Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
Der Kaiser im Berg
Der Kaiser Karl als Fliesenmotiv am Untersberg
Ein Thema auf dem HÖREPSY-Treffen 2018 in Engen.
"Wir sprechen zu euch aus der Tiefe der Zeit.
Wir raunen. Wir warnen. Wir mahnen.
Wir rufen zum Kampfe. Wir rufen zum Streit.
Hör, Volk, auf die Stimme der Ahnen.
Wo einstens eine Linde stand,
wo eine Burg einst dräute
zur Wache überm Vaterland,
blüht neue Hoffnung heute.
Wenn sich die Sonne wendet
das Firmament erklimmt,
weiß man: Das Dunkel endet
und neues Licht erglimmt." (Lewinsky, Kastelau, S.
179)
"Es ist immer das Gleiche. Wir sehnen uns nach einfachen Wahrheiten, nach jemandem, der das alles ordnet, eineem, der endlich mal "durchregiert"." Ferdinand von Schirach in einem Interview, abgedruckt in : Kluge, Schirach, Vernunft 39
Bertolt Brecht hat "Das Lied von der Moldau" geschrieben. In ihm heißt es:
"Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Der Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt..."
Da ist zwar ausdrücklich von der Moldau die Rede, und das Gedicht bezieht sich
auf die Zeit der Besetzung von Prag durch die deutschen Besatzer, aber im
Hintergrund steht der doch der oft wiederholte Glaube, daß sich die einstigen
"Großen" doch noch irgendwo aufhalten und wiederkommen werden, dann, wenn ihre
Zeit wieder gekommen ist. Elisabeth Borches nimmt in einem Kommentar darauf
Bezug: "Beides, das Fließen und Bleiben des Wassers und der Steine, die die
Strömung fortbewegt, ist ohne Ende und Ziel und ohne Bedeutung für die
abertausendjährige Geschichte des Flusses. Ein kleiner beunruhigender Schauer
kommt hinzu, denn die Steine sind nicht zu sehen, man muß es schon glauben, daß
es sie gibt. Sie wandern dort, wo die Dunkelheit am tiefsten ist. Und tief im
Dunkeln sind sie ein Rest; wie die Kaiser, die tief im Dunkeln begraben liegen,
seit Jahrhunderten nur noch ein Rest sind von etwas, das einmal groß und mächtig
war und dann verging." Man muß nur das Flußwort gegen "Berg" austauschen -
dann steht man mitten in der Welt der Höhlen. Dann sind wir ja genau dort, "wie
die Dunkelheit am tiefsten ist
Es gibt eine erstaunlich große Anzahl von Orten auf dieser Erde, wo im Grunde immer die gleiche Geschichte, nur in anderem Gewand, erzählt wird.
Beispiele:
Der Kaiser im Untersberg / Im Haus der Natur in Salzburg gezeigte alte Darstellung / Untersberg
Die Petzen im Grenzgebiet von Kärnten/Österreich
und Slowenien
Der Name soll sich von einem althochdeutschen Frauennamen ableiten. In ihm
findet sich auch das slowenische Wrot pec für 'Höhle', 'Ofen' oder 'Fels'.
Auf dem Petzenstock soll, Sagen zufolge, soll einst die Anführerin eines
Totenheeres umgegangen sein. Im Innern des Berges warte Matthias Corvinus,
ein früherer ungarischer König von 1458-1490, mit seinen Getreuen auf die
Weltschlacht. Er war der Gegner von Friedrich III, mit dem er 10 Jahre lang
einen Konflikt hatte, der auch zur Besetzung Kärntens durch die Ungarn
führte.
> siehe auch: Gambari, Stefano, Freud e lo speleologo 11
Franz Kraus führt in seiner "Höhlenkunde"
mehrere Örtlichkeiten auf, wo sich frühere "Helden" aufhalten
würden:
"König Wenzel von Böhmen hält sich im Berge Blanik (Taborer Kreis)
auf. König Marko soll nach bulgarischer Version in einem Berge in der Nähe
des eisernes Thores wohlen, nach anderen serbischen Sagen jedoch im Berge
Mevina, samt seinem Pferde Scharatz) Kraus 226
Auch in Island kennt man eine ähnliche Geschichte:
"Die Eyrbyggja saga erzählt, wie ein Schafhirte den Berg auf einer Seite
offen sah. Im Innern erkannte er eine Tafel, an der sein Herr, der Sohn des
Landnehmers Thorolf Mostrarskeggk, auf einem Ehrenplatz mit anderen fröhlich
tafelte. Als er zu Hause von seinem Gesicht berichtete, war allen klar, was
es bedeutete, und wirklich kam noch selbigen Tags die Nachricht vom Tod des
Bauern. Auch heute, tausend Jahre später, ist der Geheimnisglanz des
heiligen Berges noch nicht ganz verblichen. Wer den Berg besteigt, ohne sich
dabei umzusehen, dem erfüllt sich ein geheimer Wunsch." Böldl 137
Halldor Laxness hat in seiner Geschichte "Mein heiliger
Stein" ebenfalls das Grundthema aufgenommen: Aus seinem "Stein auf dem
Hügel" wurde für ihn auf einmal "ein kleines Schloß aus funkelnden,
flimmernden Strahlen und sanften Farben...Hohe, schlanke Türme reckten sich
dem blauen Himmel entgegen. Die Spitzbogenfenster hatten hellblau
überhauchte Scheiben, und die Türen waren rot wie Wolken in der
Morgendämmerung."
Und da passiert es: " Sie öffneten sich" und heraus trat: "ein Mann im
glänzenden Gewand". Wer ist es? Kein anderer als Jesus Christus!
Dawkins berichtet von "Maurenkindern, die noch heutigen Tages glauben würden, daß in den Hügeln von Granada der große Boabdil und sein schlummerndes Heer schlafen und erwachen würde, wenn ein kühner Sterblicher zu ihnen vordringen würde. Er würde dann wieder hervorkommen und den Ruhm der maurischen Könige wiederherstellen".
Tratman berichtet vom "'dark spirit' of a king"..who ruled over the surrounding country, resides in a cavern in one of the hills which border the lake, and once every seven years at midnight he issues forth mounted on his white charger, and urges him at full speed over hill and crag, until he has completed the circuit of the lake; and thus he is to continue, till the silver hoofs of his steed are worn out, when the curse will be removed, and the city reappear in all its splendour." Loch Inchiuin / Clare /Irland, Tratman, NW-Clare 27
Das Thema hat seine Weiterungen, denn es war eine zeitlang höchst aktuell, um bestimmten politischen Strömungen gewissermaßen Rückendeckung zu geben, besonders im 19. Jahrhundert. Durch die geistigen Erschütterungen, hervorgerufen durch die Französische Revolution und die Gründung der Vereinigten Staaten, war alle Herrschaftslegitimation in Europa durch Berufung auf den Feudalismus, auf Adel, Königs- und Kaisertum ins Wanken geraten. Der Wille des Volkes sollte nun maßgebend sein, nicht mehr die Berufung auf irgendwelche nebulösen Ideen von früher.
Es ging hin und her im 19. Jahrhundert, mal eine kleine Revolution, ein Aufstand, ein Parlament, dann der roll back, die Restauration, Neuerrichtung von Königreichen, später etwa gar wieder ein deutscher Kaiser! Und das alles auf dem Hintergrund größter wirtschaftlicher und technologischer Veränderungen, die so manchen von der "guten alten Zeit" träumen ließ, in der Kunst etwa vom Biedermeier aufgenommen.
In diesem 19. Jahrhundert wurden auf einmal wieder Burgen erbaut, Schloß Lichtenstein auf der Schwäbischen Alb und Neuschwanstein bei Füssen, aber auch große Gebäude, die mehr oder weniger "nutzlos", wenn auch nicht absichtslos geschaffen wurden, um dem "Zeitgeist" Ausdruck zu verleihen, die auch etwas mit "Höhle" zu tun haben:
1) die Walhalla bei
Regensburg. Mit ihr wollte Ludwig I (König Bayerns von 1825-1848) dem
"deutschen Geist" ein Denkmal zu setzen. Eine herrliche Stelle wurde
gewählt - unterhalb von Regensburg auf dem Talhang mit unverbaubarem Blick
über die Donau nach Süden in Richtung Alpen. Der Stil des Denkmal ist
allerdings seltsam: ein griechischer Tempel, als Ausdruck "deutschen
Geistes" mit Bezug, siehe Name, auf das "Kriegerparadies der
germanischen Mythologie"? Die Klassik läßt außen grüßen. Innen sind
die Wände mit Marmor vom Untersberg ausgekleidet - und hier tritt der
Höhlenbezug zum Vorschein. Denn in diesem Berg sollte der Sage nach der Kaiser
Karl noch leben, der dort auf seine Stunde wartet, um Deutschland endgültig zu
retten. Von Ludwig stammt die Idee, der Untersberg sei das
"Marmorgrab der römisch-deutschen Kaiseridee", und er selbst
verfaßte ein langes Gedicht über den "Untersberg", in dem es u.a.
heißt:
Kaiser KArl der Große muß verweilen,
In des zaubervollen Berges Schloß,
Wie vorbei Jahrhunderte auch eilen,
Bleibt Erstarrung doch sein altes Los,
Bis einst um die große Tafelrunde
Dreimal sich gewunden hat sein Bart
Dann erst schlägt ihm die Erlösungsstunde
Wie dem Heere, das um ihn gescharrt.
Und es öffnen sich die Marmorwände,
Mit dem Heere auf das Walserfeld
Zieht der Kaiser, und dann ist das Ende
Auch zugleich gekommen dieser Welt."
War nicht gerade so eine Schicksalsstunde? Und war nicht Ludwig I die Wiederverkörperung Karls? Es ging auch darum, unter den Königen Deutschlands einen neuen Kaiser zu wählen - verschaffte es da nicht einen wichtigen Bonus, wenn man eine Ruhmeshalle der deutschen Geistesgrößen errichtet? Da sind sie nur alle versammelt, die bekannten und unbekannten vergangenen Größen in Form von weißen Marmorbüsten aufgereiht - und am Ende der Halle, auf einem Thron sitzend, Ludwig I. Ganz schön eingebildet. http://www.schloesser.bayern.de/deutsch/schloss/objekte/walhalla.htm. Ludwig wurde es nicht, sondern der Preusse Wilhelm.
> Barbarossa | ||
Der König | ||
Untersbergmarmor | ||
und 2) das Kyffhäuserdenkmal im Vorland des Harzes, Kaiser Barbarossa gewidmet.
In Tschechien gibt es nahe Kunstat am Rande der Ortschaft Rudka am Rande des Mährischen Karstes eine künstliche Höhle, die Jeskyne Blanickych Rytiru. Stanislav A. Rolinek hat eine rund 60 m lange Sandsteinhöhle künstlich geschaffen, in der er lebensgroße Figuren von Jan Hus und Jan Zizka darstellte. Außerdem gibt es eine Darstellung des heiligen Wenzel und seiner versteinerten, schlafenden Ritter. Dieser Wenzel übernahm 922 die Herrschaft über Böhmen. Dort wollte er die Leute christianisieren, wogegen sie sich aber wehrten und ihn an einem noch heute datierbaren Tag umbrachten, den 28. September 928. Hinterher galt er als Märtyrer und soll noch heute verehrt werden. Kommt auch er vielleicht eines Tags wieder?
Kaiser Karls Reich - Nachbau im Untersbergrmuseum Grödig-Fürstenbrunn, 2012
Literatur:
Böldl, Klaus | Die fernen Inseln, S. Fischer, Frankfurt a.M. 2003 |
Dawkins, Boyd | Die Höhlen und die Ureinwohner Europas (deutsche Übersetzung von Cave Hunting), |
Fielhauer, Helmut | Sagengebundene Höhlennamen in Österreich, Wien 1969 |
Fielhauer, Helmut | Sagen vom Untersberg und seinen Höhlen, in: Salzburger Höhlenbuch Band 1, Salzburg 1975 |
Francia, Luisa | Ich machte mich auf die Findung, denn Sucherin bin ich keine, Der Grüne Zweig 130, Löhrbach ohne Jahresangabe |
Gambari, Stefano | Freud e lo speleologo - scena di un incontro,Circolo Speleologico Romano 2021 |
Kaul, Camilla G. | Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Bilder eines nationalen Mythos im 19. Jahrhundert, Atlas. Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd 4 I und 4/II, Wien: Böhlau 2006 |
Köpf, Matthias | Der Berg der Mythen, SZ 297, 24.-26.12.2019, R15 |
Kraus, Franz | Höhlenkunde, Wien 1894 |
Kusch, Heinrich und Ingrid | Kulthöhlen in Europa, Verlag Styria, Graz Wien Köln 2001 |
Laxness, Halldór | Mein heiliger Stein, Steidl, Göttingen 1995 |
Lewinsky, Charles | Castelau, München 2014 |
Lindenmayr, Franz | Kaiser im Berg, in: Tagungsband 2018 zum 26. HÖREPSY der Interessengemeinschaft "Höhle-Religion-Psyche", hrsg. von Franz Lindenmayr, 2018 |
Marcel Reich-Ranicki, Ausgewählt von | Hundert Gedichte des Jahrhunderts - Mit Interpretationen, Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2000 |
Nell, Franz Maria | Der Untersberg und Walhalla, Begrüßung der am 18. October 1842 eröffneten Walhalla, Wallishausser, Wien 1842 |
Rihl, Hermann | Die Kunde vom Kaiser Karl, Salzburger Volksblatt, 13.06.1918, 48 Jg. |
Schirach, Ferdinand von, Kluge, Alexander | Die Herzlichkeit der Vernunft, Luchterhand, München 2017 |
Schönau, F. | Hochlandromantik um den Königssee. Die Untersberglandschaft von Salzburg und Berchtesgaden in Kunst und Dichtung des 19. Jahrhunderts, Berchtesgaden-Schellenberg 1952 |
Weißmann, Karlheinz | Der Kaiser im Berg, Der Kaiser im Berg | Sezession im Netz |
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