Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Der Predigtstuhlschacht im Lattengebirge



Seit vielen Jahren ist uns schon ein arger Frevel bekannt. Wir wissen darum, und tun nichts. Anderes ist uns wichtiger, Jörg Obendorf (>Lästerliches) prangert den Mißstand schon seit einiger Zeit im INTERNET an, aber wirklich passieren tut bislang noch nichts. Seit Jahren unternimmt der Verein für Höhlenkunde in München e.V. schon Höhlenreinigungstouren, andere Vereine im Umkreis tun es auch, z.B. die Vertikalisten.

Warum machen wir uns nicht alle gemeinsam auf, das neue Jahrtausend damit zu beginnen, so einen alten Schandfleck zu beseitigen. Einfach ist es wohl nicht, macht viel, viel Arbeit, bringt kein Geld, fördert keine Karriere. Man macht sich höchstens die Hände dreckig, schneidet sich vielleicht mal in die Haut, wird müde und erschöpft.
Und stört es irgend jemanden denn? Was wird wirklich dadurch besser? Wenn wir den Dreck aus dieser unterirdischen Müllkippe herausholen und das für den Menschen uninteressant gewordene Material wo anders wieder abkippen?

Schon vom Gefühl her kommt es mir und wohl noch mehr Menschen besser vor, wenn wir nicht alles auf sich beruhen lassen. Wenigstens den Versuch sollten wir machen.

Wovon ist dauernd die Rede? Vom Predigtstuhlschacht.

Der Predigtstuhlschacht liegt im Lattengebirge,
das westlich der Verbindung von Bad Reichenhall nach Berchtsgaden liegt.
Ein Blick aus dem Satelliten auf den Predigtstuhlgipfel, von dem nur
in geringem Abstand der Eingang zum Predigtstuhl liegt.
Blick vom Gipfel des Predigtstuhls in Richtung Westen
Im Tal liegt Bad Reichenhall, darüber der Staufen
Der Eingang zum Predigtstuhlschacht

- ein unscheinbarer Eisendeckel verschließt ihn

Über die Entdeckung des Schachts gibt es zwei genaue Berichte im Salzburger Höhlenkataster. Der von Gustave Abel verfaßte Bericht erzählt gleich die Entdeckungsgeschichte: "Zwei Reichenhaller, Ludwig Kammel und Hias Flatscher, mußten beim Wegbau im August 1952 auf dem Predigtstuhl eine Sprengung vornehmen. Zu ihrer Überraschung verschwand dabei ein 15 m hoher, morscher Baum senkrecht in die Tiefe. Bei der näheren Untersuchung wurde ein tiefer Schacht festgestellt, der bis dahin verdeckt war."

Am 19. Oktober 1952 fand die Erstbefahrung statt, worüber es auch einen minutiösen Bericht von Wilhelm Schaup gibt. Man fand es damals sogar noch erwähnenswert, daß man "mit 2 Autos und mit Krad" dorthin gefahren war. 21 Personen waren da immerhin unterwegs, aus Salzburg und Reichenhall. Der damalige Direktor der Bahn, Ing. Köllensperger, "gewährte die freie Beförderung der Mannschaft und Material" mit der Seilbahn.

Man hatte den Schacht inzwischen schon mit einer Betondecke und einem verschließbaren Deckel versehen. Um 9 Uhr früh schon stieg der erste an einer Stahlseilleiter die 120 m senkrecht in die Tiefe, Alfred Koppenwallner, gesichert mit einem "Nylonseil" und akustisch verbunden mit der Oberfläche mittels einer Telefonverbindung. Albert Morokutti, Gottfried Rieder und Wilhelm Schaup stiegen bis 9.45 Uhr nach. Wigg Kamml (war jahrelang Leiter der Bergwachtbereitschaft Bad Reichenhall) und Heinz Siebert steigen auch noch in die Tiefe. Man versucht auch ein einfaches Experiment, das sofort klappt. Ein 40 auf 60 cm messender Spiegel wird dazu verwendet, Sonnenlicht in den Schacht zu leiten - und es klappt. Die Forscher haben richtig Tageslicht drunten. Beim Aufstieg muß es ein paar Probleme gegeben haben. Bei Wilhelm Schaup hatte sich das Seil durch die Leiter gefädelt, andere hatten Steinschlag, aber um 13.15 Uhr waren alle wieder draußen.

Damals scheint es noch üblich gewesen zu sein, gleich an die Öffentlichkeit zu gehen und die Nachricht zu verbreiten. Jedenfalls heißt es noch lakonisch: "Schaup voraus nach Salzburg. Redaktionsdienst. Siehe Zeitungsbericht SN. 20. Oktober 1952". Für ihn galt das wohl nicht mehr, womit Gustave Abel seinen Bericht schloß: "Abschließend war ein geselliges Zusammensein mit den Kollegen aus Bayern."

Ergebnis der speläologischen Erkundung war die Entdeckung eines 110 m tiefen Direktschachtes im Hauptdolomit. Sein Durchmesser liegt zwischen 3 und 5 Metern. In 110 Meter Tiefe liegt eine Verengung, in der sich der Baum gefangen hatte und die nachgebrochenen Felstrümmer aufstauten. Ein Blick zwischen die Felsen war möglich und man konnte weitere ca. 70 m direkt nach unten schauen. Damit ist der Predigtstuhlschacht wohl auch heute noch Deutschlands tiefster Direktschacht.

Als dann viele Jahre später Jörg Obendorf und Freunde die Höhle wieder befahren wollten, da ging das gar nicht mehr. Der Schacht war verfüllt mit Müll aus der Bergstation der Bahn! Sicherlich wird im Laufe der Jahre einiges verrotten, verrosten, hinabsickern in den bislang unzugänglichen Teil des Schachtes und im Wasser wieder irgendwo zu Tage treten. Inzwischen dürften da wieder ein paar Meter begehbar sein.

Michael Rahnefeld und Höhlenforscherkollegen wollten 1976 zu Pfingsten mal nachsehen, was mit dem Schacht los war. Ihr Befund: "Täglich wird der gesamte Abfall des Berghotels in den Schacht geworfen." Sie meldeten diesen Zustand dem Forstamt in Bad Reichenhall. Von irgend einer Aktion, um den Müll wieder heraus zu bekommen, haben wir nichts mehr gehört.

Hat sich jemals eine staatliche Stelle um diese Höhle und die Verschmutzung gekümmert?

Im November 2008 bin ich mal wieder vorbei gekommen. Ein zusätzlicher Deckel liegt jetzt auf dem Eisendeckel. Man muß ihn erst anheben, bis man auf den tatsächlichen Verschluß kommt. Mit einer Eisenkette und einem Schloß ist der Schacht verschlossen. Man kann ihn etwas anheben und darunter greifen. Hat man einen Stein zur Hand, dann man ihn hinunterwerfen und gespannt den Tönen aus der Tiefe folgen. Aufregend.

Literatur:

Landesverein für Höhlenkunde in Salzburg Salzburger Höhlenbuch Band 1, Salzburg 1975
Lindenmayr, Franz Das Lattengebirge, in: Münchner Höhlengeschichte, Verein für Höhlenkunde in München, München 1982, S.109
Rahnefeld, Michael Der Predigtstuhlschacht bei Bad Reichenhall - eine zweite Abfallgrube in den Alpen, DIE HÖHLE 4-1976, S. 166

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