefühl von Sicherheit, in senkrechte Felsen wurden händisch Passagen hineingeschlagen und gesprengt.

 

Unterhalb des Sees von St. Croix gibt es noch kleinere Schluchten, die "Basses Gorges du Verdon". Die sind viel weniger bekannt und werden entsprechend weniger besucht. Sie sind eher für Höhlenforscher und Archäologen interessant, weil sich dort einige Höhlen in den Felsen befinden.

Unbedingt besucheswert ist einer der schönsten Orte Frankreichs, Moustiers-Sainte-Marie. Er muß heute nicht mehr entdeckt werden. Der Tourismus hat ihn voll im Griff, aber trotzdem hat es noch immer seinen Charme, dort einmal herumzuwandern, auf dem Hauptplatz ein gekühltes Bier zu genießen, hinaufzusteigen zu der Kapelle oberhalb des Ortes, hineinzuschauen in die bewegte Wasserfläche des alten Waschhauses.

 
   
   
   
   

Kommt man zur richtigen Jahreszeit in die Gegend, dann lohnt es sich auf jeden Fall, das Plateau von Valensole zu durchqueren. Dann liegt über der Fläche der Geruch des blühenden Lavendels und dem Auge bietet sich die blaue Fläche der weiten Felder.


Das Verdongebiet ist nicht gerade gesegnet mit Höhlen, aber ein paar gibt es doch. Vier davon seien hier kurz vorgestellt:

1) Grotte de Châteauneuf mit der Chapelle N.-Dame

Sie liegt in der Nähe des Col de la Cx-de-Châteauneuf, der gut über eine schmale geteerte Straße von La Palud aus erreichbar ist. Man läßt die Ruinen rechts liegen und folgt dem schon aus der Römerzeit stammenden Sträßlein. Nach gut 1 km ist das große Portal in der Felswand nicht zu übersehen. Ein gelbes Schild weist außerdem darauf hin. Über eine kurze Steiganlage geht es hinein in den großen Höhlenmund mit der schmucklosen, aber frisch weiß angemalten Kirche. Fortsetzungen sind keine auszumachen, den Boden bedeckt lauter Tierscheiße, die auch danach riecht. Das ist aber nicht alles. Es gibt ein höheres Stockwerk, das wohl einst auch als Fluchtraum/Burg benutzt wurde. Um da hinaufzukommen, dazu braucht man wohl lange Leitern, die man an die Felsen lehnen kann, um da hinauf zu kommen.

Die Höhle ist sicher schon seit Urzeiten bekannt. Die älteste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1274.

 

2) grotte de Saint-Maurin

Zahllose Touristen fahren täglich an der Stelle vorbei, wo sich diese Höhlen befinden. Man muß dazu nur der Hauptstraße von Moustiers nach La Palud auf der Nordseite des Verdonschlucht fahren. Auf einmal sieht man links vom Fahrweg an mehreren Stellen Wasser von oben herunterkommen. Eine Tuffmauer hat sich auf natürliche Weise hier gebildet, in die eine künstliche Kammer, abgesperrt natürlich, geschlagen worden ist. Ein Haus steht direkt rechts an der Straße. Es gibt kaum Parkplätze. Markiert ist auch nichts.
Wer sich dann doch aufmacht, das Gelände oberhalb der Straße zu erkunden, wird reichlich belohnt. Ein markierter und mit erläuternden Tafeln versehener Wanderweg führt einen. Das frische klare Wasser birst aus dem Berg und ist die Grundlage für eine außergewöhnlich üppige Vegetation. Trittsteine und Baumscheiben liegen im Bachbett, um eine einigermaßen trockene Passage möglich zu machen. An den Felswänden zeigen sich auf einmal überall Höhlenöffnungen. Der typische Formenschatz von Tuffhöhlen ist überall zu sehen. Dann der Höhepunkt: die große Steinmauer vor der Haupthöhle. Dahinter ist wieder einmal nichts zu sehen.
Der Überlieferung nach ist hier ein Ort, der schon im Jahre 470 n. Chr. von christlichen Einsiedlern aufgesucht worden ist. In einem Gedicht mit dem Namen "Carmen Eucharisticum" in lateinischer Sprache, geschrieben von einem Sidoine Appolinaire bei seinem Freund Fauste, kann man die Örtlichkeit beschrieben finden. Da steht Folgendes: "Seu Caeno viridante palus", was man mit "ein Ort voller Schlamm und üppigem Pflanzenwuchs" übersetzen könnte - was genau zu dieser Stelle paßt. Woher der "hl. Maurin" kommt? Keiner weiß es, vermutlich ist er eine reine Erfindung.

 

3) grotte de l'Eglise

Auf der linken Seite des Verdon würde sie sich öffnen mit 9 Eingängen, einige hundert Meter unterhalb des Staudamms von Ste-Croix. Die Länge wird mit 1.650 m angegeben. Ein Teil der Höhle ist im Museum von Quinson nachgebildet.

Mit solchen und noch mehr Informationen ausgestattet machten wir uns im Juli 2013 auf, sie zu finden. Ob wir sie tatsächlich gefunden haben, das bleibt unsicher. Zwei Tage haben wir drangegeben, sind drei verschiedene Wege gelaufen und standen am Ende tatsächlich vor einigen Eingängen. Die verzweigten sich sofort nach mehreren Richtungen, wurden richtig niedrig, verschwanden auch in der Höhe, wir hätten uns richtig intensiv damit auseinandersetzen müssen. Wenn ich "Eglise" höre, dann denke ich an einen großen Raum, aber davon war da, wo wir gewesen sind, nichts zu sehen und erleben gewesen. Eine etwas gewagte Querung auf einem Baumstamm zu einer größeren Höhlenöffnung wäre vielleicht möglich gewesen, aber die erschien uns zu riskant. Der Vergleich unseres Hirninhalts mit dem veröffentlichten Plan brachte auch keine Klärung. Da müßte man wohl noch einmal hingehen.

 

4) Höhle im Burgberg von Rougnon

Rougon ist ein "malerischer Flecken" oberhalb der Hauptroute durch die Verdonschlucht. Man muß in der Nähe des mit Recht berühmten Point Sublime nach links abbiegen und kommt in schnell in diesen traditionssgefüllten kleinen Ort. Die ausgedehnten Parkplätze vor ihm zeigen, daß es sich da um keinen Geheimtip handelt. Sehr beliebt ist die Besteigung des Burgfelsens, von dem aus ein Prachtblick über die gesamte Umgebung möglich ist. Rechts vom Weg öffnet sich eine kleine Höhle, die Spuren menschlicher Überarbeitung zeigt. Wer auch immer dort gelebt hat, er hatte eine gute Behausung. Sie entspricht natürlich in keinster Weise auch nur unseren HARTZ-IV-Mindestvoraussetzungen: Klo, Licht, Heizung, eine Tür, die man zumachen kann. Aber man hatte ein unverrückbares Dach über dem Kopf, eine Kalkfelsdach, gute Luft von draußen, ein den Tages- und Jahreszeiten entsprechendes Lichtangebot und eine gewisse Nähe zu Nachbarn, man war nicht in der absoluten Einöde wie der heilige Antonius.

 

 

 

 

 

Literatur:

Courbon, P., Sanary, S. C. Atlas Souterrain de la Provence et des Alpes de Lumiere, 2ème Edition Toulon 1980
Librairie Larousse Beautés de la France - Gorges & gouffres, Paris 1977
Audra, Philippe Grottes & karsts de France, KARSTOLOGIA n° 19, 2010
Bigot, Jean-Yves Quelques énigmes des Alpes du Sud, Spelunca 97, S. 16-20
Bigot, Jean-Yves Les grottes bas-alpines de l'est de la Durance: approche historique, extrait de Méailles et la région d'Annot

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