Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Angst und Höhle


"Wer Schmerzen hat oder Angst, kann nicht warten."
Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon

"Wer Angst hat, hat die Kontrolle verloren und weiß nicht, was geschehen und wie er auf das unbekannte Ereignis reagieren wird." Bärfuß, Krieg und Liebe 120

"Allmählich schäme ich mich meiner Angst nicht mehr, und ich beginne, sie als eine angemssene Reaktion zu begreifen. In erinnere mich an das Sprichwort, dass, wer Angst hat, länger lebt." Orham Pamuk, Als die Pest die Welt teilte

"Ein guter Ratgeber war für mich schon immer: Wo die Angst ist, da geht's lang. Dazu gehört, dass man sich überwinden muss." Oliver Zipse, Vorstandsvorsitzender von BMW, SZ 261, 11.11.2020, S. 18

"The cave you fear to enter holds the treasure you seek." Joseph Campbell

"Ernstl, der vorausgegangen war, warnt mich. Als er aufstieg, rutschte plötzlich das Monster ein Stück entgegen. Beinahe hätte er sich in die Hosen geschissen..." Dumfarth, Explosion

"Wer sich fürchtet soll draußen bleiben." Repis, Höchst

"Sogar die klaustrophobische Panik, die mich überfiel, als ich mich irgendwo im Untergrund von Derbyshire duerch einen schmalen Felsgang zwängte, entspringt im Grunde dem Unglück darüber, dass man in seinen Möglichkeiten eingeschränkt ist." Foster, Der Geschmack von Laub 62

"Sorgen und Ängste sind wie ein Schaukelstuhl. sie halten dich in Bewegung, aber sie bringen dich nirgendwo hin." Lukas Bärfuss, Die Krone der Schöpfung


Ein Thema für unser Treffen von HÖREPSY 2001.

Ein Bild dazu..

Ein Text dazu, ein Auszug aus "Angst und Höhle"

..... Welche Arten von Höhlenängsten gibt es?

Tierbegegnungen – ein ganz besonderes, wirklich beängstigendes Kapitel. Hier kommt wieder die unberechenbare, unvorhersehbare Seite der Höhle zum Vorschein. Und wenn so eine Situation wirklich eintritt, dann wird sofort spürbar, wie grau wieder einmal alle Theorie ist.
Mitte der 60er Jahre fuhr ich einmal mit 2 Kameraden auf dem kleinen Gummiboot in den großen Tunnel der Bue Marino-Höhle auf Sardinien. Stundenlang waren wir durch die Macchia gewandert, waren nun kilometerweit von jeglicher menschlichen Ansiedlung entfernt, nun in der Schwärze der sardischen Unterwelt und wähnten uns völlig alleine. Da hörten wir plötzlich undefinierbare Laute vor uns, kein "Muh", kein "Mäh", sondern irgend etwas Grunz-Belliges, nie vorher Gehörtes. Erst meinten wir, das hätten wir uns nur eingebildet, aber es kam wieder. Das Ungeheuer von Loch Ness? Hatten die Alten mit ihren Vorstellungen von Drachen doch nicht so ganz unrecht? Wie kann man das rational verstehen, wo die Erklärungsschachteln leer sind? Wir sahen, daß das Wasser sich leicht zu kräuseln begann. Irgend etwas Lebendiges war da vor uns, nur was? Da wurde mir schon bange ums Herz. Hatten wir uns da ein bißchen zu weit vorgewagt. Wir hatten keine Gewehre mit dabei, wie die drei Forscher auf der Reise zum Mittelpunkt der Erde, um uns irgendwie wehren zu können, nur unsere Karbidlampen und ein paar Paddel. Den Rucksack auch noch. Die Töne wurden lauter, verstummten, das Wasser wurde unruhig. Auf einmal sahen wir einen großen schwarzen Fleck unter Wasser auf uns zukommen. Was würde jetzt passieren? Kein Laut war mehr zu hören. Das schwarze Etwas tauchte einfach unter uns hindurch, hob ein bißchen unsere Füße auf dem Gummiboden und verschwand meerwärts. Alles wieder im grünen Bereich? Würden wir noch mehr dieser unbekannten Organismen begegnen?

Auf Schlangen in und um die Höhlen zu stoßen, das hat für mich immer etwas besonders Aufregendes, ja Angstmachendes an sich. Eine Schlange gar berühren?
Das unangenehmste Erlebnis hatte ich in der Goul de Foussoubie an der Ardèche. Wir, das waren Reinhard Wagner und ich, hatten uns gerade durch den Eingangssee bewegt, hatten den ersten kurzen Schacht hinter uns, dann landete ich auf einem schmalen Felssims im Wasser. Von hier aus muß man am rechten Seerand entlang, um auf ein Felsband zu kommen, von wo aus der nächste Schacht in die Tiefe geht. Ich stand also gerade auf dem kleinen Felsstück im See, versuchte den Abseiler gerade wieder aufzumachen um weiterzukommen, da sah ich etwas. Da ringelte sich vor mir in etwa 5 m Entfernung, genau auf dem Felsstück, das ich zu gewinnen trachtete, eine lange, höchst lebendige Schlange. Wie war die bloß hereingekommen? Vielleicht von den Hochwässern hereingeschwemmt? Jedenfalls war sie da und ich, und wie sollten wir nun miteinander auskommen? Sie kam jedenfalls langsam auf mich zu, und ich wollte dahin, wo sie war. Schwierig. Ich wurde innerlich sehr unruhig. Schnell wieder hinauf zum Ausgang? Da wäre die Schlange schneller gewesen als ich. War sie überhaupt gefährlich? Woher sollte ich das wissen? Es auszuprobieren erschien mir zu gefährlich. Also versuchte ich es mit einer Vorwärtsstrategie. Ich schlug mit dem Stiefel heftig ins Wasser, spritzte umeinander, hängte mich schnell aus, rannte, dem schmalen Band unter Wasser folgend, ans Ufer, die Schlange war inzwischen ins Wasser getaucht. Ich hatte erst einmal überlebt. Als sie wieder auftauchte, war ich drinnen und sie, relativ zu mir, draußen, an der Stelle, wo das Seil aus dem Eingangsschacht herunterhing. Reinhard und ich stiegen weiter in die Tiefe der im Eingangsbereich Schachthöhlencharakter habenden Riesenhöhle. Da waren wir vor der Schlange wohl sicher. Den Gedanken an den Ausstieg verdrängte ich erst einmal. Mal sehen. Als wir wieder an den Ort nach Stunden zurückkehrten, war Ruhe. Ich weiß nicht, wo das Tier nun steckte, ob sie den Weg nach draußen geschafft hatte oder in irgend einer Ecke noch herumschlängelte. Wir haben sie nicht mehr gesehen, worüber ich sehr froh war. Ehrlich.
Das war nicht die einzige Schlange, der ich in Höhlen begegnet bin, aber in Vergleich zum Foussoubie-Abenteuer waren alle anderen Erlebnisse nur recht harmlose Geschichten.

 

Die Eingangsregion zur Foussoubie - bei Hochwasser

In Griechenland habe ich einmal eine Höhlentour sein lassen, weil aus einem Felsloch seltsame Geräusche drangen, wohl Tiergeräusche. Es war an einem Ponor auf dem Peleponnes, der von den Wasserwirtschaftlern etwas umgestaltet worden war, um das Ablaufen des Wassers aus den bei Hochwasser überfluteten Flächen besser zu gewährleisten. In dem Bauwerk waren die Naturlöcher ausgespart, wo es in die Tiefe ging. Ich war mit Michael, meinem damals noch kleinen Sohn, unterwegs. Da gab es ein relativ großes Loch im Berg, das bereits wenige Meter nach dem Eingang große Tropfsteinformationen zeigte. Man hätte ein bißchen abklettern müssen, nicht schwierig eigentlich. Als ich mich allerdings der Öffnung näherte, da kamen auf einmal unheimliche Laute von unten. Irgendwie grunzig. Ich blieb lieber oben. Wer weiß, was da unten auf mich und meinen kleinen Sprößling gewartet hätte. Ein Herkules hätte da vielleicht aufgeräumt. Ich ging lieber wieder eine Höhle weiter.


Eine Anekdote aus: 75 Jahre Landesverein für Höhlenkunde in Salzburg von Albert Morokutti, DIE HÖHLE 2-1986, S. 27ff.:
Frau Fahrner-Breuer, Teilnehmerin an den ersten Expeditionen in die Eisriesenwelt bei Werfen in Österreich, erzählte einmal: "Beim Anstieg zum Höhleneingang, vom Neunerturm durch den Achselgraben, wurde mir, mit dem elend schweren Rucksack am Buckel, schon ein wenig mulmig, am meisten jedoch unserem vom Eisenwerk gemietetem Träger. Er mußte Seile und Leitern tragen. Je mehr er sich fürchtete, um so höher stiegen seine Trägerforderungen. Als er das Maß endgültig überschritten hatte, sagte ich so laut, daß er es auch hören konnte: Erwin, der fürchtet sich nur. Von da an war er still, denn von einem Weiberleut konnte er sich das nicht sagen lassen. Zitternd trug er die sicher nicht leichte Last, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zum Eingang hinauf."


Aus: Erika Kittel, Provatina-Expedition: "Als ich Wochen später in Wien den Präsidenten des ECE Univ.-Prof. Simonides wieder traf, gestand er: Er war voller Ängste gewesen. Ich auch. Wir wunderten uns alle, daß nichts, gar nichts passiert war....Nachts gegen 2 Uhr hörte ich Steine donnern. Mittags um 14 Uhr donnerten sie wieder. Wortlos blickten wir uns an. Als die Männer drin waren, donnerte es niemals."


"Am Abend schlafe ich schlecht. Wie ein schwerer Kloß liegt mir der Feierabendversturz im Magen. Ich habe Angst und ich weiß auch wovor. Die Gefangenschaft im Versturz der Kolowrathöhle ist nicht spurlos in meiner Psyche vorübergegangen. Ich höre wieder die zermalmende Steinlawine, rieche den Gestank von Schwefel, sehe den zerquetschten Körper eines Jungen zwischen den Felsmühlsteinen einer Höhle bei Ischl. Wie lange sich Bilder halten können." Klappacher, Lampo 82, ATLANTIS 1982


Schöne gute bildliche Darstellungen von Ängsten, die Höhlenforscher bewegen, gibt es in dem ungarischen Höhlenbuch Szerelmetes Barlangjaim von Laszlo Jakucs, erschienen 1993 in Budapest.


Literatur:

Bärfuss, Lukas Krieg und Liebe Essays, Wallstein-Verlag, Göttingen 2018
Bärfuss, Lukas Die Krone der Schöpfung, Essays, Wallstein-Verlag, Göttingen 2020
Dumfarth, E. Explosion, ATLANTIS 1/89, S. 56
Foster, Charles Der Geschmack von Laub und Erde, Malik, München/Berlin 2017
Hägler, Max "Ich bin präzise, nicht penibel!" SZ Nr. 261, 11.11.2020, S. 18
Jakucs, Laszlo Szerelmetes Baralngjaim, Budapest 1993
Jeutter, Peter W. Ist das nicht gefährlich? Eine unvollständige Story über Gefahren in Afrikas Höhlen, Abseiler 13:14f.
Kittel, Erika Provatina-Expedition 1978, ATLANTIS 2-1978, S. 35ff.
Lehmann, Christine Höhlenangst - Kriminalroman, Der fünfte Fall für Lisa Nerz
Lindenmayr, Franz Angst und Höhle, Tagungsmappe 2001, Arbeitskreis Höhle, Religion und Psyche, hrsg. von Gabi und Peter Hofmann, Oberaudorf 2001
Mercier, Paul Nachtzug nach Lissabon, btb-Verlagsgruppe, München, 11. Auflage, Mai 2006
Pamuk, Orhan Als die Pest die Welt teilte, SZ Nr. 100, 30. April/1.Mai 2020, S. 11
Repis, Willi Höchst überflüssig zu erzählen! Vereinsmitteilungen Salzburg 1- 1969
Viciano, Astrid Keine Angst! Süddeutsche Zeitung Nr. 299, 30./31. Dezember 2017, WISSEN, S. 37

Links:

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-wenn-die-angst-hochkommt-1.4038537 "Wenn die Angst hochkommt"

https://de.123rf.com/photo_67516801_motivzitat-die-höhle-in-die-du-angst-hast-einzutreten-hält-den-schatz-den-du-suchst-auf-grünem-hintergrund-.html

https://www.praxis-jugendarbeit.de/jugendleiter-schulung/Hoehlentouren.html

Höhle-Religion-Psyche


[ Index ] [ Englisch version ] [ Höhlen und Höhlengebiete ] [ Kunst ]
[ HöRePsy ] [ Höhlenschutz ] [ VHM ] [ Veranstaltungen ] [ Links ]