Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Die Fojba in Pazin, Istrien
Im Jahre 2000 war ich mit Freunden einmal in Istrien. Den grauslichsten Moment der Reise erlebten wir in Pazin. Es gibt dort eine spektakuläre Karsterscheinung, den gewaltigen Einbruch mit dem Namen Fojba, in dem das gleichnamige Flüßchen verschwindet. 130 m ist er angeblich (es kommt ganz darauf, wo man mißt - man könnte auch 50 m sagen) tief und hat einen eben solchen Durchmesser. Daran schließt sich dann die Pazinska Jama an.
Damals habe ich den folgenden Text verfaßt:
"....eine altbekannte Höhle, in der sich aber auch heute noch Dramatisches abspielt. Zeitgemäß war das im August 1999 ein spektakulärer Ölunfall, wo aus einer geborstenen Pipeline große Mengen Öl in den istrischen Untergrund hineingespült wurden.
Wo würdest Du Deinen größten
Feind hinschicken? Wo würde man ihn gerne die größten Qualen
leiden sehen, die man ihm nur wünschen kann, weil er sich
vielleicht vollkommen daneben benommen hat? Weil er vielleicht so
gemein war, daß keine irdische Gerechtigkeit als Ausgleich
dafür mehr möglich scheint.
Die christliche Antwort darauf war das Bild der
"Hölle", wo all die "Schlimmen" und
"Bösen" zum "Leiden" hinkommen. Wo ist der
Eingang zu diesem "Inferno"? Von Dante wird gesagt,
daß er als Vorbild für seine Schilderung der Hölle, den
Schlund hatte. Ich kann ihm da nach einem einzigen Besuch dieser
Örtlichkeit nur voll und ganz rechtgeben. Genau dorthin würde
ich meine größten Feinde schicken. Einfach die Hölle.
Vom Schloß in Pazin folgt man der
schmalen Straße abwärts bis zu der wenig benutzten Brücke, die
die Schlucht überspannt. Ein betonierter Steig mit Geländer
macht den Abstieg einfach. Man folgt der ausgetretenen Pfadspur
weiter und steigt immer tiefer Richtung Bach ab. Wasser fließt
da allerdings kaum mehr, eher schon eine richtige
dunkelblau-schwarze Dreckbrühe, die penetrant stinkt.
Geruchssinn und Höhle. Hier sind die beiden Begriffe eindeutig
miteinander verbunden, aber auf ekelhafteste Weise. Am
Chemiegerinnsel muß man über ein paar Felsbrocken auf die
andere Seite - nur jeden Kontakt mit der Flüssigkeit vermeiden!
Ein zerschmetterter Rollstuhl liegt herum. Ein schmale Spur zeugt
davon, daß selbst hierher noch manchmal jemand kommt. Kleine
Tritte sind den Fels geschlagen, um den Weg über die Felsstufen
zu erleichtern. Die weite Eingangsöffnung nimmt einen auf. Auf
den Blöcken läßt sich nach unten turnen bis zu einem
vielleicht 5 m hohen Wasserfall, wo sich die Brühe in die Tiefe
ergießt. Hier müßte man sich schon abseilen, aber wer täte so
etwas schon freiwillig, dem seine Gesundheit noch etwas wert ist.
Hier ist der Blick auch tiefer in die Höhle hinein möglich. Ein
hoher Tunnel führt nun bergwärts, Platz hätte man da genug,
allein der Boden ist bedeckt von der flüssigen Chemikalie.
Vielleicht ließen sich darin Filme entwickeln? Man sieht, daß
rechts seitlich vielleicht eine Umgehung der Felsstufe durch
einen weiteren Eingang möglich ist. Ich versuche hochzuklettern
an den Bergen von Treibholz, die überfall den Boden bedecken und
hoch aufgetürmt herumliegen. Schön ist das nicht, schließlich
alles überzogen von einem dünnen grauen getrockneten Film aus
Dreck. An manchen Stellen sieht man auch noch schwarze
Überzüge, vielleicht ein Rest von dem Ölunfall. Einen Stamm
benutze ich als Steigbaum, versuche an ihm hochzukommen, aber es
mißlingt. Er bricht zusammen und ich breche durch den Boden aus
dünnen Ästen darunter, ziehe meinen Fuß wieder heraus aus dem
Loch, da sich da plötzlich aufgetan hat. So genau will ich gar
nicht wissen, wo ich mich da befinde. Schließlich gebe ich auf,
es wird einfach zu mühsam, sich durch das chaotische Gelände zu
schlagen. Eine kurze Verschnaufpause macht mich dann wieder
aufmerksam, wo es da nicht alles zu riechen gibt. Willi ist
längst zurückgeblieben, weil er als Arzt lieber vorsichtig ist.
Er erzählt mir dann, was da alles in der Luft sicherlich ist -
Faulgase, Methan, wer weiß, was sonst noch alles. Aber ein
Höhlenforscher ist ja jemand mit einem "Mangel an
Selbstschonung" (H. C. Blumenberg) und so probiert er es
halb so lange aus, wie es geht. Der eine dreht früher um, der
andere später.
Daß an dieser Örtlichkeit die Forschung nicht mehr fortgesetzt
wird, das braucht einen zur Zeit nicht zu wundern. Ein Taucher
könnte genauso gut in einer Wanne voller Altöl
herumschnorcheln, Sicht Null. Die Krönung ist, daß wir es da
mit einem "Naturschutzgebiet" zu tun haben!
Die Brühe, die in die Höhle fließt / noch kann man im Internet keine Gerüche weitergeben - ist vielleicht auch besser so. Spätestens, wenn man auf dem Rückweg ist und eine gewisse Entfernung vom Bach erreicht hat, erfährt man wieder, wie herrlich frische Luft sein kann. Man traut sich wieder tief einzuatmen, nicht nur die notwendige Menge Sauerstoff aufzunehmen, die gerade noch zum Überleben notwendig ist. Die Hölle ist dann wieder das, was da unten ist, stinkend, eklig, dunkel, draußen ist das Paradies, wo die Lilien in kleinen Hausgärten stehen, wo es aus den Küchen nach Mittagessen duftet, wo die Sonne mittags gnadenlos herunterbrennt und einen den Schatten suchen läßt. In solcher Umgebung könnte man dann den Hofmann-Führer herausholen und dann ein bißchen darin blättern, um ein weiteres Höhlenziel in Istrien auszukundschaften."
Die Höhle von Pazin oder auch "Foiba di Pisino 194VG" ist eine sehr bedeutende Wasserhöhle. In ihr verschwindet das Flüsschen Pazincica im Untergrund und kommt 30 km entfernt im Limski kanal wieder zum Vorschein. Sie war den Menschen der Umgebung sicherlich immer schon bekannt. Ernsthafte Höhlenforschungen wurden schon in den Jahren 1893 bis 1896 durch den berühmten französischen Speläologen Martel und W. Putick unternommen. Jules Verne hatte schon vorher von ihr Kenntnis, sonst hätte er sie nicht schon in seinen Roman "Matthias Sanddorf", 1885 erschienen, die Höhle erwähnen können. Der Titelheld Graf Sandorf und sein Begleiter Professor Bathory können in der Nacht vor ihrer Hinrichtung fliehen, wozu sie einen Blitzableiter benutzen, der neben ihrem Zellenfenster hängt. Sie stürzen in einen Abgrund, die unmittelbar hinter dem Gefängnis liegt, fallen in einen unterirdischen Fluss und kommen am Meer in der Nähe von Rovigno an der Adriaküste wieder ans Tageslicht.
Es heißt, daß sich auch schon Dante von diesem Naturschauspiel inspirieren ließ.
Inzwischen haben sich die untragbaren Verhältnisse, die ich noch bei meinem Besuch 2000 noch angetroffen habe, sehr gebessert zu haben. Heute werden in den Sommermonaten geführte Touren nach Anmeldung angeboten. 190 KN sollen dafür verlangt werden. Sportschuhe seien nötig, Helm und Lampe würden gestellt. Von den Besuchern wird Trittsicherheit verlangt, auch für ältere Kinder sei die Tour schon gut machbar.
Heute reichen ja oft schon die naütrlichen Herausforderungen nicht mehr. Der moderne Mensch will immer noch mehr. Dem kommt man auch hier entgegen und hat eine Zip-Line über den Abgrund gebaut, die von abenteuerlustigen Leuten benutzt werden kann.
Literatur:
Bertarelli, L.V., Boegan, E | Duemila Grotte, TCI, Milano 1926 |
Hofmann, Peter | Karst & Kultur - Wege durch Istrien, München 2000 |
Marr-Bieger, Lore | Istrien, Michael-Müller-Verlag, Erlangen 2020 |
Verne, Jules | Mathias Sanddorf, Bergisch-Gladbach 1979 |
Europa Erlesen: Literaturschauplatz Pazin, Wieser, Klagenfurt 2001 |
Links:
https://www.pazin.hr/kultura/zastita-kulturnih-dobara/opcenito-o-kulturnim-dobrima/pazinska-jama/
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